20.06.2022

Anspruch der Presse auf Übermittlung gemeindebezogener Infektionszahlen

Oberverwaltungsgericht Rh.-Pf., Beschl. v. 23.11.2020 – 2 B 11397/20

Anspruch der Presse auf Übermittlung gemeindebezogener Infektionszahlen

Oberverwaltungsgericht Rh.-Pf., Beschl. v. 23.11.2020 – 2 B 11397/20

Ein Beitrag aus »apf« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
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Der auf die Bevölkerungszahl in den Landkreisen und Gemeinden bezogene Inzidenzwert bildete seit Anbeginn der Corona-Pandemie den Anknüpfungspunkt für entsprechende infektiologische Maßnahmen von Regierung und Verwaltung. Im Mittelpunkt einer interessanten Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz (OVG)1 stand ein presserechtlicher Auskunftsanspruch, mit dem die Bekanntgabe von (vorhandenen) Infektionszahlen innerhalb des Zuständigkeitsgebiets eines Landkreises – heruntergebrochen auf die Ebene der einzelnen Ortsgemeinden – eingefordert wurde.

1. Sachverhalt und Verfahrensgang

Die Antragstellerin ist Herausgeberin (H) einer Regionalzeitung, deren Verbreitungsgebiet sich auf den Bereich des Antragsgegners, Landkreis (L), erstreckt. Sie macht einen presserechtlichen Auskunftsanspruch geltend und begehrt die Verpflichtung des L zur Bekanntgabe von (vorhandenen) Corona-Infektionszahlen innerhalb seines Zuständigkeitsgebiets – heruntergebrochen auf die Ebene der einzelnen Ortsgemeinden des Kreisgebietes.

Eine von H zuvor an sie gerichtete Anfrage hatte L abgelehnt. Daraufhin begehrte H beim Verwaltungsgericht (VG) im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Verpflichtung des L, ihr Auskunft zu erteilen sowohl über die seit Beginn der Pandemie insgesamt verzeichneten Infektionszahlen wie auch über die Anzahl der aktiven SARS-CoV-2-Infektionen im Landkreis. Dabei gehe es ihr gerade um die Aufschlüsselung des Zahlenmaterials nach den einzelnen Ortsgemeinden; die von L veröffentlichten Zahlen zu den einzelnen Verbandgemeinden des Landkreises genügten insoweit nicht.


Das VG2 hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, da es an einem Anordnungsanspruch fehle. Zwar könne H für sich in Anspruch nehmen, dass an gebietsbezogenen Informationen zu Corona-Fallzahlen ein sehr hohes öffentliches Interesse bestehe. L könne die begehrten Auskünfte aber verweigern, da anderenfalls schutzwürdige private Interessen verletzt würden. Bei einer Veröffentlichung der Infektionszahlen auf der Ebene der Ortsgemeinden bestehe die Gefahr der Bestimmbarkeit der betroffenen Personen. Maßgeblich dafür sei v. a. die äußerst kleinteilige Gemeindestruktur speziell im Landkreis L. Die dortigen Ortsgemeinden wiesen z. T. weniger als 200 Einwohner auf und seien insoweit mit einzelnen Straßen in einem städtischen Wohngebiet vergleichbar. Der Schutzanspruch der Betroffenen setze sich hier gegenüber dem Informationsrecht der Presse durch. Gegen diesen Beschluss wandte sich H mit der Beschwerde an das OVG. Die Beschwerde hatte Erfolg.

2. Prüfungsmaßstab

Das VG hätte dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit dem H die Übermittlung sowohl der insgesamt im Landkreis dokumentierten SARS-CoV-2-Fälle wie auch der Zahl der aktiven Infektionen – jeweils aufgeschlüsselt nach Ortsgemeinden – begehrt, entsprechen müssen, wenn die Voraussetzungen des § 123 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) für den Erlass einer einstweiligen Anordnung vorlagen. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass sowohl die Ablehnung der begehrten Anordnung als auch eine Stattgabe eine rechtliche bzw. tatsächliche Vorwegnahme der Hauptsache darstellten.3

