15.07.2011

Die Gläserne Konversion

Beginn eines Kurswechsels: Hülsmeyer-Kaserne wird zum Hülsmeyer-Park

Die Gläserne Konversion

Beginn eines Kurswechsels: Hülsmeyer-Kaserne wird zum Hülsmeyer-Park

Nachhaltiges Flächenmanagement: Das Gewerbegebiet „Hülsmeyer-Park“ nutzt ehemaliges Kasernengelände. | © Samtgemeinde Barnstorf
Nachhaltiges Flächenmanagement: Das Gewerbegebiet „Hülsmeyer-Park“ nutzt ehemaliges Kasernengelände. | © Samtgemeinde Barnstorf

Die Samtgemeinde Barnstorf liegt im Landkreis Diepholz in der Mitte eines von den Städten Bremen (52 km), Oldenburg (56 km) und Osnabrück (70 km) gebildeten Dreiecks an der Bundesstraße 51 mit eigenem Bahnhof (Bahnstrecke Bremen / Osnabrück). Sie besteht aus dem Flecken Barnstorf sowie den weiteren Mitgliedsgemeinden Drebber, Drentwede und Eydelstedt. Bei einer Flächengröße von 205 qkm (vergleichbar der Landeshauptstadt Hannover) wohnen hier knapp 12.000 Menschen. Die Unternehmensstruktur zeichnet sich durch zahlreiche kleine und mittelständische Betriebe mit langer Tradition aus. Aber auch überregional bedeutende Unternehmen in der Erdöl- und Erdgasindustrie, der Kunststoffverarbeitung und der Naturkostherstellung haben hier Fuß gefasst.

Schließung der Kaserne

Am 21. 05. 2003 hat der damalige Bundesminister der Verteidigung Dr. Peter Struck die „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ für den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung erlassen. Mit diesen Richtlinien hat er u. a. die Verlegung der Flugabwehrraketengruppe 25 aus den Standorten Ahlhorn / Großenkneten und Barnstorf / Eydelstedt nach Stadum / Leck verfügt. Alle Einwendungen gegen diese Entscheidung blieben erfolglos. So wurde in der Mitgliedsgemeinde Eydelstedt eine der modernsten Kasernen im norddeutschen Raum zum 31. 12. 2005 geschlossen.

Eine ehemalige Militärliegenschaft schafft Raum für Gewerbeansiedlung und 300 neue Arbeitsplätze. | © Samtgemeinde Barnstorf


Fast zeitgleich mit der Nachricht des Truppenabzuges teilte ein großer Arbeitgeber aus der Erdöl- / Erdgasbranche mit, die Samtgemeinde in den nächsten Jahren zu verlassen bzw. den größten Teil der Arbeitsplätze zu verlegen. Die Kommune stand somit vor der großen Herausforderung, die Umstrukturierung im wirtschaftlichen Bereich zu kompensieren. Die Entwicklung auf dem Ölmarkt führte zu einer geänderten Unternehmensstrategie, so dass die Verlagerungspläne des Erdölbetriebes glücklicherweise zurückgenommen wurden. Dennoch war die Suche nach einer Folgenutzung für die Kaserne eine Aufgabe, die Rat und Verwaltung vor enorme Probleme stellte.

Die Hülsmeyer-Kaserne wurde von 1964 bis 2005 militärisch genutzt, teilweise waren hier auch amerikanische Streitkräfte stationiert. Benannt wurde sie nach Christian Hülsmeyer (1881 – 1957), dem Erfinder der Radartechnik, der in Eydelstedt geboren wurde. Die Kaserne war nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht bedeutsam für die Region. Die Bundeswehr war ein wichtiger Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens. Veranstaltungen in der Kaserne bereicherten das kulturelle und sportliche Angebot, die Soldaten waren wichtige Stützen der örtlichen Vereine und im Katastrophenfall konnte die Bevölkerung auf schnelle Unterstützung vertrauen, z. B. bei Hochwasser- und Schneekatastrophen.

Nachdem die Samtgemeinde Barnstorf eine erste Information über die bevorstehende Schließung der Hülsmeyer-Kaserne erhielt, wurden zunächst seitens der Politik viele, letztendlich erfolglose Versuche unternommen, die Schließung noch zu verhindern.

Aus heutiger Sicht wäre es besser gewesen, sich gleich nach der Bekanntgabe der Schließungsabsicht über eine Nachnutzung des Geländes Gedanken zu machen. Befürchtet wurde allerdings, dass dadurch dokumentiert werde, die Kommune habe sich mit einer Schließung bereits abgefunden. Eine zeitnahe Reaktion bietet allerdings einen nicht zu unterschätzenden Vorteil, möglichen Investoren, eine funktionierende Kaserne in einem gepflegten Zustand vorzeigen zu können. Solange eine Kaserne noch genutzt wird, ist die militärische Leitung Ansprechpartner für alles, was auf der Fläche passiert bzw. passieren soll. Dieses erleichtert die Organisation von Vermarktungsgesprächen. Nach erfolgter Schließung ist zunächst die jeweilige Standortverwaltung (StOV), die wiederum der zuständigen Wehrbereichsverwaltung (WBV) unterstellt ist, für die Verwaltung der Liegenschaft zuständig. Erst später, nach Abwicklung etlicher Formalitäten wird das Grundstück an die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BAI) zur weiteren Verwertung übertragen.

