15.04.2012

The next generation

Ein Überblick über die neuen Landesvergabegesetze

The next generation

Ein Überblick über die neuen Landesvergabegesetze

Die neuen Landesvergabegesetze – ein bürokratisches Ungetüm? | © Eisenhans - Fotolia
Die neuen Landesvergabegesetze – ein bürokratisches Ungetüm? | © Eisenhans - Fotolia

Zahlreiche Bundesländer haben das Vergaberecht wiederentdeckt. Insbesondere die Mindestlohnvorgaben stehen vielerorts im Mittelpunkt der Debatte. Die Länder nehmen damit einen zweiten Anlauf, mit dem Vergaberecht Einfluss auf das Lohn- und Gehaltsgefüge zu nehmen. Bereits in den 1990er Jahren hatten einige Bundesländer einen ersten Vorstoß in diese Richtung unternommen, indem sie Bietern Tariftreueklauseln auferlegten. Der Europäische Gerichtshof hatte jedoch diese Regelungen für europarechtswidrig erklärt.

Die nun diskutierte zweite Generation der Landesvergabegesetze sieht stattdessen verbreitet Mindeststundenentgelte vor. Darüber hinaus enthalten die Landesnormen eine Vielzahl weiterer vergabefremder Kriterien. Der Beitrag will einen Überblick über die beschlossenen neuen Landesvergabegesetze der Länder Berlin, Hamburg, Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen (in Kraft ab 1. 5. 2012), Rheinland-Pfalz, Saarland und Thüringen geben, die auch unterhalb der Schwellenwerte nach § 2 VgV von den Vergabestellen zu beachten sind.

Mindestlohn nach AEntG

Fast alle betrachteten Landesvergabegesetze verpflichten die Bieter zur Einhaltung der nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz verbindlich erklärten Tarifverträge. Lediglich Niedersachsen beschränkt diese Regelung auf die Tarifverträge der Bauindustrie. Ohnehin sind die Arbeitgeber der erfassten Branchen zur Einhaltung dieser Lohnvorgaben arbeitsrechtlich verpflichtet. Die Landesvergabegesetze erfüllen nun den Gesetzesvorbehalt gemäß § 97 Abs. 4 S. 3 GWB, sodass die Nichtbeachtung der tarifvertraglichen Bestimmungen auch zum Ausschluss eines Bieters vom Vergabeverfahren führen kann.


Mindeststundenentgelt

Statt der Tariftreueklauseln der Landesvergabegesetze erster Generation schreiben einige Bundesländer nun ein Mindeststundenentgelt für die bei der Auftragsausführung eingesetzten Arbeitnehmer fest. Dieses beträgt in Nordrhein-Westfalen 8,62 Euro, in Rheinland-Pfalz und Bremen 8,50 Euro, in Brandenburg 8,00 Euro und in Berlin 7,50 Euro. Die Koalitionspartner in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern haben kürzlich vereinbart, den Mindeststundenlohn künftig auf 8,50 Euro festsetzen zu wollen. Ob die Mindeststundenlohnvorgaben jedoch mit dem Europarecht vereinbar sind, ist umstritten. Der EuGH hatte in der sog. Rüffert-Entscheidung vom 03.04.2008 (Rs. C-346/06) hinsichtlich der Tariftreueklauseln einen Verstoß gegen die Entsenderichtlinie erkannt. Das Gericht stellte fest, dass die mit der Tariftreueregelung verbundene Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit nicht aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. Es würde der Nachweis nicht gelingen, dass ein Arbeitnehmer nur bei seiner Beschäftigung im Rahmen eines öffentlichen Auftrages und nicht auch bei seiner Tätigkeit im privatwirtschaftlichen Bereich dem sich aus einem tariflichen Lohnsatz ergebenden Schutz bedarf. Soweit die vorgenannten Landesvergabegesetze nun jedoch Mindeststundenentgelte vorschreiben, wirken diese ebenfalls lediglich im Bereich der öffentlichen Vergaben. Ob die Mindeststundenentgelte daher einer gerichtlichen Überprüfung standhalten würden, darf bezweifelt werden.

Tarifbindung im Verkehrsbereich

Mit Ausnahme von Niedersachsen und Hamburg sehen alle betrachteten Landesvergabegesetze Tarifbindungsklauseln im Verkehrssektor vor. Diese Regelungen dürften nicht im Konflikt mit dem Europarecht stehen, denn gemäß Art. 51 EGV ist das Recht des freien Dienstleistungsverkehrs aus Art. 49 EGV auf Verkehrsleistungen nicht unmittelbar anwendbar.

ILO-Kernarbeitsnormen

Außer in Brandenburg und Niedersachsen schreiben die betrachteten Landesvergabegesetze auch die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen vor. Damit soll verhindert werden, dass Produkte beschafft werden, die beispielsweise durch Kinderarbeit oder durch Zwangsarbeit hergestellt worden sind. Die Maßnahmen der Bundesländer zur Gewährleistung dieser Standards sind allerdings höchst unterschiedlich. Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg, Bremen, Rheinland-Pfalz und das Saarland beschränken sich im Wesentlichen auf eine Verpflichtung der Vergabestellen, auf die Einhaltung der Normen hinzuwirken. Die Gesetze der Länder Berlin, Nordrhein-Westfalen und Thüringen fordern darüber hinaus eine verbindliche Erklärung des Bieters, Aufträge ausschließlich mit Waren auszuführen, die nachweislich unter Beachtung der ILO-Kernarbeitsnormen hergestellt worden sind. Die Berliner Senatsverwaltung hat erklärt, dass die bestmögliche Beachtung der ILO-Kernarbeitsnormen bei der Vorlage der unter www.kompass-nachhaltigkeit.de aufgeführten Produkt-Zertifikate vermutet wird, sofern diese ausdrücklich die Beachtung der Kernarbeitsnormen beinhalten. Grundsätzlich können die Bieter den Nachweis jedoch auch auf anderem Wege erbringen.

