15.04.2012

Polizei-Kompetenz in Europa

Europäische Normen prägen zunehmend Behörden- und Verlagspraxis

Polizei-Kompetenz in Europa

Europäische Normen prägen zunehmend Behörden- und Verlagspraxis

Das Europarecht gewinnt an Gewicht. | © nmann77 - Fotolia
Das Europarecht gewinnt an Gewicht. | © nmann77 - Fotolia

Die neuen Herausforderungen im europäischen Polizeibereich bestimmen auch die Programmplanung und Entwicklung der Fachliteratur und elektronischen Medien, die der RICHARD BOORBERG VERLAG in seinem Lektoratsbereich „Fachbereich Polizei“ für die bundesweite Aus- und Fortbildung von Polizeibeamten und Polizeibeamtinnen anbietet. Das bedeutet: Das Europarecht gewinnt an Gewicht und die Tendenz zur Europäisierung polizeilicher Kompetenzen wird immer deutlicher erkennbar. Dies ist insbesondere als Antwort auf die internationaler werdende Kriminalität und auf die Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus zu sehen, denen es nachhaltig mit vereinten Anstrengungen in Europa zu begegnen gilt. Zwangsläufig hat dies aber gleichzeitig zur Folge, dass die „Polizeihoheit“ der deutschen Bundesländer ständig weiter reduziert wird.

So wirkt europäisches Recht also in unterschiedlicher Weise in die tägliche Polizeipraxis hinein: Zum einen kann es kompetenzausweitend (z.B. Recht zur Nacheile über die Staatsgrenze) oder kompetenzbeschränkend (z.B. durch die in der Europäischen Menschenrechtskonvention – EMRK – verankerten Menschenrechte) sein. Zum anderen kann es aber auch verpflichtend wirken. Diese vielseitigen europäischen Einflüsse im Rahmen der gesetzlichen Regelungen verdichten sich zunehmend zu einem „europäischen Polizei- und Strafprozessrecht“.

Ein kurzer geschichtlicher Abriss: Vor dem Vertrag von Lissabon war der „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ – und damit auch die innere Sicherheit in der Europäischen Union – teilweise in der sog. dritten Säule ein- gegliedert, der „Polizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit für Strafsachen“. Die zollrechtlichen Angelegenheiten hingegen waren beispielsweise in der ersten gemeinschaftlichen Säule geregelt. Mit dieser Struktur gingen zahlreiche Einschränkungen einher: Der Gerichtshof der Europäischen Union war für Angelegenheiten der dritten Säule nur beschränkt zuständig (vgl. Art. 35 EUV a. F.). Des Weiteren war oftmals streitig, ob eine Angelegenheit der ersten oder der dritten Säule zuzurechnen ist. Gesetzliche Regelungen für Angelegenheiten der dritten Säule kamen ferner nur schwerfällig zustande, da diese einstimmig angenommen werden mussten. Dies hatte vermehrt Zusammenschlüsse einzelner Staaten zur Folge, die außerhalb des europäischen Rahmens versuchten, polizeiliche Belange zu regeln. Zu nennen sind hier etwa der Vertrag von Prüm oder der Schengen-Besitzstand. Folge dieser Versuche wiederum war die oftmals geäußerte Kritik, dass damit das demokratisch legitimierte Europäische Parlament und dessen ehemals – sowieso nur – beschränktes Mitspracherecht umgangen werde – obgleich in beiden Fällen von Anfang an beabsichtigt war, die Regelungen in den Rechtsrahmen der Europäischen Union aufzunehmen.


Auch nach dem Vertrag von Lissabon ist eine verstärkte Zusammenarbeit einzelner Staaten grundsätzlich möglich (Art. 73 AEUV). Durch den Vertrag von Lissabon wurde jedoch darüber hinaus in Art. 87 AEUV das ordentliche Gesetzgebungsverfahren eingeführt. Dies bedeutet aber in der Konsequenz, dass sich die Polizei künftig verstärkt mit europäischen Rechtsakten – ganz generell, insbesondere aber auch im Bereich des Informationsmanagements – beschäftigen muss.

