18.03.2020

Geht es auch ohne Disziplinarurteil?

BVerfG entscheidet über die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis

Geht es auch ohne Disziplinarurteil?

BVerfG entscheidet über die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis

Das BVerfG entschied über den verfassungsrechtlichen Rahmen für beamtenrechtliche Kündigungen. | © Andrey Bumakin - stock.adobe.com
Das BVerfG entschied über den verfassungsrechtlichen Rahmen für beamtenrechtliche Kündigungen. | © Andrey Bumakin - stock.adobe.com

In Baden-Württemberg können Staatsdiener per Verwaltungsakt aus dem Beamtenverhältnis entfernt werden. Dies ist laut einer aktuellen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verfassungsgemäß (Beschl. vom 14.1.2020 – Az. 2 BvR 2055/16).

Die „hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums“

Das Berufsbeamtentum ist eine der zentralen Säulen der Exekutive in der Bundesrepublik. Als Staatsprinzip ist es in Art. 33 Abs. 5 GG grundgesetzlich verankert. Im Kern enthält die Bestimmung die Forderung, die „hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums“ zu achten. Was wie ein Aufruf zur Befassung mit der einschlägigen Rechtsgeschichte klingt, kann in seiner Herleitung und Auslegung im Einzelfall sehr diffizil sein. Hierzu zählt das Eingehen eines Dienstverhältnisses auf Lebenszeit, jedenfalls so lange der Beamte seine Pflichten nicht grob verletzt. Gerade die materiellen Grenzen der „trügerischen Sicherheit“ sind, von der Rechtsprechung gestaltet, spannend zu beschreiben, da dies grundsätzlich nicht nur eine vergangenheitsbezogene Betrachtung bedingt, sondern auch das Vertrauen in die ordnungsgemäße künftige Dienstausübung berücksichtigt.

In seinem Urteil hat das BVerfG den formellen verfassungsrechtlichen Rahmen für eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis festgelegt. Dabei ging es um die Frage, ob Art. 33 Abs. 5 GG und das Willkürverbot einer (im zu entscheidenden Fall baden-württembergischen Landes-) Regelung entgegenstehen, die vorsieht, dass die „Kündigung“ des Beamten durch einen Verwaltungsakt erfolgen kann. In früherer Zeit sahen die Bundesdisziplinarordnung und die einzelnen Ländervorschriften einen Richtervorbehalt vor. Die Behörde musste demnach einen gerichtlichen Antrag stellen, um das schärfste Schwert des Disziplinarrechts zu bedienen. Dies darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch für den Fall eines Verwaltungsakts dem Betroffenen der Rechtsweg offen steht. Auch im streitigen Verfahren ging die verwaltungsrechtliche Auseinandersetzung bereits durch drei Instanzen bis nach Leipzig. Eine Überprüfung der Verwaltungsentscheidung war also gewährleistet. Wieso dann die juristische Aufregung?


Die rechtshistorische Analyse des Bundesverfassungsgerichts

Auch der 2. Senat hat in der 7:1-Entscheidung die grundsätzliche Unterscheidung einer gewöhnlichen Verwaltungsentscheidung zum Disziplinarurteil genau unter die Lupe genommen. Die rechtshistorische Betrachtung nimmt dabei großen Raum ein (Rz. 28 bis 61). Das ist dogmatisch korrekt und entspricht dem Wortlaut des Grundgesetzes. Im 21. Jahrhundert erscheint es dennoch befremdlich, die Relevanz aktueller Schutzbedürfnisse aus den vorkrieglichen Festlegungen herzuleiten. Der Maßstab einer ausreichenden Sicherung der beamtlichen Rechte könnte nach dem BVerfG zudem das Lebenszeitprinzip, ebenso in Art. 33 Abs. 5 GG verankert, sein. Es gehöre zum „Kernbestand von Strukturprinzipien“ (Rz. 64) und finde seinen besonderen Ausdruck im Alimentationsgrundsatz. In diesem Zusammenhang spiele die Gewaltenteilung eine entscheidende Rolle. Jedoch folgert der Senat hieraus nicht, dass ein ausdifferenziertes Rechtsschutzsystem nicht auch einen nachgelagerten ausreichenden Grundrechtsschutz gewährleisten kann. Von der Entscheidung durch Verwaltungsakt oder Gerichtsentscheidung würde das Verhalten des Beamten nicht beeinflusst, da zur Abwendung disziplinarer Maßnahmen schlicht ein rechtskonformes Verhalten genüge. Den behördlichen Verfügungen ließe sich generell nicht pauschal die Neutralität oder Unsachlichkeit absprechen. Am Ende reiche schlicht die verwaltungsgerichtliche „Vollkontrolle“. Die baden-württembergischen Mechanismen seien weder willkürlich noch ermessensbehaftet, sondern verfahrensklar und tatbestandlich nicht zu beanstanden. „Schikanöse“ Entfernungen aus dem Dienstverhältnis sei nicht der Boden bereitet.

Ein Verstoß gegen das Willkürverbot wird entsprechend den Vorgaben des BVerfG für Verfassungsbeschwerden weder ausreichend begründet noch sind nach der Auffassung des Senats materielle Argumente für eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG ersichtlich. Aus dem Vortrag des Beschwerdeführers ergäben sich keine Anhaltspunkte für schlicht nicht vertretbare Entscheidungen. Vielmehr habe eine angemessene Auseinandersetzung in den Rechtsinstanzen stattgefunden, deren Gegenstand keine sachfremden Erwägungen waren.

