06.04.2023

Kostenverteilung bei coronabedingter Vertragsstörung

Urteil des Bundesgerichtshofs (Teil 2)

Kostenverteilung bei coronabedingter Vertragsstörung

Urteil des Bundesgerichtshofs (Teil 2)

Im Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter trägt grundsätzlich der Mieter das Verwendungsrisiko bzgl. der Mietsache. | © Danny - stock.adobe.com
Im Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter trägt grundsätzlich der Mieter das Verwendungsrisiko bzgl. der Mietsache. | © Danny - stock.adobe.com

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat bereits entschieden, dass eine Geschäftsschließung, die auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erfolgt, keinen Mangel der Mietsache darstellt. Im Nachgang hierzu hatte er nunmehr darüber zu befinden, ob Gleiches gilt, wenn aus diesem Grund in Räumlichkeiten, die von Privatpersonen bei einem gewerblichen Anbieter angemietet wurden, eine dort geplante Veranstaltung nicht stattfinden konnte. Konkret ging es darum, ob Paare, deren Hochzeitsfeier wegen der Coronamaßnahmen geplatzt ist, die Miete für die angemieteten Räumlichkeiten voll zahlen müssen.

Fortsetzung des Beitrages zur Kostenverteilung bei coronabedingter Vertragsstörung, von Dr. Udo Dirnaichner.

  1. Recht zur außerordentlichen Kündigung des Mietvertrags

Da der Vermieter die Überlassung der Mietsache trotz der zum maßgeblichen Zeitpunkt hoheitlich angeordneten Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie nicht unmöglich war und die Mietsache keinen Mangel i. S. v. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB aufwies, stand dem Paar auch kein Recht zur außerordentlichen Kündigung des Mietvertrags nach § 543 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB zu.


  1. Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage

Für einen Mieter, der Räume zur Durchführung einer Veranstaltung gemietet hat, kommt grundsätzlich ein Anspruch auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB in Betracht. Insoweit hatte das LG eine Vertragsanpassung dahingehend vorgenommen, dass das Ehepaar nur die Hälfte der vereinbarten Miete zahlen muss; nach dem BGH war das „nicht frei von Rechtsfehlern“.

Für den Fall einer Geschäftsschließung, die auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der Pandemie erfolgt, hat der BGH zwischenzeitlich entschieden, dass ein Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB grundsätzlich in Betracht kommt.[1]

Dies gilt nunmehr „auch für den Mieter, der bei einem gewerblichen Vermieter Räumlichkeiten zur Durchführung einer Veranstaltung gemietet hat, die aufgrund von hoheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie nicht stattfinden konnte“.

Durch die COVID-19-Pandemie und die damit verbundenen weitreichenden Beschränkungen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens hat sich die sog. große Geschäftsgrundlage für den zwischen den Parteien abgeschlossenen Mietvertrag schwerwiegend geändert.

Nach den getroffenen Feststellungen hatte auch keine der Parteien bei Abschluss des Mietvertrags die Vorstellung, dass es zu einer Pandemie und damit verbundenen erheblichen hoheitlichen Einschränkungen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens kommen würde, durch die die beabsichtigte Nutzung der Mieträume eingeschränkt wird. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte konnte zudem davon ausgegangen werden, dass die Parteien den Mietvertrag mit einem anderen Inhalt abgeschlossen hätten, wenn sie bei Vertragsschluss die Möglichkeit einer Pandemie und die damit verbundene Gefahr, dass aufgrund hoheitlicher Beschränkungen die Hochzeitsfeier nicht stattfinden kann, voraus-gesehen hätten. Denn es ist anzunehmen, dass redliche Mietvertragsparteien für diesen Fall das damit verbundene wirtschaftliche Risiko nicht einseitig zulasten des Mieters geregelt, sondern in dem Vertrag für diesen Fall eine Möglichkeit zur Anpassung vorgesehen hätten.

Allerdings muss neben den hier gegebenen realen und hypothetischen Elementen auch das normative Element erfüllt sein.

Denn die Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB berechtigt für sich genommen noch nicht zu einer Vertragsanpassung. Vielmehr verlangt die Vorschrift als weitere Voraussetzung, dass dem betroffenen Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Durch diese Formulierung kommt zum Ausdruck, dass nicht jede einschneidende Veränderung der bei Vertragsschluss bestehenden oder gemeinsam erwarteten Verhältnisse eine Vertragsanpassung oder eine Kündigung (§ 313 Abs. 3 BGB) rechtfertigt. Hierfür ist vielmehr erforderlich, dass ein Festhalten an der vereinbarten Regelung für die betroffene Partei zu einem nicht mehr tragbaren Ergebnis führt.

Im Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter trägt grundsätzlich der Mieter das Verwendungsrisiko bzgl. der Mietsache.

