15.01.2011

Enteignung von Bankaktionären

Welche Möglichkeiten hat der Staat?

Enteignung von Bankaktionären

Welche Möglichkeiten hat der Staat?

Kein grünes Licht für die Enteignung gefährdeter Banken. | © Andreas Hagedorn - Fotolia
Kein grünes Licht für die Enteignung gefährdeter Banken. | © Andreas Hagedorn - Fotolia

Im Jahre 2008 dachte die Bundesregierung – eine „große Koalition“ – längere Zeit ziemlich laut über die Frage nach, wie sie in Deutschland schädliche gesamtwirtschaftliche Wirkungen der vom US-Immobilienmarkt ausgehenden Kreditkrise abwenden könnte. Im Mittelpunkt stand dabei die Rettung deutscher Banken, von denen die Münchener Bank mit dem phantasievollen Namen „Hypo Real Estate“ besonders gefährdet erschien.

Dass die enormen Summen, mit denen die „HRE“ seitens des Staates gestützt wurde, das Bedürfnis nach staatlicher Kontrolle dieser Bank weckte, ist nicht ungewöhnlich, ebenso wenig, dass aus dem SPD-Lager die Forderung nach Enteignung der Aktionäre gefährdeter Banken zugunsten des Staates erhoben wurde, denn dies entspricht dem klassischen sozialistischen Denken, selbst wenn von einer „Verstaatlichung“ solcher Banken zunächst erst einmal vorsichtig die Rede war. Auch Ratschläge für Alternativen zur Verstaatlichung kamen offenbar von vielen Seiten, ohne dass klar war, ob das deutsche Grundgesetz überhaupt eine Enteignung – oder andere „Optionen“ – zum Erreichen jedweder staatlicher Ziele zulässt.

Inzwischen ist die „HRE“ praktisch enteignet worden, und andere Banken in ähnlicher Lage können einmal das gleiche Schicksal erleiden, was die rechtliche Beurteilung der anstehenden Fragen nur dringlicher erscheinen lässt.


„Theorie“ der Aktiengesellschaft

In diesem Zusammenhang muss daran erinnert werden, dass bis heute die Rechtswissenschaft weder über eine anerkannte Theorie der Aktiengesellschaft noch über eine anerkannte Theorie des Eigentums (einschließlich „Enteignung“) verfügt. Die Rechtswissenschaft entwickelt ihre Dogmatik der Aktiengesellschaft anhand des jeweils geltenden Aktiengesetzes, wie auch die Eigentumsregeln des Bürgerlichen Gesetzbuchs die Grundlage der Eigentumsdogmatik bilden. Beides soll vom „Willen des Gesetzgebers“ abhängig sein, wird also mehr oder weniger der gesetzgeberischen Pragmatik anheimgestellt.

Natürlich wissen auch die Gesetzgeber nicht, wie die Beziehungen zwischen dem Aktionär und der Aktiengesellschaft beschaffen sind. In der Praxis entstehen aus den unterschiedlichen Regelungen meist keine Probleme. In jüngster Zeit sind aber gerade in Deutschland Regeln des Aktienrechts eingeführt worden – so § 327a AktG –, deren Zulässigkeit nur mit einer Theorie des Aktienrechts beurteilt werden kann. Ohne eine solche Theorie konnte das Bundesverfassungsgericht leichthin feststellen, dass Minderheitsaktionäre aus ihrer Aktionärsstellung gedrängt werden dürfen. Dabei war wohl die Idee, dass die Hauptversammlung eine „demokratische“ Veranstaltung sei. Lässt sich dies aber mit der Stellung eines Aktionärs vereinbaren? Nach deutschem Recht erlangt der Aktionär zwar einen Anteil am Vermögen der Aktiengesellschaft, doch lässt sich nicht bestreiten, dass das Vermögen einer Aktiengesellschaft durch Zahlungen der Aktionäre auf ein gemeinsames Vermögen zustande kommt. So bleibt der Aktionär Eigentümer seines Anteils am Gemeinschaftsvermögen der Gesellschafter, nicht etwa nur „Eigentümer seiner Aktienurkunde“. Schließlich „verschenkt“ der Zeichner einer Aktie nicht den Aktienbetrag an die Aktiengesellschaft, noch gibt er mit der Aktienzeichnung ein „Darlehen“ an die Gesellschaft, und ebenso wenig „kauft“ er einen „Aktienanteil“ von der Gesellschaft, denn vor der Einzahlung des Aktienkapitals gibt es nichts, woran der Aktionär einen Anteil erhalten könnte, und wenn die Aktiengesellschaft „ihr“ Kapital durch die Einzahlungen der Aktionäre erlangt hat, darf dieses Vermögen von ihr auch nicht nach Belieben verwendet werden, sondern bleibt unter der Aufsicht der Aktionäre.

