22.04.2020

Zum Rechtsschutz informationspflichtiger Stellen im Landesinformationsfreiheitsgesetz

VGH Baden-Württemberg entscheidet über Klage gegen Beanstandung des Landesdatenschutzbeauftragten

Zum Rechtsschutz informationspflichtiger Stellen im Landesinformationsfreiheitsgesetz

VGH Baden-Württemberg entscheidet über Klage gegen Beanstandung des Landesdatenschutzbeauftragten

Die große Anzahl an Informationsbegehren stellt nicht wenige Gemeinden vor große Herausforderungen. | © StockPhotoPro - stock.adobe.com
Die große Anzahl an Informationsbegehren stellt nicht wenige Gemeinden vor große Herausforderungen. | © StockPhotoPro - stock.adobe.com

Mit einem aktuellen Urteil gewährt der VGH Baden-Württemberg informationspflichtigen Stellen prinzipiellen Rechtsschutz gegen Beanstandungen und stärkt deren Stellung im System der Informationszugangsfreiheit (Urt. v. 4.2.2020 – Az. 10 S 1082/19).

Die Informationszugangsfreiheit gewinnt immer mehr an Bedeutung

Das Urteil des VGH Baden-Württemberg aus dem Februar 2020 ist neueste Rechtsprechung zur in den vergangenen Jahren gewachsenen Informationszugangsfreiheit, die mit Erlass von Informationsfreiheitsgesetzen auf Bundes- und Landesebene einherging.

Mit Erlass des Gesetzes zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes (IFG) und der Informationsfreiheitsgesetze der Länder (mit Ausnahme der Länder Bayern, Niedersachsen und Sachsen, die bisher keine eigenen Informationsfreiheitsgesetze erlassen haben) werden Behörden zunehmend mit einer Fülle von Anträgen auf Informationszugang konfrontiert. Mit deren Bearbeitung und Bescheidung geht ein nicht unerheblich wachsender Verwaltungsaufwand und so die Tendenz auf Behördenseite einher, die jeweils einschlägigen Informationsfreiheitsgesetze zu Lasten der Antragsteller auszulegen und anzuwenden. Dies gilt etwa für die Berufung auf Ablehnungsgründe, die einem Informationsbegehren entgegengehalten werden können. Entsprechend hatte die Rechtsprechung in der Vergangenheit vermehrt über Klagen von Antragstellern zu entscheiden, deren Informationsbegehren keinen Erfolg hatte.


Rechtsstreit zwischen informationspflichtiger Stelle nach dem LIFG und dem Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit

Anders lag der Fall, den der VGH Baden-Württemberg Anfang Februar 2020 im Berufungsverfahren zu entscheiden hatte. Klägerin war eine Gemeinde als informationspflichtige Stelle im Sinne des Gesetzes zur Regelung des Zugangs zu Informationen in Baden-Württemberg (LIFG). Mit ihrer Klage vor dem VG Stuttgart (Urt. v. 21.2.2019 – Az. 14 K 17293/17) hatte sie sich in erster Instanz gegen eine Beanstandung des Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (LfDI) gewehrt. Dem Rechtsstreit lag die alte Fassung des § 12 Abs.3 LIFG zugrunde, die bis zum 20.06.2018 galt.

Der Beanstandung zu Grunde lagen sieben Informationsbegehren eines Antragstellers, auf die die Gemeinde auch nach Aufforderung des LfDI zur Stellungnahme nicht oder nicht rechtzeitig reagiert hatte. Gegenüber dem LfDI hatte die Gemeinde vorgetragen, die Reaktion auf die Anträge des Antragstellers habe in den vergangenen Jahrzehnten zu einer Flut von (Folge-) Anträgen geführt, deren Bearbeitung trotz interner und externer personeller Aufstockungen nicht zu bewältigen gewesen sei. Vor Gericht hatte die Klägerin die Ansicht vertreten, aus den zuvor genannten Gründen auf Anträge, die allein das Ziel verfolgen, die Arbeitsfähigkeit der Behörde zu beeinträchtigen, im Wege der Nichtbeantwortung reagieren zu können.

