14.08.2023

Kostenverteilung bei coronabedingter Vertragsstörung

Urteil des Bundesgerichtshofs

Kostenverteilung bei coronabedingter Vertragsstörung

Urteil des Bundesgerichtshofs

Ein Beitrag aus »apf« | © emmi - Fotolia / RBV
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Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass eine Geschäftsschließung, die auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erfolgt, keinen Mangel der Mietsache darstellt. Im Nachgang hierzu hatte er nunmehr darüber zu befinden,1BGH, Urt. v. 02.03.2022 – XII ZR 36/21. ob Gleiches gilt, wenn aus diesem Grund in Räumlichkeiten, die von Privatpersonen bei einem gewerblichen Anbieter angemietet wurden, eine dort geplante Veranstaltung nicht stattfinden konnte. Konkret ging es darum, ob Paare, deren Hochzeitsfeier wegen der Coronamaßnahmen geplatzt ist, die Miete für die angemieteten Räumlichkeiten voll zahlen müssen.

I. Sachverhalt und Verfahrensgang

Das klagende Ehepaar, das am 11.12.2018 standesamtlich geheiratet hatte, mietete bei der Beklagten (gewerblicher Anbieter) für eine am 01.05.2020 geplante Hochzeitsfeier mit rd. 70 Personen Räumlichkeiten an. Nachdem die Vertragsverhandlungen zunächst mündlich geführt worden waren, übersandte der beklagte Vermieter dem Paar eine auf den 05.04.2019 datierte Rechnung über die vereinbarte Miete von 2 600 €, die von dem Ehepaar bezahlt wurde. Die geplante Hochzeitsfeier konnte nicht durchgeführt werden, weil aufgrund der einschlägigen Corona-Schutzverordnung des Landes2§§ 11, 12 der Verordnung der nordrhein-westfälischen Landesregierung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-Cov-2 (Coronaschutzverordnung – CoronaSchVO) vom 22.03.2020 (GV. NRW. S. 178a), in der ab dem 20.04.2020 gültigen Fassung (hierzu VO vom 16.04.2020, GV. NRW. S. 221a–242a). Veranstaltungen sowie Zusammenkünfte und Ansammlungen im öffentlichen Raum von mehr als zwei Personen untersagt wurden.

Mit Schreiben vom 24.04.2020 bat das Paar um Rückzahlung der bereits gezahlten Miete und erklärten gleichzeitig, dass sie vom Vertrag zurücktreten. Dies lehnte der beklagte Vermieter ab und wies darauf hin, dass sie dem Ehepaar bereits am 23.03.2020 unter Angabe von Alternativterminen angeboten habe, die Hochzeit zu verschieben. Das Amtsgericht (AG) wies die auf Rückzahlung der vollen Miete gerichtete Klage ab.3AG Gelsenkirchen, Urt. v. 09.11.2020 – 409 C 215/20. Auf die Berufung des Paares hin änderte das Landgericht (LG) das Urteil ab und verurteilte die Vermieterin unter Abweisung der Klage im Übrigen, an das Ehepaar 1 300 € nebst Zinsen zu zahlen.4LG Essen, Urt. v. 16.03.2021 – 15 S 164/20. Dagegen legte die Vermieterin Revision und das Ehepaar Anschlussrevision ein.


Die Revision der Vermieterin vor dem BGH hatte Erfolg. Der BGH hob das Berufungsurteil auf und stellte die erstinstanzliche Entscheidung wieder her. Die Anschlussrevision des Ehepaares wies er zurück.

