29.04.2020

Friedensrichter im Clanmilieu

Wie Selbstjustiz im Namen des Glaubens durchgeführt wird

Friedensrichter im Clanmilieu

Wie Selbstjustiz im Namen des Glaubens durchgeführt wird

In jeder Clanfamilie gibt es Friedensrichter. | © Ambrose - stock.adobe.com
In jeder Clanfamilie gibt es Friedensrichter. | © Ambrose - stock.adobe.com

Bundesweit sollen im letzten Jahr ca. 30 bis 50 Menschen außerhalb von Gerichten Recht gesprochen haben. Hierbei handelt es sich um die sogenannten Friedensrichter, die Schlichtungen im Sinne der islamischen Rechtstradition durchführen. Die Schlichtungen kommen in der gesamten Breite der Kriminalität wie Betrug, Kapitalverbrechen, Häuslicher Gewalt oder Ehrverletzungen vor.

Die durch die Clans begangenen Straftaten beschränken sich mittlerweile nicht mehr nur auf die Drogen, Raub, Körperverletzungs- oder Tötungsdelikte, sondern erstrecken sich auf vielfältige Geschäftsbereiche. Clanmitglieder sind im Autohandel tätig, betreiben Shisha-Bars, Barber-Läden, kleine Bäckereien oder stellen Automatencasinos in unterschiedlichen Einrichtungen auf. Die Liste der Aktivitäten rund um die Geldwäsche ist lang. Mit der Straftat einhergehend ist auch die Gewaltbereitschaft gegenüber Konkurrenten sowie dem Rechtsstaat. „No-Go Areas“ schmücken die Überschriften vieler Zeitschiften, wenn es darum geht, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung in manchen deutschen Städten nicht mehr zu wahren ist. Eine Paralleljustiz inmitten eines demokratischen Rechtsstaates hat sich etabliert und mit ihr einhergehend eine eigene Gerichtsbarkeit mit den sogenannten Friedensrichtern.

Die Friedensrichter

In jeder Clanfamilie gibt es Friedensrichter. Es handelt sich dabei um Imame, die in muslimischen Kreisen als Vertreter des Korans angesehen werden. Neben den Imamen können auch Familienälteste als Friedensrichter fungieren. Beide genießen auf Grund ihres Erfolges und Wohlstandes sowie der Macht ihrer Familie sehr hohes Ansehen in der muslimischen Gesellschaft. Die Rolle eines Friedensrichters übernehmen nur Männer, was ein Zeichen für die archaischen, patriarchalischen Strukturen in den Clanfamilien ist und die Stellung der Frau widerspiegelt. Es handelt sich bei den Friedensrichtern zudem um Privatpersonen ohne juristische Ausbildung.


Was wird geschlichtet?

Die Schlichtungen (z.B. bei Betrug, Mord- und Totschlag, Häuslicher Gewalt, Ehrverletzungen wie Beleidigung oder Verleumdung, Drogenhandel, Zuhälterei, Schutzgelderpressung und/oder Revierkämpfe), die seitens des Friedensrichters vorgenommen werden, basieren auf einer Jahrtausende alten Tradition und haben eine immense kulturelle und gesellschaftliche Bedeutung für die muslimische Bevölkerung. Die Tradition wurde dabei in Zeiten praktiziert, als es noch keine Polizei, Staatsanwaltschaft oder Gerichte gab. Es ist folglich eine Tradition aus Zeiten, in denen es kein Bestrafungsmonopol des Staates gab. Bis heute wird diese Art und Weise der Schlichtungen in einigen muslimischen Kreisen fortgeführt. So berufen sich die muslimischen Täter auf das sog. Talionsrecht. Talio kommt aus dem lateinischen und bedeutet Vergeltung. Die Wiedergutmachung nach dem Islam ist somit erlaubt. Die Vergeltung ist auch explizit im Koran festgeschrieben: „Ihr Gläubigen! Bei Totschlag ist euch die Wiedervergeltung vorgeschrieben: Ein Freier für einen Freien, ein Sklave für einen Sklaven und ein weibliches Wesen für ein weibliches Wesen“ (Sure 2, Vers 178 des Koran).

Wie wird geschlichtet?

Das Prinzip der Wiedergutmachung/Wiedervergeltung wird durch die Schlichtung praktiziert. Die Schlichtungsgespräche kommen in Moscheen, Cem Evi, Kültür Dernegi (kulturelle Einrichtungen), türkische Kaffee- und Teestuben, in den Wohnungen/Häusern der Opfer oder in den Hinterräumen von Shisha Bars vor.