Grundsätzlich steht gegen Beanstandungen Rechtsschutz auch der informationspflichtigen Stelle zu

Sowohl die Klage vor dem VG Stuttgart als auch die Berufung vor dem VGH Baden-Württemberg blieben ohne Erfolg. Gleichwohl stärkt der VGH die prozessuale Stellung der Anspruchsverpflichteten im Informationsfreiheitsrecht in einem wesentlichen Punkt. Mit seinem Urteil eröffnet das Gericht der informationspflichtigen Stelle die prinzipielle Möglichkeit, Rechtsschutz gegen Beanstandungen nach dem LIFG in Anspruch zu nehmen. Ein prinzipieller Ausschluss von Rechtsschutz gegen Beanstandungen des LfDI wäre mit Verfassungsrecht nicht vereinbar. Das Gericht in erster Instanz hatte der Klägerin noch die Rechtsschutzmöglichkeit grundsätzlich verwehrt.

Statthafte Klageart sei, so im Ergebnis der VGH, die Feststellungsklage.  Da der Beanstandung als bloßer Wissenserklärung keine unmittelbare Rechtswirkung gegenüber der informationspflichtigen Stelle zukomme, fehle es für eine Anfechtungsklage an einem angreifbaren Verwaltungsakt. Wesentliche Auswirkungen hat die Feststellung zur statthaften Klageart für die Praxis indes nicht, da der Kläger im Falle der Feststellungsklage im Ergebnis dieselben prozessualen Hürden zu nehmen hat wie bei Statthaftigkeit der Anfechtungsklage. Probleme rund um das für die Feststellungsklage erforderliche Feststellungsinteresse stellen sich im Rahmen der Anfechtungsklage im dort erforderlichen Rechtsschutzinteresse. Die Feststellungsklage ist daneben für die informationspflichtige Stelle insofern günstiger, da sie nicht fristgebunden ist.

Ausführung des LIFG ist weisungsfreie Pflichtaufgabe und fällt damit unter den Schutz des kommunalen Selbstverwaltungsrechts

Im konkreten Fall lag auch die Klagebefugnis der Klägerin vor. Da sich das Land im LIFG kein Weisungsrecht vorbehalten hatte, handele es sich bei der Ausführung des LIFG, so das Gericht, um eine weisungsfreie Pflichtaufgabe. Die angegriffene Beanstandung verletzte damit die Klägerin zumindest möglicherweise in ihrem Selbstverwaltungsrecht aus Art. 28 Abs.2 S.1 GG und aus Art. 71 Abs.1 S.1 LV BW. Eine zumindest mögliche Verletzung dieses Rechts sah das Gericht unter anderem in der mit der Beanstandung einhergehenden Unterstellung, die informationspflichtige Stelle habe rechtswidrig gehandelt. Zudem folge aus der Beanstandung die Erwartung, künftig werde abweichend von der eigenen Verwaltungspraxis nach der Rechtsauffassung des LfDI gehandelt.

Die Feststellungen des Gerichts lassen sich indes nur bedingt auf die Rechtslage anderer Länder übertragen. Wesentlich für die Ausführungen des VGH waren die konkreten Regelungen der baden-württembergischen Landesverfassung und des LIFG. Maßgeblich für das Bestehen der Klagebefugnis ist, dass die Ausführung des jeweiligen Informationsfreiheitsgesetzes weisungsfreie Pflichtaufgabe ist. In diesem Fall lässt sich mit der Argumentation des VGH die Klagebefugnis der informationspflichtigen Stelle auch in anderen Ländern bejahen.

