03.06.2021

Umgang mit juristischen Fachtexten im Studium (1)

Juristische Textsorten kennen und unterscheiden - Teil 1

Umgang mit juristischen Fachtexten im Studium (1)

Juristische Textsorten kennen und unterscheiden - Teil 1

Rechtsvorschriften sind die zentrale Textsorte für die juristische Arbeit. ©Ingo Bartussek - stock.adobe.com
Rechtsvorschriften sind die zentrale Textsorte für die juristische Arbeit. ©Ingo Bartussek - stock.adobe.com

Die Rechtswissenschaft ist eine Textwissenschaft. Rechtswissenschaftliche Arbeit erzeugt Texte. Bei der Entstehung fließen andere Texte ein, die zunächst gefunden, ausgewertet und eingearbeitet werden müssen. Der Beitrag erläutert in Teil 1 den Einstieg in den Umgang mit juristischen Texten die Unterscheidung der verschiedenen Textsorten.

Als Einstieg in die Bearbeitung juristischer Fachtexte sollte man zunächst die typischen Fachtextsorten,1 ihre Besonderheiten und Unterscheidungen kennen. Denn schon die Art der Informationsgewinnung und Informationsverarbeitung hängt davon ab, welche Sorte von Fachtext man vor sich hat. Sie sind nicht immer selbsterklärend und unterscheiden sich in Zielrichtung, Aufbau und Struktur.

Rechtsvorschriften

Rechtsvorschriften sind die zentrale Textsorte für die juristische Arbeit. Die meisten denken dabei an „Gesetze“, das ist jedoch nur eine Art von Rechtsvorschriften. Zu den Rechtsvorschriften gehören auch Verordnungen und Satzungen.


Bei der Anwendung von Rechtsvorschriften geht es nicht allein um die einzelnen Detailinhalte, sondern vor allem auch um Struktur, Systematik, das Verhältnis zueinander und die methodische Auslegung des Inhalts. Effektive Arbeitstechniken rund um Rechtsvorschriften erfordern die Anschaffung gedruckter Gesetzestexte (und nicht nur mit online verfügbaren Gesetzen zu arbeiten).

Monographie

Monographie bezeichnet als Textsorte eine Kategorie, zu der verschiedene Textarten als Unterkategorien gehören. Dazu zählen Lehrbücher, Arbeitsbücher usw. und vor allem auch Dissertationen. Einsatz und Bedeutung von Monographien sind über das Studium verteilt zahlreich, fallen aber je nach Studienphase und je nach Unterkategorie unterschiedlich aus. Für Studienanfänger sind Monographien zunächst vor allem als Lehrbücher relevant.

Kommentar

Der Kommentar ist die fachspezifischste und damit für Anfänger wohl neueste Form der Fachliteratur. Kommentiert wird in aller Regel ein Gesetz. Dabei geht es nicht um eine oberflächliche Beurteilung als gut oder schlecht, sondern um vertiefende Erläuterungen zum reinen Gesetzestext: im Gesetz verwendete Begriffe, ihr Inhalt und ihre Bedeutung, Voraussetzungen einer Norm, systematische Zusammenhänge und die Wechselbeziehungen mit anderen Vorschriften (Gesetzessystematik) usw.

Außerdem liefert der Kommentar eine Übersicht und Auswertung der einschlägigen Rechtsprechung zum Thema. Zu einem Gesetz gibt es meist mehrere Kommentare, die auch sehr unterschiedlich ausführlich ausfallen können (z. T. mehrbändig). Das ist vor allem für die eigene Recherche relevant: Ist die eigene Fragestellung noch relativ offen, liefert ein kompakter, einbändiger Kommentar einen Überblick oder ersten Einstieg in die Thematik, den man dann im nächsten Schritt mit einem mehrbändigen Kommentar gezielter vertiefen kann.

Ist die eigene Recherchefrage hingegen relativ konkret oder auch schon sehr zugespitzt, kann der Einstieg gleich mit dem ausführlicheren Kommentar zielführender sein. Dieser liefert eine größere Detailtiefe, und die konkrete Frage lässt sich so auch ausführlicher beantworten.