Aktienzeichnung ist „stiften“

Würde sich die Rechtswissenschaft mehr um die theoretische Seite der von ihr entwickelten Instrumente kümmern, so hätte sie auch eine Erklärung für den Vorgang der Aktienzeichnung entwickelt. Denn die zweckbestimmte Ansammlung von Vermögen erfolgt unter Aspekten, die wir normalerweise als „stiften“ bezeichnen – dazu gehört die Kontrolle des Stiftungsträgers bei der Erfüllung des Stiftungszwecks (bei der Aktiengesellschaft die Kontrolle der Verwendung des Aktienvermögens) – und dass diese einfache Erklärung bisher nicht entdeckt wurde, hängt offensichtlich damit zusammen, dass bisher auch eine Rechtstheorie der Stiftung fehlt. Was das Bürgerliche Gesetzbuch und seine Dogmatik an Stiftungsregeln bietet, entbehrt jeglicher Plausibilität.

Entspricht die Aktiengesellschaft ihrem Wesen nach also Stiftungsmodalitäten, so erlangt der Aktionär die Stellung eines Stifters, der mit der Zeichnung (oder mit dem Erwerb) der Aktie seine Stifterrechte gewinnt. Diese Stifterrechte – vor allem die Kontrolle der Verwendung des Stiftungsvermögens – stehen ihm persönlich zu; er kann sie auch veräußern, aber auf die Ausübung dieser Rechte haben andere Aktionäre keinen Einfluss. Folglich kann es in der Hauptversammlung der Aktiengesellschaft keine „Mehrheitsabstimmung“ geben, und schon gar nicht ist eine Abstimmung über die Stiftereigenschaft einzelner Aktionäre möglich! Die gesetzliche Regel des § 327a AktG ist theoretisch unhaltbar und dogmatisch verfehlt; sie verstößt als Eingriff in die Stifterrechte offensichtlich gegen die Garantie der bürgerlichen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG)!

Nun haftet das gestiftete Vermögen der Aktiengesellschaft zwar für deren Verbindlichkeiten, doch lässt sich auch hieraus nicht herleiten, dass die Aktiengesellschaft das Eigentum am Stiftungsvermögen gewinnt, denn Eigentümer bleiben die Aktionäre (Stifter). Demnach kann weder der Anteil des Stifters am Stiftungsvermögen noch das Stiftungsvermögen insgesamt „enteignet“ werden, denn hierfür lässt sich regelmäßig kein öffentliches Interesse herleiten; will der Staat den Zugriff auf eine Aktiengesellschaft, dann kann er die Aktionäre auszahlen bzw. deren Aktien erwerben. Eine Enteignung des Kapitals der Aktiengesellschaft ist nur soweit denkbar, als die Gesellschaft weiteres Vermögen neben dem Stiftungsvermögen besitzt; auf dieses Vermögen der Gesellschaft erstrecken sich nicht die Stifterrechte der Aktionäre. Die Idee einer Enteignung von Aktionärsrechten ist daher in jeder Hinsicht abwegig.

Einflussnahmemöglichkeiten des Staates

Will der Staat Einfluss auf das wirtschaftliche Verhalten einer Aktiengesellschaft nehmen, so kann er also versuchen, die Aktien aller Aktionäre aufzukaufen, doch ist ihm nicht erlaubt, den Kurswert der Aktie zu bestimmen, um möglichst günstig an die Aktien zu gelangen, denn dies würde ebenfalls gegen Verfassungsgarantien verstoßen; doch erhöht sich durch das Kaufinteresse des Staates zwangsläufig der Aktienkurs, sodass der staatliche Einfluss wohl teuer erlangt würde. Auch eine Kapitalerhöhung durch Einlagen des Staates verschafft diesem nicht den gewünschten Einfluss auf die Aktiengesellschaft, weil der Staat seine Mehrheit in der Hauptversammlung nicht nutzen könnte.

Dass unsere Verfassung die – seit Marx und Engels gepflegte – Idee einer „Verstaatlichung“ von Unternehmen ausschließt, versteht sich von selbst, so wenig wie durch ein Gesetz der „Aktionärsschutz“ auf ein „Minimum“ beschränkt werden könnte, denn beides sind gravierende Eingriffe in Stifterrechte und müssen zudem an der Garantie der bürgerlichen Handlungsfreiheit scheitern. Ähnliches dürfte für jene Vorschläge des Bundeswirtschaftsministeriums gelten, die eine „eingeschränkte Insolvenz statt Enteignung“ befürworteten.

