14.07.2021

Kommunale Verkehrsüberwachung

Heranziehung eines privaten Dienstleisters

Kommunale Verkehrsüberwachung

Heranziehung eines privaten Dienstleisters

Die Heranziehung privater Dienstleister zur eigenständigen Fest- stellung und Verfolgung von Geschwindigkeitsverstößen im Rahmen der kommunalen Verkehrsüberwachung ist unzulässig
 | © Tomasz Zajda - stock.adobe.com
Die Heranziehung privater Dienstleister zur eigenständigen Fest- stellung und Verfolgung von Geschwindigkeitsverstößen im Rahmen der kommunalen Verkehrsüberwachung ist unzulässig  | © Tomasz Zajda - stock.adobe.com

Ein alltäglicher Fall aus der Praxis: Wegen eines Geschwindigkeitsverstoßes flattert ein Bußgeldbescheid ins Haus.

Die Besonderheit: Erlassen wurde dieser von der Kommunalen Verkehrsüberwachung, die sich als Verwaltungsbehörde hierfür der technischen Hilfe durch Private bedient hat. Die Ahndung von Verkehrsverstößen gehört zum Gesamtkomplex der öffentlichen Sicherheit und damit zum Kernbereich der originären Staatsaufgaben.

Damit ist fraglich, wann die Verwaltungsbehörde bei der Einbindung Privater noch „Herrin“ des Verfahrens ist. Welche Grundsätze hierfür gelten, hat das Bayerische Oberste Landesgericht sehr anschaulich beleuchtet (BayObLG, Beschl. v. 29.10.2019 – 202 ObOWi 1600/19).


Sachverhalt und Verfahrensgang

Gegen den Betroffenen erging am 30.07.2018 ein Bußgeldbescheid der Kommunalen Verkehrsüberwachung (KVÜ) der Stadt K.; wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 33 km/h wurden eine Geldbuße i. H. v. 160 € sowie ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat verhängt. In der nach Einspruchseinlegung anberaumten Hauptverhandlung sah das Amtsgericht (AmtsG) den Geschwindigkeitsverstoß des Betroffenen, der die Fahrereigenschaft eingeräumt hatte, zwar aufgrund der technisch ordnungsgemäß erfolgten Geschwindigkeitsmessung mit dem Lasermessgerät ‚Leivtec XV3‘ als erwiesen an, sprach den Betroffenen aber gleichwohl mit Urt. v. 15.02.2019 frei, weil es davon ausging, dass die Verwertung der Beweise zur Geschwindigkeitsmessung verboten sei.

Das AmtsG hat im Wesentlichen ausgeführt, aus der fehlen- den  Kontrolle  der  Stadt  K.  über  das  eingesetzte  Personal  des privaten Dienstleisters leite sich ein Beweiserhebungs- und wegen der Schwere der Verstöße – auch ein Beweisverwertungs- verbot ab. Die Stadt sei nicht mehr „Herrin des Verfahrens“ gewesen.

Hiergegen richtete sich die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft. Der statthaften und auch sonst zulässigen Rechtsbeschwerde (§ 79 Abs. 1 Nr. 3 Ordnungswidrigkeitengesetz – OWiG) war – so das BayObLG – der Erfolg nicht zu versagen. Die von der Staatsanwaltschaft erhobene Aufklärungsrüge, mit der insbesondere auch gerügt werden könne, das Tatgericht sei zu Unrecht von einem Beweiserhebungs- und Beweisverwertungs- verbot ausgegangen und habe deshalb bestimmte Beweismittel nicht verwertet[1], sei begründet.

Nach dem BayObLG hielten die Feststellungen und Erwägungen, aufgrund derer das AmtsG ein Beweiserhebungsverbot – und daran anschließend – ein Beweisverwertungsverbot angenommen hatte, „rechtlicher Überprüfung nicht stand“.

Kernbereich originärer Staatsaufgaben

Maßnahmen der Geschwindigkeitsüberwachung sowie die Ermittlung und Verfolgung der sich daraus ergebenden Verkehrsverstöße gehören zum Gesamtkomplex der öffentlichen Sicherheit und damit zum Kern der originären Staatsaufgaben[2]; sie dürfen deshalb grundsätzlich nicht auf private Unternehmer übertragen werden[3].

