14.03.2022

Jobcenter muss Schülern kein Unterrichts-iPad finanzieren

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 06.10.2020

Jobcenter muss Schülern kein Unterrichts-iPad finanzieren

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 06.10.2020

Ein Beitrag aus »Die Fundstelle Baden-Württemberg« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »Die Fundstelle Baden-Württemberg« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

 

In Zeiten der Corona-Pandemie und des hierdurch bedingten Homeschoolings und Online-Lernens stellt sich immer wieder die Frage, unter welchen Voraussetzungen Jobcenter für Schüler aus SGB II-Bedarfsgemeinschaft die Ausstattung mit einem PC finanzieren müssen. In einem nun durch das LSG Niedersachsen-Bremen entschiedenen Fall lag der Sachverhalt etwas anders, da die Schülerin – letztlich auf Wunsch der Eltern – an einer sog. iPad-Klasse teilnahm.

Eine 12-jährige Schülerin begehrte die Kostenübernahme für ein iPad

Die 2005 geborene Schülerin steht mit ihren Eltern und zwei Brüdern im fortlaufenden Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Sie besuchte die 6. Klasse einer Oberschule. Im Dezember 2017 teilte das Lehrerteam den Eltern mit, dass ab Beginn des zweiten Schulhalbjahres im Februar 2018 alle Schüler der sog. iPad-Klasse im Unterricht unterstützend die entsprechenden Geräte benutzen müssten, wobei diese nicht von der Schule, sondern von den Eltern zu finanzieren seien. Empfohlen werde die Anschaffung eines iPad 9.7 als Neugerät in der Version mit 32 GB Speicher. Daraufhin beantragte die Schülerin bei dem Jobcenter die Übernahme der Kosten für das iPad 9.7 (32 GB) sowie einer Schutzhülle i. H. v. insgesamt 357,99 €. Wenn sie in der Klasse nicht auf ein iPad zurückgreifen könne, bekomme sie gleiche oder vergleichbare Aufgaben wie ihre Klassenkameraden in Papierform. Dies gelte auch für die Hausaufgaben. Dadurch fühle sie sich ausgegrenzt. Ihre Eltern seien nicht in der Lage, ein Gerät zu mieten oder dieses über einenMietkauf zu finanzieren. Das Jobcenter lehnte den Antrag ab und verwies auf die bereits ausgeschöpfte Schülerstarterpauschale nach § 28 Abs. 3 SGB II.

Kosten für digitale Geräte sind im Regelbedarf berücksichtigt

Das LSG verneinte ebenfalls eine Kostenübernahme für den Kauf des iPads und einer Schutzhülle als Zuschuss. Zum einen sind die Kosten für digitale Geräte bereits vom Regelbedarf i. S. d. § 20 Abs. 1 SGB II erfasst. Bei den regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben für Kinder von 6 bis unter 14 Jahren wird ein Betrag von 2,88 € monatlich für Datenverarbeitungsgeräte sowie System- und Anwendungssoftware (einschl. Downloads und Apps) angeführt. Als weitere einschlägige Positionen werden monatliche Beträge von 2,64 € für Bild-, Daten- und Tonträger sowie von 2,88 € für sonstige Gebrauchsgüter für Schule, Büro, Unterhaltung und Freizeit angeführt (BT-Drs. 18/9984, S. 66 f.). Neben der Schülerbedarfspauschale entfallen mithin 8,40 € monatlich (100,80 € jährlich) auf das hier einschlägige Verbrauchsverhalten der Schülerin. Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen hiergegen – auch in Hinblick auf den Umstand, dass der Betrag evtl. nicht ausreichend ist – nicht, weil ein Tablet nicht zur Sicherung des Existenzminimums eines Schülers zwingend erforderlich ist. Ein iPad stellt letztlich einen Luxus dar und keinen notwendigen Schulbedarf.


