14.06.2023

Die Stadt Tübingen darf eine Verpackungssteuer erheben

Urteil des Bundesverwaltungsgerichts

Die Stadt Tübingen darf eine Verpackungssteuer erheben

Urteil des Bundesverwaltungsgerichts

Die kommunale Verpackungssteuer steht als Lenkungssteuer auch nicht im Widerspruch zum Abfallrecht des Bundes.  | © Atstock Productions – stock.adobe.com
Die kommunale Verpackungssteuer steht als Lenkungssteuer auch nicht im Widerspruch zum Abfallrecht des Bundes. | © Atstock Productions – stock.adobe.com

Die Universitätsstadt Tübingen hatte mit Satzung vom 30.01.2020 die Erhebung einer Verpackungssteuer (Verpackungssteuersatzung) beschlossen, die zum 01.01.2022 in Kraft treten sollte. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) hatte mit Urteil vom 29.03.2022 (2 S 3814/20) diese Satzung für unwirksam erklärt, die Revision zum Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) aber zugelassen. Dieses Gericht hat mit Urteil vom 24.05.2023 (9 CN 1.22) die Tübinger Verpackungssteuer als im Wesentlichen für rechtmäßig erkannt und damit das Urteil des VGH vom 29.03.2022 korrigiert.

Der Text des Urteils des BVerwG liegt noch nicht vor. Das Gericht hat in einer Pressemitteilung vom 24.05.2023 Nr. 40/2023 die das Urteil tragenden Gründe bekanntgegeben. In der Pressemitteilung hat das Gericht ausgeführt:

„Seit Januar 2022 gilt in Tübingen materialunabhängig eine Steuer auf Einwegverpackungen. Damit sollen Einnahmen für den städtischen Haushalt erzielt, die Verunreinigung des Stadtbilds durch im öffentlichen Raum entsorgte Verpackungen verringert und ein Anreiz zur Verwendung von Mehrwegsystemen gesetzt werden. Besteuert werden Einwegverpackungen, -geschirr und -besteck, sofern Speisen und Getränke darin bzw. damit für den unmittelbaren Verzehr an Ort und Stelle oder als mitnehmbares Take-away-Gericht oder -Getränk verkauft werden“.


Die Steuer beträgt für jede Einwegverpackung 0,50 Euro, für jedes Einwegbesteck(-set) 0,20 Euro. Der Steuersatz pro Einzelmahlzeit ist auf maximal 1,50 Euro begrenzt.

Satzung wurde vom VGH Baden-Württemberg für unwirksam erklärt

Die Antragstellerin, Inhaberin eines Schnellrestaurants im Stadtgebiet der Antragsgegnerin, stellte gegen die Satzung einen Normenkontrollantrag, der vor dem Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg Erfolg hatte. Der VGH erklärte die Satzung insgesamt für unwirksam und begründete dies mit der fehlenden Örtlichkeit der Steuer, ihrer Unvereinbarkeit mit dem Bundesabfallrecht sowie der mangelnden Vollzugstauglichkeit der Obergrenze der Besteuerung.

Auf die Revision der Antragsgegnerin hat das Bundesverwaltungsgericht die kommunale Steuer für überwiegend rechtmäßig erklärt. Entgegen der Ansicht der Vorinstanz handelt es sich bei der Verpackungssteuer um eine örtliche Verbrauchsteuer im Sinn des Art. 105 Abs. 2 a Satz 1 GG, für deren Einführung die Stadt Tübingen zuständig war. Bei den zum unmittelbaren Verzehr, sei es an Ort und Stelle oder als „take-away“, verkauften Speisen und Getränken ist der Steuertatbestand so begrenzt, dass ihr Konsum – und damit der Verbrauch der zugehörigen Verpackungen – bei typisierender Betrachtung innerhalb des Gemeindegebiets stattfindet. Damit ist der örtliche Charakter der Steuer hinreichend gewahrt.

