15.08.2022

Maskenpflicht in einer Universität

VG Gießen, Beschluss vom 16.05.2022 – 3 L 998/22.GI

Maskenpflicht in einer Universität

VG Gießen, Beschluss vom 16.05.2022 – 3 L 998/22.GI

Ein Beitrag aus »Die Fundstelle Hessen« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »Die Fundstelle Hessen« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

 

Das in § 44 Abs. 1 Satz 4 Hessisches Hochschulgesetz (HHG) geregelte Hausrecht des Präsidenten der Hochschule stellt eine Befugnisnorm dar, die zum Erlass verhältnismäßiger Maßnahmen zur Sicherstellung eines geordneten Studienbetriebs ohne Gefährdung von Mitgliedern der Hochschule ermächtigt. Das Infektionsschutzgesetz hingegen entfaltet keine Sperrwirkung für die Anordnung einer Maskenpflicht durch den Präsidenten der Hochschule. Die Heranziehung des § 44 Abs. 1 Satz 4 HHG als Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung einer Maskenpflicht verstößt auch nicht gegen den Vorbehalt des Gesetzes. So hat das Verwaltungsgericht Gießen im Mai dieses Jahres entschieden.

Zum Sachverhalt

Eine Studentin wandte sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Verpflichtung zum Tragen einer Maske, die die Universität (Antragsgegnerin) in einer Allgemeinverfügung festgelegt hatte. Die Verfügung, die ab 07.05.2022 gelten sollte, enthielt unter anderem folgende Regelungen:

§ 1 Tragen einer medizinischen Maske


(1) In den Gebäuden der C-Universität ist grundsätzlich eine OP-Maske oder Schutzmaske der Standards FFP2, KN95, N95 oder vergleichbar ohne Ausatemventil (medizinische Maske) zu tragen. Die Maskenpflicht besteht grundsätzlich auch am Platz.

(2) Abweichend von Abs. 1

  1. kann die Maske am Platz abgenommen werden, solange ein Mindestabstand von 1,5 m zu weiteren Personen sicher und dauerhaft eingehalten werden kann und eine ausreichende Lüftung gewährleistet ist;
  2. kann die Maske während sportlicher Aktivitäten abgenommen werden, sofern dies die verantwortliche Übungsleitung entscheidet;
  3. können Vortragende für die Dauer ihres Vortrags die Maske im Veranstaltungsraum abnehmen, sofern der Mindestabstand zu anderen Personen von 1,5 m dauerhaft eingehalten werden kann;
  4. können Personen für die Dauer des Trinkens und Essens die Maske abnehmen, sofern ein Mindestabstand von 1,5 m zu anderen Personen sicher eingehalten werden kann.

(3) Werden im Rahmen von Treffen oder Veranstaltungen Getränke oder Speisen gereicht, sind die Leitlinien zur Infektionsvermeidung mit dem Coronavirus für Veranstaltungen der C-Universität zu beachten.

(4) Bei Dienstfahrten darf die Maske von der Fahrerin bzw. dem Fahrer abgenommen werden.

In Ziffer V der Begründung der Allgemeinverfügung war gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) überdies die sofortige Vollziehung der Verfügung angeordnet.

Mit dem Wegfall einer entsprechenden Ermächtigung in der landesrechtlichen Coronavirus-Schutzverordnung bleibe auch der Antragsgegnerin mangels sachlicher Zuständigkeit die Anordnung einer Maskenpflicht verwehrt, meinte die Studentin. Das Hausrecht des Präsidenten der Hochschule nach § 44 Abs. 1 Satz 1 HHG stelle keine taugliche Ermächtigungsgrundlage zur Anordnung infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen dar.

Die Hochschule hingegen verteidigte die Allgemeinverfügung und führte aus, sie diene dazu, den ungestörten Betrieb der Hochschule zu sichern, indem sowohl Mitarbeiter als auch Studenten vor einer Infektion mit dem Coronavirus geschützt würden.

Das Gericht folgte der Argumentation der Hochschule und wies die Klage als unbegründet ab. Neben den Ausführungen zur Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit, die das Gericht hinreichend begründet sah, da durch den Eintritt einer aufschiebenden Wirkung die erstrebte Unterbrechung von Infektionsketten sowie die nachhaltige Sicherstellung des Präsenzbetriebs konterkariert werde, führte das Gericht aus, dass auch die summarische Prüfung der unterschiedlichen Interessen von Antragstellerin und Antragsgegnerin die Rechtmäßigkeit der Anordnung der Maskenpflicht nahelegten.

Anordnung der Maskenpflicht ist vom Hausrecht umfasst

Bei § 44 Abs. 1 Satz 4 HHG handelt es sich nicht bloß um eine Zuständigkeits-, sondern eine Befugnisnorm, stellte das Gericht klar. Die nach § 44 Abs. 1 Satz 4 HHG dem Präsidenten der Hochschule zuständigkeitshalber zugewiesene Entscheidung über die Ausübung des Hausrechts lässt sich – denknotwendig – nicht von der Wahrnehmung bestimmter Befugnisse trennen. In der Sache gehören zu diesen Befugnissen auch verhältnismäßige Maßnahmen zur Sicherstellung eines geordneten Studienbetriebs ohne Gefährdung von Mitgliedern der Hochschule. Wesentliches Ziel des Hausrechts und dessen Durchsetzung ist es, die widmungsgemäße Tätigkeit der Hochschule gegen Störungen zu schützen. Es gehe um die Verhinderung von Vorfällen, die der Lehre und Forschung und der Funktionsfähigkeit des gesamten Hochschulbetriebs, einschließlich der Arbeit der Hochschulverwaltung und der Hochschulgremien, hinderlich seien. Der mit der Anordnung der Maskenpflicht angestrebte Schutz der Mitarbeiter und Studenten vor einer Coronainfektion und die Verhinderung damit einhergehender, den Präsenzbetrieb ersichtlich beeinträchtigender, Quarantänemaßnahmen sei von diesem Anwendungsbereich erfasst.

