12.01.2023

Erfolg haben heißt einmal mehr aufstehen als hinfallen

Prüfungen und Angst vor dem Versagen

Erfolg haben heißt einmal mehr aufstehen als hinfallen

Prüfungen und Angst vor dem Versagen

Prüfungen und die Angst vor dem Versagen  |  © fotomek – stock.adobe.com
Prüfungen und die Angst vor dem Versagen | © fotomek – stock.adobe.com

Die staatliche Pflichtfachprüfung bringt Studierende[1] an ihre Grenzen. Die Belastung vervielfacht sich, wenn der Examenserfolg ausbleibt. Für diese Situation wurde an der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum (RUB) ein spezielles Kursformat eingerichtet, der RUBRUM Wiederholerkurs („Repetentenkurs“). Der folgende Beitrag handelt von den Erfahrungen der Lehrenden und der Studierenden und liefert Tipps, die bei der erfolgreichen Examensvorbereitung helfen.

Von der Abschlussprüfung hängt alles ab

Nach durchschnittlich 10 Semestern[2] ist der Ernstfall eingetreten: Die Zulassungsvoraussetzungen für die staatliche Pflichtfachprüfung sind erfüllt und die Klausuren stehen an. Darauf folgt die Zeit unruhigen Wartens auf die Noten. Und trotz jahrelangen Lernens und intensiver Vorbereitung bringt die Notenveröffentlichung nicht immer gute Nachrichten. Erschreckend oft müssen Studierende den Schock des Durchfallens verarbeiten. 2019 haben 26,9 % aller Kandidaten die staatliche Pflichtfachprüfung nicht bestanden.[3] Und wenn der erste Versuch kein Freiversuch war, entscheidet der zweite mitunter über Lebensentwürfe.

Bei anderen machen sich trotz Freude über das Bestehen Enttäuschung und Ernüchterung breit: Sie haben ihr selbst gestecktes Notenziel nicht erreicht. Dann stellt sich die Frage, wie es weitergehen soll. Denn der ausbleibende Erfolg nach einem mehrjährigen Studium hat das Potential, Selbstbild und Selbstwertgefühl grundlegend in Frage zu stellen.


Außerdem verspricht der Wiederholungsversuch in der Staatsprüfung erst dann den verdienten Erfolg, wenn klar ist, woran es im ersten Versuch gefehlt hat. Daran anknüpfend kann um- und gegengesteuert werden. Dahinter steht weniger ein punktueller Entschluss, der alles zum Besseren wendet, als vielmehr ein Prozess, in dem die individuelle Ausgangslage immer wieder neu durchdacht wird, um schrittweise Veränderungen anzustoßen.

Bei der Entscheidung, sich in diesen Prozess hineinzubegeben, kann neben guten Ratgeberinnen und Ratgebern aller Art der Besuch in der Sprechstunde helfen, die alle Lehrenden anbieten. Für den Prozess der kontinuierlichen Analyse und Veränderung wurde an der Ruhr-Universität Bochum erstmals im Sommersemester 2009 ein spezielles Kursformat eingerichtet: der RUBRUM Wiederholerkurs. Der Kurs soll persönliche Zuwendung in einer belastenden Situation mit kritischer Fehleranalyse kombinieren.[4] Er ist Teil weitergehender Bemühungen, das Lehrangebot zielgruppengerecht stärker auszudifferenzieren.

Die Ausgangslage

Am einfachsten erscheint die Vorbereitung auf den Wiederholungsversuch in zwei Situationen, die Studierende oft schildern:

  • Wer zum Erstversuch seinen Examensvorbereitungsplan noch gar nicht vollständig in die Tat umgesetzt hatte, kann das nachholen.
  • Wer meint, nur bei der einen oder anderen Klausur thematisch Pech gehabt zu haben, kann schlicht auf sein Glück bei der nächsten Klausurenzusammenstellung durch das Justizprüfungsamt hoffen.

Allerdings werden diese Situationen vermutlich systematisch überschätzt. Menschen neigen dazu, Informationen so auszuwählen und zu interpretieren, dass diese die eigenen Erwartungen bestätigen. Einzelnen Informationen wird dadurch zu hohe Erklärungskraft beigemessen (confirmation bias).[5] Für die Vorbereitung auf den Wiederholungsversuch stehen grundsätzlich dieselben Möglichkeiten bereit wie beim Erstversuch. Sie reichen von der selbstständigen Vorbereitung über die Bildung kleiner Lerngruppen und den Online-Austausch bis zum kompletten Repetitoriumskurs, sei es an der Universität oder bei einem privaten Anbieter. Wer zum Erstversuch den einen Weg gewählt hatte, mag zum Zweitversuch einen anderen dieser Wege einschlagen.

