15.01.2011

Multi-Talent lässt viele Fragen offen

Neuer Personalausweis im Widerstreit der Meinungen

Multi-Talent lässt viele Fragen offen

Neuer Personalausweis im Widerstreit der Meinungen

Der neue Personalausweis: 
Multitalent mit Haftungsrisiko? | © Florian Hiltmair - Fotolia
Der neue Personalausweis: Multitalent mit Haftungsrisiko? | © Florian Hiltmair - Fotolia

Fragt man den „Mann auf der Straße“ oder sein weibliches Gegenüber, wofür denn ein Personalausweis nötig sei, wird die spontane Antwort meist lauten: „Um bei Reisen die Grenzen von Staaten passieren zu können.“ Das ist aus der Sicht des Bürgers richtig, denn innerhalb Europas und teils auch darüber hinaus genügt ein Personalausweis in der Praxis tatsächlich als „Grenzübertrittspapier“ anstelle des dafür an sich gedachten Reisepasses.

Eigentlich ist dem Personalausweis traditionell aber eine andere, rein innerstaatliche Funktion zugedacht: Er soll den Ausweisinhaber in den Stand setzen, sich gegenüber Behörden ausweisen zu können, die zur Feststellung der Identität von Personen berechtigt sind. Dies galt jedenfalls bis zur Einführung des neuen Personalausweises am 01.11.2010. Mit diesem Stichtag erfolgte ein regelrechter Paradigmenwechsel, der aus dem Personalausweis eine Art Multifunktionsdokument machen soll. Deutlich wird dies schon an der geänderten Bezeichnung des Gesetzes, die nunmehr lautet: „Gesetz über Personalausweise und elektronischen Identitätsnachweis“. Was verbirgt sich dahinter?

Die drei Grundfunktionen des neuen Personalausweises

Künftig soll der Personalausweis drei Grundfunktionen nebeneinander haben bzw. auf Wunsch des Ausweisinhabers haben können:


Hoheitliche Ausweisfunktion

Der Begriff charakterisiert zunächst einmal die traditionelle Funktion des Personalausweises, die Identität des Ausweisinhabers nachzuweisen. Diese Funktion soll dadurch gestärkt werden, dass künftig – wie bisher nur im Reisepass – verpflichtend auch „biometrische Daten des Gesichts“ aufgenommen werden. Der Ausweis enthält also nicht nur ein sichtbares Foto des Inhabers, vielmehr werden die Daten dieses Fotos nach einer bestimmten mathematischen Formel komprimiert und auch als „Zahlenformel“ in den Ausweis aufgenommen. Das ermöglicht einen automatischen Abgleich. Fakultativ – also nur auf Wunsch des Inhabers und ohne dass dafür Zusatzkosten entstehen – kommen noch die Daten der Abdrücke von zwei Fingern hinzu. Letzteres wird dann als „biometrische Zusatzfunktion“ bezeichnet.

Elektronischer Identitätsnachweis

Er ermöglicht die rechtlich verbindliche elektronische Übermittlung von Identitätsmerkmalen bei Online-Anwendungen (also etwa bei Einkäufen im Internet), ist aber auch „Offline“ einsetzbar, etwa als Mittel des Altersnachweises bei Zigarettenautomaten.

Diese Funktion ist bei Auslieferung des Ausweises „voraktiviert“ und bleibt eingeschaltet, sofern der Ausweisinhaber nicht bei Abholung des Papiers erklärt, sie solle ausgeschaltet werden. Ein sanftes Drängen dahin, diese Funktion auch tatsächlich zu nutzen, lässt sich in dieser Voraktivierung durchaus sehen. Allerdings ist die Funktion auf Wunsch des Bürgers bei der Auslieferung des Ausweises oder auch später jederzeit auszuschalten, so dass er stets die volle Entscheidungsfreiheit behält.

Die elektronische Identitätsfunktion wird voraussichtlich als erste „neue“ Funktion des Ausweises in der Praxis breite Bedeutung erlangen. Sie wird deshalb später noch näher betrachtet.

