06.05.2021

Lernen lernen im Jurastudium

Was „Lernen“ im Studium bedeutet (Teil 2)

Lernen lernen im Jurastudium

Was „Lernen“ im Studium bedeutet (Teil 2)

Unsere Gehirne sind weder Kopierer noch Computer. | © zapp2photo - stock.adobe.com
Unsere Gehirne sind weder Kopierer noch Computer. | © zapp2photo - stock.adobe.com

Fortsetzung aus Teil 1

Womit lernen

Caroline Kröll: Es herrscht große Unsicherheit, welche Lernmaterialien man verwenden soll – es gibt so viele unterschiedliche Empfehlungen zu Literatur.

Barbara Lange: Lernen ist – wie schon gesagt – individuell und setzt voraus, dass man diejenigen Lernstrategien herausfindet, die gut für einen selbst funktionieren. Daher können Empfehlungen Dritter zu Literatur und anderen Lernmaterialien ein erster Anhaltspunkt sein – aber nicht jeder gut gemeinte Tipp ist auch für Sie persönlich gut und passend. Jegliche Lernmaterialien sollten die Erkenntnisse der Lern- und Lehrforschung berücksichtigen. Sehr gute unterstützende Wirkung haben Lernmaterialien, wenn sie


(1) gut strukturiert und übersichtlich sind,

(2) visuelle Unterstützung durch zum Beispiel Schaubilder, Grafiken, Zeichnungen, Flussdiagramme oder Ähnlichem enthalten,

(3) wichtige Erkenntnisse zusammenfassen und hervorheben,

(4) eventuell mit Verständnisfragen zum Mitdenken und Wiederholen anregen

und

(5) Ihnen Freude beim Lesen bereiten.

Es gibt an juristischen Fakultäten für das gleiche Fach ganz unterschiedliche „Mainstream“-Wissensquellen, je nachdem, welche Lernmaterialien im aktuellen Semester von Lehrenden empfohlen werden. Doch niemand wird am Ende des Semesters fragen, mit welchen Materialien Sie ein bestimmtes Rechtsgebiet, zum Beispiel BGB-Allgemeiner Teil, gelernt haben. BGB-AT können Sie mit

Brox/Walker, Faust, Leipold, Musielak, Schwabe, Stadler und vielen anderen Wissensquellen erarbeiten. BGB-AT bleibt BGB-AT – unabhängig davon, an welcher Universität Sie in Deutschland studieren und welche Dozentin oder Dozent dieses Fach gerade lehrt – am Ende zählt, ob Sie die zentralen Rechtsnormen, die zum BGB-AT gehören, verstanden haben und anwenden können. Nehmen Sie sich daher zu Semesterbeginn ausreichend Zeit, Lernmaterialien zu vergleichen und sich individuell für etwas zu entscheiden, das Sie anspricht. Wenn sich eine Entscheidung als falsch herausstellt (das passiert jeder/jedem einmal), zögern Sie nicht, das Lernmaterial zu wechseln.

Wann und wie lange lernen

Caroline Kröll: Vielen ist unklar, wie viele Stunden Lernen pro Tag bzw. pro Woche sinnvoll sind – und ob man auch einen Tag in der Woche gar nichts machen darf.

Barbara Lange: Der Transfer von Informationen in das Langzeitgedächtnis erfolgt nicht unmittelbar, sondern in bestimmten Schlafphasen, da nachts keine Ablenkung durch Außenreize stattfindet. Da es nur eine begrenzte Anzahl solcher Schlafphasen gibt, bringt das Bulimie- Lernen vor Klausuren für den langfristigen Wissenserwerb so gut wie gar nichts, da das Wissen nur im Kurzzeitgedächtnis gespeichert wird.

