12.08.2022

Gemeindlicher Vollzugsdienst und Übertragung polizeilicher Vollzugsaufgaben

Kommunalrechtliche Anmerkungen zu einem Beschluss des AG Konstanz

Gemeindlicher Vollzugsdienst und Übertragung polizeilicher Vollzugsaufgaben

Kommunalrechtliche Anmerkungen zu einem Beschluss des AG Konstanz

Strittig ist, ob der Gemeinderat oder der Bürgermeister für die zur Bestellung des GVD und der Übertragung von polizeilichen Aufgaben zuständig ist. ©Björn Wylezich - stock.adobe.com
Strittig ist, ob der Gemeinderat oder der Bürgermeister für die zur Bestellung des GVD und der Übertragung von polizeilichen Aufgaben zuständig ist. ©Björn Wylezich - stock.adobe.com

Die Einrichtung (Bestellung) eines gemeindlichen Vollzugsdienstes nach § 125 Abs. 1 PolG Baden-Württemberg (im Folgenden PolG BW) und die Übertragung polizeilicher Vollzugsaufgaben auf diesen nach § 31 Abs. 1 DVO PolG BW bedürfen eines Gemeinderatsbeschlusses. Anderenfalls sind vom gemeindlichen Vollzugsdienst ausgesprochene Maßnahmen und deren Vollstreckung wegen fehlender Zuständigkeit im Rahmen des strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffes möglicherweise rechtswidrig.

 Zum Sachverhalt

Das Amtsgericht (AG) Konstanz lehnte mit inzwischen rechtskräftigem Beschluss (Az. 10 Cs 23 Js 15278/21) vom 27.11.2021 den Antrag der Staatsanwaltschaft Konstanz auf Erlass eines Strafbefehles ab. Dem Angeschuldigten wurde darin ein Vergehen des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 Abs. 1 StGB) und ein Vergehen des tätlichen Angriffes auf Vollstreckungsbeamte (§ 114 Abs. 1 StGB) vorgeworfen. Er soll diese Tatbestände bei der Abwehr des Vollzuges eines von Mitarbeitern des Gemeindevollzugsdienstes der Stadt Konstanz (im Beschluss synonym als kommunaler Ordnungsdienst oder mit dem Akronym KOD bezeichnet) ausgesprochenen Platzverweises gemäß § 13 der Umweltschutz- und Polizeiverordnung der Stadt Konstanz begangen haben.

Die Ablehnung des Strafbefehles durch das AG beruhte auf rechtlichen Gründen. Nach Auffassung des Gerichts, was hier nicht näher ausgeführt werden soll, genügte die Diensthandlung „in Gestalt des >Platzverweises< beziehungsweise zumindest deren Durchsetzung durch die Mitarbeiter des KOD im Wege des unmittelbaren Zwangs nicht“ den Anforderungen des strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffes.


Das Gericht äußerte in diesem Kontext „bereits erhebliche Bedenken an der Zuständigkeit der Mitarbeiter des KOD für die Erteilung und Vollstreckung des Platzverweises, da deren Bestellung und die Aufgabenübertragung auf sie durch den Oberbürgermeister und nicht den Gemeinderat erfolgte“ (vgl. öffentliche Bekanntmachung der Stadt Konstanz – abgerufen am 10.07.2022).

Das AG setzte sich kurz mit den gegensätzlichen Ansichten zu dieser Rechtsfrage auseinander, ließ die Entscheidung hierzu in diesem Falle letztlich aber offen, da es die Maßnahmen des KOD aus anderen Gründen für rechtswidrig erachtete.

Polizeirechtliche Verankerung des Gemeindlichen Vollzugsdienstes (GVD)

Nach § 125 Abs. 1 PolG BW (§ 80 a.F.) können sich die Ortspolizeibehörden zur Wahrnehmung bestimmter auf den Gemeindebereich beschränkter polizeilicher Aufgaben gemeindlicher Vollzugsbediensteter bedienen. Ortspolizeibörden sind nach § 107 Abs. 4 Satz 1 PolG BW (§ 62 Abs. 4 a.F.) die Gemeinden. „Sind gemeindliche Vollzugsbedienstete bestellt, kann ihnen die Ortspolizeibörde polizeiliche Vollzugsaufgaben übertragen“ (§ 31 Abs. 1 DVO PolG BW).

Strittig in der Literatur ist eben, ob in der Gemeinde der Gemeinderat oder der Bürgermeister für die zur Bestellung des GVD und der Übertragung von polizeilichen Aufgaben auf diesen notwendigen Entscheidungen zuständig ist.