Auch das Schülerstarterpaket dient der digitalen Ausstattung

Zum anderen sind auch in dem sog. Schülerstarterpaket nach § 28 Abs. 3 SGB II Kosten für die digitale Ausstattung enthalten. Das Schülerstarterpaket verfolgt das Ziel, die Durchlässigkeit des Bildungssystems zu erhöhen und Leistungsberechtigte bei der Erlangung einer höheren Qualifikation zu unterstützen, damit Schülerinnen und Schülern die Anschaffung von Materialien ermöglicht wird, die für den Schulbesuch benötigt werden (BT-Drs. 16/13429, S. 49). Zwar sollen Schulbedarfspauschalen neben dem Schulranzen in erster Linie die jährlich benötigten Schreib-, Rechen- und Zeichenmaterialien abdecken. Die Erhöhung der Schülerpauschale um 30 € ab dem 01.08.2019 hat der Gesetzgeber aber damit begründet, dass insbesondere der zunehmenden Digitalisierung in der Schule Rechnung getragen werde solle. Der Gesetzgeber wollte daher die anfallenden Kosten eines digitalen Einsatzes in der Schule mit der Schülerpauschale erfassen.

Ein Härtefallmehrbedarf besteht nur in atypischen Fällen

Ein Härtefallmehrbedarf liegt bei der Schülerin nicht vor. Bei Leistungsberechtigten wird nach § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendung Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Er entsteht erst dann, wenn der Bedarf so erheblich und untypisch ist, dass die Gesamtsumme der dem Hilfebedürftigen gewährten Leistungen das menschenwürdige Existenzminimum nicht mehr gewährleistet.

In einer iPad-Klasse muss das Tablet von der Schule gestellt werden

Diese Voraussetzungen sind im Falle der Schülerin nicht erfüllt. Der Härtefallmehrbedarf setzt voraus, dass der Bedarf in einer atypischen Lebenslage entstanden ist. Die Atypik kann sich sowohl daraus ergeben, dass der Bedarf bereits seiner Art nach nicht bei der Ermittlung des Regelbedarfes berücksichtigt wurde, als auch daraus, dass er an sich zwar vom Regelbedarf erfasst ist, aber aufgrund besonderer Lebensumstände seiner Höhe nach in atypischem Umfang anfällt. Diese Atypik ist hier nicht feststellbar. Der digitale Schulbedarf eines Kindes ist indes im Regelbedarf und in den Teilhabeleistungen nach § 28 Abs. 3 SGB II erfasst, deren Höhe nicht evident unzureichend ist. Die Deckung von Bedarfen für den Schulunterricht, die der Durchführung des Unterrichts selbst dienen, liegt in der Verantwortung der Schule und darf von den Schulen oder Schulträgern nicht auf das Grundsicherungssystem abgewälzt werden. Folglich muss ein Tablet in einer iPad-Klasse – wie die sonstige Logistik – von der Schule selbst gestellt werden.

Eltern der Schülerin hatten der Teilnahme an einer iPad-Klasse zugestimmt

Das LSG hebt schließlich noch hervor, dass bei hier streitigen Verbraucherverhalten der Schulbesuch sowie das Erreichen des Schulabschlusses auch ohne Teilnahme an einer iPad-Klasse möglich ist. Hätten die Eltern der Schülerin der Einführung von schülereigenen iPads nicht zugestimmt, hätte die Schülerin auch kein iPad anschaffen müssen. Die Schule hätte dann eine „ganz normale“ Schulklasse eingerichtet, in die die Schülerin gekommen wäre. Eine über die Gewährung eines Darlehens nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB II hinausgehende Einstandspflicht des Grundsicherungsträgers besteht für den Kauf eines iPad nicht.

Auch während der Corona-Pandemie war der Erwerb eines iPads nicht notwendig

An diesem Ergebnis ändern auch die (späteren) Erfahrungen des Online-Schulbetriebs im Frühjahr 2020 anlässlich der COVID 19-Pandemie nichts. Ein Tablet war auch während dieser Phase nicht erforderlich, auch nicht, um evtl. Online-Schulangebote in Anspruch zu nehmen. Die Schüler benötigten lediglich die Möglichkeit, um mit den Lehrern zu kommunizieren und sich auf die Schulplattform einwählen zu können, damit sie über Hausaufgaben u. Ä. informiert werden. Hierfür wurden allenfalls ein (internetfähiger) PC und möglicherweise ein Drucker benötigt, die, falls im elterlichen Haushalt nicht vorhanden, erfahrungsgemäß für unter 100 € und damit erheblich günstiger zu erwerben gewesen wären als ein iPad.

 

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 06.10.2020 – L 7 AS 66/19 –.

FstBW 2021 Heft 10, Rn. 149

 

Dr. Martin Kellner

Richter am Sozialgericht Freiburg i. Br.
n/a