12.06.2023

Einstellen eines Hakenkreuzes in eine Karikatur in sozialen Netzwerken ist strafbar

Urteil des Bayerischen Obersten Landesgerichts

Einstellen eines Hakenkreuzes in eine Karikatur in sozialen Netzwerken ist strafbar

Urteil des Bayerischen Obersten Landesgerichts

Ein Beitrag aus »Neues Polizeiarchiv« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »Neues Polizeiarchiv« | © emmi - Fotolia / RBV

Das Einstellen einer Karikatur, in der ein Hakenkreuz abgebildet ist, in einen Instagram-Account erfüllt grundsätzlich den Straftatbestand des § 86a Abs. 1 StGB.

Sachverhalt

Wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß § 86a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 i. V. m. § 86 Abs. 1 Nrn. 2 und 4 StGB verurteilte das Amtsgericht den Angeklagten zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 30 €. Auf die hiergegen vom Angeklagten eingelegte Berufung hat das Landgericht mit Urteil vom 21.04.2022 das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und den Angeklagten aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Gegen den Freispruch richtet sich die auf die Sachrüge gestützte und von der Generalstaatsanwaltschaft vertretene Revision der Staatsanwaltschaft.

StGB – § 86a


  1. Das Einstellen einer Karikatur, in der ein Hakenkreuz abgebildet ist, in einen Instagram-Account erfüllt grundsätzlich den Straftatbestand des § 86a Abs. 1 StGB.
  2. Eine aufgrund des Schutzzwecks des § 86a Abs. 1 StGB erforderliche Restriktion des Tatbestands ist nur dann gerechtfertigt, wenn sich auf Anhieb aus der Abbildung in eindeutiger und offenkundiger Weise die Gegnerschaft des Angeklagten zur NS-Ideologie ergibt.

Bayerisches Oberstes Landesgericht (Urt. v. 07.10.2022 – 202 StRR 90/22 – Verlags-Archiv Nr. 2023-04-03)

Aus den Gründen

Die Revision ist begründet. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verneint hat, halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Der als Kind türkischer Eltern in Deutschland geborene Angeklagte ist deutscher Staatsangehöriger. Er gehört der muslimischen Gemeinschaft seiner Heimatstadt an und ist seit Mai 2020 (parteiloses) Mitglied des Stadtrats; der Angeklagte hat mit Erfolg die erste Juristische Staatsprüfung abgelegt. Am 17.05.2021 erstellte der Angeklagte unter seinem Instagram- Account eine sog. ‚Highlight-Story‘ mit dem Titel „Free Palastine“, zu der jeder auf dem sozialen Netzwerk ‚Instagram‘ registrierte Nutzer Zugang und damit Einsicht hatte.

Im Rahmen der Story veröffentlichte der Angeklagte im Zeitraum vom 17. bis zum 20.05.2021 verschiedene eigene Schrift- und Videobeiträge zum Nahostkonflikt, ferner Pressebeiträge und -artikel sowie Bilder und Darstellungen dritter Personen. Am 19.05.2021 stellte der Angeklagte eine nicht von ihm geschaffene Karikatur mit dem Titel „The irony of becoming what you once hated“ in seine vorgenannte ‚Highlight-Story‘ ein.

Die Karikatur zeigt einen Soldaten, der einen Helm mit der Flagge Israels trägt und eine vor ihm am Boden liegende, ein Kopftuch tragende Frau mit einem Gewehr bedroht. Der Soldat blickt dabei zugleich in einen Spiegel, in dem ein Soldat mit Hakenkreuzarmbinde dargestellt ist, der lächelnd einen am Boden liegenden Mann mit einem Gewehr bedroht. Im unteren Übergang von der Zeichnung zum Rand der Karikatur hin wird mit einem roten Symbolpfeil mit der Aufschrift „vote“ auf folgende Frage hingeleitet: „Trifft die Karikatur die Geschichte auf den Punkt?“ Die als (Strich-)Zeichnung im Übrigen in schwarz-weiß gefertigte Karikatur weist für die israelische Flagge eine blaue Kolorierung und für die Hakenkreuzbinde eine das Hakenkreuz auf weißem kreisförmigem Grund rot einfassende Farbe auf.

Das Landgericht sieht den Straftatbestand der §§ 86a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 i. V. m. 86 Abs. 1 Nrn. 2 und 4 StGB aus rechtlichen Gründen im Ergebnis deshalb nicht als erfüllt an, weil es sich bei dem vom Angeklagten im Rahmen der Karikatur verwendeten Hakenkreuz zwar um ein für alle Instagram- Nutzer sichtbares Kennzeichen der verbotenen NSDAP handele, zugunsten des Angeklagten jedoch von einer in der höchstrichterlichen Rechtsprechung wegen der weiten Fassung des Tatbestandes und wegen des Schutzzwecks der Norm anerkannten Tatbestandsrestriktion auszugehen sei, die zur Straffreiheit des Angeklagten führten.