Soweit die Gemeinden nach § 36 Abs. 2 Satz 1 OWiG, § 26 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG)[4] auch zur Verfolgung und Ahndung von Geschwindigkeitsverstößen befugt sind, wird die einzelne Gemeinde mit der Zuweisung der primären Verfolgungszuständigkeit jeweils zur „Herrin“ des Ermittlungsverfahrens (§ 46 Abs. 2 OWiG)[5]. Eine eigenverantwortliche Wahrnehmung dieser Aufgaben durch Private scheidet deshalb aus[6].

Nach einhelliger obergerichtlicher Rechtsprechung kann die Gemeinde bei der Verkehrsüberwachung aber einen privaten Dienstleister heranziehen, sofern sichergestellt ist, dass sie „Herrin“ des Ermittlungsverfahrens bleibt und damit die Herrschaft über die Messung und das Verfahren nach Maßgabe des § 47 Abs. 1 OWiG i.V. m. § 26 Abs. 1 StVG behält.

Hierzu gehören insbesondere die Vorgaben über Ort, Zeit, Dauer und Häufigkeit der Messungen, die Kontrolle des Messvorgangs, die Verantwortung für den ordnungsgemäßen Einsatz technischer Hilfsmittel sowie die Kontrolle über die Ermittlungsdaten von deren Generierung bis zur Umwandlung der digitalen Messdaten in die lesbare Bildform und die anschließende Auswertung der Messung und schließlich die Entscheidung, ob und gegen wen ein Bußgeldverfahren einzuleiten ist[7].

Allerdings können private Dienstleister den Gemeinden hierzu nach Maßgabe des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG)[8] Personal überlassen, wobei es bei dem Einsatz von Leiharbeiternehmern maßgeblich darauf ankommt, dass diese – unter Aufgabe der Abhängigkeiten und des Weisungsrechts der privaten Entleihfirma – hinreichend in die räumlichen und organisatorischen Strukturen der Gemeinde integriert sowie der für das Ver- fahren zuständigen Organisationseinheit der Gemeinde zugeordnet und deren Leiter unterstellt sind[9].

Sind diese Vorgaben eingehalten, so ist das Handeln des überlassenen Arbeitnehmers nicht der privaten Entleihfirma zuzurechnen, sondern unmittelbar der Gemeinde mit der Folge, dass insoweit eine hoheitliche Tätigkeit vorliegt.

Darüber hinaus kann sich die Gemeinde, auch ohne den Weg der Arbeitnehmerüberlassung zu beschreiten, grundsätzlich der (technischen) Hilfe eines privaten Dienstleisters bedienen, wenn diese nicht in Bereiche eingreift, die ausschließlich hoheitliches Handeln erfordern.

Dabei muss durch die Modalitäten hinreichend  sichergestellt sein, dass die Verantwortung für den  ordnungsgemäßen  Einsatz technischer Hilfsmittel sowohl bei der Messung selbst als auch bei ihrer anschließenden Auswertung bei der Gemeinde verbleibt, desgleichen die räumliche und zeitliche Festlegung der Geschwindigkeitsmessungen und die abschließende Entscheidung, gegen wen bei einer verwertbaren Messung ein Bußgeldverfahren eingeleitet wird. Daher muss der Messvorgang selbst der Kontrolle durch eigene ausgebildete Mitarbeiter unterliegen. Erfolgt die Auswertung der Messdatensätze durch einen privaten Dienstleister, so muss eine entsprechende Kontrolle zumindest im Wege des Abgleichs der bearbeiteten Daten in lesbarer und damit gerichtsverwertbarer Form mit den zugrunde liegenden Original-Falldateien sichergestellt sein, um die Authentizität und Integrität der Messdaten zu gewährleisten. Eine Vorselektion der Daten dahingehend, dass der Gemeinde Datensätze vorenthalten bleiben, denen – nach Auffassung des privaten Personals – eine Beweiseignung fehlt, muss ausgeschlossen sein[10].

