01.05.2023

Benachrichtigungspflichten der Polizei

Informationsweitergabe im Spannungsfeld von erforderlicher Transparenz, Betroffenenrechten und Geheimschutz

Benachrichtigungspflichten der Polizei

Informationsweitergabe im Spannungsfeld von erforderlicher Transparenz, Betroffenenrechten und Geheimschutz

Ein Beitrag aus »Deutsches Polizeiblatt« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »Deutsches Polizeiblatt« | © emmi - Fotolia / RBV

Die Gesetzgeber in Bund und Ländern normieren unterschiedliche Auskunfts-, Hinweis-, Belehrungs-, Melde- und Benachrichtigungsverpflichtungen bei polizeilichen Eingriffsmaßnahmen, die ganz überwiegend auf die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG und den Anspruch auf ein faires Verfahren („fair trial“) zurückzuführen sind. Der Beitrag gibt einen zusammenfassenden Überblick.

Die Grundüberlegungen

Präventive und repressive polizeiliche Maßnahmen greifen in der Regel in geschützte Grundrechtspositionen der Bürger ein und bedürfen daher entsprechender gesetzlicher  Legitimation. Jeder Person, die durch die öffentliche Gewalt in ihren Rechten verletzt ist, steht der Rechtsweg nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG offen. Hierdurch werden eine gerichtliche Kontrolle der Exekutive sowie ein effektiver Grundrechtsschutz ermöglicht.

Dabei erstreckt sich der verfassungsmäßige Vorbehalt des Gesetzes nicht ausschließlich auf materiell-inhaltliche Eingriffsvoraussetzungen, er umfasst auch alle  organisatorischen und verfahrensrechtlichen  Vorschriften im Zusammenhang mit  Grundrechtseingriffen. Als Bestandteil des Verfahrensrechtes stellen polizeiliche Informationsverpflichtungen dabei einen besonderen  Baustein des „Grundrechtsschutzes  durch Verfahren“ dar.


Abhängig von betroffenen Grundrechten, der Intensität entsprechender Eingriffe sowie der Eingriffstiefe und Streubreite von  Eingriffsmaßnahmen differenziert der Gesetzgeber  in Auskunfts-, Hinweis-, Belehrungs-,  Melde- sowie Benachrichtigungspflichten.  Letztere entfalten dabei eine besondere Bedeutung, da sie die Polizeibehörden verpflichten, unter den gesetzlich  normierten tatbestandlichen Voraussetzungen  aktiv, von Amts wegen (teilweise unter  Einhaltung definierter Formen und Fristen)  Mitteilungen an von polizeilichen Maßnahmen  Betroffene (und ggf. an unbeteiligte  Personen, Dritte oder auch Aufsichtsbehörden)  zuzustellen.

Ziel polizeilicher Benachrichtigungspflichten ist es, den Adressaten der Benachrichtigung über den Umstand eines Grundrechtseingriffes,  die tragenden Gründe für  die Durchführung der Maßnahme, den Umfang  und die Dauer der Maßnahme sowie  die anordnende Stelle und ggf. bestehende  Rechtsmittel zu informieren.

Die Zwecke bestehender Benachrichtigungsverpflichtungen sind dabei vielschichtig und teilweise historisch gewachsen. So soll der Adressat einer Benachrichtigung bspw.  – Gewissheit über das Schicksal und den  Verbleib einer (in der Regel nahestehenden)  Person erhalten (z. B. in Bezug auf  das Überbringen von Todesnachrichten,  bei vermissten Personen und bei freiheitsentziehenden  Maßnahmen),  – ggf. auch erst nach Kenntnisnahme eines  erfolgten Grundrechtseingriffes über das  Dulden der Maßnahme oder das Beschreiten  des Rechtsweges entscheiden  können (z. B. beim Einsatz besonderer  Mittel der Datenerhebung wie längerfristigen  Observationen, dem Einsatz technischer  Mittel oder dem Einsatz eines  verdeckten Ermittlers),  – eigenständig Vorkehrungen zum Schutz  individueller Interessen treffen können  (z. B. bei Verletzungen des Schutzes personenbezogener  Daten durch unbefugte  oder unbeabsichtigte Offenlegung solcher  Informationen oder zum Aufbau einer  Verteidigung im Strafverfahren).

Benachrichtigungspflicht indizierende Eingriffe

Polizeiliche Benachrichtigungspflichten können sich insbesondere ergeben aus präventiven  oder repressiven  – Freiheitsentziehungen,  – Betreten und Durchsuchungen von Wohnungen,  soweit der Wohnungsinhaber  nicht anwesend ist,  – Sicherstellung/Beschlagnahme und ggf.  Verwertung von Gegenständen, wenn die Sicherstellung bzw. Beschlagnahme  der Sachen in Abwesenheit des Betroffenen  bzw. des Beschuldigten erfolgt,  – Eingriffen in die Telekommunikation  oder in die Integrität informationstechnischer  Systeme,  – dem Einsatz technischer Mittel und dem  Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung  innerhalb und außerhalb von Wohnungen,  – Verletzungen des Schutzes personenbezogener  Daten im datenschutzrechtlichen  Sinne.