Qualifizierte elektronische Signatur

Insoweit ist für den Ausweisinhaber lediglich die Möglichkeit geschaffen, eine solche Signaturfunktion auf den Ausweis aufbringen zu lassen. Dazu muss er sich an private Anbieter wenden, bei denen er dies – gegen entsprechende einmalige und laufende Kosten – veranlassen kann. Die Ausweisbehörden selbst bieten diese Dienstleistung nicht an. Zur Signaturfunktion siehe den gesonderten Beitrag von Franz Josef Pschierer, Plädoyer für eine E-Government-freundliche Gesetzgebung, S. 4.

Kein erkennbares Haftungsrisiko bei der biometrischen Zusatzfunktion

Die amtlichen Publikationen zum neuen Personalausweis überschlagen sich teils mit Superlativen, die eher der Werbesprache angehören, wie etwa die Formulierung „Meine wichtigste Karte“ zeigt. Wie so oft im Marketing decken sich dabei Wunsch und Wirklichkeit jedoch nicht immer völlig. Vor allem gilt es, mögliche Haftungsrisiken für den Ausweisinhaber realistisch zu bewerten, sie also weder zu bagatellisieren noch zu überzeichnen.

Nicht einmal potenziell riskant ist es, die biometrische Zusatzfunktion zu nutzen, sprich: Die Formel für den Abdruck von zwei Fingern in den Personalausweis aufnehmen zu lassen. Diese biometrischen Daten können (und dürfen) nur deutsche Behörden auslesen, die über die entsprechende technische Ausstattung verfügen und die zu Personenkontrollen berechtigt sind. Privatpersonen vom Arbeitgeber bis zum Diskothekenbetreiber ist dies dagegen weder möglich noch gestattet. Aufgenommen in den Ausweis werden die Daten der Fingerabdrücke nur auf Antrag des Ausweis­inhabers. Nützlich können die Daten vor allem dann werden, wenn ein Ausweis und das darin enthaltene Lichtbild schon einige Jahre alt sind. Nach dem Grundsatz „Ihr Bild kann altern, Ihr Fingerabdruck nicht“ kann der Rückgriff auf die Fingerabdrücke Personenkontrollen wesentlich beschleunigen.

Irgendwelche Risiken sind mit der Aufnahme der Zahlenformel von zwei Fingerabdrücken nicht verbunden. Sie kann daher ohne Wenn und Aber empfohlen werden.

Die biometrischen Daten des Gesichts und der Fingerabdrücke entsprechen rein technisch den Daten, die insoweit auch im elektronischen Reisepass (dort allerdings in beiderlei Hinsicht verpflichtend) aufgenommen sind. Umso wichtiger erscheint der Hinweis, dass rein rechtlich der neue Personalausweis den „biometrischen Reisepass“ dennoch nicht ersetzen kann. Das hat insbesondere Bedeutung bei Reisen in die USA, die nur bei Verwendung eines biometrischen Reisepasses ohne Visum möglich sind. Wer lediglich über einen Reisepass mit biometrischer Zusatzfunktion verfügt, ist dagegen nicht von der Visumspflicht befreit.

Differenziert zu betrachtendes Haftungsrisiko bei der elektronischen Identitätsfunktion

Die elektronische Identitätsfunktion kann sich in der Praxis durchaus risikoreich gestalten. Solange Ausweis und zugehörige sechsstellige PIN (vom Ausweisinhaber nach Erhalt des Ausweises selbst festzulegen!) nicht in fremde Hände geraten, hat der Ausweisinhaber diese Funktion allerdings „fest im Griff“. Sie kann nämlich nur zum Einsatz kommen, wenn der Ausweis physisch zur Verfügung steht und die richtige PIN eingegeben wird, die nur dem Inhaber selbst bekannt sein sollte.

