28.08.2023

Der Beschäftigungsduldung steht Verurteilung wegen vorsätzlicher Straftat unabhängig vom Strafmaß entgegen

Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Niedersachsen

Der Beschäftigungsduldung steht Verurteilung wegen vorsätzlicher Straftat unabhängig vom Strafmaß entgegen

Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Niedersachsen

Ein Beitrag aus »Die Gemeindeverwaltung Rheinland-Pfalz« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »Die Gemeindeverwaltung Rheinland-Pfalz« | © emmi - Fotolia / RBV

Mit seiner Klage beim Verwaltungsgericht (VG) hatte ein Ausländer beantragt, die Ausländerbehörde zur Erteilung einer Beschäftigungsduldung nach § 60 d Aufenthaltsgesetz (AufenthG) zu verpflichten. Das VG hatte die Klage abgewiesen, weil die Verurteilung wegen Diebstahls geringwertiger Sachen zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen durch rechtskräftigen Strafbefehl vom 24.03.2017 zur Folge habe, dass die Voraussetzung des § 60 d Abs. 1 Nr. 7 AufenthG nicht erfüllt sei.

Der dagegen gerichtete Antrag auf Zulassung der Berufung blieb beim Oberverwaltungsgericht Niedersachsen ohne Erfolg. Denn nach den Feststellungen des OVG lagen die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nicht vor.

Diese sind dann zu bejahen, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt. Die Zweifel müssen sich dabei auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen. Es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird.


Eine den Anforderungen des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügende Darlegung dieses Zulassungsgrundes erfordert deshalb, dass im Einzelnen unter konkreter Auseinandersetzung mit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ausgeführt wird, dass und warum Zweifel an der Richtigkeit der Auffassung des erkennenden VG bestehen sollen. Hierzu bedarf es regelmäßig qualifizierter, ins Einzelne gehender, fallbezogener und aus sich heraus verständlicher Ausführungen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffes auseinandersetzen.

Verurteilung wegen Diebstahls geringwertiger Sachen zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen durch rechtskräftigen Strafbefehl

Hier hat der Ausländer keinen Anspruch auf Erteilung einer Beschäftigungsduldung, weil er die Voraussetzung des § 60 d Abs. 1 Nr. 7 AufenthG nicht erfüllt. Danach ist einem ausreisepflichtigen Ausländer und seinem Ehegatten oder seinem Lebenspartner, die bis zum 01.08.2018 in das Bundesgebiet eingereist sind, i. d. R. eine Duldung nach § 60 a Abs. 2 Satz 3 AufenthG für 30 Monate zu erteilen, wenn u. a. der ausreisepflichtige Ausländer und sein Ehegatte oder sein Lebenspartner nicht wegen einer im Bundesgebiet begangenen vorsätzlichen Straftat verurteilt wurde, wobei Verurteilungen i. S. v. § 32 Abs. 2 Nr. 5 Buchst. a Bundeszentralregistergesetz (BZRG) wegen Straftaten, die nach dem Aufenthaltsgesetz oder dem Asylgesetz nur von Ausländern begangen werden können, grundsätzlich außer Betracht bleiben.

Zu Recht hat das VG die durch den Strafbefehl abgeurteilte Straftat als Straftat i. S. dieser Vorschrift angesehen. Die Einwände des Antrags auf Zulassung der Berufung konnten dagegen nicht durchdringen. Abgesehen von den Sonderdelikten, die nach dem Aufenthaltsgesetz oder dem Asylgesetz nur von Ausländern begangen werden können, steht eine Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Straftat unabhängig vom Strafmaß der Beschäftigungsduldung entgegen. Dieses Auslegungsergebnis folgt zunächst aus dem Wortlaut.

Betroffener war vom Erwerb der Beschäftigungsduldung ausgeschlossen

Auch die Gesetzesbegründung führte aus, dass vom Erwerb der Beschäftigungsduldung Ausländer ausgeschlossen seien, die unabhängig vom Strafmaß wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt worden seien. Die Gesetzessystematik bestätigt, dass Ausnahmen wegen einer geringen Strafhöhe nicht vorgesehen sind. Das zeigt sich bereits daran, dass § 60 d Abs. 1 Nr. 7 AufenthG selbst bei den Sonderdelikten durch den Verweis auf § 32 Abs. 2 Nr. 5 Buchst. a BZRG den Ausschluss an eine Mindeststrafhöhe bindet. Nach dieser Vorschrift werden in das Führungszeugnis nicht aufgenommen Verurteilungen, durch die auf Geldstrafe von nicht mehr als neunzig Tagessätzen oder Freiheitsstrafe oder Strafarrest von nicht mehr als drei Monaten erkannt worden ist, wenn im Register keine weitere Strafe eingetragen ist. Für Straftaten, die keine Sonderdelikte im oben bezeichneten Sinne sind, ist eine vergleichbare Einschränkung gerade nicht vorgesehen.