Ausgewählte Benachrichtigungsverpflichtungen

Freiheitsentziehungen

Einen historischen, aber (bei ausländischen Staatsangehörigen) auch einen völkerrechtlichen  Hintergrund haben Benachrichtigungsverpflichtungen  im Zusammenhang  mit Freiheitsentziehungen. Einer in einer Freiheitsentziehung befindlichen Person ist  Gelegenheit zu geben, einen Angehörigen  oder eine Person ihres Vertrauens zu benachrichtigen.  Die Polizei hat eine entsprechende Benachrichtigung selbst durchzuführen,  wenn die festgehaltene Person  nicht in der Lage ist, von ihrem Benachrichtigungsrecht  Gebrauch zu machen und  eine behördliche Benachrichtigung dem  mutmaßlichen Willen der betroffenen Person  nicht widerspricht. Bei Minderjährigen und bei Personen, für die ein Betreuer bestellt  ist, ist der Sorgeberechtigte/Sorgeverpflichtete  Adressat der Benachrichtigung.

Aus den Erfahrungen der nationalsozialistischen Diktatur sollte es nie wieder möglich  sein, dass Personen spur- und/oder lautlos aus der Öffentlichkeit gezogen werden.  Besondere Regelungen gelten bei Freiheitsentziehungen ausländischer Staatsangehöriger. Basierend auf dem Grundgedanken,  dass jedem Staat gegenüber seinen eigenen  Staatsangehörigen (auch außerhalb des eigenen Staatsgebietes) Schutz-, Hilfs- und Beistandspflichten  obliegen, ohne die staatliche Souveränität des Gebietsstaates zu missachten,  begründen völkerrechtliche Verpflichtungen  (insbesondere Art. 36 Abs. 1 des  Wiener Übereinkommens vom 24.04.1963  über konsularische Beziehungen) bestehende  Benachrichtigungsverpflichtungen der Polizeibehörden gegenüber konsularischen Vertretungen  anderer Staaten. Dabei haben die zuständigen Behörden auf Verlangen des Betroffenen unverzüglich die entsprechende  konsularische Vertretung zu benachrichtigen, wenn eine Person dieses Staates festgenommen, in Straf- oder Untersuchungshaft genommen oder ihr anderweitig die  Freiheit entzogen ist. Für den Bereich des Strafverfahrens ist diese völkerrechtliche Verpflichtung in § 114 b Abs. 2 Satz 4 StPO  umgesetzt worden.

Verdeckte Datenerhebungsmaßnahmen

Präventive oder repressive verdeckte Datenerhebungsmaßnahmen können sich insbesondere  darstellen als  – längerfristige Observationen,  – Einsatz technischer Mittel durch Bild- und/ oder Tonaufzeichnungen innerhalb  und außerhalb von Wohnungen,  – Einsatz von Vertrauenspersonen (Personen,  die nicht der Polizei angehören  und deren Zusammenarbeit mit der Polizei  Dritten nicht bekannt ist),  – Einsatz von verdeckten Ermittlern,  – Eingriffe in die Telekommunikation (z. B.  Telekommunikationsüberwachung, Erhebung von Verkehrsdaten oder Bestandsdaten),  – Technische Ermittlungsmaßnahmen gegen  Mobilendgeräte (z. B. Einsatz IMSICatcher  oder „Stille SMS“),  – Online-Durchsuchungen.

Die dargestellten Maßnahmen werden in der Regel ohne Kenntnis der betroffenen  Personen durchgeführt, was einerseits die  besondere Eingriffsintensität der Maßnahmen,  andererseits aber auch (gerade auch  bei Kombination mehrerer unterschiedlicher  Datenerhebungen) erhebliche Gefährdungen  in Bezug auf verfassungsmäßige  absolute Eingriffsgrenzen begründet. Hierunter sind insbesondere der unantastbare  Kernbereich privater Lebensgestaltung sowie  die Problematik des sog. additiven  Grundrechtseingriffes zu verstehen.  Die Heimlichkeit der Datenerhebungen und die dargestellten besonderen Gefährdungen  begründen das besondere Erfordernis  der Transparenz staatlichen Handelns.  Nur derjenige, der um die eigene Betroffenheit bei derartigen Maßnahmen weiß, kann  erforderlichenfalls (zumindest rückwirkend)  den Rechtsweg beschreiten.  In der Regel entfalten die dargestellten Maßnahmen eine nicht unbeträchtliche  „Streubreite“. Dies muss Konsequenzen hinsichtlich des Adressatenkreises durchzuführender  Benachrichtigungen haben.

Demzufolge sind nicht nur die Zielpersonen der Maßnahmen zu benachrichtigen, sondern  auch erheblich mitbetroffene Personen  (z. B. Personen aus dem unmittelbaren sozialen  Umfeld der Zielperson oder solche  Personen, deren Handlungen oder Äußerungen  in einem beträchtlichen Maß registriert  worden sind) sowie (bei einem VE-Einsatz)  Personen, deren Wohnungen  durch einen verdeckten Ermittler betreten  worden sind.

