15.01.2011

Gut gemeinte Warnung mit Nebenfolgen?

Die vorläufige Sicherung von Überschwemmungsgebieten

Gut gemeinte Warnung mit Nebenfolgen?

Die vorläufige Sicherung von Überschwemmungsgebieten

Die vorläufige Sicherung von Überschwemmungsgebieten wirkt sich auch auf zukünftige Bauvorhaben aus. | © Martina Topf - Fotolia
Die vorläufige Sicherung von Überschwemmungsgebieten wirkt sich auch auf zukünftige Bauvorhaben aus. | © Martina Topf - Fotolia

Die Überschwemmungen an Oder und Neiße haben uns auch im Jahr 2010 die Hochwassergefahren an unseren Flüssen wieder unmittelbar vor Augen geführt. Bereits nach den Jahrhunderthochwasser-
ereignissen der Jahre 1997, 1999 und 2002, bei denen allein in Deutschland 21 Tote zu beklagen waren und mehr als 10 Milliarden Euro an Sachschäden entstanden sind, hatte der Bundesgesetzgeber mit dem Gesetz zur Verbesserung des vorbeugenden Hochwasserschutzes vom Mai 2005 reagiert. Auch die EU hat mit der Hochwasserrisikomanagementrichtlinie vom November 2007 neue Standards zum Umgang mit Hochwasserrisiken in Europa gesetzt. Das neue Wasserhaushaltsgesetz, das am 01.03.2010 in Kraft getreten ist, hat das bisherige Recht übernommen und an die europäischen Vorgaben angepasst. Mit den Bestimmungen des neuen WHG liegen nunmehr umfangreiche Maßgaben vor, die ein Management des Hochwasserrisikos ermöglichen. Teil dieses Risikomanagements ist die vorläufige Festsetzung von Überschwemmungsgebieten in Hochwasserrisikogebieten durch Rechtsverordnung. Bereits vor der Festsetzung sollen jedoch die besonderen Schutzbestimmungen für und in Überschwemmungsgebieten gelten, wenn die Gebiete ermittelt, auf Karten dargestellt und vorläufig gesichert sind.

– ANZEIGE –

AwSV

Rechtsfolgen für Grundstückseigentum

Die vorläufige Sicherung soll vor Hochwassergefahren warnen und die Bürger im ermittelten Überschwemmungsgebiet darauf hinweisen, diesem Risiko vorzubeugen. Mit der vorläufigen Sicherung treten jedoch auch Rechtsfolgen ein, die zum Teil zu erheblichen Einschränkungen des Grundstückseigentums führen. So ist den Städten und Gemeinden untersagt, in vorläufig gesicherten Überschwemmungsgebieten neue Baugebiete auszuweisen. Des Weiteren ist die Errichtung von baulichen Anlagen besonderen Anforderungen und einer gesonderten Genehmigungspflicht unterworfen. Auch wenn Baurecht z. B. auf der Grundlage eines Bebauungsplans oder im Zusammenhang bebauter Ortsteile bereits besteht oder im Außenbereich zulässigerweise bauliche Anlagen errichtet werden können, müssen die Anforderungen des Wasserrechts in Überschwemmungsgebieten – Ausgleich des verlorengehenden Rückhaltevolumens, Situierung der baulichen Anlage außerhalb des Hochwasserabflussbereichs, hochwasserangepasste Bauweise und keine Beeinträchtigung von Hochwasserschutzanlagen – eingehalten sein, soll eine Ausnahmegenehmigung vom grundsätzlichen Bauverbot erteilt werden können. Der Zusatzaufwand kann erheblich sein oder die prognostizierten Randbedingungen eines mittleren Hochwasserereignisses führen gar zur Unmöglichkeit.

Die vorläufige Sicherung – Rechtsnatur

Wer mit diesen Rechtsfolgen nicht einverstanden ist, mag Zweifel an der Richtigkeit der Hochwasserprognose und der vorläufigen Sicherung bekommen. Doch wie diese Zweifel zur Geltung bringen, in welchem Verfahren die vorläufige Sicherung überprüfen lassen?


Maßgeblich für die Beantwortung dieser Frage ist die Rechtsnatur der vorläufigen Sicherung. Weder das WHG noch die landesrechtlichen Vorschriften geben entsprechende Hinweise. Auch aus den Gesetzesmaterialien zu § 76 Abs. 3 WHG lässt sich nur entnehmen, dass die vorläufige Sicherung der bestehenden Vorschrift in § 31 b Abs. 5 WHG a. F. entnommen worden ist. In der Kommentarliteratur zum WHG wird der vorläufigen Sicherung nach § 76 Abs. 3 WHG (bzw. § 31 b Abs. 5 WHG a. F.) teilweise eine Ähnlichkeit mit einer planungsrechtlichen Veränderungssperre bescheinigt, ohne jedoch näher auf die Rechtsnatur einer vorläufigen Sicherung einzugehen. Auch die landesrechtlichen Regelungen zur Umsetzung der bundesrechtlichen Regelung lassen keine weiteren Schlüsse auf die Rechtsnatur der vorläufigen Sicherung zu. So bestimmen die neuen Landeswassergesetze z. B. von Nordrhein-Westfahlen, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern, dass die Ermittlungsergebnisse zu Überschwemmungsgebieten bekanntzumachen sind; derart bekanntgemachte Überschwemmungsgebiete gelten dann als vorläufig gesichert.

