04.05.2023

Entzug der Fahrerlaubnis wegen Trunkenheitsfahrt auf einem E-Scooter

Beschluss des Landgerichts Oldenburg

Entzug der Fahrerlaubnis wegen Trunkenheitsfahrt auf einem E-Scooter

Beschluss des Landgerichts Oldenburg

Auch beim Fahren eines E-Scooters ist das Trennungsgebot zu beachten: Der einmaligen oder zukünftigen Nichtbeachtung der Fahruntauglichkeit bei Cannabiskonsum.  | © Robert Kneschke - stock.adobe.co
Auch beim Fahren eines E-Scooters ist das Trennungsgebot zu beachten: Der einmaligen oder zukünftigen Nichtbeachtung der Fahruntauglichkeit bei Cannabiskonsum. | © Robert Kneschke - stock.adobe.co

Der Beschuldigte fuhr gegen 04:05 Uhr als Sozius auf einem E-Scooter, wobei er sich – trotz seiner auf dem Roller hinteren Position – am Lenker festhielt. Die Fahrt wurde durch eine Polizeistreife beendet. Die Blutentnahme um 04:40 Uhr ergab für den Beschuldigten eine Blutalkoholkonzentration von 1,2 Promille. Das Amtsgericht Oldenburg hat daraufhin mit Beschluss vom 29.09.2022 dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis nach § 111a StPO vorläufig entzogen.

Mit Schriftsatz vom 17.10.2022 hat der Beschuldigte gegen den Beschluss des Amtsgerichts Oldenburg Beschwerde eingelegt. Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Die Beschwerde des Beschuldigten wurde vom Landgericht Oldenburg als unbegründet verworfen.

StGB – § 69 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2, § 316; StPO – § 111a


Wenn zwei Personen auf einem E-Scooter fahren und sich dabei ein absolut fahruntüchtiger Sozius mit am Lenker festhält, begeht er eine Trunkenheit im Verkehr nach § 316 StGB, sodass ihm die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen werden kann.

Landgericht Oldenburg (Beschl. v. 07.11.2022 – 4 Qs 368/22 – Verlags-Archiv Nr. 2023-03-04)

Aus den Gründen

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Das Amtsgericht hat dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis zu Recht nach § 111a StPO vorläufig entzogen. Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis setzt nach § 111a StPO voraus, dass dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, die Fahrerlaubnis werde gemäß § 69 StGB entzogen werden. Das ist hier der Fall.

Nach § 69 Abs. 1 StGB entzieht das Gericht die Fahrerlaubnis u. a. dann, wenn jemand wegen einer rechtswidrigen Tat, die er bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, verurteilt wird und sich aus der Tat ergibt, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Ist die rechtswidrige Tat eine Trunkenheit im Verkehr nach § 316 StGB, ist der Täter in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen (§ 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB).

Im Einzelnen

Gegen den Beschuldigten besteht der dringende Tatverdacht einer Trunkenheit im Verkehr nach § 316 StGB. Nach § 316 StGB wird bestraft, wer im Verkehr ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen, wobei für Kraftfahrzeugführer bei einer Blutalkoholkonzentration (im Folgenden BAK) von 1,1 Promille unwiderleglich eine sogenannte absolute Fahruntüchtigkeit vorliegt.

Nach Aktenlage befuhr der Beschuldigte am … gegen 04:05 Uhr als Sozius auf einem Elektrokleinstfahrzeug (im Folgenden E-Scooter) der Firma Bolt den Radweg der Ammerländer Heerstraße auf Höhe der Hausnummer … in unzulässiger, stadtauswärtiger Richtung, wobei er sich – trotz seiner auf dem Roller hinteren Position – am Lenker festhielt. Die Fahrt wurde durch die Polizeistreife POK … und PHK … beendet.

Eine Blutentnahme am … um 04:40 Uhr ergab für den Beschuldigten eine BAK von 1,2 Promille. Dieser Sachverhalt erfüllt den Straftatbestand des § 316 StGB aus den nachfolgend ausgeführten Gründen: E-Scooter sind – wie die Klarstellung in § 1 Abs. 1 der Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV) belegt – Kraftfahrzeuge und unterscheiden sich insoweit von Fahrrädern. Sie unterliegen – anders als Fahrräder – den für Kraftfahrzeuge geltenden Regelungen im Straßenverkehrsrecht, soweit nicht – insbesondere in der eKFV – Ausnahmeregelungen gelten. Sowohl im Hinblick auf die Leistungsanforderungen an den Fahrer als auch hinsichtlich des Gefährdungspotenzials stehen E-Scooter den Kleinkrafträdern, insbesondere „Mofas“, deutlich näher als den Fahrrädern.