II. Problemstellung

Konkret im Streit stand, ob die Einschränkungen durch die verhängten Maßnahmen im Rahmen der COVID-19-Pandemie zu einer Unmöglichkeit i. S. v. §§ 326 Abs. 1, 275 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) geführt hatten. Gerade diese Rechtsfolge hatte das Ehepaar im Sinn, wenn sie argumentierten, dem Vermieter sei es wegen des zum Zeitpunkt der geplanten Hochzeitsfeier geltenden Veranstaltungsverbots und der angeordneten Kontaktbeschränkungen rechtlich unmöglich, dem Paar den Gebrauch der Mietsache entsprechend dem vereinbarten Mietzweck zu gewähren. Daraus leitete das klagende Paar Folgendes ab:

  • Ihnen stehe ein Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Miete zu, denn sie seien nach § 326 Abs. 1 BGB wegen Unmöglichkeit der von dem beklagten Vermieter geschuldeten Leistung (§ 275 Abs. 1 BGB) von ihrer Zahlungsverpflichtung frei geworden.
  • Zudem sei die Miete nach § 536 Abs. 1 BGB gemindert.
  • Sie seien berechtigt, den Mietvertrag gem. § 543 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB oder wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1 und 3 BGB zu kündigen.
  • Schließlich stehe ihnen auch ein Anspruch aus § 313 Abs. 1 BGB auf eine Anpassung des Mietvertrags dahingehend zu, dass sie von ihrer Verpflichtung zur Zahlung der vereinbarten Miete vollständig oder zur Hälfte befreit sind.

[…]

III. Einzelfallprüfung

Eine pauschale Betrachtungsweise wird den dargestellten Anforderungen nicht gerecht. Deshalb kommt eine Vertragsanpassung dahingehend, dass ohne Berücksichtigung der konkreten Umstände die Miete grundsätzlich um die Hälfte herabgesetzt wird, weil das Risiko einer pandemiebedingten Gebrauchsbeschränkung der Mietsache keine der beiden Mietvertragsparteien allein trifft, nicht in Betracht.5Erneut BGH, Urt. v. 12.01.2022 – XII ZR 8/21.

Auf dieser Grundlage hat das Gericht in tatrichterlicher Verantwortung für den konkreten Einzelfall die Voraussetzungen des § 313 BGB festzustellen und ggf. eine Vertragsanpassung vorzunehmen, bei der ein weiter Ermessensspielraum des Tatgerichts besteht. Dessen Entscheidung ist vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüfbar, ob das Ermessen ausgeübt worden ist, dabei alle wesentlichen Umstände rechtsfehlerfrei ermittelt und berücksichtigt sowie die Grenzen des tatrichterlichen Ermessens richtig bestimmt und eingehalten worden sind.6BGH, Urt. v. 24.02.2016 – XII ZR 5/15.

Nach dem BGH kam die von dem Ehepaar angestrebte Vertragsanpassung dahingehend, dass sie von ihrer Verpflichtung zur Mietzahlung ganz oder teilweise befreit werden, nicht in Betracht, weil ihnen die Annahme des Angebots des Vermieters auf Verlegung des Termins für die geplante Hochzeitsfeier unter Abwägung aller Umstände einschl. der vertraglichen Risikoverteilung (§ 313 Abs. 1 BGB) zumutbar gewesen sei.

  1. Zunächst hätte das klagende Ehepaar keine tragfähigen Umstände dafür vorgetragen, dass eine andere Form der Vertragsanpassung unmöglich oder ihnen nicht zumutbar sei: „Allein die nicht näher begründete Behauptung, eine Verschiebung der Hochzeitsfeier auf einen späteren Termin komme für sie nicht in Betracht, reicht hierfür nicht aus. Daher war der von ihm erklärte Rücktritt unwirksam und ihre Zahlungsverpflichtung ist hierdurch nicht vollständig entfallen.“
  2. Rechtsfehlerhaft sei dagegen, dass das Berufungsgericht nicht ausreichend in den Blick genommen habe, ob sich der Anspruch des Paares auf Vertragsanpassung auf die von dem beklagten Vermieter angebotene Verlegung der Hochzeitsfeier beschränkt, weil bereits dadurch eine interessengerechte Verteilung des Pandemierisikos bei einem möglichst geringen Eingriff in die ursprüngliche Regelung hergestellt werden kann. Das Ehepaar sei zu weiteren Verhandlungen mit ihm über eine angemessene Vertragsanpassung nicht bereit gewesen und hätten das Angebot auf Verlegung des Termins pauschal abgelehnt, was zeige, dass es an einer interessengerechten Lösung nicht interessiert war, sondern allein eine Aufhebung des Mietvertrags erreichen und damit das Risiko der Absage der Feier einseitig auf den Vermieter verlagern wollte.

