15.04.2012

Die Leiden des jungen ACTA

Ein Handelsübereinkommen wird missverstanden

Die Leiden des jungen ACTA

Ein Handelsübereinkommen wird missverstanden

Das Anti-Piraterie-Abkommen – Hilfe in der Abwehr von Produktpiraterie oder Zensur? | © STIMA - Fotolia
Das Anti-Piraterie-Abkommen – Hilfe in der Abwehr von Produktpiraterie oder Zensur? | © STIMA - Fotolia

Vielerorts gingen im Februar diesen Jahres tausende Menschen auf die Straße und demonstrierten gegen das ACTA. Ruhe ist bislang nicht eingekehrt.

Was ist das ACTA?

Das ACTA (Anti-Counterfeiting Trade Agreement) ist ein internationales Handelsübereinkommen zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie. Die Verhandlungen wurden zwischen der Europäischen Union (EU), ihren Mitgliedstaaten sowie Australien, Kanada, Japan, Korea, Mexiko, Marokko, Neuseeland, Singapur, der Schweiz und den USA geführt. Am 16. Dezember 2011 gab der EU-Ministerrat seine Zustimmung, am 26. Januar 2012 wurde das Abkommen von 22 Mitgliedstaaten unterzeichnet. Die Unterschriften von Deutschland und vier weiteren Ländern fehlten bislang aus formalen Gründen. Nun aber hat (auch) Deutschland den Ratifizierungsprozess gestoppt; man wolle zunächst die Beurteilung des EU-Parlaments bzw. des Europäischen Gerichtshofs abwarten.

Das ACTA besteht neben dem bereits im Jahr 1994 verabschiedeten TRIPS-Abkommen (Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights), welches die Ausgestaltung geistiger Eigentumsrechte und deren effektiven und angemessenen Schutz in den Mitgliedstaaten der WTO (Welthandelsorganisation) regelt.


Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung geht es beim ACTA aber um sehr viel mehr als nur das „Geistige Eigentum im Internet“. Das ACTA regelt vor allem den Kampf gegen die klassische Produktpiraterie. Durch Verletzungen von Urheberrechten, Marken, Patenten, Geschmacksmustern und geografischen Angaben entstehen der Wirtschaft jährlich Milliardenschäden – Tendenz steigend. Ein entsprechender Schutz ist für Unternehmen daher essentiell; nur so kann die Wirtschaft wettbewerbsfähig bleiben und Arbeitsplätze gesichert werden. Verbraucher müssen zudem vor den von (regelmäßig minderwertigen) Produktfälschungen ausgehenden Gesundheits- und Sicherheitsrisiken geschützt werden.

Auch für Kommunen und kommunale Entscheidungsträger haben diese Schutzrechte eine nicht unerhebliche wirtschaftliche Bedeutung, insbesondere wenn sie als Marktteilnehmer auftreten und unternehmerische Ziele verfolgen. Unabhängig davon ermöglichen sie es Kommunen, sich selbst darzustellen und die örtliche Wirtschaft zu unterstützen. Die möglichen Konsequenzen aus der Verletzung von Schutzrechten sind somit auch für Kommunen von besonderem Interesse, sei es, weil deren Rechte verletzt oder – durch eine Kommune – Rechte Dritter beeinträchtigt wurden.

Warum stößt das ACTA auf Kritik?

Die – in der Öffentlichkeit teils wenig wahrgenommene – Kritik bezieht sich auf die nahezu gesamten Regelungen des ACTA. So wird unter anderem – wie seinerzeit bei TRIPS – befürchtet, dass der Vertrieb von Generika erschwert und Saatgut-Patentrechte verschärft werden könnten. Beides wäre gerade für Entwicklungsländer fatal. Die massiven öffentlichen Proteste gelten aber den Regelungen über die „Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums im digitalen Umfeld“.

Nach Ansicht der Kritiker würde es nationalen Gesetzgebern ermöglicht, schärfere Regelungen zur Kontrolle und Bestrafung von Internetnutzern und insbesondere Netzsperren einzuführen. Die Überwachung der Online-Nutzungen ihrer Kunden durch Provider sowie die damit einhergehende Speicherung und Weitergabe umfangreicher Kundendaten sei aber datenschutzrechtlich bedenklich. Das ACTA würde Provider zu „Hilfssheriffs der Rechteinhaber“ machen, die Rechtsverfolgung im Internet privatisieren und die Zensur von Netzinhalten ermöglichen. Das ACTA sei zudem zu einseitig, da ein fairer Ausgleich zwischen Urheber- und Nutzerinteressen fehle, was gerade in den Bereichen Wissenschaft und Bildung zu Einschränkungen führe.

Was ist dran an dieser Kritik?