Gibt es also keine Möglichkeit für unseren Staat, ordnungspolitisch auf die gegenwärtige Wirtschaftskrise einzuwirken außer durch indirekte Maßnahmen – wie die Gewährung von Darlehen oder Bürgschaften für notleidende Banken oder die finanzielle Stützung industrieller Produktion mit dem Ziel des Erhalts von Arbeitsplätzen –, um einen Zusammenbruch der nationalen Wirtschaft zu verhindern? Glücklicherweise ist das nicht so. Schon immer konnte der Staat in existentiellen Notlagen auf die Ressourcen seiner Bürger zurückgreifen, wenn die allgemeine Wohlfahrt dies erforderte – sei es im Krieg oder bei Naturkatastrophen – und diese Möglichkeit besteht auch in einer Wirtschaftskrise: das Vermögen des Bürgers kann zur Bewältigung allgemeiner Not zwangsweise herangezogen werden. In solchen existentiellen Fällen kann der Staat vorübergehend den rechtlichen Schutz von bürgerlichem Vermögen aufheben und den Besitz des Vermögens beanspruchen, solange die Notlage dauert (wobei es sich versteht, dass der Schutz wieder herzustellen ist, sobald die Notlage entfällt), allerdings erforderlichenfalls auch endgültig das Eigentum der Bürger beanspruchen. Diese Eingriffsmöglichkeiten behandelt die Rechtswissenschaft unter den Begriffen der Sequestrierung und der Requirierung eines geschützten Vermögens.

Sequestrierung und Requirierung geschützten Vermögens

Auch unser Staat ist also in der Lage, aus Gründen der allgemeinen Wohlfahrt in bestehende Rechte einzelner Banken einzugreifen, indem er beispielsweise die Geschäftsbereiche dieser Banken „unter Sequester“ stellt. Insofern handelt es sich um die staatliche Übernahme der Organisation einer Bank – um einen Eingriff in die Verwaltung von Aktienvermögen als Stiftungsvermögen – und folglich um eine Ausübung von Aktionärsrechten, ohne dass das Stiftungseigentum der Aktionäre beseitigt wird. Dagegen kommt eine Requirierung von Aktienvermögen in einer Wirtschaftskrise – anders etwa im Kriegsfall – nicht in Betracht.

Die meisten Regelungen des „Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetzes“ vom 17.10.2008 dürften aber einer Prüfung anhand rechtstheoretischer Kriterien kaum standhalten, und zwar nicht etwa, weil diese Regelungen erhebliche Eingriffe des Staates in das Management einer Aktiengesellschaft (und mehr noch in die Rechte der Aktionäre) erlauben, wenn Mittel aus dem sogenannten Finanzmarktstabilisierungsfonds in Anspruch genommen werden – dies könnte noch als „Sequestrierung“ interpretiert werden –, vielmehr weil der Staat mit der Sequestrierung einer Aktiengesellschaft notwendigerweise auch die Verantwortung für deren Schicksal übernehmen müsste, was die Regeln des Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetzes nicht vorsehen.

Noch ärger steht es aber mit jenem Gesetz, das unter der euphemistischen Bezeichnung „Rettungsübernahmegesetz“ die Enteignung des Aktienbesitzes an einem notleidenden Unternehmen erlauben soll, denn wie erwähnt ist eine Enteignung von Stiftungsvermögen außer im Kriegsfall oder in ähnlich existentiellen Gefahren nicht zulässig. Verliert eine Aktiengesellschaft ihr Stiftungsvermögen, weil dieses Vermögen für die Verluste der Gesellschaft haftet, so verliert sie die Grundlage ihrer Existenz und muss ihr Geschäftshandeln einstellen, das heißt: sie geht bankrott! Will der Staat dies verhindern, dann kann er nur entweder die Schulden des Unternehmens abdecken, die Aktien des Unternehmens zu dem (überhöhten!) Marktpreis erwerben oder eine Emission neuer Aktien des Unternehmens anregen; Letzteres werden die Aktionäre aber in der Regel nicht mitmachen, weil dies ihre Gewinnaussichten mindert.

Ausblick

Die gute Nachricht für Bankaktionäre ist, dass der deutsche Staat eine Enteignung gefährdeter Banken grundsätzlich nicht verwirklichen kann und dass die Aktionäre sich mit Aussicht auf Erfolg gegen eine Enteignung ihres Aktienbesitzes wehren können (natürlich können sie sich auch – wie die HRE-Aktionäre – den Drohungen der Bundesregierung beugen und freiwillig auf ihre Rechte verzichten, indem sie sich mit einer Abfindung aus dem „Finanzmarktstabilisierungsfonds“ zufrieden geben).

Aktionäre notleidender Banken, die eine Rettung durch den Staat erwarten, werden sich aber künftig mit einer eventuellen Sequestrierung ihrer Bank abfinden müssen. Das wird ihnen nicht allzu schwer fallen, nachdem ihr eigenes Bankmanagement für die Wertverluste ihrer Aktien verantwortlich ist und die staatliche Stützung des Bankvermögens ebenso wie das staatliche Management durch Sequester einen vergleichsweise sicheren Weg aus der Krise verspricht.

 

Dr.iur.utr. Karl Eckhart Heinz

Seminar für Rechtsphilosophie der Universität Bonn
n/a