Prüfungsmaßstab

Nach Maßgabe dieser Grundsätze kam es vorliegend darauf an, ob die Annahme des AmtsG, bei dem der Stadt K. von dem privaten Dienstleister, der F-GmbH, für den technischen Verwaltungsinnendienst überlassenen Arbeitnehmer H. – dem so- wohl die Auswertung der Messdaten als auch die Entscheidung über die Einleitung des Bußgeldverfahrens sowie dessen Durchführung übertragen ist – sei nicht von einer wirksamen Arbeitnehmerüberlassung auszugehen, von den hierzu getroffenen Feststellungen getragen wird. Hinsichtlich des der Stadt K. von der F- GmbH für den technischen Außendienst überlassenen Messtechnikers M. konnte das BayObLG dagegen nicht überprüfen, ob von einer wirksamen Arbeitnehmerüberlassung auszugehen ist, da hierfür wesentliche Feststellungen fehlten und die diesbezügliche Beweiswürdigung lückenhaft war (§§ 261, 267 Strafprozessordnung – StPO).

Mit Blick auf beide Leiharbeitnehmer mussten die Feststellungen des AmtsG zudem den erhobenen Vorwurf belegen, es sei insoweit eine Arbeitnehmerüberlassung nur fingiert worden, die entsprechende Vertragsausgestaltung diene allein dem Zweck, „rechtsstaatliches Handeln vorzutäuschen“.

Im Kern kam es hier damit darauf an, ob beide Arbeitnehmer nach dem zugrunde liegenden Arbeitnehmerüberlassungsvertrag zwischen der Stadt K. und der F-GmbH vom 06.12.2005 nebst Anlagen und Nachträgen dem Direktions- und Weisungsrecht der Stadt K. unterstellt und für ihre Tätigkeiten an der erforderlichen technischen Ausstattung sowie an der notwendigen Software und Hardware geschult waren.

Das BayObLG hatte hierzu die Einzelfallumstände zu untersuchen, und zwar nach (technischem) Verwaltungsinnendienst und technischem Außendienst getrennt.

(Technischer) Verwaltungsinnendienst

Das AmtsG hatte beanstandet, der für den (technischen) Verwaltungsinnendienst überlassene Arbeitnehmer H. sei lediglich etwa zwei bis drei Tage, teilweise auch weniger in der Stadt K. tätig gewesen; dies berührte nach dem BayObLG die Wirksamkeit der Arbeitnehmerüberlassung jedoch ebenso wenig wie der nach dem AÜG zulässige gleichzeitige Einsatz bei verschiedenen Gemeinden[11]. Dasselbe gelte, soweit das AmtsG zur Begründung der Unwirksamkeit der Arbeitnehmerüberlassung auf das zwischen der Stadt K. und der F-GmbH vereinbarte Vergütungssystem nach der Anzahl der Messungen abstelle:

„Rechtliche Vorgaben zur Ausgestaltung des Vergütungssystems zwischen Verleiher und Entleiher bestehen insoweit weder in § 12 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) …; auch liegt die Entscheidung über Ort, Zeit, Dauer und Häufigkeit der Messungen bei dem Geschäftsleiter der Stadt K. Im Übrigen fehlen jedwede Anhaltspunkte dafür, dass den entliehenen Arbeitnehmern vorliegend nicht die Arbeitsbedingungen gewährt werden, die ein vergleichbarer Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst beanspruchen kann.“

Der für den (technischen) Verwaltungsinnendienst überlassene Arbeitnehmer H. war nach den Feststellungen des AmtsG sowohl räumlich als auch organisatorisch durch eine im Wege der Dienstanweisung erfolgte Aufgabenübertragung hinreichend in den Dienstbetrieb der Stadt K. eingegliedert.

Dies bedeutet, dass er auch nach § 1 des Gesetzes über die förmliche Verpflichtung nicht beamteter Personen[12] im Hinblick auf § 203 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Strafgesetzbuch (StGB) besonders verpflichtet ist:

„Es bestehen … keine Anhaltspunkte dafür, dass die Dienstaufsicht durch den Geschäftsleiter der Stadt K. weniger intensiv erfolgt als bei anderen Gemeindebediensteten oder ihm etwa insoweit die erforderliche fachliche Qualifikation fehlen könnte. Dass er selbst am Messgerät oder an der Auswertesoftware geschult sein muss, ist hierfür jedenfalls nicht zu verlangen.“