Loseblattsammlung

Die Loseblattsammlung ist keine eigene Textsorte in inhaltlicher Sicht, sondern mehr eine Gestaltungsvariante. Sie besteht aus einem Ordner, Ringbuch o. ä. mit austauschbaren Loseblattseiten. In dieser Form erscheinen vor allem zwei der zuvor beschriebenen Textsorten, die Gesetzessammlung und der Kommentar. Der Zweck der Loseblattsammlung ist eine fortlaufende Aktualisierung durch einfache Austauschbarkeit der Seiten. Für die juristische Arbeitstechnik hat das vor allem Auswirkungen auf die Form der korrekten Zitierung, aber eher weniger auf die inhaltliche Arbeitsweise.

Fachaufsatz

Fachaufsätze sind ebenfalls eine wichtige Textsorte und in Art, Umfang und Gestaltung sehr vielfältig. Sie können thematisch stark zugespitzt ein Spezialthema behandeln oder als Überblicksaufsatz einen breiten Themenabriss liefern. Für den thematischen Schwerpunkt einer Hausarbeit eignet sich auch und gerade ein vertiefender Fachaufsatz. Verschaffen Sie sich hingegen zunächst einen ersten systematischen Überblick über ein Thema, wäre der gleiche Aufsatz weniger geeignet, dann sollten Überblicksaufsätze im Fokus stehen.

Sammelwerk

Auch Sammelwerke weisen eine besondere Gestaltungsform auf, vergleichbar mit dem o. g. Loseblattwerk. Anders als das Loseblattsammlung stellt allerdings das Sammelwerk auch inhaltlich eine eigenständige Textsorte dar. Gesammelt werden hier Einzelbeiträge meist in Form von Aufsätzen, die unter einem gemeinsamen Oberthema in Buchform zusammengefasst werden. Eine häufige und wichtige Unterart des Sammelwerks ist die sog. „Festschrift“, ein Sammelband, der häufig zu Ehren eines Jubilars zu einem für diesen bedeutsamen Thema herausgegeben wird.

Gerichtsentscheidungen

Gerichtsentscheidungen sind eine weitere wichtige Quelle für die juristische Arbeit insgesamt. Um mit ihnen erfolgreich arbeiten zu können, sollte man zunächst die verschiedenen Entscheidungsarten kennen. Dann sollte noch die Veröffentlichungsart unterschieden werden und zuletzt spielt auch der Veröffentlichungsumfang eine wichtige Rolle für den effizienten Umgang.

Entscheidungsart

Das Urteil ist (nur) eine Unterart der Gerichtsentscheidung, man unterscheidet Urteile, Beschlüsse und Verfügungen.

– Das Urteil ist dabei die allgemein bekannteste Entscheidungsform. Es schließt ein gerichtliches Verfahren bzw. eine Instanz ab. Mit dem Urteil wird ganz und umfassend über einen Klageantrag entschieden.

– Ein Beschluss ist eine gerichtliche Entscheidung, die über einzelne Verfahrensfragen oder -abschnitte entscheidet. Er hat in dieser Form zwar wie das Urteil eine gewisse Außenwirkung, aber noch keine instanzabschließende Wirkung.

– Verfügungen als Gerichtsentscheidungen sind für die Arbeitstechnik, besonders für die Zitierung als Quellenangabe die am wenigsten relevante Kategorie, da sie nicht die Form von Außenwirkung haben wie Beschlüsse und vor allem Urteile, sondern eher dem internen Verfahrensablauf dienen.

Veröffentlichungsart

Amtliche Entscheidungssammlung Entscheidungen der Gerichte findet man zum einen in den sog. Amtlichen Entscheidungssammlungen, vor allem des Bundesgerichtshofs (BGH), Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG), Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) sowie weiterer oberster Bundesgerichte. In Quellenangaben erkennt man die abgekürzte amtliche Entscheidungssammlung z. B. durch ein „E“, also „BVerfGE“, „BVerwGE“. Beim Bundesgerichtshof wird kein „E“ angehängt, weil noch die Unterscheidung in Zivilsachen und Strafsachen zu berücksichtigen ist. Diese werden abgekürzt mit „BGHZ“ bzw. „BGHSt“. Amtliche Entscheidungsbände haben fortlaufende Nummern und innerhalb des Bandes Seitenzahlen. Eine typische Quellenangabe eines Urteils lautet daher z. B. „BVerfGE 123, 267“. Das ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Band 123 der amtlichen Entscheidungssammlung, das auf Seite 267 beginnt. Es gibt auch eine gemeinsame amtliche Entscheidungssammlung der Oberlandesgerichte mit der Kurzangabe „OLG-E“.