Allerdings darf nicht übersehen werden, dass der erste Misserfolg eine mentale Belastung bedeutet. Sie bis zum Wiederholungsversuch abzubauen, lohnt sich. Auch sonst ist Prüfungsangst in der Examensvorbereitung ein Thema, das Aufmerksamkeit verdient. Sebastian Golla hat die Vorbereitung auf das Examen und das Examen selbst mit der Soulsborne-Rollenspielreihe verglichen, in der Spieler an übermächtigen Gegnern verzweifeln, sich immer wieder aufraffen und mit verfeinerten Fertigkeiten in den Kampf begeben müssen.[6]

Diese Übertragung in ein Spielgeschehen kann auch gegen Prüfungsangst helfen. Wenn Angst übergroß wird, zielt Distanzierung von der Angst darauf ab, diese zwar zuzulassen, ihr aber einen Platz zuzuweisen und dadurch die Kontrolle über die Angst zurückzuerlangen.[7] Bei der inhaltlichen Vorbereitung auf juristische Prüfungen sind es oft wenige grundlegende Veränderungen, die Studierenden zu mehr Prüfungserfolg verhelfen. Vielleicht verfälschend kurz gesagt:

  • Löst mehr Fälle!
  • Versucht, Euch möglichst kurz zu fassen!
  • Lasst Euch auf den Sachverhalt ein!

Was bedeutet das im Einzelnen: Es geht um die nötige Übung, die unentbehrliche Schwerpunktsetzung und das Herausarbeiten von Problemen anhand des Sachverhalts (dessen Bedeutung gegenüber dem Auswendiglernen von Meinungen und Argumenten unterschätzt wird) – der hier beschriebene Wiederholerkurs adressiert diese Themen und leitet an zu individueller Fehlererkennung, Fehleranalyse und Fehlervermeidung.

Das Lehrformat: Intensive fachliche Betreuung

Der Wiederholerkurs richtet sich vorrangig an Studierende, die die Staatsprüfung abgelegt, aber nicht bestanden haben. Er steht anderen Studierenden offen, die beispielsweise den Verbesserungsversuch unternehmen wollen. Es handelt sich um einen Halbjahreskurs. Er wird in allen drei Rechtsgebieten (Strafrecht, Zivilrecht, Öffentliches Recht) angeboten, kann aber ebenso selektiv für eines der Rechtsgebiete besucht werden. In jedem Rechtsgebiet findet einmal wöchentlich eine Kurseinheit statt (2 Semesterwochenstunden). Der Kurs ergänzt als Zusatzangebot die anderen Examensvorbereitungskurse (universitäres RUBRUM Repetitorium, Examensklausurenkurs und Crashkurse).[8] Geübt wird die Falllösung. Dabei geht es weniger um die Wiederholung aller fachlichen Inhalte, denn am Wissen mangelt es meistens nicht. Vielmehr soll die Verarbeitung dieser Inhalte, das Unterbringen in der Falllösung trainiert werden.

Das geschieht möglichst examensnah, also anhand von Originalfällen. Es umfasst:

  • die Arbeit am Sachverhalt,
  • das Zeitmanagement,
  • das Erkennen von Problemen,
  • das Herausarbeiten der logischen Struktur einer Lösung,
  • Schreib- und Formulierungsübungen.

Die Arbeit am Fall erfolgt in Kleingruppen und zielt darauf ab, alle Teilnehmer zu aktivieren.[9] Dabei wird deutlich, welche Schwierigkeiten immer wiederkehren und welche weiteren individuellen Probleme bestehen. Diese Schwierigkeiten herauszustellen, in ihrer Bedeutung zu reflektieren und Schritt für Schritt zu überwinden, ist das Ziel des Wiederholerkurses.

Oft geht es dabei um nur wenige methodische Handgriffe, die alles ändern. Im Idealfall verbinden sich einzelne Tipps und Hinweise Schritt für Schritt zu einem Plan für die weitere Vorbereitung auf den Wiederholungsversuch.