Die kommunale Verpackungssteuer steht als Lenkungssteuer auch nicht im Widerspruch zum Abfallrecht des Bundes. Sie bezweckt die Vermeidung von Verpackungsabfall im Stadtgebiet und verfolgt damit auf lokaler Ebene kein gegenläufiges, sondern dasselbe Ziel wie der Unions- und der Bundesgesetzgeber. Die Abfallvermeidung steht in der Abfallhierarchie an oberster Stelle, wie sich aus der EU-Verpackungsrichtlinie, der EU-Einwegkunststoffrichtlinie, dem Kreislaufwirtschaftsgesetz und dem Verpackungsgesetz ergibt; erst danach folgen Wiederverwendung, Verwertung und Beseitigung des Abfalls. Kommunale Steuern, die Einwegverpackungen verteuern, werden durch die verschiedenen unions- und bundesrechtlichen Vorgaben zum Abfallrecht nicht ausgeschlossen. Soweit das Bundesverfassungsgericht vor 25 Jahren seine gegenteilige Ansicht zur damaligen Kasseler Verpackungssteuer auf ein abfallrechtliches „Kooperationsprinzip“ gestützt hat (BVerfG, Urteil vom 7. Mai 1998 – 2 BvR 1991/95 u.a. – BVerfGE 98, 106), lässt sich ein solches dem heutigen Abfallrecht nur noch in – hier nicht maßgeblichen – Ansätzen entnehmen.

Zwar erweisen sich die zu unbestimmte Obergrenze der Besteuerung von 1,50 Euro pro „Einzelmahlzeit“ (§ 4 Abs. 2 der Satzung) und das der Stadtverwaltung ohne zeitliche Begrenzung gewährte Betretungsrecht im Rahmen der Steueraufsicht (§ 8 der Satzung) als rechtswidrig. Diese punktuellen Verstöße lassen jedoch die Rechtmäßigkeit der Satzung im Übrigen unberührt.“ Soweit die Ausführungen des BVerwG in der Pressemitteilung.

Es handelte sich nicht um eine örtliche Steuer

Mit dieser Entscheidung des BVerwG sind die wesentlichen Bedenken, die der VGH seinem Urteil zu der Verpackungssteuersatzung der Stadt Tübingen formuliert hatte, ausgeräumt. Der VGH hatte sowohl eine fehlende Örtlichkeit der Steuer festgestellt als auch einen Widerspruch der Verpackungssteuersatzung mit dem Abfallrecht des Bundes nach den Regelungen des Kreislaufwirtschaftsgesetzes und insbesondere des Verpackungsgesetzes gesehen. Zur fehlenden Örtlichkeit der Steuer hatte der VGH ausgeführt, Tübingen fehle bereits die Kompetenz zur Einführung der Verpackungssteuer, da es sich nicht um eine örtliche Steuer handele. Die Steuer sei nach ihrem Tatbestand nicht auf Verpackungen für Speisen und Getränke zum Verzehr an Ort und Stelle begrenzt (wie die Kasseler Verpackungssteuer), sondern erfasse auch den Verkauf der Produkte zum Mitnehmen. Damit sei normativ der örtliche Bezug der Steuer – den die Gesetzgebungskompetenz für örtliche Verbrauchs- und Aufwandsteuern nach Art. 105 Abs. 2 a GG voraussetze – nicht ausreichend sichergestellt und es sei nicht gewährleistet, dass der belastete Konsum und damit der Verbrauch der Verpackung vor Ort im Gemeindegebiet stattfänden.

Bei Produkten zum Mitnehmen sei im Hinblick auf ihre Transportfähigkeit – auch über größere Strecken – ein Verbleiben im Gemeindegebiet nicht gewährleistet.

