09.03.2020

Internationales Rechtsinformatik Symposion

Tagungsbericht 2020 – Teil 1

Internationales Rechtsinformatik Symposion

Tagungsbericht 2020 – Teil 1

Beim diesjährigen IRI§ ging des um das Thema „Verantwortungsbewusste Digitalisierung“. | © stadtratte - stock.adobe.com
Beim diesjährigen IRI§ ging des um das Thema „Verantwortungsbewusste Digitalisierung“. | © stadtratte - stock.adobe.com

Von 27. bis 29. Februar 2020 fand in Salzburg im Juridicum der Universität das 23. Internationale Rechtsinformatik Symposion (IRI§) statt. Hervorzuheben an dieser Veranstaltung ist die unmittelbare Verknüpfung von Praxis und Theorie in Präsentationen, Diskussionen und Vorträgen zu einer Vielzahl aktueller Entwicklungen im Bereich Computer, Internet und Recht. Die Beiträge sind in englischer oder deutscher Sprache abgefasst. Parallel zur Veranstaltung erscheint der massive Tagungsband mit den jeweils aktuellen Referaten. Passend zum Selbstverständnis von Informatikern veröffentlicht die Weblaw AG aber auch elektronische Versionen und teilweise Liveticker bei Twitter über die Beiträge. Für die lokale Organisation besonders gedankt wurde Maria Stoiber, Dietmar Jahnel und Peter Mader.

Hilfreiche Zwischenüberschriften

Das 90-köpfige Programmkomitee mit Erich Schweighofer, Franz Kummer, Walter Hötzendorfer und Ahti Saarenpää an der Spitze gab das Generalthema »Verantwortungsbewusste Digitalisierung« vor. Dieses Thema wurde beherrscht von Ansätzen, die Entwicklung und Nutzung von künstlicher Intelligenz im Rechtsrahmen wissenschaftlich fassbar zu beschreiben, nachdem bereits viel Definitionsarbeit aus anderen Disziplinen in die Rechtswissenschaft hereingewachsen ist. Die IRIS-Konferenz betont ihre interdisziplinäre Ausrichtung und die Einbeziehung der Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft in das Programm. Sie legt deshalb die Verantwortung für die konkrete Ausgestaltung des Programms in die Hände und Köpfe der Vortragenden. Viele Referenten übernahmen das Generalthema als Ziel- oder Anknüpfungspunkt ihrer Betrachtungen und Werkstattberichte. In bis zu sieben parallelen Sessionen wurden zwei Plenarvorträge und 150 Kurzreferate mit Diskussionsteil zu aktuellen Entwicklungen gehalten. Daher könnte selbst ein idealer Live-Tagungsbericht nur etwa 15 Prozent der Inhalte abdecken. Die Organisatoren machten sich daher die Mühe, sprechende Zwischenüberschriften zu wählen, um die Vorträge für den Suchenden geschickt und übersichtlich zu gruppieren (z.B. Robolaw, Legal Tech, Vertragsanalyse).

Sessions, Werkstattberichte und Praktikabilitätschecks

Die Referate waren folgenden sogenannten Sessions zugeordnet: Verantwortungsbewusste Digitalisierung, Autonomes Fahren, Text- und Vertragsanalyse, LegalTech, Juristische Informatiksysteme, Rechtsinformation, Suchtechnologien, Robolaw, Theorie der Rechtsinformatik, E-Commerce, E-Procurement, E-Government, E-Justice, E-Democracy, Rechtstheorie, Rechtsvisualisierung, Legal Design, Sicherheit und Recht, Datenschutz und IP-Recht. Kennzeichnend für diese Tagung bleibt seit vielen Jahren, dass – oft auch im Sinne echter Werkstattberichte – einerseits neue Denkansätze auf ihre praktische Relevanz als Hilfsmittel im Rechtsalltag kritisch untersucht werden, und dass andererseits aktuelle »Technologien« auf ihre Konformität mit den vorgefundenen rechtlichen Rahmenbedingungen abgeklopft werden. Praktikabilität, Compliance und eben die »Neuheit« sind die Akzente, auf welche die Rechtsinformatik-Community dabei Wert legt.


