15.07.2011

Gleichberechtigung von Daten

Netzneutralität: neues Schlagwort für einen alten Konflikt?

Gleichberechtigung von Daten

Netzneutralität: neues Schlagwort für einen alten Konflikt?

Neutrale Netze leiten Daten durch, ohne nach deren Herkunft zu fragen. Sind sämtliche Daten gleich? | © jochenL.E. - Fotolia
Neutrale Netze leiten Daten durch, ohne nach deren Herkunft zu fragen. Sind sämtliche Daten gleich? | © jochenL.E. - Fotolia

In den USA schon länger Gegenstand prominenter Gerichtsverfahren, so zwischen der Federal Communications Commission (FCC) und Comcast, dem größten Telekommunikations- und Medienkonzern der Welt, ist das Konzept der Netzneutralität heute auch in Deutschland Gegenstand heftiger Debatten. Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP angesprochen, von der Enquête-Kommission Internet und digitale Gesellschaft umfassend diskutiert und Gegenstand der bevorstehenden TKG-Novelle: „Netzneutralität“ ist zum Politikum geworden. Der Begriff bezeichnet dabei – nach einer Definition des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags – „die neutrale Übermittlung von Daten im Internet, das bedeutet eine gleichberechtigte Übertragung aller Datenpakete unabhängig davon, woher diese stammen, welchen Inhalt sie haben oder welche Anwendungen die Pakete generiert haben“.

Wirtschaftlicher Hintergrund

Die Debatte spiegelt einen Grundkonflikt zwischen der Internet-Community einerseits und den Betreibern von Telekommunikationsnetzen sowie Internet Service Providern andererseits wider. Infrastrukturanbieter wie Comcast streben an, ihre Technikkosten nicht nur mittels Zeit und Geld der Endkunden – d. h. in Form von Aufmerksamkeit, die an Werbekunden vermarktet werden kann, oder Anschlussentgelten – zu refinanzieren, sondern die Anbieter von Inhalten und Diensten an den Kosten der Infrastruktur zu beteiligen. Es geht um die Durchsetzung einer Premium-Transportgebühr, die für einen privilegierten Transport von Daten gezahlt werden soll.

Dieser Gedanke schmeckt auch finanzstarken Anbietern wie Google oder Apple schlecht. Längst dem Stadium der „Garagen-Start-Ups“ entwachsen, machen sie sich zu deren Sachwaltern und reklamieren, innovative junge Unternehmen würden vom Markt ausgeschlossen, da sie sich die von den Infrastruktur-Unternehmen angebotenen „Quality of Service“-Pakete meist nicht leisten könnten. Ohne schnellen Transport der Angebote zum Kunden seien sie jedoch im Wettbewerb nicht überlebensfähig. Daher fordere die Offenheit der Internet-Entwicklung, dass die ihm zugrundeliegende technische Infrastruktur für alle Inhalte und Anbieter uneingeschränkt zugänglich bleiben und alle Daten bei ihrem Transport strikt gleichbehandelt werden müssten.


Ein Blick auf andere Infrastrukturen

Doch worauf gründet der Anspruch, eine privatwirtschaftlich betriebene Infrastuktur nach Maßgabe strikter Gleichbehandlung und kostenlos nutzen zu dürfen? Gesellschaftspolitisch ist das Ziel unbestritten, die Verfügbarkeit des Internets und der dort verfügbaren Inhalte und Dienste durch einen Ausbau der Breitband-Infrastruktur zu gewährleisten. Die Folgerung, dass dieser Ausbau den Infrastrukturanbietern als altruistisch zu erfüllende Verpflichtung im Interesse von Internet-Unternehmen auferlegt werden solle, ist hieraus bislang aber – aus nachvollziehbaren Gründen – nicht gezogen worden.

Ein Vergleich mit anderen Netzwirtschaften – im Bereich der Energiewirtschaft, der Ver- oder Entsorgung oder der Verkehrsinfrastruktur – oder auch der herkömmlichen Print- oder Broadcasting-Medien belegt, dass ein Anspruch auf kostenlose Bereitstellung fremder privater Infrastruktur als Grundlage zur Vermarktung eigener Angebote ein durchaus ungewöhnliches Konzept ist – mag es auch lautstark propagiert werden. Auch dort, wo kartellrechtlich oder durch sektorspezifische Regulierung Netzzugang erzwungen werden kann, bleibt das Recht des Infrastrukturbetreibers unbenommen, Nutzungsentgelte zu erheben. So zahlen für das Broadcasting linearer Medieninhalte über Kabel nicht nur die angeschlossenen Haushalte, sondern anteilig auch die Sendeunternehmen. Obwohl sich die Parallele zu anderen Netzwirtschaften aufdrängt, sieht sich die Telekommunikationsbranche einer enormen Protestbewegung unter dem Banner des Freien Internets gegenüber.