Weiterer Grund für die Zunahme europäischer Rechtsakte ist, wie schon erwähnt, das erhöhte transnationale Kriminalitätsaufkommen. Da Kriminalität sich nicht an den Grenzen orientiert, muss sich auch die polizeiliche Zusammenarbeit erweitern. Hier haben die europäischen Gesetzgebungsorgane in den letzten Jahren zahlreiche Rechtsakte verabschiedet. So wurden zum Beispiel im Bereich der ehemaligen dritten Säule sowohl Rahmen- als auch Ratsbeschlüsse zur verbesserten Zusammenarbeit geschaffen:

Der „Rahmenbeschluss des Rates zur Vereinfachung des Informationsaustausches zwischen den Strafverfolgungsbehörden der EU-Mitgliedstaaten (Schwedische Initiative)“ verpflichtet die Mitgliedstaaten, bei der Informationsübermittlung an andere europäische Mitgliedstaaten keine höheren Anforderungen vorzusehen als an die Übermittlung zwischen nationalen Behörden.

Zur Absicherung der Rechte des Bürgers wurde zeitnah der „Rahmenbeschluss des Rates für den Schutz personenbezogener Daten, die im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen verarbeitet werden“ geschaffen.

Des Weiteren wurden mit dem „Beschluss des Rates zur Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus und der grenzüberschreitenden Kriminalität (Prümer Ratsbeschluss)“ die Regelungen des Prümer Vertrags, welche die ehemals dritte Säule betrafen, in den Rechtsrahmen der Europäischen Union überführt und die Pflicht zur Einrichtung von Datenbanken und zum Austausch von DNA-, Fingerabdruck- und Fahrzeug-Daten geschaffen. Auch wenn die vorgenannten Rechtsakte nicht unmittelbar in den Mitgliedstaaten gelten, sondern erst noch durch die nationalen Parlamente umgesetzt werden mussten, so betreffen diese europarechtlichen Maßnahmen nicht nur die europäischen Organe und Agenturen, sondern gleichsam die innerstaatlichen Sicherheitsbehörden.

Doch auch unmittelbar geltende Verordnungen (z.B. über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation) bestimmen fortan vermehrt die Arbeit der innerstaatlichen Verfolgungsbehörden.

Zudem werden derzeit von den europäischen Gesetzgebungsorganen europäische Datenschutzvorschriften diskutiert (siehe auch das Interview in: PUBLICUS 2012.3), die ebenfalls die nationalen Sicherheitsbehörden, welche die europäischen Vorgaben in ihren Systemen umzusetzen haben, betreffen.

Wie die nächsten Jahre im Bereich des „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ gestaltet werden könnten, lässt sich anhand des „Stockholmer Programms“ erkennen. Eines der wesentlichen Ziele ist die Intensivierung der Aus- und Fortbildung zu EU-bezogenen Fragen (siehe Punkt 1.2.6 des Stockholmer Programms).

Sämtliche genannten Aspekte, sowohl die Zunahme europäischer Rechtsakte und deren Auswirkungen auf die nationalen Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden als auch die Intentionen des Stockholmer Programms machen eine Ausweitung der Lehrmaterialien und der einschlägigen Fachbücher erforderlich, was sich natürlich auch immer stärker auf das Verlagsprogramm auswirken wird (s. o.). Der Fachbereich Polizei trägt dieser rasanten Entwicklung mit entsprechenden Fachbüchern Rechnung, die sich außerdem an dem neuen Bachelorsystem orientieren und auf dieses abgestimmt sind.

Ein aktueller Ansatz, den Studierenden die europarechtlichen Strukturen sowie die Auswirkungen der europäischen Gesetzgebung auf nationales Recht näherzubringen, findet sich bei Prof. Dr. Guido Kirchhoff in seinem neuen Lehrbuch zum Europarecht „Europa und Polizei – Auswirkungen auf die Gefahrenabwehr und Strafverfolgung“ (Richard Boorberg Verlag, 2012). Das Buch verhilft zum einen den Polizeibeamten in der Praxis zu einem Überblick über das europäische Recht. Zum anderen dient es den Studierenden an den Hochschulen der Polizei als praxisorientierte und vorlesungsbegleitende Lektüre.

 

Hans-Jörn Bury

Rechtsanwalt, Richard Boorberg Verlag, Lektorat Fachbereich Polizei, Stuttgart
 

Dr. Carmen Fritz

Rechtsanwältin, Kempten (Allgäu)
n/a