Verfassungsrechtlicher Schutz der infrastrukturellen Einrichtungen eines Klimacamps
OVG Hamburg, Beschluss vom 04.08.2022 – 4 Bs 113/22
Verfassungsrechtlicher Schutz der infrastrukturellen Einrichtungen eines Klimacamps
OVG Hamburg, Beschluss vom 04.08.2022 – 4 Bs 113/22
Am 18.07.2022 wurde ein Klimacamp im Hamburger Stadtpark zum Thema „Gegen Erdgas, LNG und eine fossile Infrastruktur“ angemeldet. Der Campbetrieb im engeren Sinne sollte im Zeitraum vom 9. bis 15.08.2022 stattfinden und die Teilnehmerzahl wurde mit 4.000 bis 6.000 Personen angegeben. Die zuständige Versammlungsbehörde erteilte eine Anmeldebestätigung sowie mehrere Beschränkungen. Neben einer Verlagerung des Camps auf eine unbebaute Fläche am Altonaer Volkspark wurde unter Nr. 2 insbesondere das Aufstellen von Schlafzelten untersagt. Darüber hatte schließlich das OVG Hamburg im Beschwerdeverfahren zu befinden.
GG – Art. 8 Abs. 1
VersG – § 15 Abs. 1
Sachverhalt
1 Art. 8 Abs. 1 GG schützt infrastrukturelle Ergänzungen einer Versammlung in Form von Informationsständen, Sitzgelegenheiten, Imbissständen oder auch Schlafzelten, sofern sie funktional-versammlungsspezifisch eingesetzt werden.
2 Dies ist dann anzunehmen, wenn die jeweils in Rede stehenden Gegenstände und Hilfsmittel zur Verwirklichung des Versammlungszwecks funktional, symbolisch oder konzeptionell im Sinne der konkreten kollektiven Meinungskundgabe notwendig sind.
3 Daneben umfasst der Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG auch diejenigen infrastrukturellen Einrichtungen, die in logistischer Hinsicht zwingend erforderlich sind, ohne die ein Camp im konkreten Fall also nicht veranstaltet werden könnte.
Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, Beschl. v. 04.08.2022 – 4 Bs 113/22
Aus den Gründen
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Antragsgegnerin trägt zur Begründung vor, sie begehre ausschließlich die Herbeiführung der Klärung, ob und in welchem Umfang bei Annahme einer Versammlung Schlafzelte in einer Großstadt wie Hamburg mit grundsätzlich vielen Übernachtungsmöglichkeiten zu gewähren seien.
Im Hinblick auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Nr. 2 der Auflagen in dem Bescheid komme das VG im Ergebnis fehlerhaft zu der Bewertung, dass vorliegend vieles dafür spreche, dass eine gewisse inhaltliche Verknüpfung der infrastrukturellen Einrichtung mit der konkreten Meinungskundgabe bestehe, und dass es wesentliches Ziel der Versammlung sei, auch durch das gelebte Beispiel die angestrebte politische Veränderung darzustellen, etwa durch das kollektive Zusammenleben, das Aufstellen erneuerbarer Energien und deren Nutzung für Küchen und Infrastruktur, und dass dem kollektiven Zusammenleben auch das Organisieren desselben in Zelten und das gemeinsame Übernachten dienen dürfte.
Um inhaltsbezogene Bestandteile der Versammlung handele es sich nur dann, wenn die geplante gemeinsame Meinungsbildung und Meinungsäußerung ohne diese nicht möglich sei. Eine lediglich „gewisse“ inhaltliche Verknüpfung, wie sie das VG annehme, wäre danach gerade nicht ausreichend. Eine allenfalls „gewisse“ inhaltliche Verknüpfung dürfte schon nicht den Anforderungen genügen, dass Infrastruktur nur dann inhaltsbezogen sei, wenn die geplante gemeinsame Meinungsbildung und Meinungsäußerung ohne diese Infrastruktur (gar) nicht möglich wären. Dies sei im Hinblick auf die angemeldeten Schlafzelte vorliegend nicht der Fall.
Das gemeinsame Übernachten in Zelten sei für die Darstellung eines gemeinsamen Zusammenlebens, welches für sich genommen keinen Kundgabecharakter habe, nicht zwingend erforderlich. Die Notwendigkeit von Schlafzelten ergebe sich gerade nicht zwingend aus der „Protestform Camp“. Diese könne tagsüber durchgeführt und gelebt werden, denn auch ohne Übernachtungsmöglichkeiten sei ein „Camp“-Charakter in Form der Darstellung des gemeinsamen Zusammenlebens möglich.
