15.01.2011

Erschließungsbeitrag für Hinterlieger

Zahlen, wenn das Grundstück erschlossen und erschlossen ist

Erschließungsbeitrag für Hinterlieger

Zahlen, wenn das Grundstück erschlossen und erschlossen ist

Wer die Vorteile als Hinterlieger genießt, muss ebenfalls zahlen. | © Daniel Ernst - Fotolia
Wer die Vorteile als Hinterlieger genießt, muss ebenfalls zahlen. | © Daniel Ernst - Fotolia

Die Frage: „Wann zahle ich als Hinterlieger einen Erschließungsbeitrag (§§ 127 ff. BauGB)?“ ist wie folgt zu beantworten: Wenn mein Grundstück erschlossen und erschlossen ist.

Erschlossensein i.S.v. § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB

Neben den Anliegergrundstücken zählen u. U. auch Hinterliegergrundstücke zum Kreis der erschlossenen Grundstücke, wenn sie durch die Anlage einen Erschließungsvorteil erfahren.

Hinterliegergrundstücke lassen sich in zwei Gruppen unterteilen: Solche, die an keiner anderen Anbaustraße – oder einem Wohnweg – liegen und daher auf die Zufahrtsmöglichkeit über ein anderes Grundstück hinweg angewiesen sind (sogenannte gefangene Hinterlieger), zum anderen solche, die auf eine Zweiterschließung über das Anliegergrundstück hinweg nicht zwingend angewiesen sind, weil sie eine Erschließung von einer anderen Erschließungsanlage her besitzen. Während den gefangenen Hinterliegern durch die abzurechnende Anbaustraße die einzige verkehrsmäßige Erschließung vermittelt wird, geht es bei den nicht gefangenen nur um eine Zweiterschließung (s. BayVGH, Beschluss v. 29.04.2009, Az. 6 ZB 07.2050, GKBay Rd-Nr. 116/2009). Diese Differenzierung wird mit der Konsequenz vertreten, dass an die Zweiterschließung von Hinterliegergrundstücken höhere Anforderungen zu stellen seien. Nach der Rechtsprechung des BVerwG kommt es hingegen für die Frage des Erschlossenseins eines Hinterliegers auf diesen Unterschied nicht an, weil das Erschlossensein eines Grundstücks regelmäßig unabhängig von anderweitiger Erschließung zu untersuchen und daher letztere „hinwegzudenken“ ist (z. B. BVerwG, Urteil v. 24.02.2010, Az. 9 C 1.09, GKBay Rd-Nr. 157/2010).


Folgt man der Rechtsprechung des BVerwG, ist zu differenzieren, ob es sich um ein „typisches“ oder „atypisches“ Hinterliegergrundstück handelt. Bei ersterem handelt es sich um eine Konstellation, in der das Hinterliegergrundstück lediglich durch einen schmalen, in fremdem Eigentum stehenden Grundstücksstreifen derart von der Anbaustraße getrennt ist, dass es bei räumlich-natürlicher Betrachtungsweise – gerade auch aus der Sicht der anderen Anlieger – als in den Kreis der durch die Anlage erschlossenen Grundstücke gehörend anzusehen ist, wenn – sofern nicht bereits ein Zugang bzw. eine Zufahrt über das Anliegergrundstück angelegt worden ist – etwaige tatsächliche oder rechtliche Hindernisse, die einer Zugänglichkeit derzeit entgegen stehen, ausräumbar sind (BVerwG, Urteil v. 26.02.1993, Az. 8 C 45.91, GKBay Randnummer 235/1993 = NVwZ 1993, 1208) und die Eigentümer der übrigen von der Anlage erschlossenen Grundstücke „schutzwürdig“ erwarten können, dass das noch „zufahrtgehinderte“ Grundstück in den Kreis der erschlossenen Grundstücke einbezogen wird (BVerwG, Urteil v. 09.11.1984, Az. 8 C 77.83, BayVBl 1985, 278). Ausräumbar sind rechtliche Hindernisse, wenn – z. B. im Falle einer vorhandenen tatsächlichen Zufahrt – eine sichernde rechtliche Regelung objektiv möglich ist (BVerwG, Urteil v. 07.10.1977, Az. IV C 103.74, BayVBl 1978, 248 = ZMR 1980, 159).