Die Leistungsanforderungen sind erheblich und übersteigen diejenigen beim Fahrradfahren deutlich, insbesondere aufgrund ihrer Bauart. E-Scooter zeichnen sich durch sehr kleine, kaum gefederte Räder, eine kleine Lenkstange und eine Stehfläche aus. Diese Faktoren erschweren Ausweichmanöver, die im Straßenverkehr jederzeit erforderlich werden können. Im Allgemeinen erfordert das sichere Fahren mit einem solchen Roller einige Geschicklichkeit und insbesondere eine stetige Balance. Es besteht eine im Vergleich zu Fahrrädern erhöhte Sturz- und Umkipp-Gefahr. Aufgrund der kleinen Räder sind E-Scooter zudem für kleine Fahrbahnunebenheiten besonders anfällig, was eine weitere Sturz- bzw. Gefahrenquelle darstellt.

Zwar weisen solche Roller üblicherweise ein Gewicht von nur ca. 20 kg auf, was jedenfalls in etwa dem Gewicht eines Fahrrads entspricht. Jedoch sind E-Scooter deutlich kleiner als Fahrräder, sodass sie – durch andere Verkehrsteilnehmer – leichter übersehen werden können. Da sie über im Wesentlichen geräuschlos arbeitende Elektromotoren verfügen, wird dieser Umstand auch nicht etwa durch eine gute akustische Wahrnehmbarkeit ausgeglichen. Vielmehr ist das Herannahen eines E-Scooters – auch bei Höchstgeschwindigkeit, die immerhin 20 km/h beträgt – akustisch kaum wahrnehmbar.

Anders als bei einem Fahrrad kann diese Höchstgeschwindigkeit auch schnell und mühelos erreicht werden. E-Scooter können sehr stark beschleunigt werden, durch bloßen Knopfdruck und völlig unabhängig von dem körperlichen Einsatz und der körperlichen Verfassung des Nutzers. Ein alkoholisierter Fahrradfahrer muss es demgegenüber durch körperlichen Einsatz zunächst einmal schaffen, entsprechend zu beschleunigen; für einen E-Scooter-Nutzer ist dies mühelos möglich.

Der Beschuldigte hat den E-Scooter zur Tatzeit auch „geführt“ i. S. d. § 316 StGB. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist Führer eines Fahrzeugs derjenige, der sich selbst aller oder wenigstens eines Teiles der wesentlichen technischen Einrichtungen des Fahrzeuges bedient, die für seine Fortbewegung bestimmt sind, also das Fahrzeug unter bestimmungsgemäßer Anwendung seiner Antriebskräfte unter Eigen- oder Mitverantwortung in Bewegung setzt oder das Fahrzeug unter Handhabung seiner technischen Vorrichtungen während der Fahrbewegung durch den öffentlichen Verkehrsraum ganz oder wenigstens zum Teil lenkt.

Danach ist Führer eines Fahrzeuges nicht nur derjenige, der alle für die Fortbewegung des Fahrzeugs erforderlichen technischen Funktionen ausübt, sondern auch wer nur einzelne dieser Tätigkeiten vornimmt, jedenfalls solange es sich dabei um solche handelt, ohne die eine zielgerichtete Fortbewegung des Fahrzeugs im Verkehr unmöglich wäre (wie z. B. das Bremsen oder Lenken). Diese überzeugenden Voraussetzungen, denen sich die Kammer anschließt, werden durch das Verhalten des Beschuldigten erfüllt. Der Beschuldigte hat eingeräumt, dass er „die Hände am Lenker“ gehabt habe und diesen „festhielt“, wobei er allerdings „keine Lenkbewegungen“ ausgeführt habe.

Allein das Festhalten des Lenkers eines E-Scooters während der Fahrt durch einen Sozius stellt – unabhängig von aktiven Lenkbewegungen nach links oder rechts, um eine Kurve zu fahren – ein Lenken des Fahrzeugs und damit das „Führen“ eines Fahrzeugs i. S. d. § 316 StGB dar, denn das Festhalten des Lenkers eines E-Scooters führt dazu, dass dieser in eine ganz bestimmte Richtung gelenkt wird: nämlich geradeaus.

Dieses In-der-Spur-Halten des E-Scooters ist ein genuiner Lenkvorgang, weil ein kontrolliertes Fortbewegen des E-Scooters durch den Verkehrsraum, wenn beide Personen auf dem Roller sich am Lenker festhalten, nur durch ein Zusammenwirken durch beide Fahrer möglich ist. Das bedeutet auch, dass der E-Scooter in einer Art „Mittäterschaft“ von beiden Fahrern gleichzeitig geführt wird.

Dass nach der Einlassung des Beschuldigten lediglich der vordere Fahrer Einfluss auf die Geschwindigkeit gehabt habe, ist nach der vorstehenden Rechtsprechung des BGH – welcher sich die Kammer anschließt – ohne Belang. Denn ein „Führen“ des Fahrzeugs kann hiernach auch dann vorliegen, wenn einzelne Bedienfunktionen – wie hier das Geradeauslenken – aufgeteilt werden. Dass sich der Beschuldigte nach den Ausführungen der Beschwerdebegründung über die Strafbarkeit der Handlung geirrt habe, stellt einen vermeidbaren Verbotsirrtum dar.