Dabei geht es den Infrastrukturbetreibern nicht darum, bestimmte Dienste – z. B. peer-to-peer – oder Diensteanbieter zu behindern oder gar vollständig zu blockieren. Vielmehr sollen die Unternehmen, die den größten Nutzen von der Zusage bestimmter Qualitätsstandards für die Abwicklung ihres Traffics haben, marktkonform an dessen Kosten beteiligt werden. Dies entspricht sowohl dem Verursacher-Prinzip (Veranlassung großen Datenverkehrs) als auch dem Vorteilsprinzip (Inhalte- und Diensteanbieter sind für ihre Geschäfte auf eine funktionierende Infrastruktur angewiesen und profitieren von ihr). Zugleich indiziert die kostenbereite Nachfrage, wo die Allokation von Übertragungskapazitäten volkswirtschaftlich den größten Nutzen schafft. Von solchen rein wirtschaftlichen Überlegungen möchte die Free Internet-Bewegung ihr Leitmedium freilich freihalten – und eine solche idealistische Sicht verdient sicherlich auch Respekt.

Grundrechtliche Erwägungen

Grundrechtlich liegen die gegenläufigen Interessen jedoch auf unterschiedlicher Ebene: Die Befürworter der Netzneutralität reklamieren zu Recht, das Netzwerkmanagement dürfe die Grundrechte der Endnutzer bzw. der Content- und Diensteanbieter nicht verletzen, neben dem Fernmeldegeheimnis also etwa die Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit oder den Gleichheitsgrundsatz. Dies steht einer parteiischen Bevorzugung oder Benachteiligung bestimmter Inhalte oder Dienste (etwa nach dem politischen Gusto des Netzbetreibers) entgegen. Freilich ergibt sich hieraus noch kein Recht, die aufwendig errichtete und betriebene Infrastruktur privater Dritter kostenlos nutzen zu dürfen – und zwar weder grund-, noch kartellrechtlich. Auch Verpflichtungen zur neutralen Vermittlung von Inhalten müssen die Privatnützigkeit des Netzeigentums wahren, dürfen den Infrastrukturbetreibern also keine unangemessenen Beschränkungen ihrer Berufs- oder Eigentumsfreiheit auferlegen. Dies ist an Beispielen wie den von Kabelbetreibern nach Landesmedienrecht zum Teil kostenfrei bereitzustellenden Offenen Kanälen im Breitbandkabel diskutiert und entschieden worden und gilt auch unionsrechtlich bei Kapazitätsbindungen für Universaldienstverpflichtungen.

TKG-Novelle 2011

Der deutsche Gesetzgeber befasst sich mit dem Fragenkreis der Netzneutralität in der bevorstehenden Novellierung des Telekommunikationsgesetzes (TKG) zum ersten Mal. Im März beschloss die Bundesregierung einen Gesetzesentwurf zur Änderung telekommunikationsrechtlicher Regelungen, der zwischenzeitlich ins parlamentarische Verfahren eingebracht worden ist und voraussichtlich noch in 2011 in Kraft treten wird. Der Entwurf dient vor allem der Umsetzung des europäischen Telekom-Richtlinienpakets von 2009, die bis zum 25. 05. 2011 hätte abgeschlossen sein müssen. Die vorgesehenen Änderungen konzentrieren sich auf Fragen des Verbraucherschutzes; der Entwurf verfolgt hingegen nicht den Schutz bestimmter Geschäftsmodelle. Netzwerkmanagementpraktiken – auch Blocking oder Verlangsamung – werden durch die vorgesehenen Änderungen nicht ausdrücklich verboten.

Transparenz und Mindestanforderungen an die Dienstqualität

Vielmehr adressiert der Gesetzesentwurf Fragen der Netzneutralität unter drei Aspekten: Zum einen soll das Prinzip der Netzneutralität als Regulierungsziel festgelegt werden (§ 2 Abs. 2 Nr.1 TKG-E). Dies ergibt sich zwar nicht aus dem Gesetzeswortlaut selber, wohl aber aus der Gesetzesbegründung.

