30.01.2023

Entlassungsentschädigungen nach internationaler Tätigkeit in DBA-Staaten

BFH v. 02.09.2009 – I R 111/08

Entlassungsentschädigungen nach internationaler Tätigkeit in DBA-Staaten

BFH v. 02.09.2009 – I R 111/08

Ein Beitrag aus »steueranwaltsmagazin« | © emmi - Fotolia / RBV
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Abfindungszahlungen, die für den Verlust des Arbeitsplatzes gezahlt werden, sind aus deutscher Sicht auf das jeweilige DBA regelmäßig dem Wohnsitzstaat des Empfängers zuzuordnen.[1] Dem liegt das Verständnis zu Grunde, dass eine Abfindung kein Entgelt für die frühere Tätigkeit darstellt und somit nicht dem Tätigkeitsstaat zugeordnet werden kann.

1. Einleitung

Aus ausländischer Sicht auf das jeweilige DBA sind diese jedoch überwiegend dem Tätigkeitsstaat zuzuordnen.[2] Daraus ergab sich in der Vergangenheit eine Fallkonstellation, bei der ein ausschließlich in Deutschland tätiger Arbeitnehmer seinen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland beendet und vor dem Zeitpunkt des Zuflusses der Abfindungszahlungen im Ausland einen Wohnsitz begründet hatte.

Deutschland wies in diesen Fällen dem DBA-Ausland, als Wohnsitzstaat, das Besteuerungsrecht zu. Das DBA-Ausland wies jedoch Deutschland, als Tätigkeitsstaat, das Besteuerungsrecht zu. Im Ergebnis lag eine doppelte Freistellung vor. Im umgekehrten Fall, in dem ein Arbeitnehmer ausschließlich im DBA-Ausland tätig war, dort seinen Wohnsitz hatte und vor Zufluss der Abfindungszahlung seinen Wohnsitz nach Deutschland verlagert hatte, drohte eine Doppelbesteuerung.


2. Grundlagen

Diesem skizzierten Problemaufriss liegt folgende Rechtslage zugrunde:

2.1. Unbeschränkte Steuerpflicht

Abfindungszahlungen, die als Entschädigungszahlung für den Verlust des Arbeitsplatzes an eine Person gezahlt werden, die in Deutschland ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt des Zuflusses der Zahlung innehat, sind gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §§ 19 und 24 Nr. 1 lit. a) EstG steuerpflichtig, wenn die Vertragsbeendigung durch den Arbeitgeber herbeigeführt wird. Dabei gilt die wiederlegbare Vermutung, dass sobald eine Abfindungszahlung an den Arbeitnehmer gezahlt wird, der Arbeitgeber die Vertragsbeendigung herbeigeführt hat.[3]

Eine sachliche Steuerpflicht der Abfindungszahlung ergibt sich nicht aus § 19 Abs. 1 Satz 1 EStG, denn diese Norm verlangt, dass ein Vorteil gewährt wird, der „für“ die Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gezahlt wird. Das Tatbestandsmerkmal „für“ ist dann erfüllt, wenn der Vorteil als Gegenleistung für das zur Verfügung stellen der Arbeitskraft gezahlt wird.[4] Daran fehlt es bei einer Abfindungszahlung, die als Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes gezahlt wird, denn diese wird nicht „für“ die Beschäftigung gewährt, sondern als Surrogat für entgangene Einnahmen.[5]

2.2. Beschränkte Steuerpflicht

Hat der Steuerpflichtige weder seinen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt bei Zufluss in Deutschland, unterliegt die Abfindungszahlung gemäß § 1 Abs. 4 i.V.m. § 49 Nr. 4 lit. d) EStG der deutschen Besteuerung, soweit die Einkünfte aus der ehemaligen Tätigkeit der deutschen Besteuerung unterlegen haben.

