27.06.2022

Tarifvertrag zur Regelung der Kurzarbeit (TV COVID)

Einführung von Kurzarbeit auch in Kindertageseinrichtungen

Tarifvertrag zur Regelung der Kurzarbeit (TV COVID)

Einführung von Kurzarbeit auch in Kindertageseinrichtungen

Ein Beitrag aus »Die Kommunalverwaltung Thüringen« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »Die Kommunalverwaltung Thüringen« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

Eine Gemeinde betreibt einen kommunalen Kindergarten. Dieser war seit dem 17.03.2020 pandemiebedingt geschlossen, wobei bis zum 17.04.2020 Dokumentationsarbeiten, Arbeiten am Konzept etc. und der Abbau von Überstunden und Urlaubsansprüchen zur Durchführung kamen.

Die Gemeinde ist Mitglied des Kommunalen Arbeitgeberverbands Thüringen (KAV) eingetragener Verein (e. V.), der wiederum Mitglied der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) ist. Auf die Arbeitsverhältnisse mit der Gemeinde findet der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD)/VKA und die diesen ergänzenden und erweiternden Tarifverträge durch arbeitsvertragliche Bezugnahme Anwendung.

Der VKA hatte bereits am 30.03.2020 mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft, diese für weitere Gewerkschaften handelnd, und der „dbb beamtenbund und tarifunion“ einen Tarifvertrag zur Regelung der Kurzarbeit im Bereich der VKA (TV COVID) geschlossen. Dieser gestattet es dem Arbeitgeber, bei Vorliegen der Voraussetzungen des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) und der Kurzarbeitergeldverordnung (KugV) Kurzarbeit anzuordnen. Am 16.04.2020 vereinbarten die Gemeinde und ihr Personalrat die Einführung von Kurzarbeit für den Betriebsteil Kommunaler Kindergarten ab dem 20.04.2020. Gleichzeitig erfolgte die Ankündigung gegenüber den Betroffenen. Am 20.04.2020 zeigte die Gemeinde den Arbeitsausfall bei der Agentur für Arbeit (AfA) an. Dabei gab die Gemeinde insbesondere an, die Arbeitszeit solle auf wöchentlich „null“ Stunden reduziert werden. Die Anwendbarkeit des TV COVID für den kommunalen Kindergarten habe nicht abschließend geklärt werden können. Alle sechs Arbeitnehmerinnen des Betriebs seien betroffen.


Grundsatzbescheid der Arbeitsverwaltung lag vor

Mit Bescheid vom 21.04.2020 teilte die Zentralverwaltung der BfA auf Grundlage des § 99 Abs. 3 SGB III mit, dass nach den vorgetragenen und glaubhaft gemachten Tatsachen ein erheblicher Arbeitsausfall vorliege und die betrieblichen Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld erfüllt seien. Dieses werde deshalb den von dem Entgeltausfall betroffenen Arbeitnehmern des Kindergartens bewilligt, sofern diese die persönlichen Anspruchsvoraussetzungen erfüllten. Ab 04.05.2020 war der Kindergarten im Rahmen der Notbetreuung geöffnet, so dass nur noch ein teilweiser Arbeitsausfall vorlag. Am 08.06.2020 stellte die Gemeinde einen Leistungsantrag für den Monat April 2020 i. H. v. 2 120,32 €.

Mit Bescheid vom 12.06.2020 lehnte die AfA den Leistungsantrag ab. Zur Begründung führte sie aus, dass die Einführung von Kurzarbeit aufgrund fehlender arbeitsrechtlicher Voraussetzungen nicht möglich sei. Der TV COVID sei auf Beschäftigte im öffentlichen Dienst nicht anwendbar, die unter den TVöD Sozial- und Erziehungsdienst (SuE) fielen, nach dem Erzieher bezahlt würden und der das Arbeitsvertragsrecht regele. In diesen Fällen sei der Arbeitgeber trotz Arbeitsausfalls zur Zahlung der vollständigen

Arbeitsentgelte verpflichtet. Hiergegen erhob die Gemeinde Widerspruch und führte zur Begründung insbesondere aus, der TVöD SuE sei kein eigener Tarifvertrag. Erzieher würden nach der Tabelle TVöD VKA Anlage C (SuE) bezahlt. Die von der Kurzarbeit ausgenommenen Personen und Bereiche seien in § 1 Abs. 2 bis 4 TV COVID genannt. Die Erläuterungen in der Niederschriftserklärung zu § 1 TV COVID seien dagegen nicht Bestandteil des Tarifvertrags, stellten tarifvertraglich keine verbindliche Regelung dar und entfalteten keine Sperrwirkung.