Ökologische und soziale Kriterien

In einigen Bundesländern sind auch ökologische Aspekte im Vergabeverfahren zu beachten. Dies betrifft Berlin, Bremen, Rheinland-Pfalz, das Saarland und Nordrhein-Westfalen. Vorgesehen ist in den Landesgesetzen, die ökologischen Aspekte bei der Planung und Bedarfsermittlung, der Leistungsbeschreibung und der Zuschlagserteilung zu berücksichtigen sowie für die Auftragsausführung ergänzende Verpflichtungen auszusprechen. Das Tariftreue- und Vergabegesetz des Landes Nordrhein-Westfalen erwähnt ausdrücklich das Eco-Management and Audit Scheme (EMAS). Hiermit könnte der Auftragnehmer nachweisen, dass er Normen für das betriebliche Umweltmanagement einhalten würde.

Schließlich sollen nach den Landesvergabegesetzen der Länder Berlin, Bremen, Rheinland-Pfalz und Thüringen auch die Frauenförderung und die Eigenschaft des Bieters als Ausbildungsbetrieb vergaberechtlich berücksichtigt werden. Frauenförderung sieht auch das Gesetz des Landes Nordrhein-Westfalen vor. Rheinland-Pfalz erwähnt zusätzlich die Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen und Bremen die Beschäftigung von Behinderten.

Die Berücksichtigung der vorgenannten Kriterien dürfte sowohl gemäß § 97 Abs. 4 S. 2 GWB als auch mit Blick auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unproblematisch sein, soweit ein sachlicher Zusammenhang mit den Eigenschaften oder der Herstellung des Produktes bzw. ein konkreter Zusammenhang mit der Auftragsausführung gegeben ist. Eine Berücksichtigung der Kriterien ausschließlich unabhängig von der Leistungserbringung dürfte dagegen mit Art. 26 VKR nicht zu vereinbaren sein.

Konnexität

Obwohl die meisten Landesverfassungen im Verhältnis Land – Kommune das Konnexitätsprinzip festschreiben, wonach das Land verpflichtet ist, gegenüber den Kommunen gesetzgeberisch verursachten Mehraufwand finanziell auszugleichen, sehen lediglich die Landesvergabegesetze Brandenburgs und Nordrhein-Westfalens hierzu Regelungen vor. Nach der Gesetzesbegründung des brandenburgischen Vergabegesetzes soll der auszugleichende Mehraufwand bei kleineren Verwaltungen 0,34 Stellen, bei mittleren Verwaltungen 0,68 Stellen und bei größeren Kommunen 1,36 Stellen betragen. Nordrhein-Westfalen will die durchschnittlichen Kosten erst noch ermitteln. Fraglich ist, ob hierbei neben den entstehenden Verwaltungskosten auch die Mehrkosten der Beschaffung von Waren und Dienstleistungen, die beispielsweise aus den zusätzlichen sozialen und ökologischen Anforderungen resultieren, berücksichtigt werden. In der Literatur ist umstritten, ob den Kommunen ein vollständiger Ausgleichsanspruch auch diesbezüglich gegenüber dem Land zusteht. Diese Frage ist bislang auch landesverfassungsgerichtlich noch nicht entschieden worden, sodass einem ersten Klageverfahren einer Kommune mit Spannung entgegengesehen werden kann.

Fazit

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die Landesvergabegesetze der zweiten Generation die Zahl der zu berücksichtigenden vergabefremden Kriterien weiter erhöhen. Dies ist nicht unproblematisch, da hierdurch Zielkonflikte mit der eigentlichen Intention des Vergaberechtes, nämlich der kostengünstigen Beschaffung von Leistungen, programmiert sind. Die zahlreichen Anforderungen und Nachweise führen überdies zu mehr Bürokratie. Gerade kleineren Unternehmen dürfte deren Erbringung zunehmend schwerfallen. Kritisch zu hinterfragen ist überdies, ob die zusätzlichen Kriterien wirklich ausschließlich im Rahmen der öffentlichen Beschaffung oder nach dem eigentlichen Willen des Landesgesetzgebers nicht auch im privaten Bereich wirken sollten. Ist Letzteres der Fall, wäre jedoch das Vergaberecht auch als „kleine Lösung“ der falsche Ansatzpunkt. Dann müssten vielmehr die Normen des Umwelt- und Sozialrechts in den Blick genommen werden, um eine Überfrachtung des Vergaberechts zu vermeiden und seine Anwendbarkeit auch für Mittelständler und kleinere Vergabestellen zu gewährleisten.

 

Dr. Jan Redmann

Rechtsanwalt Kapellmann und Partner, Berlin
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