Die Beachtung fremder Rechte ist selbstverständlich. Auch ist das Internet kein rechtsfreier Raum; die weltweite Vernetzung rechtfertigt vielmehr den besonderen Schutz immaterieller Rechtsgüter. Der Schutz geistigen Eigentums ist derzeit insbesondere außerhalb der EU unterschiedlich ausgestaltet. Das ACTA versucht eine Harmonisierung, um Verletzungen geistigen Eigentums weltweit und effektiver verfolgen zu können. Geschädigte sollen besser mit Justiz, Zoll und Polizei zusammenarbeiten, die Rechtsdurchsetzung soll fair und gerecht sein und die Interessen Dritter ebenso angemessen berücksichtigen wie die Belange der Rechteinhaber.

Festzuhalten ist zunächst, dass eine von den Kritikern maßgeblich ins Feld geführte Einführung von Netzsperren nicht beabsichtigt ist. Der Text des ACTA, welcher etwa über die Homepage der Bundesregierung abrufbar ist, regelt keine entsprechenden Maßnahmen. Es gebe, so die EU-Kommission, auch keine weiteren (unbekannten) Vertragsbestandteile, keine geheimen Nebenabreden oder Anhänge. Netzsperren waren zwar im Vorfeld gefordert worden, hierüber konnte jedoch keine Einigung erzielt werden.

Die Politik erklärt unter Verweis auf ein (geheimes) Gutachten des Rechtsdienstes des Europäischen Parlaments, dass das ACTA weder am bestehenden EU-Recht noch an dem in Deutschland geltenden Schutz des geistigen Eigentums etwas ändere. In der Tat sind die meisten Regelungen, die das ACTA international durchsetzen soll – anders als in manch anderen Ländern –, in Deutschland bereits geltendes Recht. So sieht das deutsche Urheberrecht bereits Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche vor; bei Urheberrechtsverletzungen in gewerblichem Ausmaß bestehen zudem Auskunftsansprüche des Verletzten gegen Internetprovider. Auch die Bundesregierung bekräftigt anlässlich der Diskussionen, keine gesetzlichen Internetsperren bei Urheberrechtsverletzungen zu initiieren; es werde weder Warnhinweise noch sog. Three-Strikes-Modelle (Sperrung des Internetzugangs nach mehrmaligen Verstößen) geben. Reformen des Urheberrechts selbst blockiert das ACTA nicht, da es keine Regelungen über den Erwerb, den Umfang und die Aufrechterhaltung von Rechten des geistigen Eigentums beinhaltet.

Die Skepsis der Kritiker beruht wohl auch auf Folgendem: Das ACTA wurde jahrelang unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt. Unklar sei daher der Einfluss der Urheberrechtslobby. Hintergrund dürften die Führungsrolle der USA (erste Verhandlungen fanden im Jahr 2006 zwischen den USA und Japan statt) und der heftig umstrittene US-Gesetzesentwurf SOPA („Stop Online Piracy Act“) sein, der recht drastische Maßnahmen, unter anderem auch Netzsperren, vorsieht. Darüber hinaus ließen die vagen Formulierungen des ACTA ausreichend Spielraum, Verschärfungen gegenüber dem heutigen Rechtszustand einzuführen. So bestehe die Gefahr, dass durch das ACTA Provider zunehmend in die Haftung genommen und (zu deren Exkulpation) zur Überwachung des Datenverkehrs im Internet gezwungen werden könnten. Derart weitergehende Kontrollen und Sanktionen würden durch das ACTA nämlich weder sicher noch dauerhaft ausgeschlossen. Die Rolle rückwärts des Bundesjustizministeriums (welches anfangs uneingeschränkt hinter dem ACTA stand) war leider wenig geeignet, Bedenken auszuräumen und Sicherheit zu vermitteln.

Fazit

Urheberrechtsverletzungen haben in den letzten Jahren ein gravierendes Ausmaß angenommen. Die Regelungen über die „Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums“ sind daher wichtig und betreffen jeden, der das Internet für sich nutzt – im Positiven wie im Negativen. Die weiteren Entwicklungen zum ACTA sollte man im Blick behalten. Das Abkommen hat zugegebenermaßen nicht zuletzt aufgrund seiner Entstehungsgeschichte und Verhaltens des Bundesjustizministeriums keinen leichten Stand. Vielleicht wird man die Proteste auch als solche gegen die derzeitige Politik ansehen müssen. Es geht jedoch um sehr viel mehr. Das Urheberrecht verhindert nicht den freien Zugang zu Informationen; diese sind als solche nicht urheberrechtlich geschützt, sie sind und bleiben frei. Das Internet ist aber weder ein rechts- noch ein vergütungsfreier Raum. Die Urheber sind für ihre Leistungen selbstverständlich zu vergüten. Dieses Bewusstsein muss sich – vor allem bei den Kritikern des ACTA – durchsetzen.

 

Christoph Edler von Weidenbach

Rechtsanwalt, Partner, Becker Büttner Held, München
 

Steffen Lux

Rechtsanwalt, Becker Büttner Held, München
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