Keine Sperrwirkung des Infektionsschutzgesetzes

Anders als von der Antragstellerin vertreten, entfalte das Infektionsschutzgesetz keine Sperrwirkung „auf sämtliche Generalklauseln“, führte das Gericht weiter aus. In der Tat regele § 28a Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 IfSG die Maskenpflicht nur noch für ausgewählte Bereiche (z. B. Arztpraxen, Krankenhäuser, Pflegeheime oder ÖPNV), zu denen Hochschulen nicht zu zählen sind. Auch hat der hessische Verordnungsgeber in § 2 der Verordnung zum Basisschutz der Bevölkerung vor Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus (Corona-Basisschutzmaßnahmenverordnung – CoBaSchuV –) eine Maskenpflicht „lediglich“ für die oben genannten Bereiche angeordnet. Die Befugnis zur Anordnung weitergehender infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen bleibt gemäß § 5 Abs. 2 CoBaSchuV i. V. m. § 54 IfSG und § 5 Abs. 1 des Hessischen Gesetzes über den öffentlichen Gesundheitsdienst (HGöGD) den Gesundheitsämtern vorbehalten.

Eine Sperrwirkung für die Anordnung einer Maskenpflicht auf Grundlage des Hausrechts lasse sich daraus allerdings nicht herleiten. Denn der Umstand, dass durch die Regelungen des Infektionsschutzgesetzes anderen Behörden Kompetenzen und Befugnisse zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten eingeräumt seien, ändere nichts an der oben beschriebenen Befugnis des Präsidenten der Hochschule, im Rahmen des Hausrechts „eigene“ Maßnahmen zu erlassen.

Die Zuständigkeit einer Behörde schließt die Zuständigkeit einer anderen Behörde nicht automatisch aus, da sich in verschiedenen Bereichen durchaus Kompetenzüberschneidungen oder -ergänzungen ergeben können, zumal das Infektionsschutzgesetz die Eindämmung von Infektionskrankheiten und den allgemeinen Schutz der Bevölkerung vor Infektionen bezweckt, während es vorliegend nur um eine Schutzmaßnahme für einen begrenzten Personenkreis zwecks Sicherstellung der Lehre und Forschung und der Funktionsfähigkeit des Hochschulbetriebs geht.

Kein Gesetz zur Regelung der Maskenpflicht erforderlich

Die Heranziehung des § 44 Abs. 1 Satz 4 HHG als Rechtsgrundlage für die Anordnung der Maskenpflicht verstößt laut VG auch nicht gegen den Vorbehalt des Gesetzes. Nach der Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts muss der Gesetzgeber in grundlegenden normativen Bereichen, insbesondere im Bereich der Grundrechtsausübung, alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen. Je nachhaltiger die Grundrechte des einzelnen Bürgers betroffen oder bedroht sind, je gewichtiger die Auswirkungen für die Allgemeinheit sind und je umstrittener ein Fragenkomplex in der Öffentlichkeit ist, desto präziser und enger muss die gesetzliche Regelung sein.

Diesen Anforderungen sei Genüge getan. Zwar greife die getroffene Anordnung der Maskenpflicht in die Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 GG (i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) ein.

§ 44 Abs. 1 Satz 4 HHG werde dem einfachen Gesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs. 1 GG jedoch gerecht, weil das dort normierte Hausrecht verhältnismäßige Maßnahmen zur Sicherstellung eines geordneten Studienbetriebs ohne Gefährdung von Mitgliedern der Hochschule erlaube. Einer tiefergehenden Regelungsdichte bedarf es nach Auffassung des Gerichts nicht, weil die hier streitige Maskenpflicht einen Eingriff von vergleichsweise geringfügiger Intensität darstellt. Dies ergebe sich insbesondere daraus, dass die streitige Verfügung nur über den begrenzten Zeitraum von rund zweieinhalb Wochen und nur für den Hochschulbetrieb gelte und lediglich eine weniger störende OP-Maske getragen werden müsse.

Die Anordnung der Maskenpflicht erwies sich somit bei summarischer Prüfung insbesondere als verhältnismäßig. Sie verfolge ein legitimes Ziel und sei bei derzeitigem Erkenntnisstand und Infektionsgeschehen voraussichtlich geeignet, erforderlich und angemessen, entschied das Gericht.

 

Verwaltungsgericht Gießen, Beschluss vom 16.05.2022 – 3 L 998/22.GI –.

Entnommen aus FstHe 15/2022, Rn. 160.

 

Birgit Stotz

Teamleiterin im Fachbereich Bund/Länder/Kommunen, Richard Boorberg Verlag
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