Die Kammer würde ein Festhalten am Lenker eines E-Scooters auch dann als Lenken des Fahrzeuges einordnen, wenn – was hier weder vorgetragen noch sonst ersichtlich ist – der Sozius den Verkehr selbst gar nicht wahrnehmen kann, weil der vordere Fahrer des E-Scooters deutlich größer ist und der Sozius über diesen nicht hinwegsehen kann. Das Festhalten des Lenkers eines E-Scooters während der Fahrt sorgt – unabhängig von der Beobachtungsmöglichkeit des Verkehrs – für ein In-der-Spur-Halten.

Ein solches Verhalten stellte hernach vielmehr eine Geradeausfahrt im „Blindflug“ dar, die umso gefährlicher wäre, weil plötzliche Verkehrsvorgänge durch den Sozius, der auf die Lenkung einwirkt, optisch überhaupt nicht wahrgenommen werden könnten. Diese Bewertung durch die Kammer hält auch dem Vergleich mit einem Sozius auf einem Kraftrad stand, welcher aus überzeugenden Gründen mangels eigenverantwortlicher Übernahme einer für die Fahrbewegung notwendigen technischen Teilfunktion nicht als „Führer“ eines Kraftrades angesehen wird.

Denn anders als der Soziusfahrer eines Kraftrads beeinflusst der Soziusfahrer eines E-Scooters, der sich an der Lenkstange festhält, die Fahrtrichtung des Fahrzeugs unmittelbar. Vergleichbar mit dem Soziusfahrer eines Kraftrads wäre der Soziusfahrer eines E-Scooters nach Überzeugung der Kammer lediglich dann, wenn er sich an seinem Vordermann festhielte. Das ist hier allerdings ausdrücklich nicht der Fall gewesen. Die Einordnung durch die Kammer steht auch mit dem Sinn und Zweck des § 316 StGB in Einklang, denn diese Vorschrift schützt als abstraktes Gefährdungsdelikt u. a. das Universalinteresse an der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs gegen verkehrsinterne Bedrohungen von fahruntüchtigen Fahrzeugführern.

Die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs wird durch die unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit eines fahruntüchtigen Sozius auf einem E-Scooter, der sich an dem Lenker festhält, erheblich gefährdet, weil er durch bewusste oder unbewusste Lenkbewegungen – sei es durch Zur-Seite- Lenken oder Geradeauslenken – Kollisionen mit anderen Verkehrsteilnehmern hervorrufen kann, wenn er hierdurch den Lenkbewegungen des anderen Fahrers entgegenwirkt oder diese – bewusst oder unbewusst – verstärkt.

Der Beschuldigte war zur Tatzeit auch absolut fahruntüchtig. Eine absolute Fahruntüchtigkeit ist beim Führen von E-Scootern aufgrund ihrer Einordnung als Kraftfahrzeuge bereits ab einer BAK von 1,1 Promille anzunehmen und nicht etwa – wie bei Fahrten mit einem Fahrrad – ab 1,6 Promille. Der Beschuldigte hatte zur Tatzeit eine BAK von 1,2 Promille. Damit war er unwiderleglich absolut fahruntüchtig. Nach Aktenlage wurde dem Beschuldigten bereits 35 Minuten nach der Tat eine Blutprobe entnommen. Für diese Blutprobe wurde eine BAK von 1,2 Promille festgestellt.

Die Tatzeit-BAK ist in einem solchen Fall im Wege der Rückrechnung festzustellen, wobei ein stündlicher Abbauwert von 0,1 Promille zugrunde zu legen ist. Um bei längerer Resorptionsdauer jede Benachteiligung für den Täter auszuschließen, sind die ersten zwei Stunden nach Trinkende grundsätzlich von der Rückrechnung auszunehmen. Das führt vorliegend dazu, dass die gemessene BAK der Tatzeit-BAK entspricht. Sie wird durch Rückrechnung in diesem Fall nicht erhöht. Dass bei dem Beschuldigten am Tatort eine Atemalkoholkonzentration (AAK) von 0,95 Promille gemessen wurde, ist strafrechtlich ohne Belang.

Die AAK kann lediglich für OWi-Tatbestände eine Rolle spielen. Für die Feststellung der absoluten Fahruntüchtigkeit können AAK-Werte nicht herangezogen werden. Ist die rechtswidrige Tat – wie hier – eine Trunkenheit im Verkehr nach § 316 StGB, ist der Täter in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen (§ 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB).

Der Umstand, dass eine Trunkenheitsfahrt im Sinne des § 316 StGB mittels eines „E-Scooters“ erfolgt, rechtfertigt keine Abweichung von der Regelwirkung des § 69 Abs. 2 StGB. Nach § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB ist der Täter einer Trunkenheitsfahrt in der Regel als ungeeignet zum Führen eines Kraftfahrzeugs anzusehen, ohne dass hier zwischen verschiedenen Arten von Kraftfahrzeugen differenziert wird.

 

Entnommen aus dem Neuen Polizeiarchiv, 3/2023, Lz. 309.

 

Jörg Wagner

Rechtsanwalt
n/a