15.04.2012

Einstellen, aber richtig!

Im Bewerbungsverfahren gelten Sonderregeln für Schwerbehinderte

Einstellen, aber richtig!

Im Bewerbungsverfahren gelten Sonderregeln für Schwerbehinderte

Diskriminierungen bereits im Stellenbesetzungsverfahren ausschließen – schwer behinderte Bewerber einladen. | © Marem - Fotolia
Diskriminierungen bereits im Stellenbesetzungsverfahren ausschließen – schwer behinderte Bewerber einladen. | © Marem - Fotolia

Am 16. Februar 2012 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) klargestellt, dass öffentliche Arbeitgeber einen schwerbehinderten Menschen grundsätzlich zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen haben (BAG, Urt. v. 16. 02. 2012, 8 AZR 697/10). Diese Entscheidung hat einmal mehr deutlich gemacht, dass (öffentliche) Arbeitgeber sowohl bei der Stellenausschreibung als auch der Stellenbesetzung besondere Pflichten gegenüber Schwerbehinderten zu beachten haben.

Gesetzlicher Ausgangspunkt

Die von Arbeitgebern bei Stellenausschreibungen und Stellenbesetzungen gegenüber Schwerbehinderten besonders zu berücksichtigenden Pflichten sind insbesondere in § 81 Abs. 1 des Neunten Buchs des Sozialgesetzbuchs (Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen, SGB IX) geregelt. Für öffentliche Arbeitgeber enthält § 82 SGB IX noch weitergehende Pflichten.

Interne Prüfung und Meldung bei der Agentur für Arbeit

Nach § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB IX sind Arbeitgeber zunächst verpflichtet, im Vorfeld der Besetzung eines frei werdenden oder neu zu besetzenden Arbeitsplatzes zu prüfen, ob dieser mit einem schwerbehinderten Menschen besetzt werden kann. Diese Prüfpflicht besteht nicht abstrakt, sondern ist konkret für jeden zu besetzenden Arbeitsplatz vorzunehmen. Es ist festzustellen, ob der freie Arbeitsplatz grundsätzlich geeignet ist, mit einem schwerbehinderten Mitarbeiter besetzt zu werden. Auf eine konkrete Art der Behinderung kommt es nicht an, weshalb die Prüfung wohl immer positiv ausfallen dürfte (so auch Diller, NZA 2007, 1321). Weiter hat der Arbeitgeber die im Betrieb bestehende Schwerbehindertenvertretung im Rahmen der internen Prüfung zu beteiligen sowie die im Betrieb bestehende Interessenvertretung der Mitarbeiter (i. d. R. Betriebs- bzw. Personalrat) zu hören, § 81 Abs. 1 Satz 6 SGB IX.


Kommt der Arbeitgeber im Rahmen seiner Prüfung zu dem Ergebnis, dass der zu besetzende Arbeitsplatz grundsätzlich mit einem schwerbehinderten Arbeitnehmer besetzt werden kann, so ist er weiter verpflichtet, zu prüfen, ob die freie Stelle mit einem bei der Agentur für Arbeit arbeitslos oder arbeitsuchend gemeldeten schwerbehinderten Menschen besetzt werden kann. Dies setzt nach der Rechtsprechung voraus, dass die Arbeitgeber frühzeitig Verbindung mit der Agentur für Arbeit aufnehmen, um offene Stellen zu melden und gleichzeitig zu prüfen, ob die Agentur für Arbeit einen geeigneten schwerbehinderten Bewerber zur Verfügung stellen kann (BAG, Urt. v. 13. 10. 2011, 8 AZR 608/10).

Informations- und Erörterungspflicht

Gemäß § 81 Abs. 1 Satz 4 SGB IX ist der Arbeitgeber sodann verpflichtet, die Schwerbehindertenvertretung sowie die im Betrieb bestehende Interessenvertretung der Mitarbeiter über die Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit sowie über Bewerbungen schwerbehinderter Menschen unmittelbar nach deren Eingang – d. h. vor Durchführung einer etwaigen Vorauswahl durch den Arbeitgeber – zu informieren. Mit dieser Informationspflicht des Arbeitgebers korrespondiert das Recht der Schwerbehindertenvertretung auf Einsicht in die entscheidungsrelevanten Teile der Bewerbungsunterlagen sowie auf Teilnahme an Vorstellungsge- sprächen (§ 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX).