2.3. Doppelbesteuerungsabkommen

Aus deutscher, abkommensrechtlicher Sicht stellen Zahlungen an den Arbeitnehmer, die als Entschädigungszahlung für den Verlust des Arbeitsplatzes gewährt werden, Einkünfte aus unselbständiger Arbeit nach Art. 15 Abs. 1 OECD MA dar. Allerdings sind die Abfindungszahlungen nicht als Entgelt „für“ eine frühere Tätigkeit im Sinne des. Art. 15 Abs. 1 Satz 2 OECD MA zu qualifizieren.[6] Sie werden nicht für eine erbrachte Arbeitsleistung gewährt, sondern gerade für den Verlust des Arbeitsplatzes.[7]

Ein bloßer Veranlassungszusammenhang zwischen der Zahlung und der Tätigkeit genügt abkommensrechtlich („dafür“) nicht, um die Zahlungen im (ehemaligen) Tätigkeitsstaat besteuern zu können.[8] Demnach weist Deutschland dem Wohnsitzstaat in diesen Konstellationen das Besteuerungsrecht zu und stellt die Einkünfte frei. Aus Sicht der meisten ausländischen Staaten auf das DBA, wird das Besteuerungsrecht dem Tätigkeitstaat9 zugeordnet, so dass bei entsprechender Sachverhaltsgestaltung eine doppelte Freistellung erreicht werden kann.

( … )

6. Fazit

Ursächlich für die Inkongruenz vor Inkrafttreten des § 50 d Abs. 12 EStG ist, dass das jeweilige nationale Steuerecht unterschiedliche Sichtweisen auf den selbigen Sachverhalt hat. Mit der Neuregelung auf nationaler Ebene soll aus deutscher Sicht eine abweichende Betrachtungsweise korrigiert werden. Diese Methodik setzt nicht an der eigentlichen Ursache der vermeintlichen Problematik an. Vielmehr werden daraus resultierende Symptome beseitigt.

Diese Oberflächlichkeit verdeutlich sich anhand des Aufteilungsmaßstabes auf DBA-Ebene im Zusammenhang mit Abfindungszahlungen, die für eine Tätigkeit in mehreren Staaten gezahlt werden. Veranschaulicht man sich in diesem Zusammenhang den mittlerweile enormen Umfang des § 50 d EStG, der das Ziel hat, die Wirkungsweise eines DBA und die damit zusammenhängende Rechtsprechung zu korrigieren, bleibt dem Rechtsanwender nur die Erkenntnis, dass in diesem Zusammenhang auf Kosten der Rechtssicherheit und einer überzeugenden Systematik des Steuerrechts Fiskalpolitik betrieben wird.

Hält man sich den Grundsatz der Besteuerung nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip vor Augen, so ist es nicht verwunderlich, dass Zuflüsse aus Entlassungsentschädigungen einem Zugriff des Fiskus nicht entzogen werden sollen. Schließlich sollte Steuerrecht immer Gerechtigkeitsrecht sein. Sofern der Gesetzgeber dieser Maxime folgt, hat er nicht nur den Zweck daran zu messen, sondern auch die Mittel. Das Mittel, dass der Gesetzgeber gewählt hat, um den Zweck umzusetzen, ist der „treaty override“.

Ein „treaty override“ verletzt geltendes Völkerrecht. Darüber hinaus wird der Zweck, Inkongruenzen bei der Besteuerung von Abfindungszahlungen in internationalen Konstellationen zu verhindern, unzureichend umgesetzt wie in Abschnitt 5.1 und 5.2 dargelegt wurde. Zudem besteht in Zukunft möglicherweise die Situation, dass mit Hinblick auf die in 5.3 geschilderte faktische Wahlmöglichkeit, vermehrt Verfahren vor den Finanzgerichten ausgetragen werden.

(…)

 

Den kompletten Beitrag lesen Sie im Steueranwaltsmagazin, 6/2022, S. 180.

[1] BFH v. 02.09.2009 – I R 111/08, BStBl. II 2010, 387; BFH v. 24.07.2013 – I R 8/13, BStBl. II 2014, 929.

[2] Bourseaux/Levedag in Schönfeld/Ditz, DBA, Art. 15 Rn. 72.

[3] BFH v. 02.04.2008 – XI R 51/00, BFH/NV 2022, 1144.

[4] BFH v. 28.02.2013 – VI R 58/11, BStBl. II 2013, 642.

[5] Breinersdorf in K/S/M, EStG, § 19 Rz. B184.

[6] BFH v. 10.06.2015 – I R 79/13 BStBl. II 2016,326.

[7] BFH v. 02.09.2009 – I R 90/08, BStBl. II. 2010, 394.

[8] BFH v. 10.06.2015 – I R 79/13, BStBl. II 2016, 327.

 

Daniel Holzinger

Wirtschaftsjurist, S&P Söffing Kranz Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Düsseldorf
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