„Was ist relevant?“ Automatische Verarbeitung von Gerichtsentscheidungen in Tschechien

Jakub Harašta von der Masaryk University in Brünn gewann eine Menge von Zitatanalysen durch Data-Mining in Rechtstexten, vorerst in einer Projektarbeit zu obergerichtlichen Entscheidungen aus Tschechien. Die Herstellung von Datenverfügbarkeit war hierbei eine große Voraufgabe, bevor das Data-Mining überhaupt beginnen konnte. Der downloadfähige Czech Court Decisions Corpus CzCDC sei dabei erstmalig erstellt worden und enthalte nun 237.000 Entscheidungen des Obersten Gerichts, des Obersten Verwaltungsgerichtshofs und des Verfassungsgerichtshofs von 1993 bis 2019. Sortierfähige Metadaten zur Vorab-Qualifikation seien z.B. Ausgangsgericht, Spruchkörper, amtliche Fundstelle, in Kommentaren zitiert, in Zeitschriften besprochen, von Folgeentscheidungen zitiert. Eine zentrale wissenschaftliche Fragestellung laute bei dieser Arbeit: Was ist Relevanz und welche Arten von Relevanz gibt es? Welche Daten und welche Arten von Daten müssen publiziert werden, damit sie für juristische Fragestellungen genutzt werden können? Wenn herausgefunden sei, was relevant ist, ist das dann auch für andere Staaten anwendbar? Wie lauten juristische oder allgemeingültige Relevanzkriterien und wie lauten die Benchmarks, damit zahlenmäßige Vergleiche angestellt werden können? Der Referent zitierte hierzu Van Opijnen und Santos‘ sechs „Dimensionen von Relevanz“ (Über das Relevanzkonzept in juristischen Informationssystemen, https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/s10506-017-9195-8.pdf). Systemzentrierte Relevanzbegriffe seien Effizienz und Programmierbarkeit, nutzerzentriert sei die Neuheit, das Passen zu einer konkreten Fragestellung und hinzu kämen noch sogenannte domainzentrierte Relevanzkriterien: im Strafrecht seien beispielsweise andere Dokumente wichtig als im Verwaltungsrecht, aber nicht immer; Entscheidungen von Obergerichten seien oft wichtiger als andere. — Als „Allgemeine Relevanzkriterien“ könne man definieren: die Ähnlichkeit von Fragestellung und Zieldokument, Ergebnisse einer Nahe-bei-Funktion von Suchbegriffen oder das Ignorieren von Partikelwörtern mit Stoppwortlisten. Subjektive Relevanzkriterien zeigten sich hingegen in folgenden Phänomenen: Jeder Nutzer durchsuche die Datenbanken aufgrund einer Arbeitssituation, sodass bei derselben Fragestellung der Richter andere Ergebnisdokumente hilfreich finden werde als der Strafverteidiger oder der Schuldirektor; einfach zu verstehende oder transparent dargestellte Literaturquellen würden erfahrungsgemäß bevorzugt. Und zuletzt erwähnte Harašta die sogenannte bibliografische Relevanz: Eine Veröffentlichung in einer kostenlos abrufbaren Datenbank oder in einer sehr verbreiteten oder hoch angesehenen Zeitschrift werde ebenso bevorzugt wie eine Veröffentlichung in einer leicht zugänglichen Online-Quelle. Die frühzeitige Klärung solcher Fragen trage zur Erstellung besserer Datenbanken aus Nutzersicht bei.

Hinweis der Redaktion: Der Beitrag wird fortgesetzt.

 

Dr. Alexander Konzelmann

Leiter der Boorberg Rechtsdatenbanken RDB, Stuttgart
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