Der Friedensrichter wird durch die Täterfamilie beauftragt, Kontakt zur Opferfamilie herzustellen. Der Richter versucht zu vermitteln, was dann zum ersten Treffen der Opfer und Täter führt. Es folgt das Ritual, dass die Täter das Opfer im Krankenhaus oder zu Hause besuchen. Dies erfolgt im Beisein des Schlichters. Ist der Kontakt hergestellt, folgen weitere Besuche, um zu sondieren. Meist sind es die Familienältesten (Vater, Großvater oder ältester Sohn), die zusammen mit dem Imam einen Vertrag abschließen. Dieser Vertrag beinhaltet das sogenannte Blutgeld. Dieses Blutgeld stellt eine Art der Wiedergutmachung in Form von finanziellen Mitteln dar. Die Täterfamilie erklärt sich bereit, Summen von 10.000 bis 40.000 Euro und mehr an das Opfer zu zahlen. Der Schlichter bekommt in diesem Zusammenhang ebenfalls eine beträchtliche Summe. Die Versöhnung zwischen den beiden Familien wird dann häufig durch gemeinsames Essen und Trinken besiegelt.

Es ist vor allem die Ehre und der Stolz und folglich das Gesicht der Familie, welches bewahrt und unter allen Umständen verteidigt werden soll. Der Ehrbegriff hat im Islam einen absoluten Charakter. Die verletzte Ehre und der damit einhergehende Gesichtsverlust der Familie kann im schlimmsten Fall die Triebfeder für Kapitalverbrechen wie Mord- und Totschlag sein.

Fazit

Kommt es zu Konflikten, werden diese entweder mit Gewalt oder durch Hinzuziehung von Friedensrichtern gelöst. Die Sache wird „untereinander geregelt“. Landet der Fall vor einem deutschen Gericht, schweigen häufig alle Seiten, das Verfahren wird stark behindert – oder läuft im Extremfall ins Leere. In allen Schlichtungen gilt es zudem stets, die Polizei fernzuhalten. Sollte die Polizei jedoch bereits mit Untersuchungen begonnen haben, so gilt es, die Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden durch Manipulation, Falschaussagen oder Aussageverweigerung zu unterlaufen. Das Ziel besteht darin, die polizeiliche Aufklärung zu behindern oder gar unmöglich zu machen. Diese Einflussnahme der Friedensrichter untergräbt das staatliche Gewaltmonopol und macht zudem die strafrechtliche Aufarbeitung begangener Delikte unmöglich.

Gelebt wird eine islamische Rechtstradition, die geprägt ist von einem archaischen Stammes- und Rechtsverständnis, welches die Anwendung körperlicher Gewalt zur Konfliktlösung billigt und in dem Zwangsheirat, Blutrache und Ehrenmorde legitim sind. Die Clans und ihre Friedensrichter sind ein Zeichen dafür, dass der deutsche Staat die Gefahr, die dem Rechtsstaat durch diese Gruppierungen droht, bisher nicht oder nur ungenügend bekämpft hat. Der Rechtsstaat darf und kann nicht vor dieser Schattenjustiz kapitulieren, sondern sollte maximale Konfrontation zeigen. Nur so kann er sein Gewaltmonopol zurückgewinnen. Notwendig ist es jedoch auch, dass keine Stigmatisierung aller Ausländer und Migranten stattfindet. Einzelfälle dürfen nicht instrumentalisiert und eine überaus heterogene Gruppe nicht als kriminell diffamiert werden.

 

Quellen:

  1. Focus Online: Paralleljustiz in DeutschlandClan-Friedensrichter behauptet: Selbst Morde „klären wir innerhalb von zwei Wochen“. URL: https://www.focus.de/politik/deutschland/paralleljustiz-in-deutschland-clan-friedensrichter-behauptet-selbst-morde-klaeren-wir-innerhalb-von-zwei-wochen_id_9399283.html (zuletzt abgerufen am 30.01.2020).
  2. Deutscher Bundestag. 19. Wahlperiode: Clankriminalität effektiv bekämpfen. Drucksache 19/11105. URL: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/111/1911105.pdf (zuletzt abgerufen am 29.01.2020).
  3. Duran, Hülya: Muslimische Streitschlichter – Die neuen Richter ohne Gesetz? In Kriminalistik, Nr.8-9 / 2019, S. 529 – 531.
  4. Wagner, Joachim: Richter ohne Gesetz: Islamische Paralleljustiz gefährdet unseren Rechtsstaat. Berlin 2001.
 

Hülya Duran

Polizeikommissarin, Kreis Warendorf
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