13.09.2021

Normenkontrolleilantrag in einem einstweiligen Anordnungsverfahren darf nicht auf Normergänzung gerichtet werden

Oberverwaltungsgericht Niedersachsen, Beschluss vom 27.04.2020 – 13 MN 107/20

Normenkontrolleilantrag in einem einstweiligen Anordnungsverfahren darf nicht auf Normergänzung gerichtet werden

Oberverwaltungsgericht Niedersachsen, Beschluss vom 27.04.2020 – 13 MN 107/20

Ein Beitrag aus »Die Fundstelle Baden-Württemberg« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »Die Fundstelle Baden-Württemberg« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

Die Niedersächsische Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona- Virus vom 17.04.2020 stellt eine im Range unter dem Landesgesetz stehende Rechtsvorschrift i. S. d. § 47 Abs. 1 Nr. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) dar. Damit war sie, wie alle Rechtsverordnungen im Geltungsbereich der VwGO, einer Normenkontrolle zugänglich. (Anm.: Damit kann der nachfolgende Sachverhalt auf nahezu alle Rechtsvorschriften übertragen werden).

Nach dem Inhalt dieser VO zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus durften u. a. Außen-Tennisanlagen nicht betrieben werden. Ein Tennisplatzbetreiber hatte dann beim Oberverwaltungsgericht Niedersachsen (OVG) den Antrag gestellt, i. S. d. § 47 Abs. 6 VwGO einstweilig anzuordnen, dass er befugt sei, seine Außen- Tennisanlage zu öffnen und zu betreiben. Und zwar mit der Maßgabe, dass die Umkleide- und Duschräume sowie die Aufenthaltsbereiche von Form der vorhandenen Pavillons ungenutzt bleiben. Des Weiteren sollten auf den Plätzen lediglich jeweils nur zwei Personen Tennis spielen (Einzelspiel) und die Spieler verpflichtet werden, auf der Anlage einen Abstand von 1,5 m zu anderen Personen einzuhalten. Der Normenkontrolleilantrag wurde vom OVG als unzulässig verworfen, da er nicht auf eine vorläufige Außervollzugsetzung, sondern auf eine Normergänzung gerichtet ist.

Das OVG hat hierzu grundsätzlich ausgeführt, dass Gegenstand eines Normenkontrollverfahrens nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO die Gültigkeit einer Rechtsvorschrift ist. Die Norm muss, wie es in § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO heißt und auch für § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO gilt, „erlassen“, also jedenfalls bereits verkündet sein. Eine Normenkontrolle, die sich auf den Erlass einer untergesetzlichen Regelung richtet, ist daher unstatthaft. Kommt das OVG zu der Überzeugung, dass die Rechtsvorschrift ungültig ist, so erklärt es sie nach § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 1 VwGO für unwirksam.


Normenkontrollgericht hat sich auf die Kassation von Rechtsvorschriften zu beschränken

Ein Rechtsgrund für eine Unwirksamkeit kann dabei darin liegen, dass der Normgeber unter Verstoß gegen höherrangiges Recht einen bestimmten Sachverhalt nicht berücksichtigt und damit eine rechtswidrige, unvollständige Regelung erlassen hat. Zielt ein Normenkontrollantrag dagegen auf Ergänzung einer vorhandenen Norm, ohne deren Wirksamkeit in Frage zu stellen, ist der Weg der Normenkontrolle nicht eröffnet. Auch der Wortlaut des § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO ist eindeutig und lässt keinen Raum für Ergänzungen des Tenors über die Feststellung der Unwirksamkeit hinaus. Das Normenkontrollgericht hat sich danach auf die Kassation von Rechtsvorschriften zu beschränken und muss sich nicht zu Möglichkeiten einer Fehlerbehebung verhalten.

Es ist auch nicht Aufgabe des Normenkontrollverfahrens, eine bestimmte Art der Fehlerbehebung durch Feststellungen, die über den Ausspruch der Unwirksamkeit hinausgehen, in den Raum zu stellen, bevor der Normgeber darüber entschieden hat. Denn es ist grundsätzlich Sache des Normgebers, welche Konsequenzen er aus einer gerichtlich festgestellten Fehlerhaftigkeit zieht. Das folgt aus der im Gewaltenteilungsgrundsatz angelegten Entscheidungsfreiheit der rechtsetzenden Organe. Auch die Verpflichtung des Normgebers, die Entscheidungsformel im Falle der Erklärung als unwirksam nach § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ebenso zu veröffentlichen, wie die Rechtsvorschrift bekanntzumachen wäre, spricht dafür, dass eine stattgebende Normenkontrollentscheidung nur die Kassation der Norm zur Folge hat.

Es ist nicht Aufgabe des OVG, dem Normgeber eine von mehreren Korrekturmöglichkeiten vorzugeben

Mit dem „actus contrarius“ (Anmerkung: Handlung, mit der eine frühere Handlung aufgehoben oder rückgängig gemacht wird) der Veröffentlichung wird spiegelbildlich zur Verkündung „inter omnes“ (Dieser Begriff bezeichnet eine Wirkung bestimmter Urteile, die nicht nur zwischen den Parteien dieses Rechtsstreits wirken, sondern für alle) Kenntnis von der Unwirksamkeit vermittelt und der Rechtsschein der Norm verlässlich beseitigt. Damit verträgt sich ein Ausspruch nicht, der die Ergänzungsbedürftigkeit einer Norm zum Gegenstand hat. So lag der Fall hier. Der Tennisplatzbetreiber begehrte mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO die Freigabe seiner Außen-Tennisanlage auf eine konkret vorgegebene Art und Weise. Dabei handelt es sich aber lediglich um eine von mehreren möglichen Formen der Behebung der vom Tennisplatzbetreiber als zu weitreichend empfundenen Regelungen der Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17.04.2020.

Es ist aber nicht Aufgabe des OVG, im Falle der Unwirksamkeit der genannten Bestimmung, dem Normgeber eine von mehreren Korrekturmöglichkeiten vorzugeben. So wäre es bspw. ebenfalls möglich, die konkrete Entscheidung über die Schließung bzw. Öffnung von Sportanlagen den örtlich zuständigen Stellen zu übertragen. Der Tennisplatzbetreiber hätte es mithin bei seiner Antragstellung damit bewenden lassen müssen, die vorläufige bzw. teilweise Außervollzugsetzung der angefochtenen Norm als solcher zu beantragen. Auch nachdem der anwaltlich vertretene Tennisplatzbetreiber mit Schriftsatz vom 23.04.2020 auf die Bedenken an der Zulässigkeit seiner Antragstellung hingewiesen wurde, hatte er mit Schriftsatz vom 27.04.2020 seinen Antrag nicht in der gebotenen Weise umgestellt, sondern es in das Belieben des OVG gestellt, die Regelung insgesamt für unwirksam zu erklären.

Das sei aber nicht erklärtes Ziel des Tennisplatzbetreibers, dem es ausschließlich darum gehe, seine Außen-Tennisanlage betreiben zu können. Damit wird er dem Sinn und Zweck eines Normenkontrollverfahrens als einem objektiven Beanstandungsverfahren nicht gerecht, der auch das zugehörige Eilverfahren erfasst. Eine Umdeutung des Antrags kam vor diesem Hintergrund nicht in Betracht

 

Oberverwaltungsgericht Niedersachsen, Beschluss vom 27.04.2020 – 13 MN 107/20 –.

Fundstelle BW 2021/119

 
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