Vielleicht am wichtigsten: Mentale Unterstützung

Zur fachlichen kommt als zweite Säule des Kurses die mentale Unterstützung durch Beistand und Rückhalt in der Gruppe. Erfahrene Dozenten nehmen sich Zeit und schaffen Raum für Gespräche. Oft genügt schon das bloße Zuhören, um in einer von Selbstzweifeln begleiteten Phase neuen Optimismus wachsen zu lassen. Dazu trägt in besonderem Maße bei, dass die Teilnehmer sich untereinander austauschen und gegenseitig stützen, weil sie vor den gleichen Problemen stehen. Nicht selten entstehen gemeinsame Lerngruppen, manchmal Freundschaften, die Kraft schenken für den neuen Versuch.[10]

Dabei geht es in einem ersten Schritt darum, nach dem Misserfolg überhaupt wieder die Motivation zu finden, sich mit dem Stoff auseinanderzusetzen. Ein Teilnehmer berichtet, wie sehr ihm das schlichte Erscheinen zu festen Terminen geholfen habe, sich nach dem Misserfolg im ersten Versuch endlich wieder besser zu fühlen. Physisch am Kurs teilzunehmen, habe ihm das Gefühl vermittelt, etwas geschafft zu haben. Dass der Wiederholerkurs als spezielles Vorbereitungsformat ausgewiesen sei, habe ihm die Teilnahme erleichtert.

Was sagen Dozenten und Teilnehmer?

Studierende vergleichen den Wiederholerkurs mit einer Arbeitsgemeinschaft, weil primär Fälle gelöst werden. Der Unterschied bestehe in der thematischen Bandbreite. Man könne sich nicht auf ein einzelnes Unterthema vorbereiten – ganz wie im Examen. In der kleinen Gruppe arbeiteten alle aktiv mit. Die Studierenden geben an, es mache Mut, wenn Fragen aufkommen, die man selbst schon beantworten könne. Wertgeschätzt wird auch, dass erkennbares Ziel des Kurses ist, die Angst vor dem Examen zu nehmen. Statt Panikmache werde praktisch aufgezeigt, dass das Examen machbar ist, grundsätzlich und für jeden Einzelnen.

Eine Teilnehmerin, die sich auf ihren Letztversuch vorbereitet, erzählt, dass diese Art des Unterrichts für sie völlig neu gewesen sei. André Bohmeier, erfahrener Dozent des öffentlich-rechtlichen Wiederholerkurses, sagt dazu, er wolle vermitteln, dass nicht nur das Lösen einer Klausur, sondern das Erreichen eines Prädikats für alle im Bereich des Möglichen liege. Dafür seien ein wenig Fleiß, aber vor allem systematisches Vorgehen nötig. Es gehe nicht darum, wiederzugeben, was auswendig gelernt wurde, sondern eine Lösung des konkreten Falles systematisch herzuleiten.

Schritte zum Erfolg

Der Erwartungshorizont des Korrektors

Was wird in Examensklausuren erwartet? Um eine Klausur erfolgreich zu lösen, ist vor allem sicheres Grundwissen gefragt, mit dessen Hilfe die einschlägigen Rechtnormen auf den Sachverhalt angewendet werden. Im Wiederholerkurs zeigt sich häufig, dass Studierende in den komplexesten Streitigkeiten jede erdenkliche Meinung wiedergeben können, dass ihnen aber das Verständnis dafür fehlt, an welcher Stelle in der Falllösung, warum und um was überhaupt gestritten wird.

Doch das Erkennen und Benennen von Problemen ist ein zentrales Kriterium für die Qualität einer Bearbeitung. Und sobald das Problem erkannt ist, ergeben sich denkbare Ansichten zur Lösung mitunter wie von selbst, wenn die bekannten Auslegungsmethoden herangezogen werden. Unwichtig ist erst recht die Zuordnung von Ansichten zu ihrem Urheber (Rechtsprechung/Literatur).

Struktur, Struktur, Struktur

Die Falllösung verlangt ein geordnetes Vorgehen Schritt für Schritt. Das kann bedeuten:

  • ein beim ersten Lesen vermeintlich erkanntes Problem links liegen lassen zu müssen, weil die Falllösung daran vorbeiführt,
  • ein unbekanntes Problem lösen zu müssen, weil die Falllösung zu ihm führt.

Nur konsequentes Einhalten der logischen Prüfungsreihenfolge führt im Verbund mit sauberer Subsumtion zur vertretbaren Falllösung und zu den neuralgischen Punkten, an denen vertieft argumentiert werden muss. Verständliche Impulse wie das Springen zu Themen, die man kennt, oder das Ausweichen vor Fragen, auf die man keine Antwort hat, führen dagegen geradewegs in die Irre. Hilfreich ist eine Praxis des ständigen Hinterfragens:[11]

  • Für welches Wort in welcher Norm gilt welche Definition?
  • Worin liegen Sinn und Zweck und welcher Rechtsgedanke steht hinter einer gesetzlichen Regelung?
  • Wohin führt der Wortlaut der Regelung?
  • Wozu sagt die Norm nichts?
  • Wie lautet ihre Rechtsfolge?
  • Was ist Grundsatz und was Ausnahme?

