08.04.2020

Im Spannungsfeld datenschutzrechtlicher Bestimmungen

Das Recht auf Einsicht in das Liegenschaftskataster – Teil 5

Im Spannungsfeld datenschutzrechtlicher Bestimmungen

Das Recht auf Einsicht in das Liegenschaftskataster – Teil 5

Im Liegenschaftskataster werden Geodaten vorgehalten. | © darknightsky - Fotolia
Im Liegenschaftskataster werden Geodaten vorgehalten. | © darknightsky - Fotolia

In der aktuellen Beitragsreihe zum Recht auf Einsicht in das Liegenschaftskataster und den Auswirkungen der Datenschutz-Grundverordnung auf das Vermessungswesen thematisiert der 4. Beitrag der Reihe das Tatbestandsmerkmal der „personenbezogenen Daten“ sowie der „Verarbeitung“. Der erste Beitrag  der Beitragsreihe beschrieb die Ausgangssituation; die folgenden Beiträge thematisierten das Verhältnis von Grundbucheinsichtsrecht zum Recht auf Einsicht in das Liegenschaftskataster sowie die einschlägige Rechtsprechung. Im letzten, 4. Beitrag wurde dargelegt, dass die Gewährung der Einsicht in Grundbuch bzw. Liegenschaftskataster als »Offenlegung durch Übermittlung« bzw. zumindest als »Verbreitung oder eine andere Form der Bereitstellung« personenbezogener Daten und mithin als »Verarbeitung« zu verstehen sein dürfte. Der 5. und letzte Beitrag der Reihe thematisiert die durch die DSGVO veranlassten verfahrensrechtlichen Informationspflichten.

Das „Erheben“ von personenbezogenen Daten

Die Einsicht in Grundbuch bzw. Liegenschaftskataster erfolgt aufgrund nationaler gesetzlicher und mithin rechtlicher Verpflichtungen. Die Bereitstellung valider rechtlicher Angaben und Geodaten gegenüber dem Rechtsverkehr liegt – wie dargestellt – zudem im öffentlichen Interesse. Auch tragen die nationalen Bestimmungen dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung hinreichend Rechnung, so dass auch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung getragen wird.

Während das materielle Datenschutzrecht im bundesrepublikanischen Rechtsraum bereits seit Jahrzehnten fest verankert ist, bringt die DSGVO signifikante Änderungen in verfahrensrechtlicher Hinsicht, was die umfangreichen Informationspflichten angeht, die in den Art. 13 und 14 DSGVO normiert sind. Werden nach diesen Bestimmungen personenbezogene Daten bei der betroffenen Person oder bei Dritten »erhoben«, sind umfangreiche Informationspflichten zu erfüllen.