Begründung der Zuständigkeit des Bürgermeisters

Die Zuständigkeit des Bürgermeisters wird unter anderem damit begründet, dass die Aufgaben der Ortspolizeibehörde nach § 107 Abs. 4 Satz 2 PolG BW Pflichtaufgaben nach Weisung seien und insoweit auch nach §§ 108,110 PolG BW (§§ 63, 65 a. F.) den Weisungen der Dienstaufsicht unterliegen würden. Dies habe letztlich zur Folge, „dass die Entscheidung über die Übertragung von Weisungsaufgaben selbst wie eine Weisungsaufgabe zu behandeln ist“ (Gassner, VBlBW 2013, 281, 288). Die Entscheidung über die Errichtung des GVD erfolge in Form „einer in § 35 Satz 2 LVwVfG so nicht vorgesehenen, an einen unbestimmten Personenkreis gerichteten Allgemeinverfügung“. Da § 44 Abs. 3 Satz 1 GemO die Erledigung von Weisungsaufgaben dem Bürgermeister zuweise, sei dieser auch für den Errichtungsakt zuständig. Das zeige auch § 125 PolG BW, „der die Ortspolizeibehörde und nicht die Gemeinde ermächtigt“.

Nach Gassner stelle die Entscheidung, ob ein GVD eingerichtet wird und welche Aufgabengebiete i.S.v. § 31 Abs. 1 DVO PolG BW diesem übertragen werde, eine Ermessensentscheidung dar. Diese sei ermessenfehlerhaft, soweit der Gemeinderat nicht bereit oder in der Lage sei, im Haushalt die notwendigen Mittel für den GVD zur Verfügung zu stellen.

Begründung der Zuständigkeit des Gemeinderates

Die gegenteilige Position weist daraufhin, dass § 107 Abs. 4 Satz 1 PolG BW noch keine Organzuordnung vorsieht und nach Satz 2 dieser Vorschrift erst „hiernach übertragene Aufgaben“ Pflichtaufgaben nach Weisung seien. § 125 PolG BW treffe im Gegensatz zu allen anderen Regelungen des Polizeigesetzes „aber gerade keine Aufgabenzuweisung im Sinne des § 107 Abs. 4 Satz 2 PolG BW, sondern eröffnet für die Kommunen die Option einer zusätzlichen Aufgabe.“ Insoweit gehe ein Verweis auf § 44 Abs. 3 GemO ins Leere, weshalb es im Rahmen der Allzuständigkeit des Gemeinderats gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 GemO bei der Aufgabenzuweisung an den Gemeinderat verbleibe (Pschorr, VBlBW 2019,402,403; so auch BeckOK PolR BW/Nachbaur BWPolG § 125 Rn. 15; Kunze/Bronner/Katz, Gemeindeordnung für Baden-Württemberg, 4. Aufl., § 24 Rdn. 8a. Das Ministerium des Innern, für Digitalisierung und Kommunen Baden-Württemberg hat bestätigt diese Rechtsauffassung im Rahmen einer Auskunft gegenüber einem RP vertreten zu haben.; vgl. auch Belz/Mussmann/Kahlert/Sander, Polizeigesetz Baden-Württemberg. 9. Auflage 2022, § 125 Rn. 3). Pschorr führt für seine Auffassung den Gesetzeszweck, die Folgen der Einrichtung eines GVD für den gemeindlichen Haushalt und auch die mit der Einführung eines GVD verbundenen Eingriffsbefugnisse für dessen Mitarbeiter als Argumente an. Dies erfordere die notwendige demokratische Transparenz und Legitimation durch eine in öffentlicher Sitzung getroffene Gemeinderatsentscheidung, nachdem der Gemeinderat „sogar in Bereichen der Pflichtaufgaben nach Weisung im Grundsatz für den Erlass abstrakter Regelungen zuständig“ sei (vgl. hierzu BeckOK PolR BW/Reinhardt § 23 PolG Vor Fn. 1 m.w.N.; Aker in: Aker/Hafner/Notheis, Gemeindeordnung, Gemeindehaushaltsverordnung Baden-Württemberg, 2. Auflage 2019 § 24 Rn.3 und BeckOK KommR Baden-Württemberg/Brenndörfer GemO § 24 Rn. 2 jeweils mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg).

Was für die Entscheidung der Einführung eines GVD als solchen gelte, müsse nach Pschorr auch für die sich daran anschließende Frage der spezifischen Aufgabenzuweisung nach § 31 Abs. 1 DVO gelten. Diese müsse „Teil der freiwilligen

Aufgaben sein und damit im Rahmen der Zuständigkeit des Gemeinderats liegen“ (Pschorr, VBlBW 2019, 402, 404 m. H. auf die gegenteilige Auffassung; wie Pschorr auch BeckOK PolG BW/Nachbaur § 125 Rn. 17; vgl. auch Belz//Mussmann/Kahlert/Sander, Polizeigesetz Baden-Württemberg. 9. Auflage 2022, § 125 Rn. 8).