In Konsequenz daraus steht, um einen effektiven Rechtsschutz für H zu gewährleisten (vgl. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG – GG; Art. 124 Landesverfassung Rheinland-Pfalz – LV), das grundsätzliche Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache hier nicht entgegen. Gleichzeitig allerdings kann die einstweilige Anordnung, weil auch mit ihrem Erlass die Hauptsache vorweggenommen würde, nur ergehen, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache besteht.4

Hierfür sind erhöhte Anforderungen an die Darlegung sowohl des geltend gemachten Anordnungsgrundes als auch des Anordnungsanspruchs zu stellen. Je stärker der Anordnungsgrund ist, desto eher kommt eine Vorwegnahme zulasten der Behörde in Betracht.5

Die Hauptsache, nämlich die Verpflichtung zur Erteilung der begehrten Auskünfte, darf daher nur „vorweggenommen“ werden, wenn H das Abwarten des Hauptsacheverfahrens nicht zuzumuten ist und eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass ihr ein Anspruch auf Erteilung der begehrten Informationen zusteht.6

Diese Voraussetzungen mussten vorliegend gegeben sein. H hatte insoweit sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft zu machen (vgl. § 123 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO).

3. Auskunftsanspruch der Presse

Die Presse-7 und Mediengesetze8 der Länder regeln übereinstimmend, dass die Presse gegenüber Behörden ein Auskunftsrecht hat. Dieser Anspruch besteht auch gegenüber Gemeinden und Landkreisen. Die Presse kann dieses Recht nur durch Redakteure oder andere von ihnen genügend ausgewiesene Mitarbeiter von Zeitungen oder Zeitschriften ausüben. Die Auskunft darf nur verweigert werden, soweit aufgrund beamtenrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Vorschriften eine Verschwiegenheitspflicht besteht. Behörden sind grundsätzlich verpflichtet, den Vertretern der Presse die geforderten Auskünfte zu geben, denn erst der prinzipiell ungehinderte Zugang zu Informationen versetzt die Presse in den Stand, die ihr in der freiheitlichen Demokratie zukommende Funktion wirksam wahrzunehmen.9

Sinn und Zweck der daraus folgenden Auskunftspflichten ist es, der Presse zu ermöglichen, umfassend und wahrheitsgetreu Informationen über Geschehnisse von öffentlichem Interesse im staatlichen Bereich zu erhalten und dadurch in die Lage versetzt zu werden, die Öffentlichkeit entsprechend zu unterrichten.

Auf diese Weise kann der Staatsbürger zutreffende und umfassende Informationen über tatsächliche Vorgänge und Verhältnisse, Missstände, Meinungen und Gefahren erhalten, die ihm sonst verborgen bleiben würden, die aber Bedeutung für eine abgewogene Beurteilung der für seine Meinungsbildung essenziellen Fragen haben könnten. Erst diese für eine möglichst unverfälschte Erkenntnis notwendige Übersicht über Tatsachen und Meinungen, Absichten und Erklärungen ermöglicht eine eigene Willensbildung und damit die Teilnahme am demokratischen Entscheidungsprozess überhaupt.10

Auch wenn man grundsätzlich von einem allgemeinen Auskunftsrecht ausgeht, kann die Presse aber von den Behörden nicht jede erdenkliche Auskunft verlangen. Vielmehr ist zu prüfen, ob ein legitimes öffentliches Interesse an dem Gegenstand der Auskunft schlechthin fehlen kann. Denn da der Anspruch dazu bestimmt ist, den Medien die Erfüllung ihres Informationsauftrags zu ermöglichen, setzt er jedenfalls voraus, dass eine Anfrage ein publizistisches Ziel verfolgt. Eine Auskunftspflicht besteht daher nicht, wenn sich ein Pressevertreter um Informationen bemüht, die er erkennbar nicht publizistisch auswerten, sondern kommerziell nutzen will. Es muss sich für einen objektiven Betrachter aus weiteren Umständen die sichere Erkenntnis gewinnen lassen, dass es dem Auskunftssuchenden nicht um den Erkenntnisgewinn durch Offenlegung der Informationen geht, sondern er tatsächlich andere, von der Rechtsordnung missbilligte Ziele verfolgt und den Auskunftsanspruch lediglich als Vorwand hierzu verwendet.11