In einer Großstadt würde die angestrebte „Utopie einer nicht-kapitalistischen, nicht profit-orientierten Lebensweise“ zudem auch dadurch zum Ausdruck kommen können, dass Bürgerinnen und Bürger aus Hamburg und Umgebung auswärtige Teilnehmerinnen und Teilnehmer als Gäste willkommen hießen und bei sich übernachten ließen, anstatt dass sämtliche Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Schlafzelten übernachteten.
In Bezug auf das angemeldete Versammlungsthema sei es zudem nicht erforderlich, und zwar insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass das Aufstellen der Übernachtungsinfrastruktur und das Übernachten spezifisch auf den streitgegenständlichen Flächen nicht im Zusammenhang mit einer „dauerhaften Konfrontation der in diesem Zusammenhang verantwortlichen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger“ stehe, weil diese insoweit nicht in unmittelbarer Nähe von entsprechenden Institutionen lägen. Die Schlafzelte bildeten weder aufgrund des gewählten Standortes in Bezug auf das Versammlungsthema einen inhaltlichen Bezug zur Meinungskundgabe, noch sei beispielsweise vorgesehen, diese mit Transparenten zum Versammlungsthema zu versehen. Die Schlafzelte seien zudem ausschließlich zum Übernachten vorgesehen, diese Zelte ermöglichten keine Befassung mit dem Versammlungsthema im Sinne einer Vergewisserung von Überzeugungen unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern und seien nicht auf die Meinungskundgabe gegenüber Dritten im Sinne eines Austausches mit der Bevölkerung gerichtet.
Das VG gehe auch fehl in der Annahme, dass die genannten infrastrukturellen Einrichtungen auch in logistischer Hinsicht für die Durchführung der über sieben Tage stattfindenden Versammlung erforderlich sein dürften und dass vieles dafür spreche, dass Übernachtungsflächen mit Schlafzelten für die Veranstaltung des Klimacamps funktional erforderlich seien, um auch Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmern, die nicht über ausreichend finanzielle Mittel für ein kommerzielles Übernachtungsangebot und nicht über die sozialen Kontakte für ein kostenfreies Angebot verfügten, an der Versammlung teilhaben zu lassen, und dass der Antragsteller unwidersprochen dargelegt habe, dass in Hamburg für den fraglichen Zeitraum zudem nicht mehr ausreichend kommerzielle Angebote bereit stünden. Die Schlafzelte seien nicht logistisch erforderlich. Das VG habe bereits verkannt, dass eine Übernachtung von Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die in Hamburg oder unmittelbarer Umgebung wohnen, logistisch nicht erforderlich wäre, weil ein An- und Abreisen für diese aufgrund des in Hamburg gut vernetzten ÖPNV zu den eigentlichen Veranstaltungszeiten möglich wäre.
Entgegen der Auffassung des VG könne der Einwand, dass ggf. einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus finanziellen Gründen von der Teilnahme abgehalten werden könnten, nicht dazu führen, dass Schlafzelte bzw. jedenfalls Schlafzelte in dieser großen Anzahl logistisch notwendig seien. Fehlerhaft nicht berücksichtigt habe das VG, dass gerade bei einer frühzeitigen Planung und Anmeldung die Nutzung von Privatunterkünften und kommerziellen Unterbringungen in Hamburg und im Umland möglich sei.
Eine am 3.8.2022 durchgeführte Google-Abfrage von Übernachtungsmöglichkeiten habe für den Zeitraum vom 9. bis zum 15.8.2022 ergeben, dass 686 Hotels und 882 Ferienunterkünfte in Hamburg (ohne nähere Umgebung) zur Verfügung stünden. Das VG habe dahingehend auch unberücksichtigt gelassen, dass Teilnehmerinnen und Teilnehmer zudem im Rahmen ihrer Vernetzung ihre Kontakte nutzen könnten, um in Privatunterkünften zu schlafen. Auch über die Internetseite https://www.couchsurfing.com könnten kostenlose private Unterkünfte gefunden werden. Die Übernachtungsfläche für angemeldete 2.667 bis 4.000 Schlafzelte falle nicht bzw. jedenfalls nicht für Schlafzelte in diesem Umfang unter den Schutz des Art. 8 GG.