Kritisch kann es jedoch werden, wenn beides zusammen (Ausweis und PIN) in falsche Hände gerät. Insoweit wird oft argumentiert, das Risiko eines solchen Missbrauchs sei von dem zu tragen, gegenüber dem der Ausweis missbräuchlich verwendet wird. Damit bestünde kein Grund, sich vor einem „Identitätsdiebstahl“ zu fürchten – jedenfalls nicht in recht­licher Hinsicht, denn faktisch wird sich beispielsweise ein Online-Shop, gegenüber dem ein Ausweis missbräuchlich verwendet wurde, nicht ohne weiteres mit dem Hinweis abspeisen lassen, er solle sich an den halten, der den Ausweis missbraucht und den Ausweisinhaber selbst gehe dies eigentlich nichts an. Welche Streitigkeiten aus einer solchen Situation entstehen können, belegt anschaulich der „Pullover-Fall“, in dem sich der Bundesgerichtshof schon im Jahr 2008 mit dem „Namensklau“ im Internet zu befassen hatte (Urteil vom 10.04.2008 – I ZR 227 /05, abrufbar beim Bundesgerichtshof).

Ernste Zweifel daran, ob eine solche Sicht der Dinge, nämlich die Annahme eines haftungsrechtlichen „Null­risikos“, in jedem Fall statthaft ist, ergeben sich freilich aus der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Nutzung von Internetplattformen wie eBay, bei denen der Zugang zum jeweiligen Account durch ein Passwort ge­sichert ist.

In einem Fall, der in der Fachwelt unter dem etwas merkwürdigen Stichwort „Halzband-Entscheidung“ bekannt ist (Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 11.03.2009 – I ZR 114/06, abrufbar beim Bundesgerichtshof), hatte der ­Inhaber eines eBay-Accounts sein Passwort im heimischen Schreibtisch so verwahrt, dass seine Ehefrau „ohne Schwierigkeiten davon Kenntnis nehmen konnte“, wie das Gericht ausführt. Sie verwendete den Account dazu, Urheberrechtsverletzungen zu begehen. Der Bundesgerichtshof bejahte eine persönliche Haftung des Ehemannes für Unterlassungsansprüche aus Urheberrecht. Seine Begründung: „Der Grund für die Haftung desjenigen, der seine Kontaktdaten nicht unter Verschluss gehalten hat, besteht … in der von ihm geschaffenen Gefahr, dass für den (Rechts-)Verkehr Unklarheiten darüber entstehen können, welche Person … gehandelt hat und dadurch die Möglichkeiten, den Handelnden zu identifizieren und gegebenenfalls (rechtsgeschäftlich oder deliktisch) in Anspruch zu nehmen, erheblich beeinträchtigt werden“.

Gebot größter Sorgfalt bei der Aufbewahrung der PIN für den Ausweis

Dieser Argumentationsansatz sollte Mahnung sein, die PIN zur elektronischen Identitätsfunktion mit größter Sorgfalt unter Verschluss zu nehmen und auch Familienmitgliedern gegenüber nicht aufzudecken. Denn immerhin ist die Identitätsfunktion ja schon von ihrer Bezeichnung her ausdrücklich dazu gedacht, die Identität des Ausweisinhabers nachzuweisen. Die Sorgfaltspflichten, die die Rechtsprechung anlegt, werden deshalb jedenfalls nicht geringer sein als bei dem Passwort zu einem eBay-Konto. Eine umfangreiche Studie zu den „Rechtsfragen der Haftung mit dem elektro­nischen Identitätsnachweis“ (abrufbar bei: Personalausweisportal) neigt zwar dazu, derartige Gefahren eher geringer zu schätzen. Der Ausweisinhaber sollte jedoch im eigenen Interesse auf Nummer sicher gehen. Zu viel Sorgfalt wird man ihm nie vorwerfen können, zu wenig Sorgfalt dagegen schon.

Abwarten ohne Risiko für vorsichtige Ausweisinhaber

Wer zunächst einmal abwarten will, wie sich diese Fragen entwickeln, wird die elektronische Identitätsfunktion vor der Aushändigung des Ausweises ausschalten lassen. Die Angebote, die er mit ihr nutzen kann, sind im Augenblick noch bescheiden (siehe die Auflistung von künftigen Diensteanbietern bei: Personalausweisportal) und ein Wiedereinschalten der Funktion ist für 6 Euro im Rathaus jederzeit möglich. Allerdings sollte man die Vielfalt von Angeboten, die es in einiger Zeit geben wird, auch nicht unterschätzen.