Der Schutz des Beamten

Im Ergebnis kann der Entscheidung des Senats beigepflichtet werden, nachdem ein hergebrachter Grundsatz nicht abgeleitet werden konnte. Es ist daher auf den ersten Blick überzeugend, dass eine Verwaltungsentscheidung mit anschließender verwaltungsgerichtlicher Kontrolle einen ausreichenden Schutz der Lebenszeitstellung des bedrohten Beamten bedeutet. Es sei noch angemerkt, dass auch dem alternativen Verfahren des gerichtlichen Ausspruchs der Beendigung des Beamtenverhältnisses eine behördliche Maßnahme, namentlich die Beantragung vor dem Verwaltungsgericht, vorausgeht, nur, dass diese unmittelbar noch keine Konsequenzen hat. Im Regelfall wird der Beamte sich wehren, mit der Folge, dass ohnehin die Trias Fehlverhalten des Beamten – behördlich-disziplinarisches Tätigwerden – Gerichtsverfahren durchlaufen wird. Eine Rolle kann dabei spielen, dass für Betroffene das Hinauszögern der endgültigen Entscheidung finanzielle Anreize haben kann. Um diese zugunsten des Dienstherrn zu mildern, sehen die Disziplinargesetze Besoldungskürzungen oder -streichungen vor, z.B. in Baden-Württemberg von 50% bei einer vorläufigen Entfernung aus dem Dienstverhältnis.

Auf den zweiten Blick sind aber die Feinheiten des Vorgehens mit dem speziellen Blick auf die Position des Beamten zu betrachten. Hierauf geht BVR Prof. Dr. Huber in seinem ausführlichen abweichenden Votum ein, der darauf hinweist, dass jenseits von den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums der Schutz des Beamten in seiner lebenslangen Verbindung ein förmliches, faires und unabhängiges Gerichtsverfahren erfordere, das durch die baden-württembergische Regelung nicht gesichert sei.

Aus der Sicht des Autors, der bis zu seinem Ruf an die Hochschule beisitzender ehrenamtlicher Disziplinarrichter war, lässt sich anmerken, dass die neutrale Sicht eines unabhängigen Spruchkörpers nicht zu unterschätzen ist. Selbst die Hürde einer Mitwirkung der übergeordneten Behörde, die allzu oft mit der Ausgangsdienststelle verflochten ist oder eines „neutralen Behördenermittlers“, kann zu einer einseitigen Maßnahme werden. Die Wahrheitspflicht im gerichtlichen Zeugenstand ist ein elementares Werkzeug, Sachverhalte einer objektiven Würdigung zu unterwerfen. Geht es lediglich um die Überprüfung einer bereits getroffenen Entscheidung, ist die Situation für den Beamten umso schwerer, auch dann, wenn der verwaltungsgerichtliche Rechtsfolgenausspruch bei einem stattgebenden Urteil zu einem dauerhaften Verbleib im Dienste der beklagten Behörde führt.

Der Spielraum des Gesetzgebers

Häufig wird der Betroffene bei feststehenden Sachverhalten, z.B. wie hier ein vorangegangenes strafrechtlich rechtskräftig gewürdigtes Verhalten, auf mildere Maßnahmen plädieren, wie die Herabsetzung der Besoldungsstufe. Dass die Verwaltungsgerichte in disziplinarrechtlichen Angelegenheiten nicht nur die antragsgemäße Verurteilung aussprechen können, zeigt – wie auch die besondere Besetzung der Kammern und Senate –, wie zentral die Rolle des Spruchkörpers im disziplinarrechtlichen Kontext ist. Welche zwingende Notwendigkeit ein Verwaltungsakt auf dem Weg zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis spielen soll, erschließt sich nicht. Dafür ist aber der einfache Bundes- oder Landesgesetzgeber zuständig. Die Reformziele der Bundesländer, Disziplinarverfahren zu straffen und zu beschleunigen, erscheinen in weiter Ferne. Ob dabei der Schutz des Beamten nicht wesentlich stärker ausgestaltet ist als der Kündigungsschutz eines Arbeitnehmers – wie es BVR Prof. Dr. Huber in den Raum stellt – kann dennoch bezweifelt werden.

Nachdem das BVerfG keine historischen Anhaltspunkte gefunden hat, einen Richter- oder Gremialvorbehalt für die beamtenrechtliche „Kündigung“ zu begründen, war es konsequent, den verfassungsrechtlichen Rahmen nicht enger zu ziehen. Auch eine willkürliche Behandlung des Beamten ist angesichts der besonderen Vorkehrungen und Hürden nicht ersichtlich. Die entscheidende Aussage der Karlsruher Richter ist nicht, dass ein Ausspruch der schärfsten disziplinarrechtlichen Sanktion durch Verwaltungsakt erfolgen kann, sondern dass die Gesetzgeber beim Schutz ihrer Staatsdiener in der finalen Krisensituation einen Spielraum haben, den sie sehr sensibel gestalten müssen. Nur so wird dem besonderen Treueverhältnis Genüge getan, das die Verfahren der Disziplinarordnungen von z.B. einem Baugenehmigungsverfahren unterscheidet. Die Reformbestrebungen der Beamtengesetzgeber wurden durch die Karlsruher Verfassungsrichter aber erst einmal gestärkt.

 

Prof. Dr. Matthias Werner Schneider

Fachhochschule Schmalkalden
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