15.07.2021

Riders unter Strom

Der chaotische Gebrauch der elektrischen Tretroller ruft nach strengerer Regulierung

Riders unter Strom

Der chaotische Gebrauch der elektrischen Tretroller ruft nach strengerer Regulierung

Ordnung wie im Wilden Westen. ©Achim Wagner - stock.adobe.com
Ordnung wie im Wilden Westen. ©Achim Wagner - stock.adobe.com

Wenn sich die Menschheit in 50 Jahren des Anfangs der 2020er-Jahre erinnert, wird die „Heuschreckenplage“ unserer Tage in technisierter Gestalt vielleicht nur noch eine Fußnote der großen Mobilitätswende sein, welche die Klimakrise aktuell vehement einfordert: Die Geißel überall in den Städten herumdüsender oder stehender und oft wie stählerne Tier-Leichen quer im Weg liegender E-Scooter.

Derzeit behindern sie für viele Verkehrsteilnehmer*innen, unerheblich ob Fußgänger*innen oder Radfahrer*innen, massiv eine ungefährdete Bewegung im öffentlichen Straßenraum. Ein neueres Phänomen ist dabei die illegale und umweltschädliche Ablagerung der besonders bei jungen Menschen beliebten elektrischen Flitzer in Flüssen. Im Rheinstrom in Köln vermutet man aktuell bis zu 500 von ihnen (FAZ, 26.06.2021), die nun aufwändig – haftungs- und ordnungsrechtlich richtigerweise auf Kosten der E-Scooter-Anbieter – geborgen werden müssen.

Stockte während der Pandemie erst einmal die üppige Nutzung, okkupieren die zu Tausenden im kommerziellen Sharing-System einfach per App zu mietenden elektrischen Roller im „Sommer der Lockerungen“ zuhauf den (groß)städtischen Raum. Bisher werden sie jedoch noch viel zu wenig durch adäquate verkehrs- und straßenrechtliche Maßnahmen wirksam reguliert und sind ohnehin schwer zu kontrollieren.


Start im Jahr 2019 („Born to run“)

Die seit dem 15.06.2019 gültige Bundesverordnung für Elektrokleinstfahrzeuge (eKFV) vom 6.6.2019 (BGBl. I S. 756) regelt ihre Verwendung. Sie gilt für Fahrzeuge mit Lenk- oder Haltestange, mit einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von bis zu 20 km/h und einer Straßenzulassung bzw. Betriebserlaubnis. E-Scooter oder Elektro-Tretroller sind Elektrokleinstfahrzeuge im Sinne dieser Verordnung und fallen damit unter den Kraftfahrzeugbegriff der Straßenverkehrsordnung (StVO). Der Roller darf aber zulässig nur maximal 55 Kilogramm wiegen, 1,40 Meter hoch und zwei Meter lang sein.

E-Scooter sind allein auf Radwegen, Radfahrstreifen und in Fahrradstraßen erlaubt. Nur wenn diese fehlen, darf auf die Fahrbahn ausgewichen werden. Ausdrücklich also nicht gestattet sind sie auf dem Gehweg, in der Fußgängerzone und in Einbahnstraßen entgegen der Fahrtrichtung, was ihre Nutzer*innen regelmäßig wenig schert. Natürlich nicht erlaubt ist ferner die regelmäßig zu beobachtenden Paarnutzung mit inniger Umarmung. Man muss das 14. Lebensjahr vollendet haben, um sie fahren zu dürfen (§ 3 eKFV). Eine Fahrerlaubnis benötigt man aber nicht. Helmpflicht besteht ebenfalls keine.

Auf gemeinsamen Geh- und Radwegen (Zeichen 240 der Anlage 2 zur StVO) haben Fußgänger Vorrang und dürfen weder behindert noch gefährdet werden. Erforderlichenfalls muss die Geschwindigkeit an den Fußgängerverkehr angepasst werden. Wenn ein E-Scooter entgegen § 10 I 1 oder II 1 eKFV eine andere Verkehrsfläche befährt, dementsprechend beispielsweise einen Gehweg, so stellt dies eine Ordnungswidrigkeit im Rahmen des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) dar. Für das Abstellen gelten die für Fahrräder geltenden Parkregeln. Nach der StVO bestehen insoweit keine speziellen Parkverbote. Allerdings muss gewährleistet sein, dass weder Fußgängern*innen noch Rollstuhlfahrern*innen der Weg versperrt wird.