Im Hinblick auf die verfahrensrechtlichen Informationspflichten ist mithin auf das Tatbestandsmerkmal »erheben« abzustellen. Dieses Tatbestandsmerkmal ist in der DSGVO nicht eigenständig legaldefiniert, sondern ist ein Bestandteil des in Art. 4 Nr. 2 DSGVO legaldefinierten Tatbestandsmerkmals »verarbeiten«. An dieser Stelle wird eine  erhebliche Unschärfe der Datenschutzgrundverordnung offenkundig. Als Bestandteil des Tatbestandsmerkmals »verarbeiten« im Sinne des Art. 4 Nr. 2 DSGVO sind neben dem Tatbestandsmerkmal »erheben« exemplarisch noch weitere siebzehn (!) Verben genannt, die ebenfalls Bestandteil des Tatbestandsmerkmals »verarbeiten« sind. Aus logischer Sicht liegt nahe, dass diese Verben als Tatbestandsmerkmale nicht synonym zu verstehen sind, sondern ihnen jeweils eine unterschiedliche Bedeutung zukommt. Wenn man alleine die drei Tatbestandsmerkmale »erfassen«, »erheben« und »abfragen« betrachtet und sich die Frage stellt, wie diese Tatbestandsmerkmale zu definieren sind bzw. wie sie sich voneinander abgrenzen, gelangt man sehr schnell in den spekulativen Bereich. Es erscheint gut vorstellbar, dass von den Tatbestandsmerkmalen »Erfassen« über das »Erheben« bis hin zum »Abfragen« ein stetig steigendes stärker ausgeprägtes zielgerichtetes Verhalten im Hinblick auf das Erlangen der Informationen zum Ausdruck kommen soll. »Abfragen« könnte demnach ein zielgerichtetes Verhalten sein, dessen Zweck – zumindest partiell– darin besteht, personenbezogenen Informationen zu erlangen, wie dies etwa bei der Aufforderung zur Abgabe der Steuererklärung durch die Steuerverwaltung der Fall ist. Unter »Erheben« könnte jedes Tun, Dulden oder Unterlassen zu verstehen sein, das geeignet ist, personenbezogene Informationen zu erlangen, soweit nicht ein spezifischeres Tatbestandsmerkmal im Sinne des Artikels 4 Nr. 2 DSGVO einschlägig ist. So könnte bspw. eine gewöhnliche Stellenausschreibung als »Erheben« von personenbezogenen Informationen der Bewerber zu verstehen sein, weil bei gewöhnlichem Geschehensablauf mit dem Eingang von Bewerbungen zu rechnen ist. Mit »Erfassen« schließlich könnte gemeint sein, dass personenbezogenen Daten genutzt werden, die ohne zielgerichtetes Verhalten des Verantwortlichen in dessen Verantwortungsbereich gelangt sind. Hierunter könnte beispielsweise die Nutzung einer Initiativbewerbung fallen. Die genannten Beispiele zeigen, dass nicht erkennbar ist, weshalb in einem Fall ein höheres Informationsbedürfnis des Betroffenen als in einem anderen Fall bestehen soll. Warum dann allerdings just in der Situation des »Erhebens« die Informationspflichten zu leisten sein sollen, während dies beim »Erfassen« und »Abfragen« nicht der Fall sein soll, erschließt sich aus teleologischer Sicht nicht.

Die Gewährung der Einsicht in das Grundbuch bzw. Liegenschaftskataster kann nach den anerkannten juristischen Auslegungsmethoden – jedenfalls ohne juristische Kunstgriffe – kaum als »Erheben« von personenbezogenen Daten durch das Grundbuchamt bzw. Katasteramt bewertet werden. Damit unterliegen die Ämter insoweit auch keinen Informationspflichten nach Art. 13 und 14 DSGVO. Gewisse Wertungswidersprüche könnten darin gesehen werden, dass damit zwar die Erhebung von personenbezogenen Daten beim Betroffenen Informationspflichten auslöst, dies aber nicht der Fall ist, wenn man personenbezogene Daten ohne Kenntnis des Betroffenen an einen Dritten weitergibt. Im letztgenannten Fall könnte man die Schutzwürdigkeit des Betroffenen wertend betrachtet durchaus sehr viel höher bemessen als im erstgenannten Fall. Noch verwirrender wird die Situation, wenn man Art. 19 DSGVO und insbesondere dessen Satz 2 liest. Danach muss der Verantwortliche allen Empfängern, denen personenbezogene Daten offengelegt wurden, – von Ausnahmen abgesehen – jede Berichtigung oder Löschung dieser Daten mitteilen. Gemäß Art. 19 Satz 2 DSGVO unterrichtet der Verantwortliche die betroffene Person über die Empfänger, wenn die betroffene Person dies verlangt. Hier stellt sich insbesondere die Frage, wie und durch wen die betroffene Person die erforderliche Kenntnis erlangen soll, um über das in Art. 19 S. 2 DSGVO normierte Verlangen überhaupt entscheiden zu können.

– ANZEIGE –

Vermessungsrecht_Grenzstreit

Informationsgebote

Von praktischer Relevanz ist abschließend noch die Fragestellung, ob der die Einsicht in das Grundbuch bzw. das Liegenschaftskataster begehrende Antragsteller Informationspflichten nach Art. 14 DSGVO unterliegt. Danach bestehen Informationspflichten, wenn die personenbezogenen Daten nicht bei der betroffenen Person erhoben werden. Insbesondere für Öffentlich bestellte Vermessungsingenieure, die regelmäßig Einsicht in das Liegenschaftskataster nehmen, kann diese Fragestellung von besonderer praktischer Bedeutung werden. Datenschutzrechtlich verantwortlich kann gemäß Art. 4 Nr. 7 DSGVO auch jede natürliche Person sein, so dass sowohl der einfache Bürger als auch der Öffentlich bestellte Vermessungsingenieur als Adressat des Informationsgebotes im Sinne des Art. 14 DSGVO in Frage kommt. Auch der funktionsbezogene Hinweis auf den Hoheitscharakter seiner Tätigkeit (vgl. hierzu Kriesten 2017, S. 246 ff.) würde den Öffentlich bestellten Vermessungsingenieur von seiner datenschutzrechtlichen Verantwortung nicht entbinden, da auch Behörden dem Rechtsregime der DSGVO als Verantwortliche unterliegen, vgl. Art. 4 Nr. 7 DSGVO.

