30.01.2023

Europarecht – Glücksspiel als lehrreiche Materie?

Gründe zum Europäischen Recht

Europarecht – Glücksspiel als lehrreiche Materie?

Gründe zum Europäischen Recht

Ein Beitrag aus »steueranwaltsmagazin« | © emmi - Fotolia / RBV
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Zunächst seien die unionsrechtlichen Punkte betrachtet, die der BFH nachvollziehbar erst nach den verfassungsrechtlichen Punkten behandelt.

1. Er beginnt mit der von der Vorinstanz festgestellten unbezweifelbaren Doppelbesteuerung. Die Klägerin konnte geltend machen, dass sie in ihrem Sitzstaat eine gesetzliche Abgabe entrichtet. Der Bundesfinanzhof kontert dies damit, dass eine Doppelbesteuerung weder nach Europarecht noch nach Völkerrecht verboten sei. Die Glücksspielgesetze fänden sich in keinem Doppelbesteuerungsabkommen.

Ein generelles Verbot der Doppelbesteuerung existiere im Deutschen Steuerrecht nicht. Auch das Gemeinschaftsrecht[1] schreibe keine Harmonisierung und keine Beseitigung der Doppelbesteuerung innerhalb der EU vor. Er verweist hierzu auf eigene Urteile sowie Urteile des Europäischen Gerichtshofes, die in der Tat ein generelles Verbot der Doppelbesteuerung verneinen.


Als weiteren Beleg führt er die Bundestagsdrucksache zur Glücksspielbesteuerung[2] sowie Literaturstellen an. Der Hinweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ist zutreffend. Dieser hat vor allem auch in 2020 ausdrücklich ausgesprochen, dass es für die Glücksspielbesteuerung kein Verbot der Doppelbesteuerung gebe.[3]

Der Wortlaut der Begründung entsprach älterer Tradition, „dass die Mitgliedstaaten beim gegenwärtigen Entwicklungsstand des Unionsrechts vorbehaltlich dessen Beachtung über eine gewisse Autonomie in diesem Bereich verfügen und deshalb nicht verpflichtet sind, ihr eigenes Steuersystem den verschiedenen Steuersystemen der anderen Mitgliedstaaten anzupassen, um namentlich die aus der parallelen Ausübung ihrer steuerlichen Zuständigkeiten durch diese Staaten folgende Doppelbesteuerung zu beseitigen“. Dies ist die zu Anfang der europäischen Rechtsentwicklung durch den EuGH gängige und immer weniger verwendete Formel vom Stand des Gemeinschaftsrechts.

Mit dieser Formel behält sich der Europäische Gerichtshof vor, später anders zu entscheiden.[4] Vorliegend hat also der Bundesfinanzhof in einer Linie mit dem Europäischen Gerichtshof entschieden. Da er das Urteil aus dem Jahr 2020 unter den umfänglichen Zitaten nicht anführt, darf unterstellt werden, dass er das jüngste Urteil nicht kannte. Aus dieser Perspektive hätte der Bundesfinanzhof allerdings dem EuGH vorlegen müssen. Die Aussagen der älteren Urteile hätten – wie die Formulierung vom Stand des Gemeinschaftsrechts zeigt – überholt sein können.

2. Auch aus der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie entnimmt der Bundesfinanzhof kein Hindernis für die Besteuerung. Dort ist zwar geregelt, dass Wetten nicht der Umsatzsteuer unterliegen, Art. 135 Abs. 1 lit. i. der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie. Das sei aber keine Ausschlussregelung, die eine Besteuerung mit anderen Abgaben verbiete. Das folgert er aus Art. 401 der Richtlinie, weil dort ausdrücklich Abgaben einschließlich Verbrauchssteuern – nur – dann zulässig sind, wenn deren Erhebung keine Formalitäten beim Grenzübertritt bedingt. Dass der EuGH Wettumsätze als nicht geeignet für die Umsatzbesteuerung ansieht,[5] fügt er an.