Wegen unzulässiger Rechtsausübung oder Rechtsmissbrauchs kann die Erfüllung dieses Anspruchs aber nur dann verweigert werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Verfolgung des Rechtsanspruchs keinerlei nachvollziehbare Motive zugrunde liegen, sondern das Handeln des Antragstellers allein von der Absicht geprägt ist, die Behörde oder einen Drittbetroffenen zu schikanieren oder zu belästigen oder einem anderen Schaden zuzufügen.12

Unter das Selbstbestimmungsrecht in zeitlicher Hinsicht fällt auch die Freiheit der Presse, zu entscheiden, ob eine Berichterstattung zeitnah erfolgen soll. Allerdings genügt es in diesem Zusammenhang, wenn Eilrechtsschutz nur dann gewährt wird, wenn ein gesteigertes öffentliches Interesse und ein starker Gegenwartsbezug der Berichterstattung vorliegen,13 der Erlass einer einstweiligen Anordnung mithin notwendig ist, um wesentliche Nachteile abzuwenden.

Damit die Presse ihre Kontroll- und Vermittlungsfunktion wahrnehmen kann, dürfen insbesondere auch hinsichtlich der Aktualität einer Berichterstattung keine überhöhten Anforderungen gestellt werden. Daher können grundsätzlich ein gesteigertes öffentliches Interesse und ein starker Gegenwartsbezug nicht bereits deshalb verneint werden, weil die Berichterstattung nicht auf unaufschiebbare Berichte wie die Aufdeckung von schweren Rechtsbrüchen staatlicher Entscheidungen zielt und sie im Übrigen auch später möglich bleibt.14

H hatte aus der landesgesetzlichen Verpflichtung der Behörden15, der Presse die der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe dienenden Auskünfte zu erteilen, ein entsprechendes Informationsrecht der Presse und mithin einen Auskunftsanspruch abgeleitet. Das Auskunftsbegehren der Presse zum Zwecke der Berichterstattung setzt eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse voraus, von deren Vorliegen hier auszugehen ist.

Nach dem OVG hatte das VG „insoweit zutreffend ausgeführt, dass die Bewertung des Informationsanliegens – hier die Übermittlung von (orts-)gemeindebezogenen SARS-CoV-2-Infektionszahlen – grundsätzlich der Presse selbst obliegt. Denn das Informationsinteresse der Presse ist verfassungsrechtlich begründet und mit ihrer öffentlichen Aufgabe verknüpft. Mit dem verfassungsrechtlichen Schutz der Presse (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 10 Abs. 1 Satz 3 LV) wäre es nicht vereinbar, wenn die Durchsetzung des Informationsinteresses von einer staatlichen Bewertung des Informationsanliegens abhinge“.

Da es Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG untersagt, die Durchsetzung ihres Informationsinteresses von einer staatlichen Inhaltsbewertung des Informationsanliegens abhängig zu machen ist es Sache der Presse, selbst zu beurteilen, welche Informationen sie benötigt, um ein bestimmtes Thema zum Zweck einer etwaigen Berichterstattung aufzubereiten. Die Presse muss nach publizistischen Kriterien selbst entscheiden dürfen, was sie des öffentlichen Interesses für werthält und was nicht.16

4. Entgegenstehende Interessen?

Das VG hatte entschieden, dass L berechtigt sei, die von H begehrten Informationen unter Berufung auf die landesrechtliche Norm des § 12 a Abs. 2 Nr. 3 LMG zu versagen. Nach der zweiten Alternative dieser Bestimmung können Auskünfte verweigert werden, soweit ein schutzwürdiges privates Interesse verletzt würde.

