25.03.2022

Städte müssen Auskunft über ihre Kaufverträge geben

Urteile der Verwaltungsgerichte Freiburg und Karlsruhe

Städte müssen Auskunft über ihre Kaufverträge geben

Urteile der Verwaltungsgerichte Freiburg und Karlsruhe

Bürger haben Anspruch auf Auskunft über die von ihren Städten geschlossenen Grundstückskaufverträge. © DAG IRLE fotoarchitektur – stock.adobe.com
Bürger haben Anspruch auf Auskunft über die von ihren Städten geschlossenen Grundstückskaufverträge. © DAG IRLE fotoarchitektur – stock.adobe.com

Der Auskunftsanspruch über amtliche Informationen nach dem Landesinformationsfreiheitsgesetz wird nicht durch Vorschriften der Gemeindeordnung verdrängt.

 Die Verwaltungsgerichte Freiburg (Urteil v. 30. 11.2021 – 10 K 4047/20) und Karlsruhe (Urteil v. 17.12.2021) – 1 K 3842/20) haben entschieden, dass Bürger Anspruch auf Auskunft über die von ihren Städten geschlossenen Grundstückskaufverträge haben, welche im Gemeinderat der jeweiligen Städte beschlossen wurden.

§ 38 Abs. 2 Satz 4 der Gemeindeordnung (GemO) für Baden-Württemberg – Einsichtnahme in Niederschriften über öffentliche Gemeinderatssitzungen – entfaltet keine Sperrwirkung gemäß § 1 Abs. 3 Landesinformationsfreiheitsgesetz (LIFG) für den Fall, dass ein Anspruch auf Einsichtnahme in nichtöffentliche Beratungsunterlagen geltend gemacht wird. Der Zugang zu Beratungsunterlagen einer nichtöffentlichen Gemeinderatsitzung sei nicht Regelungsgegenstand dieser Vorschrift. Nach dem Urteil des VG Karlsruhe löse auch § 12 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 Grundbuchordnung (GBO) keine Sperrwirkung gemäß § 1 Abs. 3 LIFG aus.


 Zum Sachverhalt

Die Kläger begehrten nach dem Landesinformationsfreiheitsgesetz (LIFG) Baden-Württemberg Auskunft von ihrer Stadt über den Kaufpreis von jeweils verschiedenen Grundstückskaufverträgen der Stadt. Sie sind der Ansicht, dass sie als Bürger über den Umfang der Ausgaben der öffentlichen Mittel Auskunft verlangen können. Die beklagten Städte sind dem entgegengetreten. Nach ihrer Auffassung seien die den Grundstücksverkäufen zugrundeliegenden Kaufverträge Gegenstand nichtöffentlicher Beschlussfassungen des Gemeindesrats gewesen und unterliegen deshalb der Geheimhaltung. Zudem seien die Vorschriften der Gemeindeordnung, die hier Anwendung finden, abschließend und gegenüber dem LIFG vorrangig (§ 1 Abs.3 LIFG).

Die Kläger haben hiergegen, nachdem die Städte über die Anträge der Kläger nicht innerhalb angemessener Frist entschieden haben, Verpflichtungsklage in Form der Untätigkeitsklage erhoben und beantragten die Gewährung des Zugangs zu den betreffenden Kaufverträgen.

Die Verwaltungsgerichte sind der Argumentation der Kläger gefolgt und gaben den Klagen in beiden Fällen statt. Nach Ansicht der Verwaltungsrichter sei der Auskunftsanspruch nach § 1 Abs. 2 LIFG gegeben. Das LIFG sei anwendbar und werde nicht durch die streitgegenständlichen Vorschriften der Gemeindeordnung verdrängt. Die beklagten Städte hatten damit mit ihren geltend gemachten Einwendungen keinen Erfolg. Nach Auffassung der Gerichte war in beiden Fällen der Anspruch auf Informationszugang auch nach keiner Alternative des § 4 LIFG – Schutz von besonderen öffentlichen Belangen – ausgeschlossen.

Das VG Karlsruhe maß der Auslegung des § 12 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 GBO eine grundsätzliche Bedeutung bei und ließ die Berufung gegen seine Entscheidung zu. Indes hat die beklagte Stadt von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht. Das VG Freiburg hat die vom Beklagten beantragte Berufung nicht zugelassen.