Großes Interesse der Versicherungsbranche

Die spannende Frage, ab wann sich die elektronische Identitätsfunktion des neuen Personalausweises in der Praxis durchsetzen wird, lässt sich heute noch nicht beantworten. Erhebliches Interesse äußern Branchen wie die Versicherungswirtschaft, in denen häufig Basisdaten neuer Kunden wie Name und Anschrift erfasst werden müssen. Die elektronische Identitätsfunktion erlaubt es, solche Vorgänge rasch und fehlerfrei zu erledigen. Das gilt sowohl „vor Ort“ (etwa im Büro des Versicherungsmaklers) als auch im Internet (etwa beim Stellen eines Versicherungsantrags auf einer Webseite). Allerdings fragt es sich, welches der privaten Versicherungsunternehmen bereit sein wird, der „Erste“ zu sein – mit allem Aufwand, der damit verbunden sein kann, wenn man als Pionier aktiv wird.

Notwendige Vorreiterrolle der öffentlichen Hand

Vermutlich wird es nötig sein, dass die öffentliche Hand eine Vorreiterfunktion übernimmt. Denn bei ihr sind ausgesprochene Massenanwendungen für die elektronische Identitätsfunktion (und in weiteren Ausbaustufen auch für die elektronische Signatur) möglich, die dem Bürger rasch und deutlich erkennbar echte Vorteile bringen.

Zu denken ist hier vor allem an das Personenstandswesen. Relativ häufig benötigen Bürger Urkunden, etwa vom Standesamt des Ortes, in dessen Krankenhaus sie geboren wurden, ohne jemals an diesem Ort gewohnt zu haben. Zeitraubender Schriftverkehr ist dabei vielfach unvermeidlich. Selbst die Anschrift des zuständigen Standesamts zu ermitteln kann Probleme bereiten – vor allem wenn es irgendwann zu Eingemeindungen und sonstigen Neugliederungen gekommen ist. Für solche Fälle will der Verlag für Standesamtswesen, Marktführer für EDV im Standesamtswesen (Verfahren AutiSta), noch im kommenden Jahr ein „Urkundenportal“ anbieten, das auf zwei Wegen zugänglich ist:

Wenn es in die kommunale Webseite der Gemeinde eingebunden ist, von der ein Bürger eine Urkunde benötigt, kann er dort Urkunden online anfordern. Dabei identifiziert er sich mit der eID-Funktion und kann dann die auf seinem Ausweis gespeicherten Daten Name, Vorname, Geburtsdatum, Anschrift übertragen, spart sich mithin die Datenerfassung.

Wenn der Bürger auf die bundesweite Portalseite geht, kann er über einen angebundenen „Zuständigkeitsfinder“ das für ihn zuständige Standesamt finden und dann dort die Urkunden online anfordern, wie vorstehend beschrieben.

In beiden Fällen werden die Daten bei der Gemeinde automatisch in das Standesamtsverfahren übernommen, was für beide Seiten, Standesamt wie Bürger, die Bearbeitung des Vorgangs beschleunigt und Fehlerquellen wie etwa ein Verschreiben vermeidet.

Qualitativ höherwertige Angebote sind möglich

Damit wird im Standesamt ein Service möglich, der bei anderen Konstellationen im Einwohnermeldewesen jedenfalls in Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen schon seit einigen Jahren selbstverständlich ist: Einfache, massenhaft vorkommende Vorgänge (beim Standesamt das Anfordern von Urkunden, beim Meldewesen die Suche der aktuellen Anschrift einer Person) werden über das Internet abgewickelt!

Allerdings, und darin liegt der entscheidende Fortschritt dank elektronischer Identitätsfunktion, sind nun auch Angebote möglich, bei denen die Identität des Anfragenden feststehen muss. Denn jeder darf zwar die aktuelle Anschrift einer anderen Person erhalten, so dass es dabei auf die Identität des Anfragenden nicht ankommt. Urkunden vom Standesamt darf dagegen nur der Betroffene selbst bekommen, weshalb bei solchen Anfragen die Identität des Anfragenden sicher feststehen muss. Die elektronische Identitätsfunktion des neuen Personalausweises stellt sicher, dass dies gewährleistet ist.

 

Dr. Eugen Ehmann

Regierungspräsident
n/a