Ob ein Grundstück bei räumlich-natürlicher Betrachtungsweise zum Kreis der von der Anlage erschlossenen Grundstücke zählt, ergibt sich aus dessen Orientierung zu der Erschließungsanlage, was sich – jedenfalls für beplante Grundstücke – aus der Bauleitplanung ergibt (vgl. BVerwG, Urteil v. 27.03.1995, Az. 8 B 29.95). Besteht eine Zufahrt nicht, so kann die Gemeinde das Grundstück dadurch zur Erschließungsanlage hin orientieren, dass sie es der Straße planerisch zuordnet (OVG RP, Urteil v. 25.06.1985, KStZ 1986, 76). Die Orientierung zur Erschließungsanlage kann sich aber auch dadurch konkretisieren, dass eine Zufahrt über das Vorderliegergrundstück tatsächlich vorhanden ist.

Im Unterschied hierzu handelt es sich bei atypischen Hinterliegergrundstücken um solche, die durch ein selbständig bebaubares Grundstück von der Erschließungsanlage getrennt sind. Sie sind nur im Ausnahmefall erschlossen, weil das – bebaubare – Vorderliegergundstück regelmäßig den Erschließungsvorteil abschöpft (BayVGH, Beschluss v. 29.04.2009, Az. 6 ZB 07.2050, GKBay Rd-Nr. 116/2009). Besitzt das Grundstück eine anderweitige Erschließung (nicht gefangener Hinterlieger), so bleibt es bei der Verteilung des beitragsfähigen Erschließungsaufwands grundsätzlich unberücksichtigt, wenn es aufgrund planungsrechtlicher, sonstiger rechtlicher oder tatsächlicher Umstände eindeutig erkennbar auf diejenige Anbaustraße ausgerichtet ist, an die es angrenzt (BayVGH, Beschluss v. 15.01.2010, Az. 6 ZB 09.545). Hiervon ist eine Ausnahme zu machen, wenn das Hinterliegergrundstück zumindest tatsächlich eine Zufahrt zu der Anlage besitzt, denn in diesem Fall ist mit einer Inanspruchnahme der Anlage durch den Hinterlieger zu rechnen (BVerwG, Urteil v. 15.01.1988, Az. 8 C 111.86, KStZ 1988, 110; BayVGH, Urteil v. 02.03.1999, Az. 6 B 97 2014).

Besitzt das Hinterliegergrundstück keine anderweitige Erschließung (gefangenes Hinterliegergrundstück), so zählt es zum Kreis der erschlossenen Grundstücke, wenn es auf die Inanspruchnahme der Erschließungsanlage angewiesen ist (so BayVGH, Beschluss v. 02.12.2005, Az. 6 CS 05 1522, BayVBl 2006, 223; im Ergebnis ebenso andere OVG, z. B. OVG NRW v. 22.01.2009, Az. 15 A 3137/06).

Eine zweite Ausnahme ist im Falle einer einheitlichen Nutzung von Vorder- und Hinterliegergrundstück anzunehmen. Die einheitliche Nutzung „verwischt“ die Grundstücksgrenze und lässt die betroffenen Grundstücke – aus dieser Sicht – als ein größeres Grundstück erscheinen. Das führt zu einer schutzwürdigen Erwartungshaltung der übrigen Beitragspflichtigen, weil die tatsächlichen Verhältnisse den Eindruck vermitteln, es könne mit erschließungsbeitragsrechtlich relevanter Wahrscheinlichkeit typischerweise mit einer Inanspruchnahme der Anbaustraße (auch) durch das Hinterliegergrundstück gerechnet werden (BVerwG in ständiger Rechtsprechung, vgl. z. B. Urteil v. 30.05.1997, Az. 8 C 27.96, NVwZ-RR 1998, 67 und v. 24.02.2010, a.a.O.). Eine Eigentümeridentität zwischen Vorder- und Hinterlieger führt für sich allein aber nicht zum Erschlossensein des Hinterliegers (BayVGH, Beschluss v. 19.12.2002 Az. 6 CS 02.2668).