Das Bestehen eines Feststellungsinteresses auf Seiten der klagenden informationspflichtigen Stelle als prozessuales (Rest-) Risiko

Im vom VGH zu entscheidenden Fall lag das Feststellungsinteresse der Klägerin unzweifelhaft vor. Zu berücksichtigen ist indes, dass sich der dem Urteil zugrundeliegende Sachverhalt vom Normalfall evident abhebt. Die Besonderheit des dem Urteil zugrundeliegenden Sachverhaltes lag in der unverhältnismäßig großen Anzahl an Anfragen des Antragstellers in den vergangenen Jahren. Der Antragsteller hatte in den Jahren 2016 bis 2018 177 Anfragen auf Informationszugang bei der Klägerin gestellt. Die vom LfDI angegriffenen Beanstandung betreffe, so das Gericht, mit sieben Anfragen nur die „Spitze des Eisbergs“. Mit Blick auf die Auslegung und Anwendung des Ablehnungsgrundes des offensichtlichen Missbrauchs (§ 9 Abs.3 Nr.1 LIFG) stehe das berechtigte Interesse der Klägerin an gerichtlicher Klärung der zutage getretenen „Dauerfehde“ daher außer Frage.

Derartige Fallkonstellationen werden in der Praxis wohl die Ausnahme bleiben. Aus den Feststellungen des VGH folgt jedoch nicht, dass ein Feststellungsinteresse nur in vergleichbaren Ausnahmefällen besteht. Das Feststellungsinteresse stand hier lediglich, so der VGH, „außer Frage“. Damit ergibt sich die Notwendigkeit, das Vorliegen des Feststellungsinteresses im Einzelfall zu prüfen. Für informationspflichtige Stellen folgt daraus im Konfliktfalle ein gewisses prozessuales Risiko. Mit Blick auf den Grundsatz effektiven Rechtsschutzes sollten die gerichtlichen Anforderungen an die Zahl der einer Beanstandung zugrundeliegenden Anträge auf Informationszugang nicht überspannt werden. Dem Grunde nach muss es der informationspflichtigen Stelle möglich sein, auch gegen Beanstandungen vorzugehen, die sich allein auf einen einzigen Antrag auf Informationszugang und dessen Bearbeitung beziehen. Dies gilt auch mit Blick auf die etwaige Verletzung des Selbstverwaltungsrechts der informationspflichtigen Stelle durch eine rechtswidrige Beanstandung.

LIFG statuiert Bescheidungspflicht der informationspflichtigen Stelle

Mag die Entscheidung mit Blick auf die Eröffnung des prinzipiellen Rechtsschutzes für die behördliche Praxis begrüßenswert sein, fällt sie mit Blick auf die Feststellungen zur Art und Weise der Bescheidung von Anträgen auf Informationszugang wohl weniger erfreulich aus. So ist es informationspflichtigen Stellen in Baden-Württemberg nach den Feststellungen des VGH künftig verwehrt, Anträge auf Informationszugang unbeantwortet zu lassen. Ein Antrag auf Informationszugang leite ein Verwaltungsverfahren ein, das grundsätzlich mit einer Bescheidung ende. Das ergebe sich bereits aus dem LIFG selbst (§ 7 Abs.1 LIFG). Das LIFG eröffne zudem in § 7 Abs.7 S.2 LIFG die Möglichkeit, die Frist zur Bearbeitung von Anträgen zu verlängern, sofern eine fristgerechte Bearbeitung wegen Umfang oder Komplexität der begehrten amtlichen Informationen nicht möglich ist.

Die Feststellungen des VGH sind mit Blick auf die Informationsfreiheitsgesetze der übrigen Länder und die dortigen mit dem LIFG vergleichbaren Regelungen übertragbar. Sie stärken die Position des Antragstellers und sind vor dem Hintergrund, dass Informationsfreiheitsgesetze der Transparenz behördlicher Entscheidungen und so insgesamt der Kontrolle staatlichen Handelns dienen sollen, auch in der Sache zutreffend.