Klage der Gemeinde hatte beim Arbeitsgericht Erfolg

Am 11.08.2020 stellte die Gemeinde einen Leistungsantrag für den Monat Mai 2020 i. H. v. 2 310,12 €. Diesen lehnte die AfA mit derselben Begründung ab. Hiergegen erhob die Gemeinde wiederum Widerspruch. Nachdem die AfA den Widerspruch unter Wiederholung ihres bisherigen Vorbringens zurückgewiesen hatte, erhob die Gemeinde Klage beim Arbeitsgericht Nordhausen (ArbG). Zur Begründung hatte die Gemeinde insbesondere ergänzend vorgetragen, dass in der Niederschrift von der kommunalen Kernverwaltung die Rede sei, so dass die Tätigkeit der Erzieher in den Kindergärten ohnehin nicht gemeint sein könne. Womöglich habe man an den allgemeinen sozialen Dienst gedacht, der zur Kernverwaltung zähle und im Frühjahr 2020 besonders viele Aufgaben und keinen Arbeitsausfall gehabt habe.

Die Arbeitsbedingungen der Erzieher richteten sich nach dem TVöD Besonderer Teil Verwaltung. Durch die Nutzung der Worte „Zielrichtung“ und „grundsätzlich“ sei ersichtlich, dass auch nicht apodiktisch ein konkretes Verbot der Anwendung des TV COVID auf die genannten Bereiche statuiert werden sollte. Die Zentrale der BfA habe mit Schreiben vom 20.04.2020 im Übrigen die Möglichkeit von Kurzarbeit für Kindergärten bestätigt. Die Klage hatte Erfolg. Zur Begründung seines Urteils hat das ArbG im Wesentlichen ausgeführt, dass die betroffenen Arbeitnehmer der Gemeinde, deren Prozessstandschafterin sie ist, Anspruch auf Kurzarbeitergeld haben. Denn nach § 95 Satz 1 SGB III haben Arbeitnehmer Anspruch auf Kurzarbeitergeld, wenn ein erheblicher Arbeitsausfall vorliegt und die betrieblichen Voraussetzungen erfüllt sind, die persönlichen Voraussetzungen erfüllt sind und der Arbeitsausfall der AfA angezeigt worden ist sowie der Arbeitsausfall für die Arbeitnehmer mit einem Entgeltausfall verbunden ist.

Vorliegen eines erheblichen Arbeitsausfalls und der betrieblichen Voraussetzungen standen aufgrund des Anerkennungsbescheids fest

Hier stand das Vorliegen eines erheblichen Arbeitsausfalls und der betrieblichen Voraussetzungen aufgrund des Anerkennungsbescheids vom 21.04.2020 fest. Rechtsgrundlage des Anerkennungsbescheids ist § 99 Abs. 3 SGB III. Danach hat die AfA dem Anzeigenden, also dem Arbeitgeber oder der Betriebs- bzw. Dienststellenvertretung, unverzüglich einen schriftlichen Bescheid darüber zu erteilen, ob aufgrund der vorgetragenen und glaubhaft gemachten Tatsachen ein erheblicher Arbeitsausfall vorliegt und die betrieblichen Voraussetzungen erfüllt sind.

Dieser Anerkennungsbescheid enthält neben der gesetzlich ausdrücklich zugelassenen Elementenfeststellung außerdem formal die „Zusicherung“, dass bei Erfüllung der persönlichen Voraussetzungen gem. § 98 SGB III, dem Vorliegen eines Entgeltausfalls gem. § 95 Satz 1 Nr. 1 Halbs. 2 SGB III und nach ordnungsgemäßer Antragstellung gem. §§ 323, 325 SGB III Kurzarbeitergeld für die Dauer des Arbeitsausfalls bzw. die Höchstdauer gem. § 104 SGB III gezahlt wird. Dem Anerkennungsverfahren schließt sich dann erst das Leistungsverfahren an, in dem in der zweiten Stufeeweils für Zeiträume, die durch den Leistungsantrag gem.§ 323 Abs. 2 SGB III bestimmt werden, das den Arbeitnehmern zustehende Kurzarbeitergeld bewilligt wird. Eine gerichtliche Überprüfung der mit Bescheid vom 21.04.2020 anerkannten Voraussetzungen des erheblichen Arbeitsausfalls und der betrieblichen Voraussetzungen ist ausgeschlossen.