Vermarktung durch die Kommune

Für die Kommune war zunächst zu entscheiden, in welcher Form ein kommunales Engagement erfolgt. Hier gingen die Meinungen weit auseinander. Die überwiegende Mehrheit in Rat, Verwaltung und Bevölkerung hielt es nicht für sinnvoll, dass Gemeinde oder Samtgemeinde sich engagieren. Dieses erfolgte zum Teil aus Unkenntnis. Den meisten Einwohnerinnen und Einwohnern war das Kasernengelände nicht bekannt. Daher wussten sie nicht, welches Potenzial in Gebäuden und Grundstücken steckte. Zahlreiche Besichtigungen, die die Samtgemeinde mit Unterstützung der StOV durchführte, brachten hier auch keine gravierende Veränderung. Zudem sorgten die leer stehenden Gebäude und die nicht mehr gepflegten Außenanlagen nicht unbedingt für ein positives Gesamtbild.

Der Verkauf der Hülsmeyer-Kaserne wurde durch die BAI bundesweit mehrfach ausgeschrieben. Dabei sollte die ehemalige Kaserne komplett veräußert werden, ein Teilverkauf war nicht vorgesehen. Wirkliches Kaufinteresse gab es nicht. Die Führungsspitze im Rathaus, u. a. mit Samtgemeindebürgermeister und Wirtschaftsförderer war von einer erfolgreichen Vermarktung – trotz aller Hemmnisse – überzeugt, so dass sich bei den Verantwortlichen im Rathaus immer mehr der Gedanke festsetzte, über eine bestehende samtgemeindeeigene Gesellschaft selbst als Käufer aufzutreten. Finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten von Bund und Land gab es nicht, da zahlreiche andere Kasernen ebenfalls geschlossen wurden. Wichtige Argumente für den Kauf waren, die ehemalige Kaserne in den Focus einer breiten Öffentlichkeit zu bringen, die Kasernensporthalle selbst zu nutzen und eine möglichst schnelle unbürokratische Vermarktung zu erreichen. Dabei durfte das finanzielle Risiko der Kommune bzw. der GmbH nicht zu groß werden.

Fördermittel für das Projekt „Gläserne Konversion“

Bei den unterschiedlichen Überlegungen wurde auch das Büro mensch & region, Hannover, einbezogen. Dieses begleitet seit 1992 nachhaltige Prozess- und Regionalentwicklung. Mit diesem Büro sowie den weiteren Partnern Mull und Partner Ingenieurgesellschaft mbH, dem Niedersächsischen Institut für Wirtschaftsforschung und der Samtgemeinde Fürstenau, Landkreis Osnabrück, in der ebenfalls eine Kaserne zur Schließung anstand, wurde das Projekt „Gläserne Konversion“ gegründet und ein Förderantrag beim Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) aus dem REFINA-Programm gestellt. REFINA bedeutet Forschung für die Reduzierung der Flächeninanspruchnahme und ein nachhaltiges Flächenmanagement. Der REFINA-Förderschwerpunkt ist Teil der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung. Im Mittelpunkt dieser Strategie steht ein effizienter Umgang mit Grund und Boden. Die Ziele hierfür sind die Reduktion der derzeitigen täglichen Inanspruchnahme von Boden für neue Siedlungs- und Verkehrsflächen auf 30 Hektar pro Tag sowie eine vorrangige Innenentwicklung. Dieses „30-ha-Ziel“ soll bis zum Jahr 2020 erreicht werden.

Die Ziele des Vorhabens „Gläserne Konversion“ wurden festgelegt mit:

– Entwicklung und Evaluierung eines partizipativen Bewertungs- und Entscheidungsverfahrens zum nachhaltigen Flächenmanagement von Konversionsstandorten in ausgewählten Modellregionen im ländlichen Raum;
– Einbindung von Konversionsflächen in nachhaltige Gemeindeentwicklungsplanung: Berücksichtigung sozioökonomischer Rahmenbedingungen, relevanter Umweltfaktoren sowie der Belastungssituation auf den Konversionsflächen;
– Schaffung eines Bewusstseinsprozesses für den nachhaltigen Umgang mit Flächen und die Mitverantwortung für mögliche Nutzungsszenarien und Leitbilder durch die Partizipation von Stakeholdern und der breiteren Öffentlichkeit.

Nachdem der Förderantrag bewilligt wurde, begann die aktive Umsetzung des Projektes. Dabei erwies sich die Zusammenarbeit zwischen Forschung und Kommune als außerordentlich positiv für beide Seiten.

Die Kommune bekam den „Blick von außen“ und die Wissenschaft erhielt Hinweise auf für die kommunale Praxis notwendige Forschungsbereiche.