Weiter soll die Unterrichtungspflicht die Schwerbehindertenvertretung sowie die im Betrieb bestehende Interessenvertretung der Mitarbeiter in die Lage versetzen, die beabsichtigte Einstellungsentscheidung unter Berücksichtigung der konkreten Gründe mit dem Arbeitgeber zu erörtern. Dies wird immer dann notwendig, wenn der Arbeitgeber die sogenannte Schwerbehindertenquote nicht erfüllt und die Schwerbehindertenvertretung und/oder die im Betrieb bestehende Interessenvertretung der Mitarbeiter mit der Einstellungsentscheidung des Arbeitgebers nicht einverstanden sind (§ 81 Abs. 1 Satz 7 SGB IX). Im Rahmen dieser Erörterung ist nach dem Wortlaut des Gesetzes auch der betroffene Schwerbehinderte anzuhören (§ 81 Abs. 1 Satz 8 SGB IX).

Unterrichtungspflicht

Abschließend sind nach § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX alle Beteiligten vom Arbeitgeber über die getroffene Einstellungs-entscheidung unter Darlegung der Gründe unverzüglich zu unterrichten. Die Unterrichtungspflicht soll den abgelehnten Bewerbern nach Auffassung der Rechtsprechung ermöglichen, die Ablehnungsgründe gerichtlich überprüfen zu lassen (BAG, Urt. v. 18. 11. 2008 – 9 AZR 643/07).

Besondere Pflichten für öffentliche Arbeitgeber

Neben den in § 81 Abs. 1 SGB IX allgemein geltenden Verpflichtungen haben öffentliche Arbeitgeber im Stellenbesetzungsverfahren im Hinblick auf Schwerbehinderte die weite-ren in § 82 SGB IX geregelten besonderen Pflichten zu beachten.

Nach § 82 Satz 1 SGB IX sind die Dienststellen der öffentlichen Arbeitgeber zunächst verpflichtet, den Agenturen für Arbeit frühzeitig frei werdende oder neu zu besetzende wie neue Arbeitsplätze zu melden.

Zudem sind schwerbehinderte Menschen, die sich um einen solchen Arbeitsplatz beworben oder die von der Bundesagentur für Arbeit oder einem von dieser beauftragten Integrationsfachdienste vorgeschlagen worden sind, zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen (§ 82 Satz 2 SGB IX). Eine Einladung ist lediglich dann entbehrlich, wenn die fachliche Eignung für die zu besetzende Stelle offensichtlich fehlt (§ 82 Satz 3 SGB IX). Dies wird beispielsweise dann angenommen, wenn die für die zu besetzende Stelle bestehenden Ausbildungs- oder Prüfungsvoraussetzungen nicht erfüllt werden oder der Bewerber nicht über die nach der Stelle geforderten ausreichenden praktischen Erfahrungen verfügt. Maßstab für die Eignung bzw. ihr Fehlen können die in der Stellenausschreibung geforderten Ausbildungs- oder Prüfungsvoraussetzungen (Anforderungsprofil) sein. Die objektive Eignung ist zu trennen von der individuellen fachlichen und persönlichen Qualifikation. Die Verpflichtung zur Einladung besteht mithin sogar dann, wenn die Sichtung der Bewerbungsunterlagen sicher ergibt, dass ein anderer Bewerber deutlich besser geeignet ist. Nach der gesetzlichen Konzeption soll der Arbeitgeber einem schwerbehinderten Bewerber die Chance eines Vorstellungs-gesprächs gewähren, damit dieser die Gelegenheit hat, den Arbeitgeber im Vorstellungsgespräche von seiner Leistungsfähigkeit zu überzeugen.

Nach der o. g. Entscheidung des BAG (Urt. v. 16. 02. 2012, 8 AZR 697/10) stellt die unterbliebene Einladung zum Vorstellungsgespräch ein Indiz für die Vermutung dar, der Bewerber sei wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt worden, wodurch insbesondere Entschädigungsansprüche nach dem AGG ausgelöst werden können. Die verbotene Diskriminierung im Einstellungsverfahren verpflichtet zu einer Entschädigung sogar dann, wenn der Bewerber im Ergebnis bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre, da der Entschädigungsanspruch ausschließlich an die Benachteiligungen im Bewerbungsverfahren anknüpft. Die gesetzliche Vermutung kann nach Ansicht des BAG nur widerlegt werden, wenn der Bewerber im Übrigen diskriminierungsfrei abgelehnt wurde. Dazu muss der Arbeitgeber jedoch Tatsachen darlegen, die keinen Bezug zur Schwerbehinderung des Bewerbers haben und dessen fachliche Eignung betreffen.

Fazit

Die Anforderungen, die das SGB IX in seinen §§ 81, 82 an die (öffentlichen) Arbeitgeber stellt, sind hoch. Weiter ist augenscheinlich, dass die Anforderungen in der betrieblichen Praxis nicht immer eingehalten werden können. Dennoch sind die Arbeitgeber gut beraten, die Vorgaben der §§ 81, 82 SGB IX zu befolgen, um etwaige Sanktionen zu vermeiden.

 

Thorsten Tilch

Rechtsanwalt, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Leipzig
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