15.04.2012

Der RGRE – Stimme der Kommunen in Europa

Interview mit Dr. Gerd Landsberg, DStGB

Der RGRE – Stimme der Kommunen in Europa

Interview mit Dr. Gerd Landsberg, DStGB

Städtepartnerschaften sind Völkerverständigung im besten Sinn. | © Gerd Brändlein - Fotolia
Städtepartnerschaften sind Völkerverständigung im besten Sinn. | © Gerd Brändlein - Fotolia

Am 1. Januar 2012 trat Dr. Gerd Landsberg, Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, sein Amt als Generalsekretär der Deutschen Sektion im Rat der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE) an.

PUBLICUS sprach mit dem Generalsekretär und Fachbeiratsmitglied des Online-Magazins über sein neues Amt und dessen Herausforderungen.

PUBLICUS: Herr Dr. Landsberg, zunächst herzlichen Glückwunsch zur Wahl zum Generalsekretär der Deutschen Sektion im Rat der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE).


Worum handelt es sich genau beim Rat der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE) und welche Funktion kommt dem Generalsekretär zu?

Landsberg: Herzlichen Dank.

Der Rat der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE) ist ein europaweiter Zusammenschluss der kommunalen und regionalen Gebietskörperschaften. Im europäischen RGRE sind 54 nationale Kommunalverbände aus 40 europäischen Ländern (Sektionen) vertreten. So repräsentiert diese Organisation in ganz Europa etwa 100.000 kommunale Gebietskörperschaften.

Die Deutsche Sektion des RGRE, deren Geschäfte ich in meiner Funktion als Generalsekretär führe, umfasst derzeit rund 1.000 europaengagierte deutsche Städte, Gemeinden und Landkreise sowie die kommunalen Spitzenverbände. Hier werden die deutschen Positionen für den internationalen RGRE erarbeitet und vertreten; so zum Beispiel in der Diskussion um die Vergaberechts-Reform oder aber in der Neuausrichtung der europäischen Regionalpolitik, bei der es insbesondere auch um die künftige Verteilung der EU-Fördermittel geht.

Ich möchte meine Amtszeit dazu nutzen, den deutschen Städten, Gemeinden und Kreisen in Europa auch auf diesem Wege eine Stimme zu geben und umgekehrt aber auch bei den deutschen Kommunen für Europa zu werben. Ich bin davon überzeugt, dass unsere Zukunft in Europa liegt. Die Städte, Gemeinden und Kreise haben ein riesiges Potential, den Integrationsprozess in Europa voranzutreiben und damit unsere Zukunft in Wohlstand zu sichern. Gleichzeitig sind wir stark genug, die dringend notwendigen Reformprozesse für eine Stärkung der europäischen Institutionen und für ein eindeutiges Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft voranzutreiben.

PUBLICUS: Die zunehmende Kommunalrelevanz der Tätigkeit der EU-Organe bringt es mit sich, dass das kommunale Lobbying vor Ort in Brüssel immer wichtiger wird. Wie läuft der politische Willensbildungsprozess ab? Welche Rolle kommt dem RGRE zu und wie ist das Verhältnis zu den europäischen Gremien (Europarat, Kommission)?

Landsberg: Das Verhältnis des RGRE zu den Unionsgremien wie z. B. der Kommission ist gut, wenngleich wir nicht immer die gleichen Positionen vertreten. Wir pflegen einen engen Kontakt zur Kommission und insbesondere zu den Mitgliedern des Europäischen Parlamentes. Es ist für uns wichtig, möglichst frühzeitig von Vorhaben seitens der EU Kenntnis zu erlangen und unsere Expertise einzubringen.

PUBLICUS: Wenn man an Europa denkt, drängt sich die sogenannte Euro-Krise auf. Wie sehen Sie das Problem grundsätzlich?

Landsberg: Die Krise überschuldeter öffentlicher Haushalte betrifft alle Länder in der EU. Dies gilt auch für Deutschland, das mit über zwei Billionen Euro verschuldet ist und allein für Zinsen täglich über 190 Millionen Euro ausgeben muss. Trotz hervorragender Konjunktur im Jahre 2011 mussten der Bund und die meisten Länder zusätzlich neue Schulden aufnehmen. Auch wir haben den Weg aus dem Schuldenstaat noch nicht gefunden. Gleichzeitig ist Deutschland der größte Profiteur des europäischen Binnenmarktes. Nach Untersuchungen der KfW hat Deutschland durch die Mitgliedschaft in der Eurozone in den letzten beiden Jahren einen Wachstumsvorteil zwischen zwei und zweieinhalb Prozentpunkten und damit im Bereich von 50 bis 60 Milliarden Euro realisiert! Städte und Gemeinden leben in einer Symbiose mit der örtlichen Wirtschaft. Kann diese beispielsweise nicht exportieren und erleidet Einbußen, werden wir das auch bei der Gewerbesteuer zu spüren bekommen.