Zweitens soll dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie oder (im Wege der Subdelegation) der Bundesnetzagentur die Befugnis eingeräumt werden, per Rechtsverordnung Rahmenvorschriften für die Dienstqualität zu erlassen (§ 45o TKG-E). Eine solche Rechtsverordnung könnte auch die an die Dienstqualität zu stellenden Mindestanforderungen festlegen, die erforderlich sind, um eine merkliche Verschlechterung von Diensten und eine Behinderung oder Verlangsamung des Datenverkehrs in den Netzen zu verhindern. Allerdings hat der Präsident der Bundesnetzagentur, Matthias Kurth, wiederholt öffentlich erklärt, dass die Bundesnetzagentur derzeit keine Notwendigkeit zu hoheitlichen Regelungen sehe, sondern darauf vertraue, dass der Wettbewerb zwischen verschiedenen Infrastrukturen (wie dem zwischen Mobilfunk im LTE-Standard und Breitbandkabel), eine angemessene Berücksichtigung der Verbraucherinteressen gewährleiste.

Der dritte Aspekt liegt im Ausbau der Transparenzregeln. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (oder an seiner Stelle die Bundesnetzagentur) soll ermächtigt werden, durch Rechtsverordnung den Betreibern öffentlicher Telekommunikationsnetze Informationspflichten über etwaige Netzwerkmanagementpraktiken aufzuerlegen (§ 45n Abs. 4 TKG-E). Entsprechende Informationspflichten sollen beim Abschluss von Verbraucherverträgen gelten (§ 43a Abs. 2 TKG-E) sowie gegenüber Unternehmen, die gesetzlich oder vertraglich berechtigt sind, die fragliche Netzinfrastruktur zu nutzen (§ 20 Abs. 1 TKG-E).

Der Bundesrat, der gemäß Art.87f Abs. 1 GG dem Gesetzesentwurf zustimmen muss, hat mittlerweile zu dem Entwurf der Bundesregierung Stellung genommen und gefordert zu prüfen, ob mit § 2 Abs. 2 Nr.1 TKG-E das Regulierungsziel der Netzneutralität hinreichend deutlich beschrieben werde. Ferner hat er – wie es in der gegenwärtigen politischen Situation der generellen Praxis entspricht – gefordert, dass sein Zustimmungsrecht auf die Ausführungsverordnungen nach § § 45n und 45o TKG-E erstreckt werden müsse.

Darüber hinaus hat die Landesregierung NRW Ende Juni angekündigt, im Bundesrat Änderungsanträge mit dem Ziel einer verbindlichen Regelung der Netzneutralität einzubringen, die den Providern in bestimmtem Rahmen die Möglichkeit eröffnen soll, für unterschiedliche Dienstklassen unterschiedliche Preise zu erheben.

Weitergehender Regelungsbedarf?

Weitergehende Vorschriften planen Bundesregierung und Regulierungsbehörde gegenwärtig nicht. Sie neigen also offenkundig nicht dazu, das von Parteigängern der Netzneutralität wie Google propagierte „Prinzip des freien Zugangs für Content-Provider“ gesetzlich anzuerkennen.

Ganz oben auf der politischen Agenda stehen vielmehr die Verfügbarkeit eines Breitbandzugangs zum Internet auch in ländlichen Gebieten, und die Frage, wie die erforderlichen Neuerungen durch Anreize für die Netzbetreiber beschleunigt werden können. Dass ein Verbot von „Quality of Service“-Angeboten einen solchen Anreiz darstellen könnte, liegt überaus fern. Regierung und Regulierung folgen stattdessen der Überzeugung, dass Netz(ausbau)-Kosten nicht den Netzbetreibern und deren Endkunden allein, gegebenenfalls abgefedert durch Subventionen der öffentlichen Hand, aufgebürdet werden müssen, sondern dass Premium-Angebote für Content- oder Serviceanbieter, die Breitbandnetze und Plattformen für die Vermarktung ihrer Angebote benutzen und hiervon in besonderem Maße profitieren, als Refinanzierungsbeitrag eingesetzt werden dürfen. Dabei betonen die Landesmedienanstalten aus grundrechtlicher Perspektive zutreffend, dass eine Diskriminierung nach inhaltlichen Kriterien verhindert werden muss, um Chancengleichheit für alle Inhalte und Formen der Kommunikation sicherzustellen und eine freie öffentliche Meinungsbildung zu ermöglichen. Eine Differenzierung nach wirtschaftlichen Kriterien, also etwa: das Angebot höherer technischer Service-Standards gegen Aufpreis, schließt dies indes nicht aus.

 

Franziska Löw

LL.M., Assessorin, Legal Assistant, White & Case LLP, Berlin
 

Prof. Dr. Norbert Wimmer

Rechtsanwalt, Partner Fachanwalt für Verwaltungsrecht, White & Case LLP, Berlin
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