Regelmäßig sechs bis acht Stunden lernen mit entsprechenden Pausen ist daher sehr viel effektiver und effizienter als kurzfristige Lernmarathons. Nach den Erkenntnissen der Lern- und Lehrforschung ist man im Regelfall höchstens acht Stunden pro Tag einschließlich Pausen aufnahmefähig. Wenn Sie Vollzeit studieren können, sollte das Studium daher vergleichbar einem Vollzeitjob betrieben werden – mit mindestens einem Tag Erholung pro Woche.

Warum Fälle lösen und wie argumentieren lernen

Caroline Kröll: Vielen bleibt neben dem Lesen und Exzerpieren von Lehrbüchern nicht ausreichend Zeit, Fälle zu lösen. Viele tun sich schwer dabei, Schwerpunkte zu erkennen und überzeugend zu argumentieren.

Barbara Lange: Ich wiederhole noch einmal: Ziel des Studiums ist, dass Sie juristisch denken lernen und unbekannte rechtliche Probleme lösen können. Als Prüferin im Ersten Examen sehe ich, dass Studierenden in den Prüfungen oft die Fähigkeit fehlt, das erworbene Wissen zu strukturieren, kritisch zu überdenken und methodisch richtig anzuwenden. Viele Studierende könnten nach dem Lernen hervorragende PowerPoint-Präsentationen zu einem Lernthema erstellen – aber dafür gibt es keine Noten. Das eigenverantwortliche Trainieren von überzeugenden Falllösungen muss daher fester Bestandteil beim Lernen sein.

Nur ganz wenigen Studierenden gelingt es, ohne Falltraining gute Klausuren zu schreiben. Daher brauchen Sie von Anfang an zu jedem Rechtsgebiet passende Fälle mit gut ausformulierten Musterlösungen, die Sie zum Teil als Anschauungsmaterial, zum Teil als Trainingsmaterial verwenden. Meine Empfehlung ist, jede Woche eigenständig in einem Rechtsgebiet einen interessanten Fall zu lösen. Wichtig ist dabei, dass Sie nicht nur Stichworte aufschreiben, sondern die Lösung ausformulieren, da Sie so eine aktive Verarbeitung des Wissens erreichen und zudem ein realistisches Zeitgefühl für die Falllösung entwickeln. Zusätzlich sollten Sie, sofern Probeklausuren angeboten werden, diese wahrnehmen, um Rückmeldung zu Ihren Falllösungen zu erhalten. Erstellen Sie nach und nach eine Checkliste mit Punkten, die Sie in Ihrer Klausurtechnik verbessern können. Dabei können auch die Korrekturen ihrer Klausuren der letzten Semester helfen. Nur an wenigen Universitäten erhalten Sie ein intensives Schreibtraining, so dass Sie hier eigenverantwortlich handeln müssen. Das Erkennen von Schwerpunkten kann man lernen, indem man Sachverhalte nicht nur liest, sondern intensiv im Hinblick auf die Interessen der Beteiligten analysiert. Welche Hinweise auf unterschiedliche Auffassungen werden in der Aufgabenstellung gegeben? Gutes Argumentieren setzt voraus, dass man den Sinn und Zweck der Rechtsnormen, insbesondere die von ihnen geschützten Interessen kennt. Hierauf kann man schon beim Erlernen einen Schwerpunkt legen. Es geht daher nicht darum, Meinungsstreits auswendig zu lernen, sondern bei einem Streitstand die unterschiedlichen Positionen, ihre Herleitung und Begründung im Einzelnen nachzuvollziehen. Auf dieser Basis kann man methodengerechte kreative Lösungen entwickeln. Eine gute Argumentation geht weit über die bloße Wiedergabe eines Meinungsstreits hinaus.

Wie Lernzeit intensivieren und Freizeit ohne Reue genießen

Caroline Kröll: Es ist schwer, Ablenkung und Prokrastination zu vermeiden – insbesondere, weil derzeit alles online stattfindet. Das löst ein schlechtes Gewissen aus und die Angst, nicht genug zu tun.