Die Deutsche Sektion des RGRE hat auch deswegen im Dezember letzten Jahres eine Resolution zur Euro- und Staatsschuldenkrise verabschiedet. Damit wollen wir Wege aus der Finanzkrise aufzeigen und ein deutliches Zeichen für mehr Europa setzen.

PUBLICUS: Wie kann der RGRE hier Einfluss nehmen?

Landsberg: Die Kommunen müssen zum Motor der Revitalisierung des Integrationsprozesses werden. Über Städtepartnerschaften ist der Einigungsprozess in Europa immer weiter vorangetrieben worden und viele Menschen identifizieren sich europaweit mit ihrer Kommune und ihrer Region. Längst haben wir eine europäische Identität, die historisch bedingt von den Städten und Gemeinden in Europa getragen wird.

Die internationalen Partnerschaften der Städte und Gemeinden sind der ideale Ort der internationalen Begegnung von Menschen. Sie sind Völkerverständigung im bestverstandenen Sinne. Staaten mögen Diplomatie betreiben. Aber die Städtepartnerschaften bringen die Menschen zusammen – Jung und Alt! Aber sie sind noch mehr. Kommunale Partnerschaften werden als Plattform genutzt, um voneinander lernen zu können. Und die fachlich-thematische Zusammenarbeit kommunaler Partner in Netzwerken und Vereinigungen ermöglicht einen gemeinsamen Zugang zu Fördermitteln, vor allem der Europäischen Union.

PUBLICUS: In Europa bzw. vielen europäische Ländern sind die öffentlichen Haushalte stark überschuldet. Zudem ist die Jugendarbeitslosigkeit (vgl. Spanien) und somit hohe Sozialkosten ein Problem. Wo sehen Sie hier Lösungsansätze?

Landsberg: Seit langem warnen vor allem die Kommunen in Europa davor, mit der Überschuldung die politische und gesellschaftliche Gestaltungsmacht der öffentlichen Hand zu riskieren. Es waren und sind die Kommunen, die eine umfassende Verwirklichung des Konnexitätsprinzips fordern: Wer bestellt, der bezahlt! Viel zu lange wurden staatliche Leistungen versprochen und eingeführt, deren langfristige Finanzierung nicht gesichert war und ist. Wir brauchen leistungs- und finanzstarke öffentliche Gebietskörperschaften überall in Europa, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu gewährleisten. Auch hat sich die Deutsche Sektion des RGRE für eine rechtlich vereinbarte Schuldenbremse in allen EU-Staaten ausgesprochen. Gleichzeitig muss gerade den an Europa zweifelnden Jugendlichen eine Perspektive von einem sinnhaften Leben und Arbeiten in einer europäischen Wertegemeinschaft gegeben werden. Wir müssen allerdings auch den Menschen ehrlich sagen, dass die Sozialstaaten längst an ihrer Leistungsgrenze angelangt sind. Es wird kein Weg daran vorbeigehen, staatliche Leistungen zurückzuführen und auf die wirklich Bedürftigen zu konzentrieren und andererseits jedem Einzelnen mehr Eigenverantwortung für sein Leben aufzuerlegen. Dazu gehört allerdings auch, dass die Staaten mehr in Bildung investieren und gerade den Jugendlichen eine qualifizierte Ausbildung ermöglichen, um ihnen anschließend eine berufliche Perspektive zu ermöglichen.

PUBLICUS: Die Idee einer vergemeinschafteten Wirtschaftsregierung steht immer wieder zur Diskussion. Für wie realistisch halten Sie eine Einführung einer gemeinsamen Finanz- und Wirtschaftsregierung?

Landsberg: In vielen Punkten haben wir bereits praktisch eine europäische Finanz- und Wirtschaftspolitik. Langfristig wird kein Weg an einer gemeinsamen Finanz- und Wirtschaftsregierung vorbeiführen. Es muss gewährleistet sein, dass die gemeinsam vereinbarten Stabilitätskriterien für den Euro auch künftig eingehalten werden. Die Debatte über eine gemeinsame Fiskalunion führt in die richtige Richtung. Jetzt kommt es darauf an, sie inhaltlich zu gestalten.