Verschwiegenheitspflichten können dabei nicht nur aus (generellen) „Geheimhaltungsvorschriften“ folgen, vielmehr können sich Grenzen des presserechtlichen Auskunftsanspruchs auch dann ergeben, wenn die Beantwortung einer Anfrage Grundrechte Dritter, etwa das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als besondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, berührt.17

Der Schutz des Einzelnen vor unbefugter Weitergabe seiner personenbezogenen Daten ist vom Recht auf informationelle Selbstbestimmung als einer Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 4 a LV) erfasst.18 Dieses Grundrecht gewährleistet die Befugnis des Einzelnen, selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte, zu denen auch Gesundheitsdaten wie Infektionen mit COVID-19 gehören, offenbart werden.19

Stehen sich Grundrechtspositionen entgegen, sind sie in einen angemessenen Ausgleich zu bringen, und es ist insbesondere abzuwägen, ob dem verfassungsrechtlich aufgrund der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) gewährleisteten Informationsinteresse des Antragstellers oder dem ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Geheimhaltungsinteresse der mit COVID-19 infizierten oder erkrankten Landkreisbewohner der Vorzug zu geben ist.20

Im Kern kam es hier somit auf die Frage an, ob die Übermittlung der begehrten Informationen zu einem Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung führt, da es sich bei den gewünschten Angaben zu ortsgemeindebezogenen SARS-CoV-2-Infektionszahlen um personenbezogene oder um personenbeziehbare Daten handelt.

5. Abwägung im Einzelfall

Vor diesem Hintergrund prüfte das OVG, ob L Auskünfte an Presseorgane hinsichtlich der Gesamtzahl der seit Beginn der Pandemie dokumentierten Infektionszahlen oder hinsichtlich der jeweils festgestellten Zahlen aktiver Infektionen mit dem Coronavirus in den einzelnen Ortsgemeinden mit Verweis auf die Verletzung eines schutzwürdigen privaten Interesses verneinen konnte. Das OVG ging von Folgendem aus:

– Die von H begehrten Informationen betreffen allein abstrakte Fallzahlen ohne Namensnennung oder Preisgabe sonstiger Daten und führen daher nicht zu einer direkten Bestimmbarkeit oder Identifizierbarkeit einzelner natürlicher Personen.

– Der Auskunftsanspruch bezieht sich auch nicht auf solche Daten, bei denen – etwa unter Zuhilfenahme von Zusatzwissen

– eine nachträgliche individuelle Zuordnung zu einer bestimmten Person und damit eine spätere Deanonymisierung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.21 Dies gilt sowohl für die seit Pandemiebeginn verzeichneten (kumulierten) Infektionszahlen wie auch für die Anzahl der aktiven Infektionen in den Ortsgemeinden im Gebiet des Landkreises.

– Anders als das VG hielt es bereits den Anknüpfungspunkt der „Ortsgemeinde“ als maßgebliches Kriterium für die Ablehnung von Auskunftsbegehren für ungeeignet.

Diesem Differenzierungskriterium fehle schon deshalb eine hinreichende Aussagekraft, weil auf der Ebene der Gemeinden in Rheinland-Pfalz eine große Diversität hinsichtlich deren Einwohnerzahl bestehe. Allein im Gebiet des Landkreises schwankten die Einwohnerzahlen auf der Ebene der Ortsgemeinden ausweislich der Daten des Statistischen Landesamtes22 zwischen unter 100 Personen und deutlich über 4 500 Personen. Unter Hinzunahme der verbandsangehörigen Städte liege diese mit über 6 700 Personen etwa auf dem Niveau der kleineren Verbandsgemeinden in Rheinland-Pfalz. Das OVG führte aus:

„Auf der Ebene der Verbandsgemeinden sollen aber weder nach Auffassung des Antragsgegners noch nach der erstinstanzlich von der Antragstellerin vorgelegten Einschätzung des Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit durchgreifende Bedenken an einer Veröffentlichung der Infektionszahlen bestehen. Vor diesem Hintergrund ist das pauschale Abstellen auf die Gemeindekategorie ersichtlich nicht geeignet, Auskunftsersuchen der Presse zu Infektionszahlen unter Berufung auf eine Identifizierbarkeit der betroffenen Personen abzulehnen. Selbst wenn man aber mit dem VG unter Berücksichtigung der strukturellen Besonderheiten der Südwestpfalz auf die nach der Einwohnerzahl kleinste Ortsgemeinde im Gebiet des Antragsgegners abstellt, erachtet der Senat eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine Personenidentifizierbarkeit vorliegend nicht als gegeben.“