3. Alsdann führt der Bundesfinanzhof aus, dass eine unzulässige Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs i.S.v. Art. 56 AEUV nicht vorliege. Hier greift der Bundesfinanzhof auf die weitgehende Definition des Europäischen Gerichtshofes zurück, wonach eine Beschränkung bereits dann vorliegt, wenn die grenzüberschreitende Tätigkeit erschwert oder weniger attraktiv gemacht wird. Dass dies auch für Glücksspielveranstaltung gilt, stellt er in Übereinstimmung mit dem EuGH fest.[6] Dann führt er aus, dass zwingende Gründe des Allgemeininteresses eine Beschränkung von Grundfreiheiten rechtfertigen können. Solche sieht er in Verbraucherschutz, Betrugsvermeidung und der Vermeidung von Anreizen zu übermäßigen Ausgaben für Glücksspiele.

Ob dies der Fall sei, könne jeder Mitgliedstaat nach seiner eigenen Wertordnung beurteilen, weil es an einer Harmonisierung fehle. Auch dies entspricht der Rechtsprechung des EuGH.[7]

Der Bundesfinanzhof spricht – allerdings eher undeutlich – an, dass diese Beschränkung dennoch diskriminierungsfrei ausgestaltet sein muss, da die Sportwettensteuer zu einer Verteuerung des Wettangebots führt und damit die Veranstaltung von Sportwetten weniger attraktiv wird. Diese Wirkung trifft aber, so der Bundesfinanzhof, inländische wie ausländische Anbieter in gleicher Weise und zu gleichen Bedingungen. Es gebe daher keine unmittelbare Diskriminierung ausländischer Anbieter.

Aber selbst wenn man eine mittelbare Diskriminierung annehmen würde, sieht er die darin liegende Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit als gerechtfertigt an, weil sie der Verfolgung zwingender Gründe des Allgemeininteresses diene. Die Verhinderung von übermäßigen Ausgaben der Bürger für Glücksspiele sei – wie auch der EuGH ausgeführt habe – ein gerechtfertigtes Ziel. Zur Erreichung dieser Ziele sei die Sportwettensteuer auch geeignet.

Alsdann geht er noch darauf ein, dass hier die Richtlinie über die Information zu technischen Vorschriften 98/34EG[8] nicht verletzt sei. Diese Richtlinie schreibt die unionsweite Information über neue Vorschriften des technischen Normbereichs vor. Unzweifelhaft hatte die Bundesrepublik Deutschland zum Rennwett- und Lotteriegesetz keine entsprechende Notifikation vorgenommen. Nach Auffassung des Bundesfinanzhofes stellten die Normen dieses Gesetzes keine technischen Vorschriften i.S.d. Richtlinie dar, denn in dieser gehe es nur um Qualitätsstufen, Gebrauchstauglichkeit, Sicherheit oder Abmessungen etc. Es sei auch keine sonstige Vorschrift i.S.d. Art. 1 Nr. 4 dieser Richtlinie.[9] Es handelt sich auch nicht um eine technische Vorschrift betreffend Dienste i.S.d. Richtlinie, weil die deutsche Steuer nicht den Zugang zu den dort aufgezählten Aktivitäten betreffe.

Das ist nun etwas schwierig zu begründen, weil Glücksspieldienstleistungen im Internet im Grunde zu den „Dienstleistungen der Informationsgesellschaft“ i.S.v. Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie gehören. Die deutsche Regelung sei aber, so der Bundesfinanzhof, nicht „speziell“ auf die elektronische Durchführung abzielend. Denn die deutsche Besteuerung wirke sich nur im Sinne eines Nebeneffekts auf die Dienstleistung Glücksspiel aus. Diese Auswirkung sei schließlich auch nicht beabsichtigt. Der Bundesfinanzhof stellt demnach auf die Zielrichtung der deutschen Norm ab. Das ist nicht unkritisch, weil technische Normen auch versteckt im Steuerrecht geregelt werden können; Beispiel hierfür ist das Reinheitsgebot als Teil des Biersteuerrechts.[10]

( … )

 Fazit

Was bleibt als Fazit für die anwaltliche Arbeit? Der Bundesfinanzhof hat sich sehr viel Mühe mit dem Fall gemacht. Seine Behandlung zeigt, welche Schwierigkeiten er überwinden musste. Der Anwalt, der seinen Fall ordnungsgemäß behandeln will, hat es zweifellos schwerer als ein oberstes Gericht.

