14.08.2023

Wegfall oder Störung der Geschäftsgrundlage

Voraussetzungen und Folgen

Wegfall oder Störung der Geschäftsgrundlage

Voraussetzungen und Folgen

Ein Beitrag aus »RdW – Das Recht der Wirtschaft« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »RdW – Das Recht der Wirtschaft« | © emmi - Fotolia / RBV

Der Wegfall der Geschäftsgrundlage ist ein von der Rechtsprechung aus dem Grundsatz von Treu und Glauben entwickeltes Korrektiv, das den Grundsatz „Vorträge sind zu halten“ durchbricht, wenn es wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage unzumutbar erscheint, die oder eine der Vertragsparteien weiter an dem (unveränderten) Vertrag festzuhalten.

Erst spät wurde das Rechtsprinzip der „Bestimmung der gleichbleibenden Umstände“, lat. „clausula rebus sic stantibus“, in das BGB aufgenommen. In der letzten, unruhigen Zeit ist der Wegfall der Geschäftsgrundlage, auch durch die Pandemie und den Ukrainekrieg, wieder stärker in den Fokus gerückt worden. Was sind typische Fälle, wann können Verträge auf diesem Weg angepasst oder aufgehoben werden?

Wenn Vertragstreue durch veränderte Umstände unzumutbar wird

Vorab: Die Vorschrift greift selten und als „ultima ratio“ nur, wenn andere Auswege zur Vertragsanpassung wie Auslegung, Unmöglichkeit oder Rücktritt nicht eröffnet sind. Verträge sind zu halten, „pacta sunt servanda“, das ist der eherne, fast in Stein gemeißelte Grundsatz. Doch beim Wegfall der Geschäftsgrundlage besteht die – seit Januar 2002 auch gesetzlich in § 313 BGB geregelte – Möglichkeit, den Vertrag anpassen und notfalls aufheben zu können. Sie kommt nur in Betracht, wenn in einem Vertragsverhältnis Umstände nachträglich wegfallen oder unerkannt von vornherein nicht bestanden haben, die für zumindest eine Vertragspartei so wesentlich sind, dass der Vertrag geändert oder aufgehoben werden muss, weil ein Festhalten an ihm unbillig wäre. Da dies längst nicht so häufig gelingt, wie es einer Vertragspartei lieb wäre, ist der Wegfall der Geschäftsgrundlage als letzte Hoffnung von Optimisten oft in einen juristischen Dornröschenschlaf verfallen, aus den ihn aktuelle Krisen aufgerüttelt haben.


Die Geschäftsgrundlage wird gebildet durch nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt gewordene, aber bei Vertragsschluss zutage getretene gemeinschaftliche Vorstellungen beider Vertragsparteien oder beiden erkennbaren und von keiner Seite beanstandeten Vorstellungen über das Vorhandensein oder den künftigen Eintritt gewisser Umstände, auf denen sich der Geschäftswille zumindest einer der Parteien aufbaut. Ihr unveränderter Bestand ist somit zumindest für eine Vertragspartei erforderlich, um den Vertrag als sinnvolle Regelung aufrechtzuerhalten, und das ist der anderen Seite bewusst.

Störung der Geschäftsgrundlage und ihre Folgen

Die wesentliche Geschäftsgrundlage muss sich nachträglich geändert haben („reales Element“) oder im Nachhinein als falsch herausstellen (§ 313 Abs. 2 BGB), und es muss sich um eine so schwerwiegende Änderung handeln, dass zumindest eine der Parteien in Kenntnis dieser Umstände den Vertrag nicht oder nicht so geschlossen hätte („hypothetisches Element“). Durch diese Störung entsteht für die dadurch benachteiligte Partei gem. § 313 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Vertragsanpassung. Dazu muss sich der Betroffene auf die Einrede der Störung der Geschäftsgrundlage berufen. Wenn eine Vertragsanpassung nicht weiterführt bzw. für eine Seite unzumutbar ist, erlaubt § 313 Abs. 3 BGB die Vertragsauflösung durch Rücktritt bzw., bei einem Dauerschuldverhältnis, durch Kündigung. Die Gretchenfrage ist, was ist eine Störung? Keine Störung liegt regelmäßig vor, wenn sich Risiken realisieren, die von den Vertragsparteien bis zu einem gewissen Grad bei einem Vertragsabschluss zu tragen sind (z.B. deutliche Zins- oder Preisveränderungen).