Der Freispruch aus Rechtsgründen hält einer revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand. Die Annahme des Landgerichts, das Verhalten des Angeklagten erfülle nicht den Tatbestand der §§ 86a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 i. V. m. § 86 Abs. 1 Nrn. 2 und 4 StGB, ist rechtsfehlerhaft. Das abgebildete Hakenkreuz stellt zweifelsfrei ein Kennzeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation, nämlich der NSDAP, im Sinne des § 86a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 i. V. m. § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB dar, das der Angeklagte mit dem Einstellen auf seinem Instagram-Account einer unbestimmten Vielzahl von Personen zugänglich machte und damit öffentlich verwendete. Eine Restriktion des Tatbestands, wie sie die Strafkammer unter Berufung auf die höchstrichterliche Rechtsprechung vorgenommen hat, hat aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falles auszuscheiden.

Im Ansatz noch zutreffend hat die Berufungskammer erkannt, dass unter dem Gesichtspunkt des Schutzzwecks der Strafvorschrift eine einschränkende Auslegung des § 86a StGB vorzunehmen ist, wenn das Verhalten trotz Erfüllung der Tatbestandsmerkmale dem Zweck der Vorschrift nicht zuwiderläuft. Zwar setzt die Anwendbarkeit des Straftatbestandes in Bezug auf die Verwendung eines Kennzeichens nicht den Nachweis der Unterstützung verfassungsfeindlicher Ziele, der Ziele der verbotenen Organisation oder einer mit der Verwendung verbundenen Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates voraus. Selbst die bloße Unmöglichkeit, eine damit verbundene konkrete Gefährdung des politischen Friedens oder die naheliegende Möglichkeit einer solchen Gefährdung nachzuweisen, hindert eine Bestrafung nicht.

Die Vorschrift verbannt derartige Kennzeichen vielmehr grundsätzlich aus dem politischen Leben in Deutschland und errichtet so ein kommunikatives Tabu. Die weite Fassung des Tatbestandes der als abstraktes Gefährdungsdelikt ausgestalteten Strafrechtsnorm, der nach seinem Wortlaut – von Fällen der sog. Sozialadäquanzklausel nach § 86a Abs. 3 i. V.m. § 86 Abs. 4 StGB abgesehen – jegliches Verwenden eines solchen Kennzeichens betrifft, würde bei wortgetreuer Auslegung jedoch auch Handlungen erfassen, die diesem Schutzzweck nicht zuwiderlaufen oder sogar in seinem Sinne wirken sollen, was eine Restriktion des Tatbestandes erfordert, die derartige Verwendungen von der Strafbarkeit ausnehmen.

Vor diesem Hintergrund vermögen die Feststellungen und rechtlichen Wertungen des Landgerichts weder die von der Berufungskammer gezogene Schlussfolgerung zu rechtfertigen, die gepostete Karikatur unterfalle nicht dem Schutzzweck des § 86a StGB, weshalb ihre Verwendung durch den Angeklagten schon nicht als tatbestandsmäßig anzusehen sei, noch lassen sich sonstige Gründe erkennen, die einen Freispruch des Angeklagten stützen könnten.

Zwar ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass allein das Fehlen eines für den Nationalsozialismus werbenden Charakters den Tatbestand noch nicht entfallen lässt, die Ausnahme vielmehr nur dann anzuerkennen ist, wenn die Kennzeichenverwendung dem Schutzzweck des § 86a StGB in offenkundiger und eindeutiger Weise ersichtlich nicht zuwiderläuft. Jedoch ist die Wertung, die dem Senat aufgrund der ausdrücklichen Bezugnahme der Berufungskammer nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO in den Urteilsgründen aus eigener Anschauung zugängliche und damit in seine revisionsgerichtliche Prüfung einzubeziehende Karikatur lasse bereits „isoliert betrachtet eine […] Ablehnung und Gegnerschaft des Angeklagten offenkundig und eindeutig erkennen“, nicht haltbar.

Zwar ist es denkbar, dass ein Betrachter über die isolierte Wertung der reinen Bildgestaltung hinaus unter Berücksichtigung des Textes der Titelzeile („The irony of becoming what you once hated…“) eine Gegnerschaft des Verbreiters zum Nationalsozialismus hineinlesen könnte, was allerdings eine eingehende Durchdringung der Darstellung und mehrere Schlussfolgerungen erfordert. Indes muss auch berücksichtigt werden, dass dieser Text in englischer Sprache abgefasst ist und sich dessen Sinngehalt schon deshalb jedenfalls nicht jedem potenziellen Betrachter „auf Anhieb“ erschließt.

Zudem erfordert der Text eine zusätzliche, mit der Karikatur in eine symbiotische Verbindung zu bringende metaphorische Interpretation, weshalb von einer dem Schutzzweck des Tatbestandes ersichtlich nicht zuwiderlaufenden, für den Betrachter der Karikatur bereits auf Anhieb eindeutig und offenkundig erkennbaren Gegnerschaft des Verwenders zu der mit dem Hakenkreuz in Verbindung zu bringenden Organisation und deren Ideologie gerade nicht ausgegangen werden kann.