1. Die standardmäßige Prüfung der Grundfreiheiten und die Erledigung eines allgemeinen Verbots der Doppelbesteuerung wickeln sich bei einiger Erfahrung schnell ab. Die Subtilitäten, die zunächst bei der Bearbeitung des Sekundärrechts hineinspielen, stellen einige Anforderungen. Die Auslegung von Art. 401 der Mehrwertsteuer-Systemrichtline setzt voraus, dass man die Reichweite im gesamten System der Harmonisierung bestimmt. Der Bundesfinanzhof hat dies unterlassen.

Die Suche nach weiteren Regelungen des Sekundärrechts, die sich auf technische Spezifikationen aller Art beziehen, ist immer schwierig. Es kann aber gesagt werden, dass der EuGH Querbeziehungen zwischen Regelungen des Sekundärrechts geradezu liebt. So hat er etwa in den bahnbrechenden Entscheidungen im Recht der Krankenversicherungen ausdrücklich auf die Harmonisierung der Medizinerausbildung Bezug genommen.[11] Mithin erscheint dies jedenfalls dann lohnend, wenn der Fall zum EuGH gelangt ist. Es kann auch gesagt werden, dass Normen des Persönlichkeits- und Datenschutzes immer weiter vordringen, so dass das Auffinden einschlägiger Normen erleichtert wird.

2. Die Problematik, wie man den Bundesfinanzhof überzeugen kann, damit er die Sachen dem EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens vorlegt, ist generell bekannt.

In Fällen, in denen der Bundesfinanzhof die Möglichkeit des Rückgriffs auf Entscheidungen des EuGH sieht, fällt ihm die Ablehnung leicht. Das hier besprochene Urteil zeigt aber immerhin, dass der Bundesfinanzhof zwar die EuGH-Entscheidungen ohne weitergehende Analyse aufgreift, sich aber neuen Gedanken mit anerkennenswerter Mühe zuwendet.

Die anwaltliche Aufgabe besteht darin, dass ggf. Neue und Abweichende darzustellen. Das zwingt naturgemäß zu einer sehr sorgfältigen Analyse der Urteile und auch der generalanwaltlichen Schlussanträge. Deren Lektüre deckt häufig auf, was der EuGH nicht sagen wollte und lässt den Blick auf Lücken in der Reichweite des Urteils zu. Dann muss man hoffen, dass der Bundesfinanzhof (oder ein aufgeschlossenes Finanzgericht) zu dem Schluss kommt, dass es eben doch keine abschließende allgemeine Auffassung gibt, die „für jeden erfahrenen und kundigen Juristen“ zweifelsfrei ist, wie es das Bundesverfassungsgericht als Voraussetzung des Unterbleibens der Vorlage definiert.[12]

 

Den kompletten Beitrag lesen Sie im Steueranwaltsmagazin, 6/2022, S. 197.

[1] Der Bundesfinanzhof bleibt hier bei diesem weiterhin zutreffenden Begriff.

[2] BT-Drucksache 17/9546, S. 8.

[3] EuGH v. 26.02.2020 – Rs. C-788/18 „Stanleyparma“ und „Stanleybet“.

[4] Dass diese Formel ursprünglich in erster Linie einen anderen Sinn hatte, nämlich die verschiedenen im EWG-Vertrag vorgesehenen Phasen der Harmonisierung abzugrenzen, ist hier nicht zu erörtern.

[5] EuGH, Urt. v. 10.06.2010 – Rs. C-58/09 „Leo Libera“; dort ging es um die Befreiung von der deutschen Umsatzsteuer.

[6] Siehe oben Fußnote 3 zu dem Urteil in den Sachen „Blanco“ und „Fabretti“.

[7] EuGH, Urt. v. 12.06.2014, in der deutschen Rechtssache C-156/13 „Digibet Ltd. und Albers“. Den kompletten Beitrag lesen Sie in StAM 6/2022.

[8] Richtlinie über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft.

[9] EuGH, Urt. v. 04.02.2016 – Rs. C-336/14 „Ince“.

[10] Vormals § 9 Biersteuergesetz, nunmehr § 17 Verordnung zur Durchführung des vorläufigen Biergesetzes.

[11] EuGH v. 28.04.1998 – Rs C-158/95 „Kohll“, und Rs C-120/95 „Decker“, DB 1998, 987.

[12] 09.11.1987 – 2 BvR 808/82, NJW 1988, 1456.

 

Dr. Hans-Michael Pott

Rechtsanwalt/Fachanwalt für Steuerrecht, Sernetz & Schäfer, Düsseldorf
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