Es kann offenbleiben, ob sich die Antragsgegnerin hinreichend mit der angefochtenen Entscheidung des VG auseinandergesetzt hat und ob sie deren tragende Erwägungen erschüttert hat. Das Beschwerdegericht geht zu ihren Gunsten hiervon aus. Die somit grundsätzlich zulässige vollständige Überprüfung der Sach- und Rechtslage führt allerdings im Ergebnis zu keiner Änderung oder Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Das VG hat die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Nr. 2 der Auflagen zu Recht wiederhergestellt. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Art. 8 Abs. 1 GG schützt auch infrastrukturelle Ergänzungen einer Versammlung in Form von Informationsständen, Sitzgelegenheiten, Imbissständen oder auch Zelten, sofern sie funktional-versammlungsspezifisch eingesetzt werden. Infrastrukturelle Begleiteinrichtungen einer Versammlung sind damit nicht in jedem Fall dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit zuzuordnen. Dies ist vielmehr nur dann anzunehmen, wenn die jeweils in Rede stehenden Gegenstände und Hilfsmittel zur Verwirklichung des Versammlungszwecks funktional, symbolisch oder konzeptionell im Sinne der konkreten kollektiven Meinungskundgabe notwendig sind. Ob bestimmte Gegenstände oder infrastrukturelle Einrichtungen, die von den Veranstaltern der Versammlung zur Durchführung der Versammlung als notwendig erachtet werden, in diesem Sinne unmittelbar versammlungsbezogen sind, ist von der Versammlungsbehörde nach einem objektiven Maßstab im Einzelfall zu beurteilen.
Der Versammlungsbegriff ist generell offen für Fortschreibungen. Enthält eine Veranstaltung sowohl Elemente, die auf eine Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sind, als auch solche, die diesem Zweck nicht zuzurechnen sind, ist entscheidend, ob eine derart gemischte Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung ist.
Kann ein Übergewicht des einen oder des anderen Bereichs nicht zweifelsfrei festgestellt werden, bewirkt der hohe Rang der Versammlungsfreiheit, dass die Veranstaltung wie eine Versammlung zu behandeln ist. Da es sich bei einem Protestcamp um eine Dauerveranstaltung handelt, ist der Veranstalter gehalten, den versammlungsspezifischen Zweck, die Dauer und die Gesamtkonzeption zu substantiieren. Dies ist hier geschehen. Nach objektivem Verständnis des von dem Antragsteller im Zusammenhang mit der Versammlungsanmeldung dargelegten Gesamtkonzepts soll die Meinungsbildung auf gesellschaftliche Themen wie die Gefahren der Nutzung fossiler Energiequellen, Umweltzerstörung und Klimakrise sowie auf das durchgehende Praktizieren einer basisdemokratischen und umweltverträglichen Art des Zusammenlebens gerichtet sein.
Nach dem Programm findet während der gesamten vorgesehenen siebentägigen Dauer des Camps ein breites Workshop-, Vortrags- und Diskussionsprogramm statt, das überwiegend – gegenwärtig in Gesellschaft und Politik breit diskutierte – Klimathemen benennt, die auch in kleinen Runden in den jeweils geplanten Zelten diskutiert werden sollen. Jedenfalls bis 21.00 Uhr ist jeweils ein themenbezogenes Programm geplant.
Dass diese Veranstaltung vom Schutzzweck des Art. 8 GG umfasst ist, nimmt auch die Antragsgegnerin an. Die Tatsache, dass der Antragsteller und der Veranstalter auch „Vernetzungsarbeit“ anbieten und leisten möchte, dürfte insbesondere in der Zusammenschau mit den ohnehin überwiegenden sonstigen Programmpunkten, wie das VG richtig festgestellt hat, dem Schutz der Veranstaltung durch Art. 8 GG nicht entgegenstehen. Denn der Schutzgehalt des Artikel 8 GG ist offen für vielfältige Arten der gemeinsamen und der öffentlichen Meinungsbildung. Nach der aktuellen Rechtsprechung des BVerwG unterfällt eine infrastrukturelle Einrichtung eines als Versammlung zu beurteilenden Protestcamps dem unmittelbaren, durch das VersG ausgestalteten Schutz durch Art. 8 GG dann, wenn sie einen inhaltlichen Bezug aufweist.