Zu den wesentlichen Erwägungen der Verwaltungsgerichte

Der Anwendungsbereich des LIFG sei in den streitgegenständigen Fällen nicht nach § 1 Abs. 3 gesperrt. Dies ist, von Ausnahmen abgesehen, dann der Fall, soweit der Zugang zu amtlichen Informationen in anderen Rechtsvorschriften abschließend geregelt ist. Zwar stelle § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO, wonach die Einsichtnahme (nur) in Niederschriften über die öffentlichen Sitzungen des Gemeinderates Einwohnern gestattet ist, eine solche Regelung dar. Da die Kläger aber gerade nicht die Einsichtnahme in nichtöffentliche Niederschriften, sondern in Unterlagen begehrten, welche in den Sitzungen erörtert wurden, sei in diesen Fällen der Anwendungsbereich des LIFG nicht gesperrt. Der Zugang zu Beratungsunterlagen einer nichtöffentlichen Gemeinderatssitzung sei, wie auch vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) so entschieden (Urteil v. 04.02.2020 – 10 S 1229/19), gar nicht Regelungsgegenstand des § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO. Aus diesem Grunde sei in diesen Fällen keine Sperrwirkung im Sinne des LIFG verbunden, da insoweit nur die Vertraulichkeit der Beratung gewährleistet werden soll, sich dieser Schutz aber nicht auf das Beratungsergebnis und die Beratungsgrundlagen beziehe.

Das VG Freiburg schloss ebenfalls eine analoge Anwendung des § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO auf streitgegenständliche Fallkonstellationen aus, da auch in der Gesamtschau mit der Regelung des § 35 GemO – Öffentlichkeit der Sitzungen – keine „planwidrige Regelungslücke“ erkennbar sei. Sollten Beratungsunterlagen schutzwürdige Informationen enthalten, würden diese gegebenenfalls dem Schutzregime des LIFG unterfallen.

Auch § 12 Abs.1 Satz 2 Alt.1 GBO – Einsichtnahme bei berechtigtem Interesse in Urkunden auf die im Grundbuch zu einer Eintragung Bezug genommen ist – löse nach der Entscheidung des VG Karlsruhe keine Sperrwirkung nach § 1 Abs. 3 LIFG aus. Es fehle bereits an einer hinreichenden Überschneidung der Normen mit Blick auf den Antragsgegenstand und den Antragsverpflichtenden. Es liege deshalb keine Normenkollision vor. Außerdem sei aufgrund der gänzlich anders gelagerten Schutzrichtung der Grundbuchordnung keine Ausschließlichkeit des Anspruchs nach § 12 Abs.1 Satz 2 Alt.1 GBO anzunehmen.

Bei Grundstückskaufverträgen handele es sich um amtliche Informationen im Sinne des § 3 Nr. 3 LIFG. Es seinen aber keine Ausschlusstatbestände nach dem LIFG erkennbar, welche einer Einsichtnahme in die Verträge entgegenstehen würde. Aufgrund der in beiden Fällen insoweit unterschiedlichen und auch nicht verallgemeinernd auf andere vergleichbare Fallkonstellationen zu übertragenden Sachverhaltsdetails kann und soll im Rahmen dieser Abhandlung hierauf nicht näher eingegangen werden. In den Entscheidungsgründen sind folgende rechtliche und zu verallgemeinernde Feststellungen zu den in Betracht kommenden Ausschlusstatbeständen des LIFG getroffen:

Nach § 4 Abs. 1 Nr. 9 LIFG bestehe der Anspruch auf Informationszugang nicht, soweit und solange das Bekanntwerden der Informationen (hier die Inhalte der Kaufverträge) nachteilige Auswirkungen auf die Interessen der informationspflichtigen Stellen (hier die beklagten Städte) im Wirtschaftsverkehr haben können. Ob „nachteilige Auswirkungen“ in diesem Sinne vorliegen, bedarf jeweils einer plausiblen Prognoseentscheidung der informationspflichtigen Stelle. Dabei komme ihr kein Beurteilungsspielraum zu. Das Vorliegen der Ablehnungsvoraussetzungen sei voll gerichtlich nachprüfbar. Wie alle Versagungsgründe der §§ 4 ff. LIFG sei auch der Ausnahmetatbestand des § 4 Abs. 1 Nr. 9 LIFG eng auszulegen.

