13.04.2020

Internationales Rechtsinformatik Symposion

Tagungsbericht 2020 – Teil 2

Internationales Rechtsinformatik Symposion

Tagungsbericht 2020 – Teil 2

Beim diesjährigen IRI§ ging des um das Thema „Verantwortungsbewusste Digitalisierung“. | © stadtratte - stock.adobe.com
Beim diesjährigen IRI§ ging des um das Thema „Verantwortungsbewusste Digitalisierung“. | © stadtratte - stock.adobe.com

Dieser Beitrag setzt den in PUBLICUS  begonnenen Tagungsbericht fort.

Digitalisierung von Rechtsinformationen der EU

Enrico Francesconi (Vortragender), Rudolf Strohmeier und Gordana Materljan vom Amt für amtliche Veröffentlichungen der EU betonten die Verantwortung dieses Amtes für die nutzerfreundliche Dokumentation juristischer Inhalte trotz der Komplexität des Europäischen Rechtsraumes. Der Zugang zu Gesetzen und Gerichtsentscheidungen sei unter anderem eine Frage von Transparenz und Rechtssicherheit. Daher sei zu klären, wie denn Rechtsinformationen aufbereitet werden sollten, damit solche Rechtsfragen korrekt beantwortet werden können, die bei Google-Anfragen nicht zu direkten Antworten führen. Man benötige hierfür sogenannte „Linked Open Data“ nach dem Beispiel von Wikipedia und DBPedia für korrekte Antworten auf Fragen wie: Wie lautet das Bundesdatenschutzgesetz in der am 1.1.2019 geltenden Fassung? Wann trat die tschechische Durchführungsverordnung zum EU-Verbraucherschutzrecht in Kraft? Welche Verbraucherrechte haben EU-Bürger? Und welche impliziten Verbraucherrechte kommen laut EuGH noch dazu? – Als Hilfsmittel für diese Arbeit erwähnt wurde „Cellar“, ein großes Open-Data-Repository des Amtes für amtliche Veröffentlichungen. Das Common Data Model CDM beschreibe als Ontologie die semantischen Datenstrukturen des „Cellar“ mit seinen 250 Millionen Dokumenten in 24 Sprachen mit 1,5 Milliarden RDF-Triples. Der „Cellar“ solle für die Entwicklung von künstlichen Intelligenzen Unterstützung bieten. Auf diese Weise könnte das Semantische Web mit Linked Open Data den Europäischen Rechtsrahmen beherrschbarer machen. Außer Menschen und Maschinen sollen im Web 4.0 auch noch „intelligente Agenten“ Informationen automatisch suchen und verknüpfen können. Die Dokumentenzentrierung bleibe bestehen, werde aber durch Metadatennutzung und Zusammenführungen überlagert und durch SPARQL-fähige Datenbanken würden überdies auch Subdokumente einfach zugänglich gemacht.

Einblicke in die digitale Transformation einer internationalen Rechtsanwaltskanzlei

Solche Einblicke gaben Philipp Reinisch und Sarah Schlösser von SCWP Schindhelm (mit Standorten in Österreich und Deutschland), eingebunden in eine größere internationale Allianz. Für die Übergangsphase wurden Aufgaben geteilt zwischen der „IT“ als weiterlaufendem Betrieb und der Gruppe „Digitalisierung“ mit dem Ziel der Innovation; bestehende analoge Prozesse wurden geprüft und hinterfragt, Personal aufgestockt und die anstehenden Maßnahmen wurden intern offen kommuniziert. In der ersten Phase sammelte man Projektanfragen aus den verschiedenen Abteilungen, in der ersten Detailphase wurden Konzepte erstellt, Prioritäten aufgestellt, Ziele formuliert und Vorgänge strukturiert. In der zweiten Detailphase folgten Roadmaps und die Realisierung der Konzepte. Dabei wurden die Einzelprojekte mit vorgefertigten Tabellen dokumentiert und überwacht. Projektübergreifende Strategien waren dabei Standardisierung, Vereinfachung, Wachstum, Automation, Dazulernen, Neue Produkte finden, Spracherkennungstools einsetzen und Wissensplattformen erstellen. Obwohl alle Diktate durch Spracherkennungssoftware ersetzt wurden, musste niemand aus dem Sekretariat entlassen werden. Eine Vertragsgenerator-Software für Kanzleikunden diene nun zur Erstellung und Aktualisierung gleichförmiger Miet-, Arbeits- oder Lieferungsverträge und führe den Mandanten durch ein Menü bis zur Ausformulierung eines Vertragsentwurfes mit fixen und änderbaren Bereichen, die dann in Word (Kundenwunsch) weiterbearbeitet werden können. Anpassungen des Vertragsgenerators dauerten lediglich zwei Wochen.