Wie das Landgericht insoweit selbst zutreffend ausführt, verlangt die Karikatur für ihr vom Verwender gewünschtes Ergebnis von jedwedem Betrachter zunächst nicht nur eine die Erkenntnis der ihr innewohnenden Ironie voraussetzende gedankliche Interpretationsleistung, sondern auch qualifizierte, nicht schlechterdings bei jedem Betrachter als gegeben zu unterstellende Kenntnisse geschichtlicher und politischer Zusammenhänge, die es ihm überdies erlauben, den Bogen aus der Geschichte in die Gegenwart hinein als vom Verwender erhoffte Parallelität der Ereignisse zu spannen.

Hiervon kann indes bei der unbestimmten Vielzahl potenzieller Adressaten und Betrachter der vom Angeklagten öffentlich geposteten Karikatur entgegen der vom Landgericht getroffenen Wertung nicht ausgegangen werden, mögen die zu Unrecht als selbstverständlich vorausgesetzten qualifizierten Vorkenntnisse auch für die Kammer ohne Weiteres als gegeben anzunehmen sein.

Auch aus sonstigen Rechtsgründen ist ein Freispruch des Angeklagten nicht gerechtfertigt. Als „allgemeines Gesetz“ i. S. v. Art. 5 Abs. 2 GG schränkt § 86a StGB das Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG und damit den mit einer Verurteilung verbundenen Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts, von dem auch bildhafte Meinungsäußerungen u. a. durch das Verwenden von Symbolen oder Karikaturen erfasst sind, in von Verfassungs wegen nicht zu beanstandender Weise und damit gerechtfertigt ein. Dies gilt gerade mit Blick auf die gebotene (enge) Auslegung hinsichtlich der Annahme einer dem Schutzzweck ersichtlich nicht zuwiderlaufenden Kennzeichenverwendung.

Aufgrund der sich in der Ausübung der Meinungsfreiheit erschöpfenden und allein deshalb die Frage einer Strafbarkeit des Angeklagten aufwerfenden Verwendung der zudem nicht von dem Angeklagten geschaffenen Karikatur wird der Schutzbereich der Kunstfreiheit i. S. v. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht berührt. Da der Angeklagte nicht vom Urheber der Karikatur mit deren Verbreitung betraut war, ist auch der Wirkbereich des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht berührt.

Eine Rechtfertigung der Kennzeichenverwendung nach der sog. Sozialadäquanzklausel gemäß den §§ 86a Abs. 3 i. V. m. 86 Abs. 4 StGB scheidet nach Intention und Inhalten der vom Angeklagten geposteten ‚Highlight-Story‘ mit dem Titel „FreePalastine“ aus; insbesondere diente die Verwendung weder der staatsbürgerlichen Aufklärung noch der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken. Dem Begriff der staatsbürgerlichen Aufklärung unterfallen Handlungen, die der Wissensvermittlung zur Anregung der politischen Willensbildung und Verantwortungsbereitschaft der Staatsbürger und damit der Förderung ihrer politischen Mündigkeit durch Information dienen, was hier ersichtlich nicht der Fall ist.

Einer Tatbestandsverwirklichung steht deshalb nicht entgegen, dass die verwendete Karikatur etwa im Rahmen einer Berichterstattung über Vorgänge der Geschichte in Presse, Rundfunk und Fernsehen oder über entsprechend ausgerichtete Mediatheken straflos gezeigt bzw. abgerufen werden könnte. Auch soweit die konkret verwendete Karikatur aus einer Quelle geschichtlicher Berichterstattung ohne strafbaren Inhalt entnommen worden sein sollte, kommt es für die Bewertung der Strafbarkeit allein auf den Kontext der Verwendung in ihrer konkreten Form an.

Aus den genannten Gründen ist auf die Revision der Staatsanwaltschaft das angefochtene Urteil mitsamt den Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO) und die Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere (kleine) Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen. Von der Aufhebung erfasst sind auch die tatsächlichen Feststellungen.

Zwar hat der Angeklagte den äußeren Sachverhalt eingeräumt, weshalb einer zumindest teilweisen Aufrechterhaltung der Feststellungen nicht notwendig entgegenstünde, dass der Angeklagte aufgrund des Freispruchs keine Möglichkeit hatte, die Feststellungen mangels Beschwer auch seinerseits mit der Revision anzugreifen. Jedoch ist es sachdienlich, dem neuen Tatgericht widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.

Anmerkung

Kennzeichen sind nicht nur solche i. S. d. § 86a Abs. 2 StGB. Die dortige Aufzählung hat nur beispielhaften Charakter. Unter die Bestimmung fallen auch Parolen, Grußformeln und Lieder mit verfassungswidrigen Inhalten.

 

Entnommen aus dem Neuen Polizeiarchiv 4/2023, Lz. 312.

Ministerialrat Dr. Dr. Frank Ebert

Ministerialrat a.D. Dr. Dr. Frank Ebert

Leiter des Thüringer Prüfungsamts a.D., Erfurt
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