Anerkennung wird wie ein Leistungsbescheid gem. § 77 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bindend

Als verselbstständigter Teil einer Entscheidung, durch die Leistungen bewilligt werden, wird die Anerkennung wie ein Leistungsbescheid gem. § 77 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bindend, mit der Folge, dass sich die AfA grundsätzlich an die im Anerkennungsbescheid getroffenen Regelungen halten muss. Sie kann die Anerkennung nur ändern, soweit dies gesetzlich vorgesehen ist. Hier hatte die AfA den Anerkennungsbescheid aber weder zurückgenommen noch aufgehoben, was erforderlich gewesen wäre.

Der Bescheid vom 21.04.2020 ist auch nach wie vor maßgeblich. Zwar wird angenommen, dass Anerkennungsbescheide nach § 99 Abs. 3 SGB III unter der konkludent auflösenden Bedingung stünden, dass sich nachträglich die Unrichtigkeit der glaubhaft gemachten Tatsachen in einem Umfang herausstelle, der die Voraussetzungen des § 96 und/oder des § 97 SGB III entfallen ließe. Eine Unrichtigkeit der von der AfA zugrunde gelegten Tatsachen ist jedoch nicht zu besorgen. Die in § 98 SGB III geregelten persönlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung von Kurzarbeitergeld sind erfüllt. Ferner ist der Arbeitsausfall auch nach Maßgabe des § 99 Abs. 1 SGB III ordnungsgemäß angezeigt worden.

Die Gemeinde hatte sich mit Formular vom 20.04.2020 am selben Tag an die nach § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB III zuständige AfA gewandt. Im Formular hatte der Personalrat als Arbeitnehmervertretung zugestimmt. Der aufgrund des Anerkennungsbescheids

vom 21.04.2020 feststehende Arbeitsausfall war für die betroffenen Arbeitnehmer auch mit einem Entgeltsausfall verbunden. Ob diese Voraussetzung trotz des Anerkennungsbescheids zu prüfen ist, konnte offenbleiben, denn sie liegt vor.

Tarifvertrag war auf die mit der Gemeinde im Bereich Kindergarten bestehenden Arbeitsverhältnisse anzuwenden

Der TV COVID ist auf die mit der Gemeinde im Bereich Kindergarten bestehenden Arbeitsverhältnisse anzuwenden. Die Rechtsnormen gelten aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme. Der TV COVID ist auch nicht unwirksam. Letzteres ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) der Fall, wenn Tarifnormen den Arbeitgeber ermächtigen, in einem von ihm bestimmten Zeitpunkt und einem von ihm bestimmten Umfang den Beschäftigungs- und Entgeltanspruch des Arbeitnehmers auf unbestimmte Zeit zu verkürzen oder sogar ganz ausschließen. Dies wird mit einer objektiven Umgehung von zwingenden Vorschriften des Kündigungsrechts begründet. Hier sind durch den TV COVID jedoch Begrenzungen hinsichtlich des Anlasses für die Einführung von Kurzarbeit, hinsichtlich evtl. Ankündigungsfristen, ihrer Dauer, ihres Umfangs, auch hinsichtlich der Frage, ob die Gewährung von Kurzarbeit durch die Arbeitsverwaltung gesichert sein muss, gegeben.

Der TV COVID findet auch auf die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer in der Kindertageseinrichtung der Gemeinde Anwendung. Sie werden vom Geltungsbereich des § 1 TV COVID erfasst. Denn die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt nach st. Rspr. des BAG den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchst. zu haften. Dabei sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien berücksichtigt werden.

Tarifvertrag sollte die Möglichkeit geben, nach der Corona-Krise möglichst schnell wieder auf den erforderlichen Personalbedarf reagieren zu können

Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt. Der Tarifwortlaut des § 1 TV COVID erfasst unter Benennung von hier nicht relevanten Einschränkungen Beschäftigte eines Arbeitgebers, der Mitglied eines Mitgliedverbands des VKA ist und von einem bei diesem geltenden Tarifvertrag erfasst ist. Diese Voraussetzungen liegen bei der Gemeinde vor.