Kann ein Mieter eine konkrete Veranstaltung, für die er Räumlichkeiten gemietet hat, aufgrund hoheitlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie nicht durchführen, geht dies jedoch über das gewöhnliche Verwendungsrisiko des Mieters hinaus. Die Gebrauchsbeschränkung an der Mietsache ist in diesem Fall Folge der umfangreichen staatlichen Eingriffe in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben zur Bekämpfung der Pandemie, für die keine der beiden Mietvertragsparteien verantwortlich gemacht werden kann. Durch die Pandemie hat sich letztlich ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, das von der mietvertraglichen Risikoverteilung ohne eine entsprechende vertragliche Regelung nicht erfasst wird. Diese Systemkrise mit ihren weitreichenden Folgen hat vielmehr zu einer Störung der großen Geschäftsgrundlage geführt. Das damit verbundene Risiko kann regelmäßig keiner Vertragspartei allein zugewiesen werden.

  1. Abwägungsgebot

Auch wenn die mit einem pandemiebedingten Veranstaltungsverbot verbundene Gebrauchsbeeinträchtigung der Mietsache nicht allein dem Verwendungsrisiko des Mieters zugeordnet werden kann, bedeutet dies aber nicht, dass der Mieter stets eine Anpassung des Vertrags hinsichtlich der Miete verlangen kann.

Ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, bedarf auch in diesem Fall einer umfassenden Abwägung, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind (§ 313 Abs. 1 BGB). Dabei kann eine Anpassung nur insoweit verlangt werden, als dem einen Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.

Das Gericht muss daher nach § 313 Abs. 1 BGB diejenigen Rechtsfolgen wählen, die den Parteien unter Berücksichtigung der Risikoverteilung zumutbar sind und durch die eine interessengerechte Verteilung des verwirklichten Risikos bei einem möglichst geringen Eingriff in die ursprüngliche Regelung hergestellt wird.[2]

Die Anpassung darf in die Vereinbarung der Parteien nicht weiter eingreifen, als es durch die veränderten Umstände geboten ist.[3]

Die Anwendung der Grundsätze über die Störung der Geschäftsgrundlage führt nur ausnahmsweise zur völligen Beseitigung des Vertragsverhältnisses; in aller Regel ist der Vertrag aufrechtzuerhalten und lediglich in einer den berechtigten Interessen beider Parteien Rechnung tragenden Form der veränderten Sachlage anzupassen.[4]

Deshalb ist nicht nur bei der Prüfung des normativen Tatbestandsmerkmals des § 313 Abs. 1 BGB, sondern auch bei der Frage, welche Form der Vertragsanpassung im konkreten Fall angemessen ist, von besonderer Bedeutung, welche Regelung die Parteien gewählt hätten, wenn sie das Ereignis, das zur Störung der Geschäftsgrundlage geführt hat, bei Vertragsschluss bedacht hätten.

Unzumutbar ist eine Vertragsanpassung dann, wenn sie gegenüber dem ursprünglichen Vertrag zu einer Mehrbelastung einer Partei führen würde, der diese nicht wenigstens hypothetisch bei Vertragsschluss zugestimmt hätte, wenn sie die Grundlagenstörung vorausgesehen hätte. Nur wenn eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar ist, kann nach § 313 Abs. 3 BGB der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten oder bei Dauerschuldverhältnissen den Vertrag kündigen.

III. Einzelfallprüfung

Eine pauschale Betrachtungsweise wird den dargestellten Anforderungen nicht gerecht. Deshalb kommt eine Vertragsanpassung dahingehend, dass ohne Berücksichtigung der konkreten Umstände die Miete grundsätzlich um die Hälfte herabgesetzt wird, weil das Risiko einer pandemiebedingten Gebrauchsbeschränkung der Mietsache keine der beiden Mietvertragsparteien allein trifft, nicht in Betracht.[5]

Auf dieser Grundlage hat das Gericht in tatrichterlicher Verantwortung für den konkreten Einzelfall die Voraussetzungen des § 313 BGB festzustellen und ggf. eine Vertragsanpassung vorzunehmen, bei der ein weiter Ermessensspielraum des Tatgerichts besteht.

Dessen Entscheidung ist vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüfbar, ob das Ermessen ausgeübt worden ist, dabei alle wesentlichen Umstände rechtsfehlerfrei ermittelt und berücksichtigt sowie die Grenzen des tatrichterlichen Ermessens richtig bestimmt und eingehalten worden sind.[6]

Nach dem BGH kam die von dem Ehepaar angestrebte Vertragsanpassung dahingehend, dass sie von ihrer Verpflichtung zur Mietzahlung ganz oder teilweise befreit werden, nicht in Betracht, weil ihnen die Annahme des Angebots des Vermieters auf Verlegung des Termins für die geplante Hochzeitsfeier unter Abwägung aller Umstände einschl. der vertraglichen Risikoverteilung (§ 313 Abs. 1 BGB) zumutbar gewesen sei.