Die informationspflichtige Stelle unterliege auch beim Abschluss eines privatrechtlichen Vertrages, wo sich die Stelle und der Vertragspartner auf der Ebene der Gleichordnung gegenüberstehen, den öffentlich-rechtlichen Regelungen und somit auch dem LIFG.

Obwohl bei der Veräußerung von Grundstücken nachteilige Auswirkungen auf Interessen im Wirtschaftsverkehr durch ein Bekanntwerden von Informationen naheliegen, seien diese aber in diesen Fällen nicht zwingend anzunehmen. Nimmt der Staat als Markteilnehmer am Privatverkehr teil, soll durch den Schutz öffentlicher Belange ein fairer Wettbewerb gewährleistet, aber nicht Transparenz verhindert werden. Insoweit verbiete sich nach Abschluss und Vollzug des Kaufvertrags eine generalisierende Sichtweise dahingehend, dass die entsprechenden Informationen per se geschützt seien. Dies würde ansonsten entgegen der gesetzgeberischen Konzeption des LIFG im Ergebnis auf die Schaffung einer Bereichsausnahme für die gesamte Tätigkeit der informationspflichtigen Stelle hinauslaufen.

Nach § 6 Satz 2 LIFG darf Zugang zu Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen nur gewährt werden, soweit und solange die geschützte Person eingewilligt hat. Als geschützte juristische Personen gemäß § 3 Nr. 4 Alt. 2 LIFG, über die amtlichen Informationen vorliegen, kommen in der Praxis oft die Vertragsparteien der jeweiligen Städte in Betracht. Kaufpreis, kaufpreisbildende Faktoren und sonstige Vertragsbestandteile sind aber nicht zwingend als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse anzuerkennen. Nur wenn dies zu bejahen ist, kommt es auf die Einwilligung der geschützten Person an. Da es sich bei diesen Vertragsbestandteilen um unbestimmte Rechtsbegriffe handelt, sind diese voll gerichtlich nachprüfbar.

Der Zugang zu einem Kaufvertrag kann auch, wie im vom VG Karlsruhe entschiedenen Fall, unter Schwärzung personenbezogener Daten beantragt und gewährt werden.

Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Alt.1 LIFG bleiben insbesondere die durch Rechtsvorschriften geregelten Geheimhaltungs- und Vertraulichkeitspflichten unberührt. Den Vorschriften §§ 35 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, 38 Abs. 2 Satz 4 GemO über die Nichtöffentlichkeit von Gemeinderatssitzungen bzw. die Nichtzugänglichmachung der Niederschriften kommt insoweit nur eine anspruchsausschließende Wirkung zu, als dadurch die Vertraulichkeit der Beratung gewährleistet werden soll. Dieser Schutz erstrecke sich also nicht auf das Beratungsergebnis und die Beratungsgrundlagen. Soweit die Beratungsgrundlagen lediglich Fakten darstellen und keinen Rückschluss auf den Beratungsablauf und den Prozess der Willensbildung geben, greife die Schutzfunktion der Nichtöffentlichkeit der Sitzung nicht. Es sei mit dem BVerwG (Urteil v. 02.08.2012 – 7 C 7.12 -, juris Rn.26 zu § 8 Abs.1 Satz 1 Nr. 2 Umweltinformationsgesetz UIG) zwischen dem geschützten Beratungsprozess als solchem, also der Besprechung, Beratschlagung und Abwägung, mithin dem eigentlichen Vorgang des Überlegens, und dem nicht geschützten Beratungsgegenstand und dem Beratungsergebnis zu unterscheiden.

Anmerkung

Die beklagten Städte und die kommunalen Landesverbände sehen dem Ausgang des Berufungsverfahrens, so es vom VGH gegen die Entscheidung des VG Freiburg zugelassen werden sollte, mit großem Interesse entgegen. Sollten die erstinstanzlichen Urteile Bestand haben, dann bestehe nach Ansicht der Städte „die Gefahr negativer Auswirkungen auf städtische Interessen im Wirtschaftsverkehr“ und damit verbunden eine Benachteiligung der Kommunen (vgl. Schwarzwälder Bote v. 10.01.2022). Betroffen sind nicht nur Städte und Gemeinden, sondern auch die Landkreise, da die Landkreisordnung (LKO) der GemO entsprechende Vorschriften enthält (z.B. §§ 30, 33).