Zwar werde im Grundsatz davon auszugehen sein, dass eine Rekonstruktion von Personenbezügen in sehr kleinen Gemeinden leichter erfolgen kann als in größeren.23 Allein der Umstand, dass in einer etwa 100 Einwohner zählenden Ortsgemeinde ein oder mehrere zurückliegende oder aktive Infektionsfälle vorliegen, lasse für sich genommen, d. h. ohne Zusatzwissen, allerdings keine Rückschlüsse auf die Identität der konkret betroffenen Personen zu. Ob etwas anderes für den Fall gelten müsste, dass neben dem Umstand der Infektion einer Person z. B. auch ihr Beruf und Arbeitsplatz (etwa: Erzieherin in der Kindertagesstätte einer bestimmten Ortsgemeinde) genannt werden, bedürfe hier keiner Entscheidung.

Was die Bewertung von (nicht vom Auskunftsbegehren umfassten) Zusatzinformationen anbelangt, vermochte das OVG den Bedenken des VG sowie des L nicht zu folgen. Dies betreffe zunächst die vage Annahme des VG, wonach infizierte Personen in kleinteiligen Gemeinden „über den Austausch in sozialen Medien bestimmbar“ seien. Offen bleibe hierbei bereits, welche konkret ausgetauschten Informationen und Inhalte eine Identifizierbarkeit von Personen ermöglichen sollen.

Eine andere Bewertung ergebe sich „aber auch dann nicht, wenn man ergänzend die vom Antragsgegner angesprochenen Zusatzinformationen berücksichtigte. Nach dessen Auffassung wäre eine mit Covid-19 infizierte Person aufgrund der einzuhaltenden Quarantänemaßnahmen und vorübergehender Betriebsschließungen (erst) dann individualisierbar, wenn zugleich Gewissheit über einen amtlich bestätigten Infektionsfall in der betreffenden Ortsgemeinde bestehe.

Auch aus dieser Überlegung lässt sich ein Verweigerungsgrund i. S. d. § 12 a Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 LMG nicht herleiten. Bei lebensnaher Betrachtung ergibt sich in Zeiten, in denen die Pandemie für jedermann allgegenwärtig ist, eine mögliche Individualisierbarkeit unmittelbar bereits aus den geschilderten Umständen. Wer dieser Tage Kenntnis von einer Quarantänemaßnahme in einem Privathaushalt, von einer aktuellen Betriebs-, Kindergarten- oder Schulschließung erhält, wird sich der Erkenntnis nicht verschließen können, dass diese Maßnahmen möglicherweise im Zusammenhang mit einer SARS-CoV-2-Infektion stehen und die (bereits zu diesem Zeitpunkt individualisierten) Personen oder Einrichtungen hiervon betroffen sein könnten. Um diese Assoziation hervorzurufen oder zu verstärken, bedarf es einer amtlichen Mitteilung über die Zahl der aktiven Fälle hingegen nicht. Erst recht gilt dies für amtliche Informationen über die seit Beginn der Pandemie insgesamt verzeichneten SARS-CoV-2-Infektionen.“

6. Vorliegen eines Anordnungsgrundes

Der Herausgeberin H stand auch ein Anordnungsgrund zur Seite, denn ihr drohe bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes eine erhebliche Verletzung in ihren Grundrechten, die durch eine stattgebende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könnte.

Die von H begehrte Auskunft sei dringlich, um ihrem begründeten presserechtlichen Begehren zum Erfolg zu verhelfen. Zu berücksichtigen sei in diesem Zusammenhang, dass die Presse rundsätzlich wie erwähnt in den Grenzen des Rechts selbst entscheide, ob, wann und wie sie über ein Thema berichtet.