Zudem sei der wirksam für den (technischen) Verwaltungsinnendienst entliehene, mithin räumlich und sachlich in den Dienstbetrieb der Gemeinde integrierte Leiharbeitnehmer H. hoheitlich tätig; für ihn könnten deshalb auch nicht etwa Modalitäten Geltung beanspruchen, die etwaige Verwaltungsvorschriften für die Heranziehung privaten Personals vorsehen. Von daher erscheine es auch rechtlich unbedenklich, dass ihm neben der Auswertung der Messdaten auch die Entscheidung über die Einleitung eines Bußgeldverfahrens sowie dessen verwaltungsmäßige Durchführung und die Unterzeichnung der Bußgeldbescheide der Stadt K. übertragen sei.

Anmerkung der Redaktion: Der Beitrag wird fortgesetzt.

Dieser Beitrag stammt aus der Zeitschrift APF Ausbildung/Prüfung/Fachpraxis

[1] Vgl. nur BGH, Beschl. v. 09.03.1995 – 4 StR 77/95.

[2] Vgl. BVerfG, Urt. v. 01.08.1978 – 2 BvR 1013/77, 2 BvR 1019/77, 2 BvR 1034/77.

[3] Vgl. nur BayObLG, Beschl. v. 05.03.1997 – 1 ObOwi 785/96.

[4] Im Freistaat Bayern i. V. m. § 88 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Zuständigkeitsverordnung (ZustV) v. 16.06.2015 (GVBl. S. 184, BayRS 2015-1-1-V), die zuletzt durch G v. 23.12.2020 (GVBl. S. 663) und durch VO v. 22.12.2020 (GVBl. S. 690) geändert worden ist. Hiernach sind die Gemeinden neben dem nach § 91 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayZustV zuständigen Bayer. Polizeiverwaltungsamt ermächtigt.

[5] BayObLG, Beschl. v. 05.03.1997 – 1 ObOwi 785/96.

[6] Vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 26.04.2017 – 2 Ss OWi 295/17 und v. 28.04.2016 – 2 Ss OWi 190/16; OLG Stuttgart, Beschl. v. 25.08.2016 – 4 Ss 577/16; OLG Hamm, Beschl. v. 18.04.2016 – 2 RBs 40/16; vgl. auch Ziff. 1.15.1 der Bekanntmachung des Staatsministeriums des Innern vom 12.05.2006 betr. die Verfolgung und Ahndung von Verstößen im ruhenden Verkehr sowie von Geschwindigkeitsverstößen durch Gemeinden, AllMBl. 2006 S. 161 ff., im Folgenden: IMBek

[7] Vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 26.04.2017 – 2 Ss OWi 295/17 und v. 28.04.2016 – 2 Ss OWi 190/16.

[8] Gesetz zur Regelung der Arbeitnehmerüberlassung (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz – AÜG), i. d. F. der Bekanntmachung v. 3. 2. 1995 (BGBl. I S. 158), zuletzt geändert durch G v. 13.03.2020 (BGBl. I 493).

[9] BayObLG, Beschl. v. 21.03.2005 – 2 ObOWi 700/04, v. 17.02.1999 – 2 ObOWi 751/98 und v. 05.03.1997 – 1 ObOWi 785/96; so auch Ziff. 1.15.3 d. IMBek (Fn. 6).

[10] OLG Saarbrücken, Beschl. v. 18.05.2017 – Ss Bs 8/17; OLG Frankfurt, Beschl. v. 03.03.2016 – 2 Ss OWi 1059/15; weitergehend OLG Rostock, Beschl. v. 17.11.2015 – 21 Ss OWi 158/15; vgl. insoweit die Regelungen in Ziff. 2.5 sowie auch in Ziff. 1.15.2 d. IMBek (Fn. 6).

[11] Vgl. auch Nr. 1.15.3 d. IMBek (Fn. 6).

[12] Verpflichtungsgesetz v. 02.03.1974 (BGBl. I S. 469, 547), geändert durch § 1 Nr. 4 G zur Änd. des EinführungsG zum Strafgesetzbuch v. 15.08.1974 (BGBl. I S. 1942).

 

Dr. Udo Dirnaichner

Ministerialrat, Bayerisches Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst
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