Im Projekt wurde versucht, Einwohnerinnen und Einwohner, Rat sowie Verwaltung möglichst frühzeitig in die einzelnen Phasen einzubeziehen. Auf Transparenz wurde von Anfang an größter Wert gelegt.

Startschuss für einen gravierenden Kurswechsel

Das Projekt „Gläserne Konversion“ war der Startschuss für einen gravierenden Kurswechsel in der Samtgemeinde Barnstorf. Beeinflusst wurde dieser sicherlich durch die positive Vermarktung der ehemaligen Militärliegenschaft. Inzwischen sind fast alle Grundstücke veräußert worden. 12 neue Unternehmen mit ca. 300 Arbeitsplätzen übernahmen die ehemals militärisch genutzten Gebäude und Grundstücke.

Vor Beginn des REFINA-Forschungsvorhabens „Gläserne Konversion“ war nachhaltiges Flächenmanagement / Flächenreduzierung in der Samtgemeinde Barnstorf kein Thema. Es wurden großzügig Flächen für Wohnbebauung oder Gewerbe vorrangig „auf der grünen Wiese“ ausgewiesen. Es wurde nicht hinterfragt, ob eine Ausweisung neuer Baugebiete aus städtebaulicher Sicht überhaupt sinnvoll ist. Oft waren allein ökonomische Gesichtspunkte ausschlaggebend. So wurde dort Bauland ausgewiesen, wo günstiges Land verfügbar war. Das Ganze hatte eher den Charakter einer Gefälligkeitsplanung, d. h. wenn eine Mitgliedsgemeinde es wünschte, wurde auf Samtgemeindeebene der Flächennutzungsplan geändert und ein entsprechender Bebauungsplan aufgestellt. Rat und Verwaltung haben dabei sämtliche Planungen erarbeitet und die Bevölkerung lediglich in dem gesetzlich geforderten Umfang beteiligt.

Gründung eines Bürgerforums

Während der Projektlaufzeit veränderte sich das Bewusstsein in dieser Hinsicht bei Rat, Verwaltung und Bevölkerung kontinuierlich. Durch die intensive Öffentlichkeitsarbeit, unter anderem in Workshops unter Beteiligung von Rat, Verwaltung und Bürgern, wurde eine neue Art von Partizipation eingeführt, die in der Gründung eines Bürgerforums mündete. Dieses unterstützt den Samtgemeinderat und die Räte der Mitgliedsgemeinden bei der Vorbereitung der Beschlüsse und dient als Bindeglied zwischen Rat, Verwaltung und Einwohnerinnen und Einwohnern. Dadurch soll die Einbindung der allgemeinen Öffentlichkeit in Entscheidungsprozesse gewährleistet sein. Rechtsetzungsbefugnisse hat das Forum nicht. Das Bürgerforum soll auch dafür sorgen, dass die Beschlüsse der kommunalen Gremien durch eine Beteiligung bei der Entscheidungsvorbereitung und -findung von einer breiten Öffentlichkeit getragen werden. Die Besetzung ist repräsentativ entsprechend der gesellschaftlichen Gruppen erfolgt.

Einführung eines nachhaltigen Flächenmanagements

Außerdem fasste der Samtgemeinderat im März 2009 den Grundsatzbeschluss zur Einführung eines nachhaltigen Flächenmanagements, der in ein kommunales Leitbild eingebunden ist. Das bedeutet u. a., dass der künftige Bedarf an Flächen für Wohnen grundsätzlich durch Innenentwicklung, Flächenrecycling sowie Umnutzung gedeckt wird. Für Gewerbeflächen gilt dieses ebenso, soweit es mit den Ansprüchen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse vereinbar ist und den Zielen einer nachhaltigen Ortsentwicklung entspricht. Ausnahmen sollen nur – wenn unbedingt nötig – unter Berücksichtigung des Leitbildes und Abwägung der öffentlichen Kosten und Nutzen möglich sein.

Im gewerblichen Bereich ist die Regulierung des Flächenverbrauchs besonders schwierig. Wir wollen den hiesigen Firmen nicht die Möglichkeit einer Weiterentwicklung nehmen. Wir brauchen unsere Unternehmen! Lukrative Neuansiedlungen werden ebenfalls gerne gesehen. Anders als in der Vergangenheit werden jedoch keine Gewerbegebiete auf Vorrat gehalten, sondern nur bei Bedarf einzelner Unternehmen wird kurzfristig der notwendige Flächenbedarf ausgewiesen. Außerdem wird intensiv geprüft, wo auch hier eine nicht störende Innenentwicklung möglich ist oder wo eine Brache zur Verfügung steht. Wie dieses positiv funktionieren kann, haben wir mit dem Beispiel „Hülsmeyer-Park“ bewiesen.

Um andere Kommunen ebenfalls für diese Thematik zu sensibilisieren, werden weitere Veröffentlichungen folgen.

Hinweis der Redaktion: Der Beitrag in der August-Ausgabe schildert den Kurswechsel der Samtgemeinde Barnstorf in der Bauleitplanung.

 

Jürgen Lübbers

Samtgemeindebürgermeister, Barnstorf
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