Unter das Selbstbestimmungsrecht in zeitlicher Hinsicht fällt auch die Freiheit der Presse, zu entscheiden, ob eine Berichterstattung zeitnah erfolgen soll.24 Allerdings genügt es, Eilrechtsschutz nur dort zu gewähren, wo ein gesteigertes öffentliches Interesse und ein starker Gegenwartsbezug der Berichterstattung vorliegen, der Erlass einer einstweiligen Anordnung also notwendig ist, um wesentliche Nachteile abzuwenden.25 Dies ist hier ohne Weiteres zu bejahen. Die begehrten Auskünfte weisen einen starken Aktualitätsbezug auf.26

Im Zusammenhang mit den derzeit bestehenden Beschränkungen des öffentlichen Lebens aufgrund der Corona-Pandemie besteht ein tagesaktuelles Interesse, wie sich die SARS-CoV-2-Infektionszahlen entwickeln und – damit einhergehend – welche Präventionsmaßnahmen (ebenso wie Lockerungen) als sinnvoll, vertretbar oder als weniger geeignet erscheinen.27 H leistet mit ihrer Berichterstattung einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung in diesem Bereich. Aufgrund der Dynamik des Pandemiegeschehens kann sie auch nicht auf den Ausgang eines Hauptsacherechtsbehelfs verwiesen werden.

Es ist nicht abzusehen, ob das geforderte Zahlenmaterial im Zeitpunkt einer Entscheidung eines künftigen Hauptsacheverfahrens überhaupt noch für die Öffentlichkeit von Interesse wäre.28

Fazit

Es besteht derzeit ein hohes öffentliches Interesse, über die Entwicklung der Corona-Pandemie auch gebietsbezogen zu berichten, weshalb ein ausreichender Aktualitätsbezug vorliegt, um einen presserechtlichen Auskunftsanspruch zu begründen.

Den Presseorganen kann weder hinsichtlich der Gesamtzahl der seit Pandemiebeginn dokumentierten Infektionszahlen noch hinsichtlich der jeweils festgestellten Zahlen aktiver Infektionen mit dem Coronavirus in den einzelnen Ortsgemeinden die Auskunft mit Verweis auf die Verletzung eines schutzwürdigen privaten Interesses verneint werden. Diesem Anspruch steht nicht das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung des Einzelnen entgegen, da es sich bei den gewünschten Angaben zu ortsgemeindebezogenen SARS-CoV-2- Infektionszahlen weder um personenbezogene noch um personenbeziehbare Daten handelt und daher die Angaben nicht zu einer direkten Bestimmbarkeit oder Identifizierbarkeit einzelner natürlicher Personen führt.

Selbst wenn man auf die vom Anspruchsbegehren umfasste, nach der Einwohnerzahl kleinste Ortsgemeinde abstellt, ist eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine Personenidentifizierbarkeit nicht gegeben, da die Angaben für sich genommen ohne Zusatzwissen keine Rückschlüsse auf die Identität konkret betroffener Personen zulassen. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung und damit die Auskunftsverpflichtung kann auch im Hinblick auf die Vorwegnahme der Hauptsache gerechtfertigt sein, wenn die begehrten presserechtlichen Auskünfte einen starken Aktualitätsbezug aufweisen, insoweit ein tagesaktuelles Interesse der Öffentlichkeit an der Entwicklung der coronabedingten Infektionszahlen besteht und die Presse mit ihrer Berichterstattung einen Beitrag zur aktuellen öffentlichen Meinungsbildung in diesem Bereich leistet.

 

Entnommen aus apf, Heft 4/2022.

 

1 OVG Rh.-Pf., Beschl. v. 23.11.2020 – 2 B 11397/20.

2 VG Neustadt a.d. Weinstraße, Beschl. v. 29.10.2020 – 5 L 930/20.

3 Vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 07.03.2014 – OVG 6 S 48.13; OVG NRW, Beschl. v. 06.02.2017 – 15 B 832/15; ThürOVG, Beschl. v. 23.03.2020 – 4 EO 113/20.

4 Vgl. allg. BVerfG, Beschl. v. 25.10.1988 – 2 BvR 745/88; BVerwG, Urt. v. 18.04.2013 – 10 C 9.12, Beschl. v. 13.08.1999 – 2 VR 1.99; OVG Rh.-Pf. Beschl. v. 17.07.2017 – 2 B 11273/17 und v. 22.08.2018 – 2 B 11007/18; VGH BW, Beschl. v. 31.03.2015 – 4 S 630/15.