Noch weitergehend schließt § 60 d Abs. 1 Nr. 7 AufenthG sogar Ausländer von der Beschäftigungsduldung aus, die selbst gar keine Straftat begangen haben, wenn der Ehegatte oder Lebenspartner wegen einer Straftat verurteilt worden ist. Auch an anderer Stelle sind einzelne Fälle, in denen die Voraussetzungen des § 60 d Abs. 1 AufenthG „knapp“ verfehlt werden, gesondert geregelt worden. Daraus ist zu schließen, dass es in nicht geregelten Fällen dabei bleiben soll, dass die Erfüllung des Tatbestandes der Vorschrift erforderlich ist. So ermöglicht § 60 d Abs. 4 AufenthG eine Ermessensentscheidung, wenn die Identität nicht geklärt ist, der Betroffene aber ausreichende Bemühungen entfaltet hat. Nach § 60 d Abs. 3 Satz 2 AufenthG bleiben bei der Prüfung eines Widerrufs kurzfristige Unterbrechungen der Beschäftigung, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, unberücksichtigt.

Beschäftigungsduldung stellt migrationspolitisch motivierte Begünstigung dar

Bei der Bestimmung von Sinn und Zweck der Vorschrift ist zu berücksichtigen, dass diese Kompromisscharakter hat und durch das Bemühen gekennzeichnet ist, möglichst wenig Auslegungsspielräume für den Verwaltungsvollzug zu belassen. Die Aufzählung der tatbestandlichen Voraussetzungen bezweckt demnach eine grundsätzlich am Wortlaut orientierte Prüfung ohne freie Abwägung der für und gegen eine Integration sprechenden Gesichtspunkte.

Entgegen dem Zulassungsverbringen ist folglich kein Raum für eine Berücksichtigung von anderweitigen Integrationsleistungen des Mannes. Dass § 60 d Abs. 1 Nr. 7 AufenthG Straftaten unabhängig vom Strafmaß erfasst, ist auch nicht durch eine teleologische Reduktion zu korrigieren. Es handelt sich nicht um eine unbeabsichtigt überschießende Regelung. Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich vielmehr, dass die Anwendung unabhängig vom Strafmaß vom historischen Gesetzgeber beabsichtigt war und sich in den Plan des Gesetzes einfügt.

Dieses Ergebnis verstößt auch nicht gegen höherrangiges Recht. Die Beschäftigungsduldung wird einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer, dessen Abschiebung möglich ist, erteilt. Sie stellt eine migrationspolitisch motivierte Begünstigung dar. Die Duldung gem. § 60 a Abs. 2 Satz 3 AufenthG, auf deren Erteilung § 60 d Abs. 1 AufenthG einen Anspruch begründet, kommt in Betracht, wenn der vorübergehende Aufenthalt zwar aus dringenden humanitären oder persönlichen Gründen oder erheblichen öffentlichen Interessen erforderlich ist, sich der Aufenthaltszweck jedoch nicht zu einem rechtlichen Abschiebungshindernis nach § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG verdichtet hat und tatsächliche Abschiebungshindernisse nicht vorliegen.

Es ist nicht Aufgabe der Ausländerbehörden, rechtskräftige Strafbefehle auf ihre Richtigkeit zu prüfen

§60 d AufenthG konkretisiert die dringenden persönlichen Gründe und betrifft insbesondere Fälle, in denen die Abschiebung nicht aus Rechtsgründen unmöglich ist. Folglich wird dem Betroffenen keine Rechtsposition genommen, wenn er keine Beschäftigungsduldung erhält. Er kommt lediglich nicht in den Genuss einer Begünstigung, die der Gesetzgeber in freier Entscheidung eingeführt hat, ohne dazu durch höherrangiges Recht verpflichtet zu sein. Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, bei der die Schwere eines Eingriffs zu dem damit verfolgten öffentlichen Interesse ins Verhältnis zu setzen wäre, scheidet mangels Eingriffs aus. Der Gesetzgeber ist zwar auch bei der Regelung derartiger Begünstigungen an die Grundrechte gebunden. Diese verpflichten ihn aber nicht zur Erweiterung des begünstigten Personenkreises, sondern in erster Linie zu einer diskriminierungsfreien und mittelbare Grundrechtsbeeinträchtigungen vermeidenden Ausgestaltung. Dagegen wird durch den Ausschluss aller Personen mit strafrechtlicher Verurteilung nicht verstoßen.

Es liegt im weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, die Begünstigung einer Beschäftigungsduldung an eine solche Bedingung zu knüpfen. Greift hingegen die Aufenthaltsbeendigung in unverhältnismäßiger Weise in ein Grund- oder Menschenrecht des Betroffenen, insbesondere in das Recht auf Achtung des Privatlebens gem. Art. 8 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) ein, kommt ein Duldungsanspruch gem. § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Betracht. Dieser war aber nicht Gegenstand des Zulassungsverfahrens.

Soweit mit dem Zulassungsantrag weiter geltend gemacht wurde, der Ausländer habe den Diebstahl nicht begangen, fehlte bereits eine Auseinandersetzung mit der Begründung des VG, wonach es auf das Vorliegen einer Verurteilung ankommt und es nicht Aufgabe der Ausländerbehörden ist, rechtskräftige Strafbefehle auf ihre Richtigkeit zu prüfen.

Oberverwaltungsgericht Niedersachsen, Beschluss vom 26.10.2021 – 8 LA 94/21

 

Entnommen aus Gemeindeverwaltung Rheinland-Pfalz 01/2023, Rn. 4.

 
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