Juristische Fachzeitschriften

Außerdem werden Gerichtsentscheidungen in juristischen Fachzeitschriften abgedruckt. Das gilt sowohl für die o. g. Gerichte als auch die unteren Instanzgerichte ohne amtliche Sammlungen (Amtsgerichte, Landgerichte usw.). Entscheidungen können in mehreren Quellen parallel abgedruckt sein. Man findet daher häufig die gleiche Entscheidung in einer amtlichen Sammlung wie auch mehreren Fachzeitschriften parallel. Um arbeitstechnisch den Überblick zu behalten und unnötige Doppelrecherchen zu vermeiden, sollte daher immer das Aktenzeichen als eindeutiges Identifizierungsmerkmal für Gerichtsentscheidungen verwendet, d. h. mitrecherchiert und mitnotiert werden.

Fachdatenbanken

Gerichtsentscheidungen finden sich auch in Fachdatenbanken. Das erleichtert die Recherche erheblich. Oft finden sich dort nicht nur Angaben, wo eine Entscheidung abgedruckt ist, sondern häufig das (vollständige oder teilweise) Urteil selbst. Die effiziente Nutzung der Datenbanken erfordert aber, ausreichend Zeit in das Erlernen des Umgangs mit diesen zu investieren. Das zahlt sich über das Studium hinweg aus. Erkundigen Sie sich nach den Zugriffsmöglichkeiten Ihres Studienstandorts hierzu und nehmen Sie verfügbare Informationsangebote und Schulungen wahr.

Veröffentlichungsumfang

Gerichtsentscheidungen enthalten Leitsätze, zentrale Kernaussagen der Entscheidung. Dies kann je nach Entscheidung ein einzelner Leitsatz sein oder mehrere Leitsätze umfassen, die dann nummeriert sind. Gerade bei mehreren Parallelfundstellen lohnt ein Blick auf die Klammerzusätze der einzelnen Veröffentlichungsangabe. Ist hier nur „Leitsatz“ oder „Ls.“ angegeben, sind auch nur diese abgedruckt. Bei der Recherche z. B. für eine Hausarbeit wird aber in aller Regel eine Veröffentlichung im sog. Volltext benötigt. Denn selten genügen für diese Zwecke nur die Leitsätze, man benötigt die Urteilsbegründung im Einzelnen. Diese findet man in Fundstellen, die mit „Volltext“ oder mit „Leitsatz und Gründe“ gekennzeichnet sind.

Entscheidungsanmerkung

In Entscheidungsanmerkungen setzen sich Autoren mit einer Gerichtsentscheidung inhaltlich auseinander. Sie erläutern, nehmen Stellung, kritisieren, argumentieren mit den oder gegen die Ausführungen des Gerichts. Die begriffliche Bezeichnung „Entscheidungsanmerkung“ variiert je nach Veröffentlichungsmedium. Auch „Urteilsanmerkung“ sowie „Entscheidungsbesprechung“ oder „Urteilsbesprechung“ kommen als Begriff zur Anwendung. Unabhängig von diesen Begrifflichkeiten stellt dies aber eine gemeinsame Textsorte dar. Entscheidend für die Zuordnung ist dabei der Ansatz einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit einer gerichtlichen Entscheidung und ihrer Begründung.