Aus dem Wortlaut der Regelung in § 76 Abs. 3 WHG „ermitteln, darstellen, vorläufig sichern“ lässt sich zumindest schließen, dass es sich um einen Vorgang zur Ermittlung von Tatsachen handelt, der mit der allgemeinen Zurverfügungstellung der Ergebnisse seinen Abschluss findet. Die bisher an diese Bestimmung angepassten landesgesetzlichen Regelungen knüpfen daran dann den Tatbestand der vorläufigen Sicherung, dessen Rechtsfolgen durch die unmittelbar geltende Bestimmung in § 78 Abs. 6 WHG eintreten. Die Bekanntmachung der Ermittlungsergebnisse ist deshalb kein Verwaltungsakt in der Form einer Allgemeinverfügung, sondern Publizitätsakt bestimmter Tatsachen, d. h. der Umstände, dass der in der Bekanntmachung bezeichnete Bereich bei einem Bemessungshochwasser (vgl. § 76 Abs. 2 WHG) überschwemmt wird, und bestimmter kraft Gesetzes damit eingetretener Rechtsfolgen. Insoweit fehlt es an der für den Begriff eines Verwaltungsaktes erforderlichen Regelung des Einzelfalls.

Die vorläufige Sicherung – Rechtsschutz

Rechtsbehelfe gegen eine veröffentlichte Bekanntmachung zur vorläufigen Sicherung eines Überschwemmungsgebietes müssen nach Verfassungsrecht grundsätzlich möglich sein (vgl. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG). Für die Verfolgung von Rechtsbehelfen ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben, da es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art handelt. Mangels Verwaltungsakteigenschaft scheiden jedoch Klagen nach § 42 VwGO (Anfechtungsklage) aus, so dass lediglich eine Klage auf Feststellung der möglichen Rechtswidrigkeit einer vorläufigen Sicherung gemäß § 43 VwGO verbleibt. Eine solche kann jedoch nur darauf gerichtet sein, die Ermittlung eines Überschwemmungsgebietes und dessen Bekanntmachung als rechtwidrig festzustellen. Dies wäre lediglich dann der Fall, wenn die Ermittlung nicht lege artis entsprechend dem Stand der Technik erfolgt wäre.

Aus dem Begriff der vorläufigen Sicherung kann aber auch hergeleitet werden, dass es sich bei der Bekanntmachung um eine behördliche Verfahrenshandlung handelt, die im Zusammenhang mit der Festsetzung eines Überschwemmungsgebietes zu sehen ist. Dafür spricht, dass nach landesrechtlichen Vorschriften die vorläufige Sicherung nur zeitlich befristet gilt und mit der vorläufigen Sicherung letztlich die Festsetzung eines Überschwemmungsgebietes eingeleitet wird. Die vorläufige Sicherung ist damit quasi das denknotwendige Vorverfahren zur Festsetzung eines Überschwemmungsgebietes oder zur Entscheidung, eine solche nicht vorzunehmen. Dies insbesondere, als den Wasserrechtsbehörden bei der Veröffentlichung der Ermittlungsergebnisse keine Entscheidungsbefugnis darüber eingeräumt wird, von den Ermittlungen der Fachbehörden abzuweichen oder gänzlich abzusehen. Verfahrenshandlungen einer Behörde sind – im Gegensatz zu Sachentscheidungen – alle Maßnahmen, die geeignet sind, ein begonnenes Verwaltungsverfahren zu fördern, die es aber nicht abschließen. Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen können, sofern diese nicht vollstreckt werden können oder gegen einen Nichtbeteiligten ergehen, nur gleichzeitig mit dem gegen die Sachentscheidung zulässigem Rechtsbehelf geltend gemacht werden (vgl. § 44 a VwGO). Gegen die Festsetzung eines Überschwemmungsgebietes durch Rechtsverordnung steht Betroffenen ein Antrag auf Normenkontrolle gemäß § 47 VwGO zur Verfügung, in dessen Zusammenhang dann auch über die Zulässigkeit und Notwendigkeit einer vorläufigen Sicherung des Überschwemmungsgebietes mit entschieden werden kann.

Fazit

Nach der inzwischen aufgebauten Kompetenz der wasser-wirtschaftlichen Fachbehörden dürfte ein Feststellungsantrag kaum Aussicht auf Erfolg haben. Von der praktischen Seite her gesehen sollte deshalb der Zeitraum der vorläufigen Sicherung möglichst kurz gehalten werden, denn mit der Festsetzung steht über die Normenkontrolle eine umfassende Überprüfungsmöglichkeit zur Verfügung. Deshalb gilt es, abwarten, die Warnungen beachten und kritische Fragen im Festsetzungsverfahren, das mit Öffentlichkeitsbeteiligung abgewickelt werden muss, stellen.

Ulrich Drost

Ulrich Drost

Ministerialrat a.D. im Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz, Weilheim
n/a