Benachrichtigungspflichten als Folge von Datenschutzverstößen

In Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 (Datenschutzrichtlinie Justiz und Inneres)  haben die Bundes- und Landesgesetzgeber  für die Polizei Benachrichtigungspflichten  betroffener Personen bei Verletzungen des  Schutzes personenbezogener Daten formuliert.  Gem. § 46 Nr. 10 BDSG handelt es sich dabei um Verletzungen der Sicherheit, die  zur unbeabsichtigten oder unrechtmäßigen  Vernichtung, zum Verlust, zur Veränderung  oder zur unbefugten Offenlegung verarbeiteter  personenbezogener Daten geführt hat.

Die polizeiliche Benachrichtigungspflicht kommt gem. § 66 Abs. 1 BDSG (unverzüglich)  zum Tragen, wenn eine Verletzung  personenbezogener Daten voraussichtlich  eine erhebliche Gefahr für Rechtsgüter betroffener  Personen zur Folge hat.  In diesen Sachverhaltskonstellationen sollen betroffene Personen durch die normierte  Benachrichtigung in die Lage versetzt  werden, selbstständig Schutzvorkehrungen  zu treffen, um den durch die Verletzung  personenbezogener Daten entstandenen Gefahren  begegnen zu können.

Umfang und Grenzen der Benachrichtigung

Die Bundes- und Landesgesetzgeber haben in ihren Datenschutzgesetzen (für Bundeskriminalamt  und Bundespolizei in § 56  Abs. 1 BDSG) festgelegt, welche Inhalte  eine in Spezialgesetzen vorgesehene oder  vorgeschriebene polizeiliche Benachrichtigung  (insbesondere bei verdeckten Maßnahmen)  zumindest beinhalten muss. Hiernach  müssen Angaben enthalten sein zu  – Zweck der Maßnahmen/Datenverarbeitungen,  – Hinweise zu Betroffenenrechten (Auskunft,  Berichtigung, Löschung, Einschränkung  der Verarbeitung),  – Name und Kontaktdaten des Verantwortlichen  sowie des/der Datenschutzbeauftragten,  – das Recht, die Bundesbeauftragte oder  den Bundesbeauftragten anzurufen, nebst  deren/dessen Erreichbarkeit,  – Rechtsgrundlage der Maßnahme,  – für erhobene Informationen geltende  Speicherdauer oder zumindest Kriterien  für die Festlegung dieser Dauer,  – ggf. Kategorien von Empfängern der personenbezogenen  Daten,  – erforderlichenfalls weitere Informationen,  insbesondere, wenn die personenbezogenen  Daten ohne Wissen der betroffenen  Person erhoben wurden.

Eine Benachrichtigung über eine Maßnahme hat zu erfolgen, sobald dies ohne  Gefährdung der Maßnahme möglich ist. Ist eine Benachrichtigung zum aktuellen Zeitpunkt  nicht möglich, kann sie unter bestimmten  Voraussetzungen durch die Polizei  zurückgestellt werden oder sogar ganz  unterbleiben. Dies ist der Fall, wenn bei entsprechender Benachrichtigung die Aufgabenerfüllung  (einschließlich der polizeilichen  Aufgaben auf dem Gebiet der Strafverfolgung),  die öffentliche Sicherheit oder  die Rechtsgüter Dritter gefährdet wären.

Weiterhin muss das Erfordernis der Gefahrenvermeidung das Informationsinteresse  des zu Benachrichtigenden überwiegen.  In der Praxis dürfte dies insbesondere bei der Bekämpfung schwerer Kriminalität bedeutsam  sein, wenn durch eine Benachrichtigung  bspw. Rückschlüsse auf bis dato nicht  allgemein bekannte polizeiliche Einsatztaktiken  oder Einsatzmittel möglich wären,  oder wenn Rückschlüsse auf die Identität  eines verdeckten Ermittlers oder einer Vertrauensperson  mit einer konkreten Gefährdung  für Leib oder Leben der betreffenden  Person einher gehen würden.

Letztlich bleibt die Entscheidung für ein  Zurückstellen oder ein Unterlassen einer  Benachrichtigung immer das Ergebnis einer  Abwägung zwischen Sicherheitsinteressen  des Staates einerseits und dem Ermöglichen  der Rechtewahrnehmung betroffener Personen  andererseits. Die Gesetzgeber in  Bund und Ländern haben zwar verfahrensrechtliche  und organisatorische Vorkehrungen  getroffen (z. B. das Erfordernis des Herbeiführens  einer richterlichen Entscheidung  bei Zurückstellung oder Unterlassen der Benachrichtigung),  um eine justizielle Kontrolle  zu gewährleisten, gleichwohl bleibt  ein dauerhaftes Absehen von Benachrichtigungen  verfassungsmäßig bedenklich.

 

Entnommen aus dem Deutschen Polizeiblatt 1/2023, S. 1.

 

Michael Drewes

Polizeidirektor a.D., Bad Schwartau
n/a