27.06.2022

Die Pflicht des Bürgermeisters zur Aufnahme eines Tagesordnungspunkts

Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschl. v. 27.04.2021 – 4 B 193/21

Die Pflicht des Bürgermeisters zur Aufnahme eines Tagesordnungspunkts

Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschl. v. 27.04.2021 – 4 B 193/21

Ein Beitrag aus »Die Kommunalverwaltung Sachsen« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »Die Kommunalverwaltung Sachsen« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

Mit Beschluss hat das Verwaltungsgericht Leipzig (VG) den Bürgermeister im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vorläufig verpflichtet, die von einigen Stadträten eingereichte Beschlussvorlage auf die Tagesordnung des Gemeinderats zu setzen.

Die vom Bürgermeister eingelegte Beschwerde beim OVG hatte Erfolg. Die Beschlussvorlage war darauf gerichtet, dass „alle Gewerbetreibenden der Stadt, welche gleiche Waren wie die Supermärkte anbieten ab sofort unter Einhaltung der Corona-Bestimmungen wieder öffnen dürfen“.

Das materielle Prüfungsrecht des Bürgermeisters

Einstweilige Anordnungen ergehen gem. § 123 VwGO, wenn Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht werden.


Nach § 36 Abs. 3, Abs. 5 Sächsische Gemeindeordnung (SächsGO) und der aktuellen Geschäftsordnung des Stadtrats fehlt es für die Abstimmung über die Beschlussvorlage an der Zuständigkeit des Gemeinderats.

Im Rahmen seiner Zuständigkeit obliegt dem Bürgermeister gem. § 36 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 SächsGO die Vorbereitung und Einberufung von Gemeinderatssitzungen und die rechtzeitige Mitteilung der Verhandlungsgegenstände. Ihm obliegt die Aufstellung der jeweiligen Tagesordnung in eigener Verantwortung.

Die Stadträte machen mit ihrer Beschlussvorlage ihren Anspruch aus § 36 Abs. 1 Alt. 1 SächsGO geltend. Dem Bürgermeister steht ein materielles Prüfungsrecht hinsichtlich der Zulässigkeit des beantragten Verhandlungsgegenstandes für den Gemeinderat zu. § 52 Abs. 2 SächsGO räumt dem Bürgermeister einWiderspruchsrecht gegenüber den Beschlüssen des Gemeinderats ein. Das materielle Vorprüfungsrecht des Bürgermeisters stellt daher einen vorgelagerten Eingriff in die Verfassungskompetenz des Gemeinderats dar. Der Bürgermeister kann materiell prüfen, ob der Gemeinderat überhaupt für die Abstimmung über die Beschlussvorlage zuständig ist. Ob der Antrag bestimmt genug ist, kann der Bürgermeister hingegen nicht prüfen.

Die von den Stadträten vorgeschlagene Beschlussvorlage fällt nicht in die Entscheidungskompetenz des Gemeinderats, denn es handelt sich nicht um eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft i. S. v. Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz. Der Gemeinderat hat nach Art. 28 Abs. 2 GG nur ein kommunalpolitisches und kein allgemeinpolitisches Mandat.

Der Bürgermeister hat den beantragten Tagesordnungspunkt so wie beantragt aufzunehmen, wenn sein materielles Prüfungsrecht zu dem Schluss kommt, dass der Gemeinderat zuständig ist. Er kann die Beschlussvorlage nicht „anpassen“ oder ändern. Die Beschlussvorlage der Stadträte ist darauf gerichtet, dass der Gemeinderat selbst die Erlaubnis zur Öffnung aller Ladengeschäfte, die gleiche Waren wie die Supermärkte anbieten, beschließen soll. Der Gemeinderat kann sich zwar mit der Öffnung der Ladengeschäfte befassen und die zuständigen Stellen ersuchen, die Öffnung zuzulassen. Die Gemeinde ist aber nicht für den Vollzug des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) oder der Sächsischen Coronaverordnung (SächsCoronaVO) zuständig und damit auch nicht für die coronabedingten Ladenschließungen. Die Stadt hat für die Ladenöffnungen bzw. -schließungen in Coronazeiten nicht die Verbandskompetenz. Der Bürgermeister musste daher den Antrag zur Aufnahme auf die Tagesordnung ablehnen.

 

Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschl. v. 27.04.2021 – 4 B 193/21

Entnommen aus Kommunalverwaltung Sachsen, Heft 2/2022, Rn 16.

 
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