Barbara Lange: Ohne Aufmerksamkeit (oder auch Konzentration) ist kein Lernen möglich, da Informationen nicht einmal in das Kurzzeitgedächtnis gelangen, wenn Sie abgelenkt sind. Die Wahrung der Konzentration im digitalen Zeitalter ist nach aktuellen Erkenntnissen ein sehr großes Problem. Für viele Studierende sind Social Media auf dem Smartphone der ständige Begleiter – auch in Lernphasen. Die gute Nachricht ist jedoch, dass man sich angewöhnen kann, Ablenkung und Störungen zu vermeiden. Der erste Schritt ist die Beobachtung, dass und warum man sich ablenken lässt. Zu einem guten Selbstmanagement gehört dann der konstruktive Umgang mit Zeitdieben, insbesondere mit Ablenkung und Prokrastination.

Konkrete Lösungsvorschläge für Ablenkung sind zum Beispiel: Das Smartphone in Lernphasen stumm oder ganz ausschalten, notfalls einer dritten Person übergeben, eine App zur Kontrolle installieren, soziale Netzwerke für die regelmäßigen Lernpausen „aufheben“, Freunde über feste Lernzeiten informieren oder ein Schild an die Zimmertür mit Hinweis „Keine Störung bis … Uhr“ hängen.

Da viele Studierende Lernzeit und Freizeit nicht deutlich trennen, haben manche ein permanent schlechtes Gewissen, noch nicht genug gelernt zu haben. Hier hilft eine allgemeine Studienplanung mit Zielen für das Semester und – davon abgeleitet – mit realistischen Lernplänen, eine Übersicht über das wöchentliche Lernpensum und das Setzen konkreter Lernziele. Auch gute Planung lernt man nach und nach – vor allem durch genaue Beobachtung des eigenen Lernverhaltens, zum Beispiel, wie lange man üblicherweise für etwas braucht und wieviel Lernpensum man sich daher vornehmen kann. Realistische Pläne führen zu Überblick und zu Erfolgserlebnissen. Das Erreichen von Zwischenzielen und Ziel fördert die Motivation – und Motivation ist im Jurastudium mit der langen Lernzeit bis zum Examen besonders wichtig. Außerdem kann man nach getaner Arbeit die Freizeit „ohne Reue“ wirklich genießen.

Fazit

Caroline Kröll: Am Anfang des Studiums wird man von Lehrenden ständig auf die Notwendigkeit des intensiven Lernens hingewiesen. Dabei meinen es alle sicher gut. Aber diese Hinweise verursachen auch eine gewisse Panik.

Barbara Lange: Verunsicherung hindert Lernerfolg und ist kontraproduktiv. Lehrende sollten daher eher beruhigen und Verständnis dafür zeigen, dass man das Jura-lernen erst lernen muss. Sich konkret Gedanken zum effektiven und effizienten Lernen zu machen, ist keine Zeitverschwendung, sondern professionell und wichtig. Eine fortlaufende Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Lernstrategie wird Ihnen das Studieren erheblich erleichtern und einen nachhaltigen Erfolg des Studiums fördern. Zur vertieften Reflexion bieten manche Universitäten auch Workshops zum Thema Jura-lernen lernen an, so zum Beispiel das Zentrum für Karriere und Kompetenzen der Universität Passau oder das Kompetenzzentrum für juristisches Lernen und Lehren an der Universität zu Köln (s. dazu den Beitrag auf S. 14 ff.). Solche Workshops können eine sehr wertvolle Unterstützung sein.

Hinweis der Redaktion: Der Beitrag entstammt aus dem »Der Wirtschaftsführer für junge Juristen«.

Um den Wirtschaftsführer auch unterwegs bequem lesen zu können, finden Sie hier unsere »Wirtschaftsführer-App«.

 

Caroline Kröll

studiert Rechtswissenschaften an der Universität zu Köln
 

Dr. iur. h. c. Barbara Lange LL.M.

Prüferin in der Ersten und Zweiten Juristischen Staatsprüfung, Dozentin in der Referendarausbildung sowie Referentin für Hochschuldidaktik und juristische Fachdidaktik.
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