20.06.2022

Bei der Corona-Soforthilfe ist eine Pfändung wegen alter Schulden unzulässig

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.03.2021 – VII ZB 24/20

Bei der Corona-Soforthilfe ist eine Pfändung wegen alter Schulden unzulässig

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.03.2021 – VII ZB 24/20

Ein Beitrag aus »Die Fundstelle Hessen« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »Die Fundstelle Hessen« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

 

Mit einem Bescheid der Bezirksregierung vom 29.03.2020 wurde einer Firma aufgrund des Bundesprogramms „Corona-Soforthilfen für Kleinstunternehmen und Selbstständige“ und dem ergänzenden Landesprogramm „NRW-Soforthilfe 2020“ eine Zuwendung i. H. v. 9 000 € bewilligt und am 02.04.2020 auf das bei einer Bank geführte Pfändungsschutzkonto gutgeschrieben.

Die Bewilligung erfolgte unter der Maßgabe:

1.


2.Zweckbindung

Die Soforthilfe erfolgt ausschließlich zur Milderung der Finanziellen Notlage des betroffenen Unternehmens bzw. des Selbstständigen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie als Einmalzahlung für einen Bewilligungszeitraum von drei Monaten ab Antragstellung. Die Soforthilfe dient vor allem zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen, die seit dem 01.03.2020 im Zusammenhang mit der Pandemie entstanden sind. Nicht umfasst sind die vor dem 01.03.2020 entstandenen Schwierigkeiten bzw. Liquiditätsengpässe.

3.Aufrechnungsverbot

Für die bewilligte Soforthilfe gilt ein direktes Verrechnungs- bzw. Aufrechnungsverbot mit bereits bestehenden Kreditlinien beim jeweiligen Kreditinstitut. Bei der Überweisung darf es zu keiner zwangsläufigen Bedienung bereits bestehender Kontokorrentforderungen oder sonstigen Zins- und Tilgungsforderungen kommen …

Ein Gläubiger der geförderten Firma pfändete daraufhin wegen einer titulierten Forderung i. H. v. 12 204,60 € die bei der Bank eingegangenen 9 000 € und ließ sich diesen Betrag zur Einziehung überweisen. Mit einem Schreiben vom 17.04.2020 beantragte die Firma beim Amtsgericht bzw. Vollstreckungsgericht eine Bescheinigung, wonach die Bank ihr den Betrag i. H. v. 9 000 € trotzdem auszuzahlen habe, was diese mit dem Hinweis auf die bestehende Pfändung verweigerte. Das Vollstreckungsgericht erhöhte daraufhin am 04.06.2020 den pfändungsfreien Freibetrag der Schuldnerin für den Monat April gem. § 850 k Abs. 4 Zivilprozessordnung (ZPO) um 9 000 €. Gegen diese Entscheidung legte der Gläubiger Beschwerde ein, die vom Landgericht (LG) zurückgewiesen wurde.

Der Gläubiger verfolgte danach seinen Antrag auf Abweisung der von der Schuldnerin begehrten Erhöhung des Pfändungsfreibetrags beim Bundesgerichtshof (BGH) weiter. Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg.

Corona-Soforthilfe ist möglichweise eine nicht pfändbare Forderung

Ob es sich bei der Corona-Soforthilfe um eine nach § 851 Abs. 1 ZPO nicht pfändbare Forderung gehandelt habe, sei zu überprüfen gewesen, so der BGH. Danach ist eine Forderung nur pfändbar, wenn sie im Rechtsverkehr auch übertragbar ist. Insoweit verweist diese Vorschrift u. a. auf die § 399, 1. Halbs. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), nach der eine Forderung nicht abgetreten werden könne, wenn die Leistung an einen anderen als den ursprünglichen Gläubiger nicht ohne Veränderung ihres Inhalts erfolgen kann.

Damit sind Forderungen gemeint, die aufgrund ihres Leistungsinhalts eine so enge Verknüpfung zwischen den Parteien des ursprünglichen Schuldverhältnisses besitzen, sodass ein Wechsel in der Person des Gläubigers als unzumutbar anzusehen ist oder aber die Identität der Forderung nicht mehr gewahrt bleibt. Darunter fallen auch zweckgebundene Forderungen, soweit der Zweckbindung ein schutzwürdiges Interesse zugrunde liegt. Dies war bei der Frage nach der Zulässigkeit der Pfändung durch die Gläubigerin zu prüfen gewesen.

Bei der Corona-Soforthilfe handelte es sich um eine nicht abtretbare und somit auch nicht pfändbare Forderung

Der BGH stellt hierzu fest, dass es sich nach den o. g. Grundsätzen bei der Corona-Soforthilfe um eine zweckgebundene Forderung gehandelt hat. Zur Beurteilung der Zweckbindung der Hilfe ist auf den Bewilligungsbescheid und die Programme des Bundes und der Länder abzustellen.

Danach diene die Corona-Soforthilfe der Abmilderung der finanziellen Notlage des betroffenen Unternehmens im Zusammenhang mit der Pandemie. Sie soll – wie mit der Interessenlage bei Sozialleistungen vergleichbar – Liquiditätsengpässe, die seit dem 01.03.2020 im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie entstanden sind, überbrücken und nicht den laufenden Lebensunterhalt abdecken. Nicht abgedeckt werden sollten die vor dem 01.03.2020 entstandenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten und somit auch Gläubigeransprüche – wie hier – die vor dem 01.03.2020 entstanden waren.

Die Entscheidung über die Verwendung der Geldmittel obliegt nach den Förderbestimmungen allein dem Empfänger der Leistungen, der eine zweckentsprechende Verwendung derselben später auch zu verantworten hat. Folglich habe es sich bei der Corona-Soforthilfe nach § 851 Abs. 1 ZPO um eine nicht pfändbare Forderung gehandelt.

Vollstreckungsgericht konnte auch einen höheren pfändungsfreien Betrag festsetzen

Das Vollstreckungsgericht habe auf Antrag der Firma in entsprechender Anwendung der Vorschrift des § 850 k Abs. 4ZPOeinenhöherenpfändungsfreienBetrag festsetzen können. Zwar handele es sich weder um eine als Arbeitseinkommen zu qualifizierende Zuwendung i. S. d. §§ 850 a ff. ZPO noch um an die Schuldnerin gewährte Sozialleistungen nach dem Sozialgesetzbuch. Es gehe insoweit vielmehr um eine freiwillig gewährte Subvention zur Überwindung der durch die Corona-Pandemie verursachten Notlage der Schuldnerin.

Hinsichtlich solcher nach landes- oder bundesrechtlichen Vorschriften gewährten öffentlich- rechtlichen Subventionen enthält das Gesetz eine planwidrige Lücke, die im Hinblick auf den mit der Corona-Soforthilfe verfolgten Zweck dahin zu schließen ist, dass in entsprechender Anwendung des § 850 k Abs. 4 ZPO der pfändungsfreie Betrag auf dem Konto um den Betrag der gewährten Zuwendung zu erhöhen ist.

Da der Gesetzgeber diesen Fall trotz einer entsprechenden Interessenlage und dem bereits beschlossenen Pfändungsschutzkonto-Fortentwicklungsgesetz (PKoFoG), welches im Verlauf dieses Jahres in Kraft trete, erkennbar nicht bedacht habe, sei diese Lücke durch eine entsprechende Anwendung des § 850 k Abs. 4 ZPO zu schließen gewesen.

 

Entnommen aus FstHe 11/2022, Rn. 121.

 

Martin Pfeifer

Rechtsanwalt, Achern
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