Darunter ist eine materielle Beziehung zwischen der Versammlung einerseits und der infrastrukturellen Einrichtung andererseits im Sinne eines infrastrukturellen, funktionalen, symbolischen Bezugs zu der mit dem Camp bezweckten Meinungskundgabe zu verstehen. Infrastrukturellen Einrichtungen wie u. a. Zelten wird der Schutz des Art. 8 GG auch dann zuteil, wenn sie für das konkrete Camp logistisch erforderlich und ihm räumlich zuzurechnen sind. Einrichtungen, denen ein hinreichender Bezug zur Meinungskundgabe fehlt, wie dies insbesondere bei Zelten der Fall sein kann, die überwiegend als reine Schlafstätte solcher Menschen dienen, denen es nicht um den Besuch von Veranstaltungen im Camp selbst, sondern anderen Ortes geht, fallen danach nicht unter den Versammlungsbegriff.
Anhaltspunkte dafür sind nach dem Konzept und den Äußerungen des Antragstellers nicht hinreichend wahrscheinlich. Hier spricht einiges dafür, dass nach dem oben dargestellten Maßstab und unter Berücksichtigung der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen Prüfungsdichte im vorliegenden Fall eine inhaltliche Verknüpfung der infrastrukturellen Einrichtungen wie der Schlafzelte mit der konkreten Meinungskundgabe besteht. Denn nach dem Konzept des Antragstellers ist es wesentliches Ziel der Versammlung, Rohstoffe im Camp ressourcenschonend zu verwenden, die angestrebte politische Veränderung darzustellen und zum Beispiel erneuerbare Energien (Solarzellen) konkret vor Ort zur Energiegewinnung für den Betrieb der Küchen und der Infrastruktur zu nutzen.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kämpfen nach dem Konzept u. a. für soziale, ökonomische und ökologische Gerechtigkeit für alle. Diese Utopie wollten sie vor Ort vorleben, um den Menschen Alternativen zu einer „indoktrinierten Lebensweise, in der alle Bedürfnisse Kapitalinteressen untergeordnet werden“ zu vermitteln. Bei der Bewertung der Bedeutung der nicht unmittelbar dem Versammlungszweck dienenden Gegenstände dürften, wie das VG angenommen hat, die hier streitigen infrastrukturellen Einrichtungen wie Zelte und Versorgungseinrichtungen unabhängig von dem inhaltlichen Bezug jedenfalls in logistischer Hinsicht für die Durchführung der hier geplanten Veranstaltung erforderlich sein.
Nach der Rechtsprechung des BVerwG muss der Schutz des Art. 8 GG auch diejenigen infrastrukturellen Einrichtungen umfassen, die diesem Camp räumlich zuzurechnen und für dessen Veranstaltung in logistischer Hinsicht erforderlich sind, ohne die das Camp also nicht veranstaltet werden könnte. Dafür dürfte hier unter Berücksichtigung der vorliegend nur möglichen summarischen Prüfung Überwiegendes sprechen.
Der Antragsteller hat dargelegt, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gegen die aktuelle Energie- und Klimapolitik, die nicht hinnehmbar sei, protestieren wollen. In den nächsten Monaten solle entschieden werden, ob Hamburg ein schwimmendes LNG-Terminal bekommen solle. Das Bewusstsein für diese Auswirkungen wollten sie vor Ort schärfen. Das Workshop-Programm solle für alle Bevölkerungsgruppen geöffnet und es sollten dort miteinander strategische und inhaltliche Ansichten diskutiert werden. Es werde Raum geben für Austausch, die Teilnahme an Workshops und Vorträgen und die Sichtbarkeit von Prozessen.
Der Senat geht im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes unter Berücksichtigung der besonderen Bedeutung des Grundrechts aus Art. 8 GG davon aus, dass die Möglichkeit der Teilnahme bei dem als mehrtätige Veranstaltung konzipierten „Klimacamp“ gegenwärtig von einer – zeitweise einzurichtenden – Infrastruktur abhängen dürfte, die eine Erreichbarkeit der Versammlung über ihre gesamte Dauer hinweg gewährleistet. Zwar weist die Antragsgegnerin zu Recht darauf hin, dass der Entscheidung des BVerwG vom 24.5.2022, 6 C 9.20-juris, das in dem seiner Entscheidung zugrundeliegenden Fall infrastrukturelle Einrichtungen wie eine Fläche für Zelte dem Protestcamp räumlich zugeordnet hat, weil diese für dessen Veranstaltung in logistischer Hinsicht erforderlich seien, ein anderer Sachverhalt zugrunde lag. Ausschlaggebend seien die Umstände des jeweiligen Einzelfalles. Hier dürften die Umstände dafür sprechen, dass bei einer Gesamtbetrachtung eine funktionale Einrichtung wie die Schlafzelte in den Schutz des als Versammlung zu beurteilenden Protestcamps einzubeziehen sind, weil sie für dessen Veranstaltung in logistischer Hinsicht erforderlich sind.