Dem Paar sei eine Verlegung der Hochzeitsfeier auch zumutbar gewesen. Die standesamtliche Trauung hatte bereits im Dezember 2018 stattgefunden. Die Hochzeitsfeier stand daher nicht, wie regelmäßig, im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit einer standesamtlichen oder kirchlichen Trauung. Das Ehepaar hätte auch keine anderen Gründe dafür vorgetragen, dass die Feier ausschließlich am 01.05.2020 und nicht auch zu einem späteren Termin hätte stattfinden können.

Dass es endgültig auf eine nachträgliche Hochzeitsfeier verzichten wollte und daher auch zu einem späteren Zeitpunkt kein Bedarf an Räumlichkeiten bestand, die für eine solche Veranstaltung geeignet sind, habe sich aus ihrem Vortrag nicht ergeben. Sollte sich das Paar aber tatsächlich hierzu entschlossen haben, fiele diese Entscheidung allein in ihren Risikobereich und hätte daher auf die vorzunehmende Vertragsanpassung keine Auswirkung. Denn das beträfe das allgemeine Verwendungsrisiko eines Mieters und stünde nicht mehr in unmittelbarem Zusammenhang mit der pandemiebedingten Störung der Geschäftsgrundlage

IV. Fazit

Kann eine Hochzeitsfeier aufgrund der zu diesem Zeitpunkt zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie geltenden Maßnahmen nicht wie geplant durchgeführt werden, wird dem Vermieter der hierfür gemieteten Räumlichkeiten die von ihm geschuldete Leistung nicht unmöglich. Der Umstand, dass die Durchführung einer Hochzeitsfeier mit der geplanten Bewirtung von 70 Personen aufgrund verschiedener Regelungen in der zu diesem Zeitpunkt geltenden Corona-Schutzverordnung nicht zulässig war, führt nicht zu einem Mangel des Mietgegenstands i. S. v. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB.

Für einen Mieter, der Räume zur Durchführung einer Veranstaltung gemietet hat, kommt grundsätzlich ein Anspruch auf Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn die Veranstaltung aufgrund von hoheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie nicht in der geplanten Form stattfinden kann. Bei der Prüfung, ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar und wie dem ggf. zu begegnen ist, verbietet sich eine pauschale Betrachtungsweise. Maßgeblich sind vielmehr sämtliche Umstände des Einzelfalls.

 

Den vollständigen Beitrag lesen Sie in der apf – Ausbildung – Prüfung – Fachpraxis 01/2023, S. 27.

 

Dr. Udo Dirnaichner

Ministerialrat, Bayerisches Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst
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  • 1
    BGH, Urt. v. 02.03.2022 – XII ZR 36/21.
  • 2
    §§ 11, 12 der Verordnung der nordrhein-westfälischen Landesregierung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-Cov-2 (Coronaschutzverordnung – CoronaSchVO) vom 22.03.2020 (GV. NRW. S. 178a), in der ab dem 20.04.2020 gültigen Fassung (hierzu VO vom 16.04.2020, GV. NRW. S. 221a–242a).
  • 3
    AG Gelsenkirchen, Urt. v. 09.11.2020 – 409 C 215/20.
  • 4
    LG Essen, Urt. v. 16.03.2021 – 15 S 164/20.
  • 5
    Erneut BGH, Urt. v. 12.01.2022 – XII ZR 8/21.
  • 6
    BGH, Urt. v. 24.02.2016 – XII ZR 5/15.
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