© privat

„Breaking the law“: Große Gefahren für den Straßenverkehr

Da diese und andere Verkehrsregeln permanent von den Nutzer*innen missachtet werden, wundert es nicht, dass in der Presse immer öfter durch E-Scooter verursachte Unfälle mit erheblichen Personen- und Sachschäden und manchmal mit tödlichem Ausgang gemeldet werden. E-Scooter gehören fest zum bevorzugten Fortbewegungsmittel der wachsenden städtischen Spaß- und Partyszene, nicht selten stehen daher die Fahrer*innen unter Alkoholeinfluss. Sogar im eingeschränkten Pandemiejahr 2020 waren in Deutschland insgesamt 2.155 Unfälle mit E-Scootern zu verzeichnen, bei denen insgesamt fünf Menschen ums Leben kamen und 386 schwer sowie 1.907 leicht verletzt wurden. Alkoholeinfluss war dabei die häufigste Unfallursache mit einem Anteil von 18,3 %. Ein Drittel (33,7 %) aller verunglückten Nutzenden waren jünger als 25 Jahre. 2021 dürften diese Zahlen erheblich steigen.

Den Opfern hilft der Versicherungsschutz nur eingeschränkt. E-Scooter unterliegen zwar der Versicherungspflicht gemäß § 1 Pflichtversicherungsgesetz, nicht aber der Halterhaftung nach § 7 StVG, weil es sich um Kraftfahrzeuge handelt, die auf ebener Bahn mit keiner höheren Geschwindigkeit als 20 km/h fahren können (§ 8 StVG). Somit kommen gegen den E-Scooter-Fahrer bei dessen Verschulden privilegierend allein deliktische Ansprüche (§ 823 BGB) in Betracht (siehe auch LG Münster, Urt. v. 9. 3. 2020, Az. 8 O 272/19).

Das Bayerische Oberste Landesgericht hat mit Beschluss vom 24.07.2020 (Az. 205 StRR 216/20) zwar klargestellt, dass es sich bei einem E-Scooter um ein Kraftfahrzeug handelt – mit der Folge, dass der Mindestwert für die unwiderlegliche Annahme von absoluter Fahruntüchtigkeit bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille liegt. Wünschenswert wäre aber ein klares Wort des Gesetzgebers, in welchem Umfang bei solchen Trunkenheitsfahrten strenge Führerscheinmaßnahmen nach §§ 69 ff. Strafgesetzbuch (StGB) wie insbesondere der Führerscheinentzug als Strafe angeordnet werden müssen. Striktere Maßnahmen sind nötig. Ein „Kavaliersdelikt“ ist das Fahren unter Alkoholeinfluss angesichts der verheerenden Folgen wilder E-Scooter-Ritte sicher nicht.

„Free Bird“ – Anfangszeit im Laissez-faire-Modus

In der Anfangszeit wurde die von San Francisco aus global rollende E-Scooter-Welle als umweltfreundliche Form der Fortbewegung, Kurzstreckenalternative zum Auto und willkommene Ergänzung zum öffentlichen Personennahverkehr für die sogenannte erste und letzte Meile noch flächendeckend freundlich begrüßt. Zunächst ließen die deutschen Städte die E-Scooter daher an einer langen legalen Leine laufen. Aufgrund allzu rosiger Mobilitätserwartungen fassten die Städte deren Gebrauch im öffentlichen Straßenraum juristisch mit Samthandschuhen an und stuften die Nutzung nach den Landesstraßenvorschriften zunächst unisono als nicht erlaubnispflichtigen sog. Gemeingebrauch ein.