Das Berufungsgericht wird sich im Hinblick auf die Sperrwirkung des § 1 Abs. 3 LIFG durch abschließende Zugangsregelungen anderer Rechtsvorschriften nicht nur mit der Auslegung des § 12 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 GBO, sondern auch mit den Regelungen über die Nichtöffentlichkeit von Gemeinderatssitzungen in Verbindung mit denen der Nichtzugänglichmachung der Niederschriften nichtöffentlicher Sitzungen nach den § 35 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2, 38 Abs. 2 Satz 4 GemO auseinandersetzen müssen. Insbesondere der § 35 Abs. 1 Satz 2, wonach nichtöffentlich verhandelt werden muss, wenn es das „öffentliche Wohl“ oder „berechtigte Interessen Einzelner“ erfordert, statuiert insoweit den vom VGH in der Entscheidung von 2020 (vgl. dort Rn.36) geforderten umfassenden Schutz. Diese Vorschrift ist nicht durch einen Abwägungsvorbehalt eingeschränkt, da es sich bei deren Voraussetzungen um voll gerichtlich nachprüfbare unbestimmte Rechtsbegriffe handelt.

Der VGH hat, da dort nicht entscheidungserheblich, insbesondere die Frage der Reichweite des Schutzes einer nichtöffentlichen Sitzung nicht entschieden.

Unter datenschutzrechtlichen Aspekten wird sich der VGH in diesem Kontext auch mit den Regelungen des § 41b GemO – Veröffentlichung von Informationen – beschäftigen müssen, der 2015 in die GemO eingefügt wurde. Der Gesetzgeber hat dort die nichtöffentlichen Sitzungsvorlagen ausdrücklich und nachvollziehbar von der Veröffentlichungspflicht ausgenommen (vgl. LT-Drs. 15/7265,43), damit schützenswerte Daten nicht und vor allen Dingen nicht dauerhaft an die Öffentlichkeit gelangen. Dieser Schutz könnte über die Gewährung eines Zugangsrechts zu diesen Vorlagen nach § 1 Abs. 2 LIFG und der damit verbundenen Möglichkeit der Veröffentlichung durch den Zugangsberechtigten ad absurdem geführt werden. Allerdings sind dann auch die Schutzmechanismen des LIFG zu prüfen.

Im Hinblick auf der auch vom VGH vorzunehmenden Prüfung, inwieweit Ausschlusstatbestände in den streitgegenständlichen Fällen greifen, kommt dem § 4 Abs. 1 Nr.9 – Berücksichtigung der Interessen der Beklagten im Wirtschaftsverkehr – eine besondere Bedeutung zu.  Gerade im Verfahren vor dem VG Freiburg, wo es im Rahmen des Grundstücksgeschäftes um die An- bzw. Umsiedlung eines Gewerbebetriebes ging, wird dies deutlich. Insoweit befinden sich die Kommunen auch im Konkurrenzkampf untereinander. Damit kann, anders als in den entschiedenen Fällen von den Gerichten angenommen, der Kaufpreisbildung sowohl beim An- als auch beim Verkauf von Grundstücken eine entscheidende Bedeutung zukommen.

Deshalb richtet sich die Aufmerksamkeit der kommunalen Praxis ganz besonders auf die Auslegung der Ausschlusstatbestände durch das Berufungsgericht bei der Berücksichtigung der damit verbunden spezifischen Interessenlage der jeweils betroffenen Kommunen.

Hierbei ist bei der Zugangsgewährung nach § 1 Abs. 2 LIFG der in § 4 Abs. 6 LIFG –Vertraulichkeit der Beratungen und Entscheidungsprozesse – zum Ausdruck kommenden gesetzlichen Intention (vgl. hierzu die LT-Drs. 15/7720,66) nach dem besonderen Schutz der Verhandlungsposition der informationspflichtigen Stelle zugrundeliegenden Überlegungen ein besonderes Augenmerk zu schenken.

 

Vgl. zum Ganzen auch Hornfischer/Schubert, Informations- und Akteneinsichtsrecht in die Niederschriften nichtöffentlicher Sitzungen von Kollegialorganen, Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg (VBlBW) Heft 2 2020, S. 51 ff.

Dr. Herbert O. Zinell

Dr. Herbert O. Zinell

Senator E.h. Dr. Herbert O. Zinell, Ministerialdirektor a.D. und Oberbürgermeister a.D
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