  1. Zunächst hätte das klagende Ehepaar keine tragfähigen Umstände dafür vorgetragen, dass eine andere Form der Vertragsanpassung unmöglich oder ihnen nicht zumutbar sei: „Allein die nicht näher begründete Behauptung, eine Verschiebung der Hochzeitsfeier auf einen späteren Termin komme für sie nicht in Betracht, reicht hierfür nicht aus. Daher war der von ihm erklärte Rücktritt unwirksam und ihre Zahlungsverpflichtung ist hierdurch nicht vollständig entfallen.“
  2. Rechtsfehlerhaft sei dagegen, dass das Berufungsgericht nicht ausreichend in den Blick genommen habe, ob sich der Anspruch des Paares auf Vertragsanpassung auf die von dem beklagten Vermieter angebotene Verlegung der Hochzeitsfeier beschränkt, weil bereits dadurch eine interessengerechte Verteilung des Pandemierisikos bei einem möglichst geringen Eingriff in die ursprüngliche Regelung hergestellt werden kann. Das Ehepaar sei zu weiteren Verhandlungen mit ihm über eine angemessene Vertragsanpassung nicht bereit gewesen und hätten das Angebot auf Verlegung des Termins pauschal abgelehnt, was zeige, dass es an einer interessengerechten Lösung nicht interessiert war, sondern allein eine Aufhebung des Mietvertrags erreichen und damit das Risiko der Absage der Feier einseitig auf den Vermieter verlagern wollte.
  3. Dem Paar sei eine Verlegung der Hochzeitsfeier auch zumutbar gewesen. Die standesamtliche Trauung hatte bereits im Dezember 2018 stattgefunden. Die Hochzeitsfeier stand daher nicht, wie regelmäßig, im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit einer standesamtlichen oder kirchlichen Trauung. Das Ehepaar hätte auch keine anderen Gründe dafür vorgetragen, dass die Feier ausschließlich am 01.05.2020 und nicht auch zu einem späteren Termin hätte stattfinden können. Dass es endgültig auf eine nachträgliche Hochzeitsfeier verzichten wollte und daher auch zu einem späteren Zeitpunkt kein Bedarf an Räumlichkeiten bestand, die für eine solche Veranstaltung geeignet sind, habe sich aus ihrem Vortrag nicht ergeben. Sollte sich das Paar aber tatsächlich hierzu entschlossen haben, fiele diese Entscheidung allein in ihren Risikobereich und hätte daher auf die vorzunehmende Vertragsanpassung keine Auswirkung. Denn das beträfe das allgemeine Verwendungsrisiko eines Mieters und stünde nicht mehr in unmittelbarem Zusammenhang mit der pandemiebedingten Störung der Geschäftsgrundlage.

IV. Fazit

Kann eine Hochzeitsfeier aufgrund der zu diesem Zeitpunkt zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie geltenden Maßnahmen nicht wie geplant durchgeführt werden, wird dem Vermieter der hierfür gemieteten Räumlichkeiten die von ihm geschuldete Leistung nicht unmöglich. Der Umstand, dass die Durchführung einer Hochzeitsfeier mit der geplanten Bewirtung von 70 Personen aufgrund verschiedener Regelungen in der zu diesem Zeitpunkt geltenden Corona-Schutzverordnung nicht zulässig war, führt nicht zu einem Mangel des Mietgegenstands i. S. v. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB.

Für einen Mieter, der Räume zur Durchführung einer Veranstaltung gemietet hat, kommt grundsätzlich ein Anspruch auf Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn die Veranstaltung aufgrund von hoheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie nicht in der geplanten Form stattfinden kann. Bei der Prüfung, ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar und wie dem ggf. zu begegnen ist, verbietet sich eine pauschale Betrachtungsweise. Maßgeblich sind vielmehr sämtliche Umstände des Einzelfalls.

 

Entommen aus der Apf 2023/01, S. 27.

[1] So ebenfalls BGH, Urt. v. 12.01.2022 – XII ZR 8/21.

[2] BGH, Urt. v. 21.09.1995 – VII ZR 80/94.

[3] Vgl. BAG, Urt. v. 18.02.2003 – 9 AZR 136/02.

[4] So BGH Urt. v. 08.02.1984 – VIII ZR 254/82.

[5] Erneut BGH, Urt. v. 12.01.2022 – XII ZR 8/21.

[6] BGH, Urt. v. 24.02.2016 – XII ZR 5/15.

 

 

Dr. Udo Dirnaichner

Ministerialrat, Bayerisches Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst
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