Typische Störungskonstellationen und Beispielsfälle

Wichtige Fallgruppen sind:

  • Unerwartete Leistungserschwerung etwa in Form plötzlich auftretender Beschaffungshindernisse
  • Extreme Äquivalenzstörungen, durch die eine beiderseits angenommene relative Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung entfällt
  • Zweckstörungen, wenn der Leistungserfolg nicht oder nur noch so zu erreichen ist, dass durch erheblich veränderte Umstände kein Interesse mehr an der Leistung besteht.

Beispielsfälle:

  • Beim Kauf eines Fertighauses wird die Genehmigung zur geplanten Aufstellung auf einem Pachtgrundstück, von der alle Beteiligten ausgingen, baupolizeilich versagt1BGH, Urteil vom 23.03.1966 – VIII ZR 51/64.
  • Bei einer Grundstücksübertragung im Zusammenhang mit einer Pflegevereinbarung kommt es zur heillosen Zerrüttung zwischen den Vertragsparteien2OLG Hamm, Urteil vom 19.12.2022 – 22 U 97/17.
  • Durch die Wiedervereinigung vergrößert sich nachträglich das Sendegebiet, für das eine Produktionsgesellschaft die Senderechte an einer Serie einem Fernsehsender übertrug.3BGH, Urteil vom 04.07.1996 – I ZR 101/94.

Wegfall der Geschäftsgrundlage in familiären und lebenspartnerschaftlichen Beziehungen

Bei einer von Schwiegereltern geschenkten Immobilie kommt als Geschäftsgrundlage die Vorstellung der dauerhaften Nutzung als gemeinschaftliche Wohnung durch Kind und Schwiegerkind in Betracht und kann bei einem Wegfall Rückgewähr begründen.4BGH, Urteil vom 19.01.1999 – X ZR 60/97.

Für Arbeitsleistungen an der Immobilie des Schwiegerkindes kann ein Anspruch der Schwiegereltern auf eine Ausgleichszahlung bestehen, wenn dessen Ehe mit ihrem Kind gescheitert ist. Auch beim Scheitern einer Lebensgemeinschaft hat der BGH entschieden,5BGH, Urteil vom 04.11.1998 – IV ZR 327/97. dass die vom Partner des eigenen Kindes geteilte oder erkannte Vorstellung, eine Immobilie werde vom eigenen Kind plus Partner dauerhaft als gemeinschaftliche Wohnung genutzt, Geschäftsgrundlage sein kann. Für deren Wegfall reiche es zwar nicht aus, dass die Lebensgemeinschaft nicht bis zum Tod besteht, dauert die gemeinsame Nutzung aber nur noch überraschend kurze Zeit an, kommt regelmäßig ein Wegfall in Betracht. Investiert ein Partner in das Grundstück seiner Partnerin, kann ihm nach Beendigung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft ein Ausgleichsanspruch zustehen, wenn die Leistungen unter Berücksichtigung der Einkommens- und Lebensverhältnisse von erheblicher Bedeutung sind.6OLG Brandenburg, Urteil vom 09.02.2016 – 3 U 8/12.

Eine Korrektur einer Schenkung im Zugewinn ist nach § 313 BGB nur geboten, wenn das Ergebnis unter Einbeziehung der Zuwendung schlechthin unangemessen und unzumutbar unbillig ist und es sich um eine ehebedingte Zuwendung handelt, die einen Beitrag zur Ausgestaltung, Erhaltung oder Sicherung der ehelichen Lebensgemeinschaft leisten sollte.

