04.08.2023

Keine Sonderkost ohne Kennzeichnungspflicht

VG Frankfurt/Oder lehnt Eilantrag zu erbsenfreier Kita-Mahlzeit ab

Keine Sonderkost ohne Kennzeichnungspflicht

VG Frankfurt/Oder lehnt Eilantrag zu erbsenfreier Kita-Mahlzeit ab

Der europäische Gesetzgeber hat sich hinsichtlich der Lebensmittelunverträglichkeit klar und abschließend positioniert.  | © emmi
- stock.adobe.com
Der europäische Gesetzgeber hat sich hinsichtlich der Lebensmittelunverträglichkeit klar und abschließend positioniert. | © emmi - stock.adobe.com

Eine Kindertagesstätte muss Lebensmittelunverträglichkeiten eines Kindes zwar berücksichtigen, ist jedoch nicht verpflichtet, ein erbsenfreies Mittagessen anzubieten. So entschied das Verwaltungsgericht Frankfurt/Oder mit Beschluss vom 01.06.2023, Az. 9 L 51/23. Damit unterlagen die Eltern eines Kita-Kindes im brandenburgischen Fürstenwalde, die das Angebot eines erbsenfreien Mittagessens erreichen wollten.

Der Fall bietet Gelegenheit, sowohl den verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz als auch die länderspezifische Rechtslage der Betreuung in Kindertagesstätten sowie den europarechtlichen Verbraucherschutz zu betrachten. Den streitgegenständlichen Antrag hatten die Eltern eines Kindes gestellt, das unter einer Unverträglichkeit von Erbsen leidet. Die Kita hatte einen Caterer beauftragt, das Mittagessen für Kinder der Einrichtung zu liefern, ohne auf die Abstinenz von Erbsen zu achten.

Prüfung im Eilrechtsschutzverfahren

Im Rahmen der summarischen Prüfung befindet das Gericht, ob es die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs anordnen (§ 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO) bzw. wiederherstellen (Var. 2) muss oder nach § 123 Abs. 1 VwGO eine Sicherungs- bzw. Regelungsanordnung (Satz 1 bzw. Satz 2) zu treffen hat.


Letztere war im hiesigen Verwaltungsstreitverfahren einschlägig. Die antragstellenden Eltern hätten einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund sowie die besondere Eilbedürftigkeit ihres Begehrens glaubhaft machen müssen. Dazu mussten sie die tatsächlichen Voraussetzungen ihres Antrags darlegen, hier also die Lebensmittelunverträglichkeit des Kindes und die Verwendung von Erbsen im Mittagessen der Kita. Zugleich hätte die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorweggenommen werden, d.h. keine grundsätzliche, sondern nur eine vorrübergehende Regelung der Rechtslage erfolgen dürfen.

Bereits am Anordnungsanspruch hatte es hier gefehlt. Weder aus dem brandenburgischen KitaG noch aus höherrangigem Recht kann eine Kita verpflichtet werden, einem Kind ein ausschließlich erbsenfreies Mittagessen bereitzustellen. So fehle es laut Gericht an einer Kennzeichnungspflicht für Erbsen und damit an einer Pflicht, deren Verwendung gesondert mitzuteilen.

Die Lebensmittel-Informationsverordnung (LMIV) (EU) Nr. 1169/2011 betreffend die Information der Verbraucherinnen und Verbraucher über Lebensmittel sieht vor, die Verwendung der 14 häufigsten Auslöser für Allergien und Unverträglichkeiten als Zutat oder als daraus gewonnenes Erzeugnis zu kennzeichnen. Eine entsprechende Auflistung findet sich in Anhang II der LMIV.

Erbsen sind dort nicht genannt, anders als Erdnüsse oder Lupine, die ebenfalls der Familie der Schmetterlingsblütler angehören. Dies streitet für eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung, Erbsen als Lebensmittel pauschal kein vergleichbares gesundheitliches Risiko beizumessen.

Auch das Abwarten der Hauptsacheentscheidung war hier zumutbar, da wesentliche Nachteile dem Kind nicht drohten. So war es den Eltern möglich, ihrem Kind ein Mittagessen mit in die Kita zu geben, das der Verträglichkeit entspricht.

Erziehungspartnerschaft im Interesse des Kindes

Die Zunahme von Allergien in der Bevölkerung hat auch Auswirkungen auf Kindertageseinrichtungen. Vor jeder Betreuungsaufnahme eines neuen Kindes in die Kita ist es erforderlich, gesundheitliche Teilhabeeinschränkungen aufzunehmen, um einerseits mögliche Gefahrenquellen zu eruieren und andererseits das Team in der Kita entsprechend zu schulen.