Nach den im Wesentlichen jeweils gleichlautenden Landesbestimmungen (vgl. etwa § 14 Bayerisches Straßen- und Wegegesetzes – BayStrWG) ist der jedermann gestattete Gemeingebrauch die Benutzung der Straßen im Rahmen ihrer Widmung für den Verkehr. Kein Gemeingebrauch ist es aber, wenn jemand die Straße nicht vorwiegend zum Verkehr, sondern zu anderen Zwecken benutzt. Dann ist die Benutzung sog. Sondernutzung und bedarf einer in der Regel kostenpflichtigen Genehmigung der Behörden (vgl. § 18 BayStrWG).

„Legal at last“: Gemeingebrauch oder Sondernutzung

Lange Zeit verwiesen die Kommunen bei der Qualifizierung als Gemeingebrauch auf vergleichbare frühere Rechtsprechung zu parkenden Leihfahrrädern (insbesondere  OVG Hamburg, Beschluss vom 19. 6. 2009. Az. 2 Bs 82/09, NVwZ-RR 2010, 34), wonach das Aufstellen von Mietfahrrädern auf der Straße durch ein gewerbliches Unternehmen, um sie an Kunden zu vermieten, als zulässiges Parken i. S. v. § 12 StVO und damit als Ausübung des Gemeingebrauchs anzusehen ist.

Diese, angesichts der landesstraßenrechtlichen Vorschriften, die auf den vorwiegenden Nutzungszweck abstellen, eher fragwürdige Rechtsansicht geriet in der juristischen Fachliteratur immer mehr in berechtigte Kritik – beschleunigt sicher durch die Realität in den Städten, welche die unselige Dynamik dieser individuellen Elektromobilität wachsend zum Vorschein brachte (etwa Johannisbauer, E-Scooter in deutschen Großstädten – Erlaubnispflichtige Sondernutzung oder bloßer Gemeingebrauch? Regulierungsmöglichkeiten der Kommunen beim Phänomen elektronische Leihroller, NJW 2019, 3164). Es ist wenig überzeugend, wenn das Aufstellen von Fahrädern vor einem Ladengeschäft im öffentlichen Verkehrsraum eindeutig als Sondernutzung eingestuft wird, nicht aber das Anbieten einer gewerblichen Leistung in Form eines sehr niedrigschwelligen Mietangebots von E-Scootern zur innerstädtischen Fortbewegung.

Die „Verkehrswende“ im juristischen Meinungsstreit leitete eine Entscheidung des OVG NRW zur Miete von Leihfahrrädern ein (OVG NRW, Beschl. v. 20.11.2020, 11 B 1459/20, NVwZ 2021, 258; vgl. auch PUBLICUS-Beitrag vom 17.06.2021). Die spezifische Funktionsweise des Fahrradvermietgeschäfts bestehe im Hauptzweck darin, den Abschluss eines Mietvertrags zu bewirken. Dieser verkehrsfremde Primärzweck führe dazu, dass in diesen Konstellationen regelmäßig eine Sondernutzung vorliege.

Es ist schließlich nicht einzusehen, weshalb durch das Carsharing-Gesetz (CSgG) zwar das Anbieten auf Verkehrsflächen kein Parken mehr ist, das Sharing von E-Bikes und auch E-Scootern aber anders bewertet werden soll. Die Frage der Landeskompetenz mag dabei für das ebenfalls in den landesstraßenrechtlichen Regelungen gesondert erfasste Carsharing (siehe § 18 a Straßen- und Wegegesetz NRW) zweifelhaft sein, für die E-Scooter, die außerhalb von Parkräumen den Straßenraum „zumüllen“, dürfte die Gesetzgebungsbefugnis der Länder dagegen außer Frage stehen (vgl. ähnlich auch: Koschmieder/Huß, E-Scooter – Regulatorische Herausforderung für die Kommunen?!, DÖV 2020, S. 81 ff.).