Die zu treffenden Entscheidungen stellen nach seiner Auffassung abstrakt-generelle Regelungen dar und erfolgten mangels Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung in Form einer Satzung (so auch BeckOK PolG BW/Nachbaur § 125 Rn. 18). Hierin sieht er auch eine Bestätigung für die Organkompetenz des Gemeinderates.

Anmerkung

Der Verfasser schließt sich der Auffassung des AG an, wonach „viel dafür“ spricht, dass der Gemeinderat für die notwendigen Entscheidung zur Einrichtung des GVD und der Aufgabenübertragung auf diesen zuständig ist.

Pschorr und andere legen schlüssig dar, dass die hier einschlägigen Normen des PolG BW keine Organzuweisung erhalten. Insoweit bleibt auf dieser Ebene der Entscheidungsfindung über den GVD kein Raum für die Anwendung des § 44 Abs. 3 Satz 1 GemO, wonach der Bürgermeister Weisungsaufgaben in eigener Zuständigkeit erledigt. Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Wortlaut des § 125 PolG BW, wonach sich die Ortspolizeibehörden des GVD bedienen können, da diese gemäß 107 Abs. 4 Satz 1 PolG BW die Gemeinden und nicht die Bürgermeister sind (vgl. hierzu BeckOK PolR BW/Schatz BWPolG § 107 Rn. 13 und Belz/Mussmann/Kahlert/Sander, Polizeigesetz Baden-Württemberg, 9. Auflage 2022 § 107 Rn.2).

Dass es sich dabei um kein dem Bürgermeister zugewiesenes Geschäft der laufenden Verwaltung nach § 44 Abs. 2 Satz 1 GemO handelt, dürfte unstrittig sein (vgl. hierzu u.a. BeckOK PolR BW/Nachbaur BWPolG § 125 Rn. 16 und Aker in: Aker/Hafner/Notheis, Gemeindeordnung, Gemeindehaushaltsverordnung Baden-Württemberg, 2. Auflage 2019, § 44 GemO Rn. 12).

Folglich ergibt sich die Zuständigkeit des Gemeinderates aus § 24 Abs. 1 Satz 2 GemO, wonach die Grundsätze der Verwaltung in die ausschließliche Zuständigkeit des Gemeinderates fallen und nicht auf den Bürgermeister übertragen werden können.  Selbst in Zweifelsfällen, wie hier nicht, spricht die Vermutung für die Zuständigkeit des Gemeinderates (Vgl. hierzu Aker in: Aker/Hafner/Notheis, Gemeindeordnung, Gemeindehaushaltsverordnung Baden-Württemberg, 2. Auflage 2019 § 24 Rn. 3, BeckOK KommR Baden-Württemberg/Brenndörfer GemO § 24 Rn. 2 f. und Engel/Heilshorn, Kommunalrecht Baden-Württemberg, 11. Auflage 2018, § 14 Rn. 6).

Wie von Pschorr und anderen zutreffend herausgearbeitet, hat aufgrund der Reichweite der Entscheidung, ob und mit welchen Aufgaben ein GVD eingerichtet werden soll, grundsätzliche Bedeutung. Ferner gäbe, wie auch Gassner letztlich einräumen muss, die Entscheidung, einen GVD einzurichten, keinen Sinn, wenn zur Erfüllung dieser Aufgabe nicht die notwendigen Mittel für die personelle und sächliche Ausstattung im Haushalt zur Verfügung stünden. Für diese Entscheidungen ist unstrittig der Gemeinderat zuständig. Letztlich trägt auch das Argument, dass der Gemeinderat zum Erlass von ermessenslenkenden Richtlinien zuständig ist, die hier (mit-) vertretene Auffassung.

Nachbaur weist zu Recht daraufhin, dass „die Frage der Organkompetenz von erheblicher praktischer Bedeutung [ist]. Denn erfolgt die Übertragung der jeweiligen Aufgaben nicht durch den Gemeinderat, sondern durch den mangels Organkompetenz unzuständigen Bürgermeister, fehlt es an einer wirksamen Aufgabenübertragung mit der Folge, dass entsprechende Maßnahmen gemeindlicher Vollzugsbediensteter schon wegen fehlender Zuständigkeit rechtswidrig sind“ (BeckOK PolR BW/Nachbaur BWPolG § 125 Rn. 17a).

Den Gemeinden ist deshalb dringend anzuraten, ihre Beschlusslage in dieser Hinsicht zu überprüfen.

Dr. Herbert O. Zinell

Dr. Herbert O. Zinell

Senator E.h. Dr. Herbert O. Zinell, Ministerialdirektor a.D. und Oberbürgermeister a.D
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