Pflichtteil- oder Erbverzicht und Wegfall der Geschäftsgrundlage

Ein Erbverzicht ist grundsätzlich ein Risikogeschäft, denn es ist nicht wirklich vorhersehbar, ob die vereinbarte Gegenleistung dem Umfang des späteren Erb- bzw. Pflichtteils entspricht. Nicht erwartete Veränderungen können deswegen im Regelfall keinen Wegfall der Geschäftsgrundlage begründen, dem stünden gewichtige Belange der Rechtssicherheit entgegen, denn die Erbfolge darf nach dem Tod des Erblassers grundsätzlich nicht nach beliebig langem Zeitablauf umgestoßen werden.7BGH, Urteil vom 04.11.1998 – IV ZR 327/97. Die Berufung auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage ist nur in gravierenden Ausnahmefällen gerechtfertigt, etwa wenn bei einem vor der Wende geschlossenen Erbvertrag beträchtliches Grundvermögen in der DDR als irrelevant außer Acht blieb oder, wenn bei einem Verzicht auf Grundlage der Höfeordnung der begünstigte Hoferbe aus faktischen Gründen den Hof nicht übernehmen kann.

Wegfall der „Großen Geschäftsgrundlage“ durch Seuchen oder Krieg

Besondere Aktualität erlangte in letzter Zeit die Störung der „Großen Geschäftsgrundlage“. Darunter wird die grundlegende Veränderung der politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Rahmenbedingungen verstanden, auch Naturkatastrophen und Seuchen kommen in Betracht. So warf die Pandemie die Frage auf, ob angeordnete Betriebsschließungen die Geschäftsgrundlage eines Gewerbemietvertrags stören. Dies bejahte letztlich der BGH und bezog sich dabei auch auf den pandemiebedingt in Art. 240 EGBGB eingefügten § 7 zur Störung der Geschäftsgrundlage von Miet- und Pachtverträgen (zum 30.09.2022 wieder aufgehoben).8BGH, Urteil vom 12.01.2022 – XII ZR 8/21. Vor Vertragsanpassungen sind Umstände wie Höhe des Umsatzrückgangs, Gegenmaßnahmen des Gewerbemieters, Betriebsversicherungsleistungen sowie Interessen- und Wirtschaftslage der Parteien abzuwägen.

Unter die große Geschäftsgrundlage fallen können auch Folgen des Kriegs in der Ukraine auf Lieferketten, etwa bei Weizen, Energie oder Industriebauteilen. Wann sind Vertragsanpassungen oder -auflösungen wegen Preissteigerungen oder Beschaffungshindernissen zulässig? Hier ist zunächst zu beachten, dass das Beschaffungsrisiko grundsätzlich beim Lieferanten liegt. Andererseits sind Fälle höherer Gewalt wie grundlegende politische Veränderungen keinem Risikobereich zuzuordnen. Es greift daher letztlich das normative Element der Zumutbarkeit: Wenn das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann, darf angepasst werden. Doch der Gläubiger muss grundsätzlich beachtliche Einbußen und Bemühungen in Kauf nehmen, um den Vertrag einzuhalten. § 313 BGB ist regelmäßig auch nur bei Verträgen anwendbar, die vor Ausbruch des Krieges abgeschlossen wurden.

 

Entnommen aus dem RdW-Kurzreport 14/2023, S. 628.

 

Dr. Renate Mikus

Assessorin iur. Fachautorin, Freiburg
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  • 1
    BGH, Urteil vom 23.03.1966 – VIII ZR 51/64.
  • 2
    OLG Hamm, Urteil vom 19.12.2022 – 22 U 97/17.
  • 3
    BGH, Urteil vom 04.07.1996 – I ZR 101/94.
  • 4
    BGH, Urteil vom 19.01.1999 – X ZR 60/97.
  • 5
    BGH, Urteil vom 04.11.1998 – IV ZR 327/97.
  • 6
    OLG Brandenburg, Urteil vom 09.02.2016 – 3 U 8/12.
  • 7
    BGH, Urteil vom 04.11.1998 – IV ZR 327/97.
  • 8
    BGH, Urteil vom 12.01.2022 – XII ZR 8/21.
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