Weiterhin gilt der gesetzliche wie auch pädagogische Grundsatz, mit den Erziehungsberechtigten partnerschaftlich zusammenzuarbeiten und sie an wesentlichen Entscheidungen, die die Erziehung und Bildung des Kindes betreffen, zu beteiligen, vgl. § 22a Abs. 2 SGB VIII. Die Fachwelt spricht hierbei von „Erziehungspartnerschaft“. Ideal und Anspruch treffen jedoch allzu häufig auf die Realität. Würden pädagogische Fachkräfte in Kitas allen Vorstellungen der Erziehungsberechtigten in ihrer Vielfalt gerecht werden wollen, stünden sie vor unlösbaren Zielkonflikten.

Betrachtet man die Regelungen zur Mittagsverpflegung der Länder im Einzelnen, so zeigt sich, dass die Mittagsverpflegung in erster Linie als pädagogisches Angebot betrachtet wird, welches somit auch nach pädagogischem Ermessen inhaltlich gestaltet und in Qualitätsstandards festgehalten werden sollte. Das Angebot einer Mittagsmahlzeit nach den § 51 Abs. 3 KiBiZ NRW, § 17 Abs. 3 KitaG Brandenburg, § 14 Abs. 1 NKitaG oder § 14 Abs. 1 KitaG Rheinland-Pfalz ist somit als zusätzliches Angebot zur Kernaufgabe der Kinderbetreuung zu sehen.

Festzuhalten ist, dass Erziehungspartnerschaft nicht bedeutet, dass Erziehungsberechtigte und Pädagoginnen/Pädagogen in der Kita den Kindern geschlossen gegenübertreten müssen. Beide tragen möglichst aufeinander abgestimmt, aber auf je eigene Weise, zur Verwirklichung der Rechte der Kinder bei.

Bewertung der VG-Entscheidung

Autorin und Autor begrüßen die Entscheidung sowohl aus fachlich-pädagogischer wie auch aus juristischer Sicht.

In dem beschriebenen Fall ist die Entscheidung des Trägers, den Eltern freizustellen, eigenes Mittagessen für ihr Kind mitzugeben, aus pädagogischer Sicht durchaus nachvollziehbar. Der Träger kommt damit dem Förderauftrag gemäß § 22 Abs. 4 SGB VIII nach, indem er eine Möglichkeit schafft, das Kind, trotz gesundheitlicher Einschränkungen, am gemeinschaftlichen Angebot teilhaben zu lassen. Den gesetzlichen Auftrag einer Kita, ein für alle Kinder verträgliches Mittagessen bereitzustellen, gibt es nicht. Hingegen sollen Kinder in ihrer Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit, vgl. § 1 Abs. 1 SGB VIII, unterstützt werden. Dazu gehört auch, Kinder für ihre Allergien zu sensibilisieren und den Umgang mit ihrer besonderen Situation zu erlernen.

Betroffene Eltern haben häufig die Sorge, ihr Kind würde aufgrund einer besonderen Behandlung ausgeschlossen werden. Frühzeitige Aufklärung hilft jedoch, das Kind in seinem Selbst zu stärken und auch anderen Kindern die besonderen Bedürfnisse eines Jeden ins allgemeine Bewusstsein zu rücken. Stigmatisierungen entstehen aufgrund von Unwissenheit, und dieser Unwissenheit sollte in der Kita schon frühzeitig entgegengewirkt werden.

Aus Trägerperspektive ist die Entscheidung des VG Frankfurt/Oder begrüßenswert, bestärkt sie doch die bisherigen Maßstäbe, Mittagsverpflegung anzubieten. Ferner hätte die Regelungsanordnung einen Präzedenzfall geschaffen. Sie hätte die Versorgung mit einem Mittagessen in der Kita insoweit erschwert, als auch weitere Lebensmittelunverträglichkeiten außerhalb der LMIV hätten berücksichtigt werden müssen.

Im Hauptsacheverfahren bzw. dem Beschwerdeverfahren bei dem OVG Berlin-Brandenburg ist nach hier vertretener Ansicht kein anderes Ergebnis zu erwarten. Der europäische Gesetzgeber hat sich hinsichtlich der Lebensmittelunverträglichkeit klar und abschließend positioniert. Eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung über den Rahmen der EU-Verordnung hinaus würde deren Aussagekraft stark relativieren. Sie wäre nicht im Sinne der Rechtsklarheit, weder für soziale Einrichtungen noch für Verbraucherinnen und Verbraucher im Allgemeinen.

 

Pauline Krogull

Referentin für Kinder und Jugend bei der Arbeiterwohlfahrt Bezirksverband Mittelrhein e.V.
 

Marco Schütz

Leiter Stabsstelle Recht bei der Arbeiterwohlfahrt Bezirksverband Mittelrhein e.V.
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