Verantwortungsbewusste Digitalisierung, gerichtliche Entscheidungen und der Gedanke des fairen Verfahrens

Jochen Krüger als Vortragender, Stephanie Vogelgesang und Lena-Marie Adam betonten den Gedanken des fairen Verfahrens beim Einsatz von Algorithmen in der Justiz. Die Frage dazu lautete, inwieweit der Einsatz von Algorithmen grundrechtlich abgesicherte Verfahrensrechte in Frage stellen könne. Rechtliches Gehör, effektiver Rechtsschutz, die Öffentlichkeit des Verfahrens und der gesetzliche Richter könnten betroffen sein, wenn Entscheidungen auf Automatismen verlagert werden, die bisher von Menschen getroffen wurden. Der Richter habe eine Begründungspflicht, die verlange, dass er selbst verstanden hat, warum er eine Entscheidung trifft. Dies könne bei „black-box“-Vorgängen nicht gewährleistet werden. Dazu gab es ein aktuelles Beispiel aus dem Saarland. (VerfGH Saarland, 05.07.2019 – Lv 7/17), wo es um ein Bußgeld für zu schnelles Fahren nach automatischer Geschwindigkeitsmessung mit Löschung der Rohdaten ging. Diese Gesichtspunkte werden vom Referenten zusammengefasst unter dem in der EMRK, der – unverbindlichen – Europäischen Grundrechtecharta und weiteren Vorschriften als Recht auf ein faires Verfahren bezeichneten Grundsatz. Staatliches Handeln dürfe in einem freiheitlichen Rechtsstaat nicht undurchschaubar sein, das gelte besonders für das gerichtliche Verfahren. Gesetzlich gerechtfertigte nachvollziehbare Ausnahmen von diesem Prinzip, wie das Mahnverfahren, blieben jedoch auch vor dem Hintergrund der Grundrechte möglich.

Digitale Bürokratie – und die Visualisierung weiterer Konflikte in digitalisierten Organisationen

Peter Ebenhoch definierte „Bürokratismus“ als regelzielfernen Eingriff in ein Verfahren oder in die Verfahrensbedingungen. Digitale Bürokratie könne in verschiedenen Formen auftreten. Als digitalisierte Bürokratie, würden bestehende bürokratische Phänomene eins zu eins in die digitale Welt übertragen. Auch abgeleitete, sogenannte parasitäre Bürokratismen könnten so digitalisiert werden. Schließlich entstehe originäre digitale Bürokratie durch die hohe Eigen- und Systemkomplexität zeitgemäßer digitaler Systeme, die durch die Virtualisierung und Containerisierung weiter verschärft werde. Auch im digitalen entstehe schließlich eine abgeleitete digitale Bürokratie durch undurchschaubare Lizenzverträge und Benutzungsklauseln proprietärer Softwareanbieter, die die Eindämmung von realen Bedrohungen wie dem Emotet-Trojaner ohne Not erschwert. Die digitale Bürokratie sei selbst von Spezialisten selbst nur schwer und mit hohem Aufwand beherrschbar und rechtlich nicht determiniert. — Die digitale Bürokratie führe dazu, dass die Verwaltung nicht mehr (nur) auf Grund der Gesetze (Art 18 B-VG), sondern (auch) auf Grund von IT-Systemen ausgeübt werde. Um die digitale Autonomie und Handlungsfähigkeit des Rechtsstaats wieder herzustellen müssten daher Gesetzgebung und Verwaltung enger mit der Softwareerstellung und -pflege sowie deren Betrieb verknüpft werden. Kein Verwaltungs- und Gesetzgebungs-Algorithmus dürfe „ohne Gesetz“ ausgeübt werden. In Anlehnung an BizDevOps (vgl. http://www.inztitut.de/blog/glossar/bizdevops/) präsentierte der Referent LegDevOps als Ansatz, der dies in Kombination mit der Idee einer „Minimum Viable Organization“ (kleinste Organisation, um den Regelungszweck zu erreichen) auf einer operativen Ebene umsetzbar machen soll.

Hinweis der Redaktion: Der Beitrag wird fortgesetzt.

 

Dr. Alexander Konzelmann

Leiter der Boorberg Rechtsdatenbanken RDB, Stuttgart
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