Dem Wortlaut ist auch nicht zu entnehmen, dass Beschäftigte in Kindertageseinrichtungen ausgeschlossen sein sollten. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Sinn und Zweck der Regelung. In der Präambel des TV COVID ist niedergelegt, dass derselbe die Möglichkeit geben sollte, im Anschluss an die Corona-Krise möglichst schnell wieder auf den dann erforderlichen Personalbedarf reagieren zu können. Die finanzielle Existenz der Beschäftigten in der Krise sollte gesichert werden und der Schaden von den Arbeitgebern des öffentlichen Diensts abgehalten werden. Dieses Telos gibt Überlegungen zu Einschränkungen beim persönlichen Anwendungsbereich allenfalls insoweit Raum, als Bereiche des öffentlichen Diensts denkbar sind, die während der Pandemie keinen Arbeitsausfall besorgen mussten.

Wie die behördlich verfügten (Teil-)Schließungen von Kindertageseinrichtungen gezeigt haben, ist in diesem Bereich aber ein Arbeitsausfall zu beobachten gewesen. Der Sinn und Zweck des TV COVID umfasst damit auch die Abfederung der durch die Schließungen veranlassten finanziellen Lasten im Kinderbetreuungsbereich, zumal dieselben in Form von Personalkosten auch nicht durch den Kindergartenpakt des Freistaats Thüringen kompensiert wurden.

Gesetzliche Voraussetzungen für die Einführung von Kurzarbeit lagen vor

Die Niederschriftserklärung zu § 1 TV COVID steht dem nicht entgegen. Dort wird ausgeführt, dass Zielrichtung des TV COVID „grundsätzlich nicht die kommunale Kernverwaltung (Personal, Bauverwaltung, Sozial- und Erziehungsdienst, sofern sie kommunal getragen werden), Ordnungs- und Hoheitsverwaltung“ sei. Zwar erstreckt sich der Sozial- und Erziehungsdienst im Sprachgebrauch der Tarifpartner auch auf solche Dienststellen, also Kindertageseinrichtungen, wie dem Anwendungsbereich des TVöD SuE zu entnehmen ist. Erfasst ist aber gerade auch der Soziale Dienst, bei dem, anders als im Erziehungsdienst, jedoch kein pandemiebedingter Ausfall typisch war. Ob die in der Niederschriftserklärung formulierte Einschränkung dann nur den Sozialen Dienst erfassen sollte, wofür der Zweck des TV COVID sprechen würde, bleibt freilich ungewiss, weil im TVöD durchaus auch Regelungen nur für den Sozialdienst und auch nur für den Erziehungsdienst getroffen werden. Dies und die Reichweite des nicht legaldefinierten Begriffs der kommunalen Kernverwaltung konnten aber hier offenbleiben. Zum einen gilt die Einschränkung in der Niederschriftserklärung nur „grundsätzlich“, lässt also Ausnahmen zu. Solche lägen dann für (Teil-)Schließungen von Kindertageseinrichtungen auf der Hand. Zum anderen ist die Niederschrift, die im Unterschied zu Protokollnotizen nicht Gegenstand des Tarifvertrags ist, allenfalls eine Auslegungshilfe und setzt damit voraus, dass sie im Wortlaut des Tarifvertrags Niederschlag gefunden hat. Das ist hier nicht der Fall. Die Voraussetzungen zur Anwendung des TV COVID sind auch erfüllt. Wie von § 2 Abs. 1 Satz 1 TV COVID gefordert, liegen die gesetzlichen Voraussetzungen für die Einführung von Kurzarbeit vor. Auch die Maßgaben der Ankündigungsfrist von drei Tagen im April 2020 gem. § 2 Abs. 3 Satz 1 TV COVID in Verbindung mit der Protokollerklärung, waren ab dem 20.04.2020 gegeben.

 

Arbeitsgericht Nordhausen, Urteil vom 31.08.2021 – S 18 AL 1396/20

Entnommen aus Kommunalverwaltung Thüringen, Heft 6/2022, Rn. 72.

 
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