Steuerung durch straßen- und ordnungsrechtliche Instrumente („All along the Watchtower“)

Bisher haben die Städte und auch die Kommunalen Spitzenverbände überwiegend auf das Pferd von Handlungsempfehlungen sowie Vereinbarungen bzw. Memoranden mit den wichtigsten Anbietern gesetzt – mit größtenteils mäßigem Erfolg. Dies hat neben dem verkehrswidrigen Gebrauch auch mit der Flut der Anbieter und E-Scooter in den Städten zu tun (geschätzt in Köln ca. 8.000 E-Scooter von acht Anbietern, in Berlin etwa 12.000). Diese stehen in scharfer Konkurrenz zueinander, und müssen deshalb trotz ihrer offiziellen Verlautbarungen, ökologische Mobilität zu fördern, ihren Cash-Flow stur im Blick behalten.

Durch die Einordnung als erlaubnispflichtige Sondernutzung eröffnet sich für die Kommunen ein weites Repertoire straßenrechtlicher Instrumente. Im Ermessenswege könnten unter Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes und unter Beachtung verkehrlicher und anderer städtischer Belange – ggfs. im Rahmen von sog. Dienstleistungskonzessionen – gezielt Sondernutzungserlaubnisse unter Beschränkung der Anzahl der E-Scooter und Verleiher erteilt werden. Zur Steuerung und Kontrolle könnten ferner die konzessionierten Verleiher mit Auflagen und Bedingungen „geknebelt“ und mit Gebühren belastet werden, die ein wenig die Kosten der durch Steuergelder finanzierten Straßenräume kompensieren würden.

Mit einzelfallbezogenen ordnungs- und straßenrechtlichen Maßnahmen wird, wie die aktuellen Erfahrungen zeigen, das E-Scooter-Unwesen regulativ nicht wirksam gebändigt werden können. Niedrige Bußgelder reichen zur Abschreckung nicht aus. Düsseldorf und andere deutsche Städte begrenzen deshalb bereits, über die Tabuisierung problematischer Räume hinaus, die Ausleihe auf feste Entleihstationen im Stadtgebiet. Weltweit ist das Roll-Back nach negativer Bilanz weitaus fortgeschrittener: Paris oder Kopenhagen etwa verbieten die Nutzung in Teilen der Stadt oder lassen nur wenige Anbieter zu. Im Fahrradland Niederlande sind E-Scooter wohlweislich erst gar nicht zugelassen.

Blick in die Zukunft: „Imagine“!

Das Beispiel der E-Scooter zeigt, dass die dringend nötige ökologische Verkehrswende nicht dem Markt überlassen werden darf. Die Städte müssten die Sache selbst „rocken“ und eigene Konzepte entwickeln, um die anstehenden mit der Mikromobilität unweigerlich einhergehenden Konflikte zu entschärfen.

Weshalb beispielsweise etablieren sie nicht einen auch der Gesundheit wesentlich förderlicheren und weitaus ökologischeren stadtweiten kostenlosen Verleih von nicht elektrifizierten Fahrrädern und Tretrollern? Zudem gilt es, individuelle Fortbewegung mit dem immer mehr zu elektrifizierenden öffentlichen Personennahverkehr klug zu verzahnen. Weitsichtig könnten dabei auch künftige Transportgefährte, etwa automatisierte Kleinbusse, in den Blick genommen werden. Schließlich müssen insbesondere die Innenstädte mittelfristig fahrrad- und auch fußgängerfreundlich umgestaltet werden.

Im Rahmen dieser menschenfreundlichen Gestaltung könnten E-Scooter und andere elektrische Kleinfahrzeuge (z.B. E-Roller) eine nützliche ergänzende Rolle spielen. Vorausgesetzt ihrer Nutzung wird der erforderliche enge normative Rahmen gesetzt. Nur dann können alle Menschen, vor allem Kinder, ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen, den öffentlichen Straßenraum ungehindert und ungefährdet nutzen. Stellen wir uns also optimistisch eine Zukunft vor, in der alle Menschen ohne Stress die Räume durchqueren sowie Spaß an der Bewegung und gleichzeitig „Spaß an der Freude“ ausnahmslos aller Verkehrsteilnehmer*innen haben.

 

Franz Dillmann

Leiter des Bürgeramtes Köln-Rodenkirchen
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