Dahinstehen kann, ob die Ausführungen des VG, dass Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmer, die nicht über ausreichende finanzielle Mittel für ein kommerzielles Übernachtungsangebot und nicht über die sozialen Kontakte für ein kostenfreies Angebot verfügten, die Möglichkeit haben müssten, an der Versammlung (durch Übernachtung vor Ort im Zelt) teilzunehmen, ausschlaggebend sind, um die logistische Erforderlichkeit von infrastrukturellen Einrichtungen bei Protestcamps zu begründen.
Auch kann im Hinblick auf die Eilbedürftigkeit der Entscheidung offenbleiben, ob eine abstrakte Differenzierung des Umfangs der logistischen Erforderlichkeit von dem Schutzbereich von Art. 8 GG unterfallenden „akzessorischen“ infrastrukturellen Einrichtungen regelmäßig oder im Einzelfall danach vorzunehmen ist, ob die Versammlung in einer städtischen Umgebung mit generell mehr Unterkunftsmöglichkeiten oder im ländlichen Raum mit in der Regel weniger für Übernachtungen zur Verfügung stehenden Hotels, Pensionen, Jugendherbergen, Campingplätzen etc. stattfindet.
Im vorliegenden Einzelfall dürfte vieles dafür sprechen, dass die hier streitgegenständlichen Zelte die Teilnahme einer nennenswerten Zahl von Teilnehmerinnen und Teilnehmern an der über sieben Tage stattfindenden Versammlung ermöglichen. Das maßgebliche Versammlungsthema, die aktuelle Energie- und Klimapolitik sowie der Protest gegen gegenwärtig in der Planung befindliche LNG-Terminals in Hamburg und Norddeutschland, bestimmt erst seit kurzer Zeit (u. a. wegen des in der Ukraine stattfindenden Krieges und der damit in Zusammenhang stehenden Sanktionen und Reaktionen darauf) in besonderer Weise die Umwelt- und Wirtschaftspolitik sowie die gesellschaftliche Klimadiskussion.
Für eine insbesondere durch dieses Thema angesprochene und erst kurzfristig zur Teilnahme entschlossene Zahl von potenziellen Teilnehmerinnen und Teilnehmern dürfte es nicht (mehr) möglich sein, sich in einer Großstadt und im Umland um grundsätzlich verfügbare (bezahlbare) Unterkünfte zu bemühen. In Anbetracht dessen, dass die Veranstaltungen nach dem eingereichten Programm des Antragstellers von 9.30 Uhr bis mindestens 21.00 Uhr geplant sind, dürfte die Erwägung des VG nicht fehlerhaft sein, es dürfte für die Veranstaltung der Dauerversammlung notwendig gewesen sein, einen großen Teil der Besucherinnen und Besucher eine einfache Unterbringung in Zelten zu ermöglichen, um an dem kompakten Programm teilzunehmen.
Anmerkung
Die verfassungsrechtliche Einordnung von Protestcamps ist umstritten und muss ganzheitlich erfolgen. Dabei ist von einer eigenständigen Versammlungsqualität, dem Einsatz als Gestaltungsmittel, dem bloßen Aufenthalt im Vorfeld und der Einordnung von Infrastruktureinrichtungen als Hilfsmittel mit oder ohne funktionale Bedeutung für das konkrete Versammlungsthema zu unterscheiden (vgl. Brenneisen/Wilksen/Staack/Martins, Versammlungsrecht, 5. Aufl. 2020, S. 129). Der 4. Senat des OVG Hamburg hat in seiner vorliegenden Entscheidung überzeugend auf den hohen Rang der Versammlungsfreiheit abgestellt und dabei auch das aktuelle Urteil des BVerwG vom 24.5.2022, 6 C 9.20-juris, berücksichtigt. Danach unterfallen die infrastrukturellen Einrichtungen eines als Versammlung zu beurteilenden Protestcamps dem unmittelbaren Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG, wenn sie entweder einen inhaltlichen Bezug zu der mit dem Camp bezweckten Meinungskundgabe aufweisen oder für das konkrete Camp logistisch erforderlich und ihm räumlich zuzurechnen sind.
Den vollständigen Beitrag lesen Sie im Neuen Polizeiarchiv (NPA), 12/2022, Lz. 104.