Als eigenständige Variante ist die Anmerkung wie ein Fachaufsatz angelegt, in der Regel mit eigenem Titel und – als eine Art Untertitel – mit der Bezugnahme auf die Entscheidung. Als unselbständige Variante wird die Anmerkung direkt mit der abgedruckten Entscheidung veröffentlicht, entweder als Ergänzungstext angehängt an die Entscheidung, oder auch in einem gemeinsamen Text, so dass zunächst die Entscheidung inhaltlich wiedergegeben und dann zur inhaltlichen Begründung des Gerichts Stellung genommen wird.

Internetquellen

Internetquellen kommen in Betracht, wenn es sich um originäre Quellen handelt, die also nur online existieren.2 Sie sollten nicht nur als Ersatz für eine als Druckwerk existierende Quelle herangezogen werden, gibt es eine gedruckte Quelle, sollte diese Vorrang vor ihrem nur elektronischen Abbild haben. Diese Grundregel wird in der praktischen Herangehensweise durchbrochen, da mittlerweile zahlreiche Fachdatenbanken z. B. die Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen so gestalten, dass sich mit ihnen arbeiten lässt, als hätte man die Druckversion verwendet. Die Zitierung aus einer Internetquelle ist außerdem auch dann angezeigt, wenn es zur Fundstelle zwar eine grundlegende Druckversion gibt, die Online-Fundstelle aber zusätzliche Informationen enthält, die gar nicht oder jedenfalls so nicht in der gedruckten Version enthalten sind.

Materialien

Materialien dokumentieren Entstehungsgeschichte und vor allem Beweggründe des Gesetzgebers und werden insbesondere zur Auslegung von Gesetzen herangezogen. Diese gibt es einerseits in den Archiven der Gesetzgebungsorgane, also als amtliche Dokumente.3 Sie liefern zum einen Entstehungsgeschichte und historische Entwicklung von Gesetzen. Außerdem lassen sich vor allem für die Auslegung von Gesetzen Anhaltspunkte für die Beweggründe des Gesetzgebers ermitteln. Ein Beispiel für amtliche Dokumente zu den Beweggründen für das BGB sind die Motive zum Bürgerlichen Gesetzbuch.4 Während es sich hierbei um die amtlichen Dokumente des Gesetzgebungsorgans handelt, sind die Beweggründe des Gesetzgebers zum Teil auch als selbstständig herausgegebene Sammlungen5 veröffentlicht, vergleichbar mit Monographien.

Nichtjuristische Werke

Für die Verwendung nichtjuristischer Werke sind inhaltlicher Bezug und Rahmen entscheidend. Quellenart und Informationsart, die belegt werden soll, sollten qualitativ zueinander passen. Handelt es sich um juristische Fachinformationen, benötigen Sie auch eine juristische Fachquelle als Beleg. Geht es um Fachinformationen einer anderen Wissenschaftsdisziplin, sollte anerkannte wissenschaftliche Fachliteratur des jeweiligen Fachs verwendet werden. Wollen Sie sich auf allgemeinpolitische Zusammenhänge beziehen, kann hierfür auch ein Artikel aus einer (seriösen) Tageszeitung geeignet sein.

Für die Auswahl passender Quellen gilt grundsätzlich: Je fachlicher und fachbezogener die Information, die belegt wird, desto fachlicher und fachbezogener sollte auch die Quelle dazu sein.

 

Hinweis der Redaktion: Der Beitrag wird fortgesetzt.

Der Beitrag entstammt aus dem »Der Wirtschaftsführer für junge Juristen«, Heft 1/2021.

Um den Wirtschaftsführer auch unterwegs bequem lesen zu können, finden Sie hier unsere »Wirtschaftsführer-App«.

 

1) Zur Begrifflichkeit „Textsorte“ vgl. Linke/Nussbaumer/Portmann, Studienbuch Linguistik, 2020, S. 472.

2) So z. B. gerade für Studienanfänger interessant die „Zeitschrift für das Juristische Studium“ oder die „Legal Tribune Online“.

3) So u. a. die Drucksachen des Bundestages (BTDrs.), in denen z. B. Protokolle der Gesetzesberatungen veröffentlicht sind.

4) Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, 1888.

5) Mugdan, Benno, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, 1899.

 

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Lars Gußen

Rechtsanwalt, Berlin, Lehrbeauftragter, Frankfurt University of Applied Sciences
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