Zum Widerspruch zum Abfallrecht des Bundes als Hinderungsgrund für eine kommunale Regelung hatte der VGH ausgeführt, die Verpackungssteuer stehe in ihrer Ausgestaltung als Lenkungssteuer in Widerspruch zum aktuellen Abfallrecht des Bundes. Der Bundesgesetzgeber habe detaillierte Regelungen zur Vermeidung und Verwertung der gesamten Palette an Verpackungsabfällen und damit auch der Einwegverpackungen, die Gegenstand der Tübinger Verpackungssteuer seien, getroffen. Er habe damit darüber entschieden, mit welchen rechtlichen Instrumenten die Ziele der Abfallvermeidung und Abfallverwertung verwirklicht werden sollten, und damit gleichzeitig insbesondere auch darüber, in welchem Umfang die Ziele der Abfallvermeidung und Abfallverwertung verfolgt werden sollten. Danach handele es sich beim Verpackungsgesetz um ein geschlossenes System, das Zusatzregelungen durch den kommunalen Gesetzgeber ausschließe.

Auch der Vorrang der Abfallvermeidung begründe für die Kommunen nicht die Zuständigkeit, die abfallwirtschaftliche Zielsetzung der Abfallvermeidung eigenständig voranzutreiben. Auch wenn das Ziel einer Reduzierung des Verpackungsaufkommens auf Grundlage der bisherigen Regelungen im Verpackungsgesetz nicht (ausreichend) erreicht worden sein sollte, sei es Sache des Bundesgesetzgebers, für Abhilfe zu sorgen und das Regelungssystem des Verpackungsgesetzes fortzuentwickeln. Etwaige Versäumnisse des Bundesgesetzgebers berechtigten die Kommunen nicht dazu, dessen Entscheidungen in eigener Zuständigkeit zu „verbessern“.

Diese Bedenken gegen die Verpackungssteuer der Stadt Tübingen sah das BVerwG nicht. Gleichwohl hat es Bedenken gegen einzelne Regelungen erhoben, insbesondere zu den §§ 4 und 8 der Verpackungssteuersatzung.

In § 4 Satzung ist geregelt:

Steuersatz und Bemessungsgrundlage
(1) Die Steuer beträgt für

  1. jede(n) Einwegdose, -flasche, -becher und sonstige Einweggetränkeverpackung 0,50 Euro
  2. jedes Einweggeschirrteil und jede sonstige Einweglebensmittelverpackung 0,50 Euro
  3. jedes Einwegbesteck(-set) 0,20 Euro

(2) Der Steuersatz pro Einzelmahlzeit wird auf maximal 1,50 Euro begrenzt.

Es ist in der Tat zweifelhaft, wie diese Regelungen in der Praxis zu handhaben sind. Unterschiedliche Auslegungen sind möglich. Was ist beispielsweise als „Einzelmahlzeit“ anzusehen (ein Salat; eine Pizza, eine separate Portion Pommes-Frites)? Diesen Mangel hatte bereits der VGH erkannt und als nicht ausreichend vollzugsfähig angesehen.

§ 8 der Satzung ist wie folgt formuliert:

Steueraufsicht und Prüfungsvorschriften
Die Stadtverwaltung ist berechtigt, jederzeit zur Nachprüfung der Steuererklärungen und zur Feststellung von Steuertatbeständen nach dieser Satzung die Geschäftsräume des Steuerschuldners / der Steuerschuldnerin zu betreten und Geschäftsunterlagen einzusehen sowie Kopien davon anzufordern.

Ein unbegrenztes Betretungsrecht der Geschäftsräume („jederzeit“, das heißt zu jeder Tages- und Nachtzeit) erscheint unverhältnismäßig und nicht mit dem Grundgesetz vereinbar (u. a. Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3, Art. 28 GG).

Die Stadt Tübingen wird ihre Satzung vor ihrer Anwendung anzupassen haben.

(Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 24.05.2023 – 9 CN 1.22, Pressemitteilung vom 24.05.2023, Nr. 40/2023)

 

Heinrich Albers

Beigeordneter beim Niedersächsischen Landkreistag a. D., Sarstedt
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