PUBLICUS: Mittlerweile wirkt sich die Mehrheit aller europäischen Regelungen auf die Kommunen aus bzw. sind von ihnen anzuwenden. Ob es um öffentliche Ausschreibungen, kommunale Leistungen der Daseinsvorsorge, kommunale Umweltpolitik, die Wirtschaftsförderung oder Kommunalwahlen geht, fast jede kommunale Tätigkeit wird direkt oder indirekt durch europäische Vorgaben beeinflusst. Kommunen müssen sich über die kommunalrelevanten Vorgänge in der EU auf dem Laufenden halten und die Europäisierung vorantreiben. Wie hilft die Deutsche Sektion des RGRE dabei?

Landsberg: Um auf Entwicklungen vorbereitet zu sein und sie bewerten zu können, genügt es weder, sich aus dem Amtsblatt der EU zu informieren, noch im Falle von Richtlinien auf die Umsetzung in nationales Recht zu warten. Der RGRE, aber auch die kommunalen Spitzenverbände, beraten, informieren und erläutern die für die Kommunen in Deutschland relevanten Vorgänge. Zudem informiert die Geschäftsstelle der Deutschen Sektion im RGRE regelmäßig über neue Förderprogramme und Fördertöpfe der EU. Über Kongresse und Workshops werden Austauschplattformen angeboten. In Überlegung sind derzeit Programme zur kommunalen Aus- und Fortbildung im Bereich Europa. Denn Europakompetenz wird für die Mitarbeiter in den Rathäusern ein immer wichtigerer Teil der täglichen Arbeit.

PUBLICUS: Welche Kooperationen gibt es mit Kommunen in anderen Europäischen Ländern? Und was ist deren Inhalt?

Landsberg: Es gibt über 5.000 deutsche Städtepartnerschaften in Europa, darunter über 2.000 deutsch-französische Städtepartnerschaften. In ihrer Intensität werden diese sehr unterschiedlich gelebt. Andererseits muss eine Kooperation von Kommunen untereinander nicht direkt mit der Unterzeichnung einer Städtepartnerschaftsurkunde beginnen. Zusammenarbeit kann sich auch in einem Austausch der Schulen oder der Kommunalverwaltungen ausdrücken. Kommunale Experten aus allen Bereichen – z. B. Öffentliche Finanzen, Ver- und Entsorgung, Ordnung, Infrastruktur – könnten in den Gemeinden anderer Staaten mithelfen, Probleme zu lösen. Um voneinander zu lernen und vor allem: Um Solidarität und Zusammenhalt auch in der Krise zu gewährleisten!

PUBLICUS: Die Deutsche Sektion im RGRE hat gerade einen neuen Ausschuss zur kommunalen Entwicklungszusammenarbeit gegründet. Worum handelt es sich dabei?

Landsberg: Neben dem deutsch-französischen Ausschuss und dem deutsch-polnischen Ausschuss, die die Partnerschaften und Zusammenarbeit mit den Kommunen dieser Ländern mit Leben füllen, befasst sich der Ausschuss für Entwicklungszusammenarbeit mit möglichen Maßnahmen, um nachhaltige Entwicklung in Partnerkommunen, aber auch vor Ort in der eigenen Kommune zu fördern. Hier geht es nicht nur um Partnerländer, die nach der OECD-Definition als Entwicklungs- oder Transformationsländer bezeichnet werden. Es geht letztlich um den Städtepartnerschaftsgedanken, der sich auch auf Städte, Gemeinden oder Kreise erstreckt, die nicht in diese offizielle Kategorie fallen, aber aus kommunaler Perspektive einen hohen Entwicklungsbedarf haben. Kommunale Partnerschaften können hier beispielsweise als Plattform genutzt werden, um Demokratisierungsprozesse in Staaten zu unterstützen, in denen Rechtsstaatlichkeit und Freiheit noch erkämpft werden müssen. Kommunale Partner in Industriestaaten und Schwellen- oder Entwicklungsländern arbeiten zusammen und lernen voneinander.

PUBLICUS: Welcher Bereich liegt Ihnen bei Ihrer Arbeit im RGRE besonders am Herzen?

Landsberg: Die zentrale Herausforderung der Arbeit auch im RGRE ist die Förderung der Integrationspolitik in der europäischen Krise. Gerade weil Europa und die europäische Kultur ihre Grundlage in den Städten und Gemeinden hat, sehe ich uns hier in besonderer Verantwortung. Wenn aus der Krise eine Chance für eine bessere Zukunft werden soll, kann das nur mit den Kommunen gelingen und darin sehe ich meinen Schwerpunkt.

PUBLICUS: Herr Dr. Landsberg, wir danken Ihnen für das Gespräch.

 

Dr. Gerd Landsberg

Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Städte- und Gemeindebundes a.D., Berlin
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