Substantiierungspflicht informationspflichtiger Stellen zu Ausschlusstatbeständen

Das Gericht setzt sich in seinen Feststellungen detailliert mit dem Klägervortrag zum Vorliegen des Missbrauchstatbestands des § 9 Abs. 3 Nr. 1 LIFG auseinander. Einen vergleichbaren Ausschlusstatbestand enthalten sämtliche Informationsfreiheitsgesetze der anderen Länder.

Ein großer Teil des Vortrages der Klägerin zum Vorliegen des Missbrauchstatbestandes betraf nach Auffassung des Gerichtes tatsächlich nicht den Missbrauchstatbestand des § 9 Abs. 3 Nr. 1 LIFG, sondern andere normierte Ablehnungsgründe. Zu diesen Gründen hatte die Klägerin aber nicht hinreichend substantiiert vorgetragen, obwohl sie für das Vorliegen konkreter Ausschlussgründe vor Gericht die Beweislast trägt. So würden, so das Gericht, eine Vielzahl von Anträgen und deren beharrliche Verfolgung für sich betrachtet nicht den Missbrauchstatbestand erfüllen. Ebenso rechtfertige ein hoher Verwaltungsaufwand nicht eine Ablehnung wegen Missbrauchs, sondern ermögliche unter Umständen eine Ablehnung wegen Verursachung von unverhältnismäßigem Verwaltungsaufwand nach § 9 Abs. 3 Nr. 3 LIFG. Gleiches gelte für den klägerischen Vortrag zu notwendigen personellen Aufstockungen.

Bei der Ablehnung von Anträgen nach dem LIFG werden informationspflichtige Stellen damit künftig sauberer zwischen den Ablehnungsgründen der jeweiligen Informationsfreiheitsgesetzen zu differenzieren haben und im Zuge der Bescheidung von Anträgen sowie vor Gericht entsprechend substantiiert(er) als bisher üblich vortragen müssen.

Gegebenenfalls weite Ermittlungspflichten des LfDI

Bemerkenswert ist schließlich, dass sich das Gericht zuletzt mit dem Inhalt und der Vorgeschichte der Beanstandung des LfDI auseinandersetzt. Da die Klage der Gemeinde bereits mit Blick auf den nicht hinreichend substantiierten Vortrag zum Vorliegen des Missbrauchstatbestands unbegründet war, gehen die Feststellungen des Gerichts an dieser Stelle über das für die Entscheidung des Falles erforderliche Maß hinaus. Das Gericht selbst bezeichnet seine Feststellungen daher entsprechend als „Bemerkungen“. Das Gericht kritisiert, der LfDI habe sich für seine Beanstandung im konkreten Falle nicht ernsthaft mit der Gesamtsituation auseinandergesetzt. Verfehlt sei es bereits „im Ansatz“, sich auf sieben der insgesamt 177 Anträge zu konzentrieren und zu erklären, in diesen Fällen läge der Ausschlussgrund des Rechtsmissbrauchs nicht vor. Auch habe der LfDI verfehlt Gesprächsangebote seitens der Klägerin abgelehnt, obwohl diese zur Klärung der Sachlage beigetragen hätten.

Im konkreten Fall erscheint das Vorgehen des LfDI im Zuge der Beanstandung tatsächlich evident unverhältnismäßig. Mit Blick auf die Belastung der Behörden durch die wachsende Zahl an Anträgen auf Informationszugang bleibt zu hoffen, dass der Landesbeauftragte für die Informationsfreiheit die Gesamtsituation des Rechtsverhältnisses zwischen Antragsteller und auskunftspflichtiger Behörde künftig besonnener und umfassender beurteilt. Das Gericht stärkt mit seinen Ausführungen am Ende der Entscheidungsgründe in bemerkenswerter Deutlichkeit die Stellung der auskunftspflichtigen Stellen im Informationsfreiheitsrecht.

 

Christian Schepers

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht der Universität Münster
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