Als mögliche Argumente, die gegen eine Informationspflicht des Einsichtsbegehrenden ins Feld geführt werden können, könnten insbesondere folgende Punkte benannt werden: Zunächst ist bislang nicht valide geklärt, ob das Einsichtsbegehren in das Grundbuch bzw. Liegenschaftskataster überhaupt als »Erheben« von personenbezogenen Daten zu verstehen ist. Auf die Unschärfe des Tatbestandsmerkmals und die ungeklärte Abgrenzung zu den Tatbestandsmerkmalen »Erfassen« oder »Abfragen« wurde bereits hingewiesen.

Relevant wird zudem die Bestimmung des Art. 14 Abs. 5 Buchstabe c) DSGVO. Danach finden die Absätze 1 bis 4 des Art. 14 DSGVO keine Anwendung, »wenn und soweit die Erlangung oder Offenlegung durch Rechtsvorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten, denen der Verantwortliche unterliegt und die geeignete Maßnahmen zum Schutz der berechtigten Interessen der betroffenen Personen vorsehen, ausdrücklich geregelt ist«. Als derartige Bestimmungen könnten § 12 GBO bzw. ihre oben genannten katasterrechtlichen Äquivalente auf Länderebene gesehen werden. Diesen Bestimmungen einschließlich ihrer judikativ bestimmten Konkretisierungen liegen ausgewogene Abwägungen zwischen berechtigten Informationsinteressen einerseits und dem schützenswertem Recht auf informationelle Selbstbestimmung andererseits zu Grunde. Damit tragen die genannten nationalen Normen dem materiellen Datenschutz Rechnung. In verfahrensrechtlicher Hinsicht fehlen freilich der DSGVO vergleichbare Informationspflichten. Dies dürfte aber auch im Sinne des Art. 14 Abs. 5 Buchstabe c) DSGVO unschädlich sein, weil andernfalls die Bestimmung faktisch ad absurdum geführt würde. Soweit Art. 14 Abs. 5 Buchstabe c) DSGVO tatsächlich nationale Bestimmungen fordern sollte, die in verfahrensrechtlicher Hinsicht bereits der DSGVO vergleichbare Informationspflichten beinhalten müssten, bedürfte es schlichtweg dieser Ausnahmebestimmung nicht, weil mit den nationalstaatlichen Bestimmungen faktisch zugleich auch die Informationspflichten nach der DSGVO erfüllt wären.

Fazit

Auf nationaler Ebene existiert eine weitgehende gesicherte Rechtsprechung zur Einsicht in das Grundbuch. Hinsichtlich der Einsicht in das Liegenschaftskataster ist die Rechtsprechung bislang noch weniger gefestigt und im Fluss. Unterschiede zur grundbuchrechtlichen Rechtsprechung werden insbesondere in der Situation vorgeblicher Kauf- bzw. Mietinteressen des Einsichtsbegehrenden deutlich. Die EU-Datenschutzgrundverordnung hat bislang noch keinen nennenswerten Einfluss auf die nationale grundbuch- bzw. katasterrechtliche Rechtsprechung genommen. Es erscheint daher aus rechtlicher Sicht vertretbar, wenn auch Katasterämter und Öffentlich bestellte Vermessungsingenieure an der bisherigen und weitgehend bewährten Praxis festhalten. Andererseits kann freilich niemand die Garantie aussprechen, dass strenge Datenschützer die Datenschutzgrundverordnung nicht in einem anderen Sinne interpretieren. Der weiteren Rechtsentwicklung sowohl auf nationaler wie auf europäischer Ebene darf jedenfalls mit Spannung entgegengesehen werden.

 

Hinweis der Redaktion: Der Autor ist Verfasser des im Richard Boorberg Verlag erschienenen Buchs Vermessungsrecht, Grenzstreitigkeiten und Recht der Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure.

 

Markus Kriesten

Regierungsdirektor beim Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung Baden-Württemberg
n/a