5 St. Rspr, vgl. z. B. BayVGH, Beschl. v. 24.01.2017 – 7 CE 16.2056.

6 Vgl. auch HessVGH, Beschl. v. 20.11.2019 – 8 B 1938/19.

7 Z. B. Art. 4 Abs. 1 des Bayerischen Pressegesetzes (BayPrG) i. d. F. der Bek. v. 19.04.2000 (GVBl. S. 340), das zuletzt durch § 1 Abs. 256 der VO v. 26.03.2019 (GVBl. S. 98) geändert worden ist.

8 So etwa § 12 a Abs. 1 des Landesmediengesetzes Rheinland-Pfalz (LMG) v. 04.02.2005 (GVBl. S. 23).

9 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.07.2015 – 1 BvR 1452/13.

10 Vgl. BayVGH, Beschl. v. 07.08.2006 – 7 BV 05.2582.

11 Vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 12.07.2018 – OVG 12 B 8.17.

12 Hierzu HessVGH, Beschl. v. 24.03.2010 – 6 A 1832/09 und BayVGH, Beschl. v. 22.07.2020 – 7 CE 20.1450.

13 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.09.2014 – 1 BvR 23/14.

14 So nachfolgend auch OVG Rh.-Pf., Beschl. v. 23.11.2020 – 2 B 11397/20: „Der Erlass einer einstweiligen Anordnung und damit die Auskunftsverpflichtung ist vorliegend auch im Hinblick auf die Vorwegnahme der Hauptsache gerechtfertigt, da die begehrten presserechtlichen Auskünfte einen starken Aktualitätsbezug aufweisen, insoweit ein tagesaktuelles Interesse der Öffentlichkeit an der Entwicklung der coronabedingten Infektionszahlen besteht und die Presse mit ihrer Berichterstattung einen Beitrag zur aktuellen öffentlichen Meinungsbildung in diesem Bereich leistet.“

15 § 12 a LMG Rh-Pf.

16 Vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 28.08.2000 – 1 BvR 1307/91; NdsOVG, Beschl. v. 12.02.2014 – 10 ME 102/13.

17 So z. B. BayVGH, Urt. v. 07.08.2006 – 7 BV 05.2582.

18 Grundlegend BVerfG, Urt. v. 15.12.1983 – 1 BvR 209/83; BayVGH, Urt. v. 07.08.2006 – 7 BV 05.2582.

19 Vgl. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 4 a LV, dazu VerfGH Rh.-Pf., Urt. v. 22.06.2004 – VGH B 2/04; Beschl. v. 27.10.2017 – VGH B 37/16; vgl. auch BayVGH, Beschl. v. 27.03.2014 – 7 CE 14.253.

20 Vgl. BVerwG, Urt. v. 27.09.2018 – 7 C 5/17; BayVGH, Urt. v. 24.11.2016 – 7 B 16.454.

21 Vgl. dazu auch BVerwG, Urt. v. 27. 11.2014 – 7 C 20.12 und BayVGH, Urt. v. 13.05.2019 – 4 B 18.1515.

22 Abrufbar unter http://www.statistik.rlp.de/de/regional/geowebdienste/bevoelkerung.

23 Vgl. BayVGH, Beschl. v. 19.08.2020 – 7 CE 20.1822.

24 Vgl. dazu auch VG Regensburg, Beschl. v. 18.06.2020 – RO 4 E 20.1009.

25 BVerfG, Beschl. v. 08.09.2014 – 1 BvR 23/14.

26 Vgl. auch BayVGH, Beschl. v. 19.08.2020 – 7 CE 20.1822.

27 Hierzu auch VG Ansbach, Beschl. v. 03.08.2020 – AN 14 E 20.01446.

28 VG Regensburg, Beschl. v. 18.06.2020 – RO 4 E 20.1009.

 

 

Dr. Udo Dirnaichner

Ministerialrat, Bayerisches Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst
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