Eine Teilnehmerin berichtet, dass ihr das ständige Hinterfragen durch die Dozenten anfangs wie ein ständiges Aufhalten der Falllösung vorgekommen sei. Mit der Zeit jedoch sei ihr aufgefallen, dass sie mit Hilfe der Fragen den Fall schneller und tiefer durchdringe. Dadurch habe sie wieder Freude an der Falllösung entwickelt. All das ist Übungssache, es kann in den Examensklausurenkursen anhand von Originalklausuren selbst eingeübt werden – und es wird im Wiederholerkurs kleinschrittig erklärt und trainiert. Und mit jedem unbekannten Sachverhalt, der letztlich doch gemeistert wird, wächst das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und schwindet die Angst vor der unbekannten Examensklausur.

Den Klausursachverhalt als Hilfestellung nutzen lernen

Ein wichtiger Teil der Übung ist die Arbeit mit dem Sachverhalt. Deshalb sind das erste Lesen und das vertiefte Durchdringen des Sachverhalts Gegenstand im Wiederholerkurs. Kurz gesagt: Der Sachverhalt enthält die Lösung – oder jedenfalls alle Informationen, die, unter die einschlägigen Rechtsnormen subsumiert, zum Ergebnis führen. Das schon erwähnte ständige Hinterfragen gilt daher auch für die Informationen im Sachverhalt:

  • Was ist bloße Ausschmückung, was ist relevant?
  • Warum hat der Aufgabensteller eine bestimmte Information in den Sachverhalt aufgenommen?
  • Was wäre, wenn sie fehlte?
  • Welche Informationen fehlen, so dass sich daraus Probleme ergeben?
  • Welche Informationen sind bei der Lösung unverwertet geblieben und was hat es mit ihnen auf sich?

Das genaue Arbeiten am Sachverhalt führt zur Unterscheidung zwischen Unproblematischem und Problemschwerpunkten. Jeden Satz und – wenn nötig – jedes Wort des Sachverhalts lernen die Teilnehmer des Wiederholerkurses zu wägen. Christian Walburg, Dozent im Strafrecht, beschreibt das Üben am Sachverhalt als Vorgang der Mustererkennung: Man lerne, Muster wie die Bäume im Wald wiederzuerkennen, und finde so den roten Faden.

Erfolg im zweiten Anlauf

André Bohmeier erzählt, dass von seinen Studierenden im Wiederholerkurs im zweiten Anlauf die allermeisten bestanden haben, einige davon mit Prädikat. Die weiteren Karrierewege sind so unterschiedlich wie bei allen Juristinnen und Juristen und führen ins Richteramt ebenso wie in die Anwaltschaft oder die Rechtsabteilungen von Unternehmen. Studierende nach einem Misserfolg zurück in die Erfolgsspur zu bringen, ist das Ziel des Wiederholerkurses an der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum. Und der erste Schritt ist: Rat und Hilfe suchen.

 

Entnommen aus dem Wirtschaftsführer für junge Juristen 2022-2023/2, S. 24.

[1] Im Interesse der besseren Lesbarkeit wird nicht ausdrücklich in geschlechtsspezifischen Personenbezeichnungen differenziert. Die im Folgenden und an mancher Stelle gewählte männliche Form schließt alle anderen Formen gleichberechtigt ein.

[2] Statistik der Juristenausbildung 2019 des Bundesamts für Justiz, https://www.bundesjustizamt.de/SharedDocs/Downloads/DE/Justizstatistiken/Juristenausbildung_2019.pdf?__blob=publicationFile&v=3, letzter Zugriff: 05.01.2023.

[3] S. Fn. 3.

[4] https://idw-online.de/de/news329961, letzter Zugriff: 17.07.2022.

[5] Vgl. dazu Drexl, ZUM 2017, S. 529 ff., 534.

[6] STUD.Jur 2022 S. 8.

[7] Pirker-Binder, PROMED 2007, S. 14 ff.

[8] https://www.jura.rub.de/repetentenkurse-0, letzter Zugriff: 17. 7. 2022.

[9] Vgl. dazu Lange, Methoden juristischer Lehre – Funktionen und Beispiele, in: Krüper (Hrsg.), Rechtswissenschaft lehren, 2022, S. 272 ff., 328.

[10] Zur Bedeutung sozialer Kontakte in der Hochschullehre Kühl, https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/praesenzlehre-welche-bedeutung-die-sozialen-dimension-an-hochschulen-hat-17444561.html, letzter Zugriff: 17.07.2022.

[11] Vgl. dazu Lange (Fn. 10), S. 3241.

 

Prof. Dr. Ken Eckstein

Professor für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Ruhr-Universität Bochum
 

Katharina Otting

Wiss. Mitarbeiterin, Ruhr-Universität Bochum
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