Beitragspflicht i.S.v. § 133 Abs. 1 BauGB

Von der Prüfung des Erschlossenseins i.S.v. § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB zu unterscheiden ist, ob ein erschlossenes Hinterliegergrundstück auch beitragspflichtig i.S.v. § 133 Abs. 1 BauGB ist, ob also der auf das Grundstück verteilte Aufwand als Erschließungsbeitrag erhoben werden kann. Beitragspflichtig ist ein i.S.v. § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB erschlossenes Hinterliegergrundstück unter der Voraussetzung, dass es tatsächlich und rechtlich (konkret) bebaubar bzw. gewerblich nutzbar ist. Diese Frage stellt sich oftmals im Hinblick auf die Erreichbarkeit des Grundstücks. Während es für ein Erschlossensein i.S.v. § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB genügt, dass eine Zufahrt (nur) tatsächlich genommen wird, ist es für die Beitragspflicht i.S.v. § 133 Abs. 1 BauGB darüber hinaus erforderlich, dass diese Zufahrt rechtlich auf Dauer gesichert ist. Dieser Erreichbarkeitsanforderung kann z. B. durch eine grundbuchrechtliche Sicherung genügt werden; dadurch wird das zuvor als ausräumbar erkannte Hindernis ausgeräumt und der Weg zur Beitragspflichtigkeit freigemacht. Dies kann zu einem (zeitlichen) Auseinanderfallen von Erschlossensein und Beitragspflichtigkeit führen (BVerwG in ständiger Rechtsprechung, vgl. z. B. Urteil v. 28.03.2007, Az. 9 C 4.06, DVBl 2007, 838). Das erschlossene Grundstück ist in den Kreis der Grundstücke einzubeziehen, auf die der beitragsfähige Aufwand zu verteilen ist, was zu einer Entlastung der übrigen Beitragspflichtigen führt. Gleichwohl kann der Beitrag möglicherweise über einen längeren Zeitraum hinweg nicht erhoben werden, weil die (strengeren) Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 BauGB noch nicht erfüllt sind.

Für die Beitragspflicht (§ 133 Abs. 1) eines i.S.v. § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB erschlossenen Hinterliegergrundstücks genügt es aber auch, wenn die der Bebaubarkeit entgegenstehenden Hindernisse vom Eigentümer des Hinterliegergrundstücks beseitigt werden können. Dies ist nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG (vgl. z. B. Urteil v. 15.01.1988, Az. 8 C 111.88, KStZ 1988, 110; ebenso BayVGH, Beschluss v. 19.12.2002, Az. 6 CS 02.2668) beispielsweise der Fall, wenn das Eigentum an beiden Grundstücken in einer Hand liegt (sogenannte Eigentümeridentität). Hier muss ein ausräumbares Hindernis, wie es eine fehlende dingliche Sicherung der Zufahrt darstellt, nicht ausgeräumt sein, weil die Ausräumung des Hindernisses allein in der Verfügungsmacht des Grundstückseigentümers liegt. Denn, so das BVerwG, es könne nicht im Belieben des Anliegers stehen, durch eine Verweigerung der Hindernisbeseitigung zu „entscheiden“, dass sein erschlossenes Grundstück nicht der Beitragspflicht unterliegt; der Eigentümer habe es in der Hand, die Erreichbarkeit des Hinterliegergrundstücks herzustellen, indem er eine dingliche Sicherung bestellt oder das Hinterlieger- mit dem Vorderliegergrundstück vereinigt. Macht er von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch, dann „verschließt“ er sich selbst, was für die Beitragspflicht unbeachtlich ist (BVerwG, Urteil v. 26.02.1993, Az. 8 C 35.92, DVBl 1993, 667). Ist die Gemeinde Eigentümern des Vorderliegergrundstücks, so genügt daher für die Beitragspflicht eines erschlossenen Hinterliegergrundstücks, dass sie dem Eigentümer die Bestellung einer entsprechenden Dienstbarkeit anbietet. (BayVGH, Beschluss v. 30.01.2001, Az. 6 ZS 00 833).

Die Auflösung des Rätsels der einleitenden Worte

„Als Hinterlieger zahle ich einen Erschließungsbeitrag, wenn mein Grundstück erschlossen und erschlossen ist“ – eigentlich müsste es doch korrekt heißen: „wenn mein Grundstück erschlossen und beitragspflichtig ist“. Aber das BVerwG verwendet den Begriff des Erschlossenseins sowohl bei § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB als auch anstelle des vom Gesetzgeber in § 133 Abs. 1 BauGB gewählten Begriffs der Beitragspflicht (vgl. z. B. Urteil v. 28.03.2007, a.a.O. – anders als in seinen früheren Entscheidungen, vgl. z. B. Urteil v. 07.10.1977, a.a.O.).

 

Gerhard Wiens

Vorsitzender Richter am VG München
n/a