15.06.2016

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Wie können Corporate Governance Kodizes ihre Wirkung voll entfalten?

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Wie können Corporate Governance Kodizes ihre Wirkung voll entfalten?

Wie können Corporate Governance Kodizes ihre Wirkung voll entfalten? | © fotomek - Fotolia
Wie können Corporate Governance Kodizes ihre Wirkung voll entfalten? | © fotomek - Fotolia

Um eine gute Leitung und Überwachung öffentlicher Unternehmen sicherzustellen, haben sich viele öffentliche Unternehmen sogenannten Public Corporate Governance Kodizes verpflichtet. Neben verbindlichen Vorschriften beinhalten die von den Gesellschaftern herausgegebenen Kodizes auch eine Reihe von ‚Best-Practice’-Empfehlungen für Geschäftsleitungen und Aufsichtsräte.

Doch woran liegt es, dass diese so oft nicht eingehalten werden, also Anspruch und Wirklichkeit hier so häufig und so weit auseinanderklaffen? Wie konnte der Flughafen Berlin/Brandenburg trotz Kodex der Länder Berlin und Brandenburg zu Deutschlands Dauerbaustelle und die Elbphilharmonie trotz Hamburger Public Corporate Governance Kodex zu einem Millionengrab werden? Und warum sind erst kürzlich die Geschäftspraktiken Deutscher Sparkassen trotz verschiedener gebietskörperschaftlicher Kodizes in die Kritik geraten?

Ursachen solcher Corporate-Governance-Skandale können unterschiedlichster Natur sein. Manchmal sind Geschäftsleitung und Aufsichtsräte mit ihren Aufgaben schlichtweg überfordert. Oft sind Kodizes aber auch nicht präzise genug ausgestaltet, um eine echte Unterstützung für gute Public Corporate Governance zu sein. Dies wiederum macht es opportunistisch denkenden Entscheidungsträgern einfach, sich medienwirksam dem Kodex zu verpflichten. Problematisch wird dies vor allem dann, wenn die alljährlich auf der Unternehmenswebsite veröffentlichten Entsprechungserklärungen nicht der Wirklichkeit entsprechen.


Um gemeinschaftlich solchen Corporate-Governance-Problemen entgegenzusteuern und Entwicklungsmöglichkeiten guter Leitung und Aufsicht öffentlicher Unternehmen zu erarbeiten, haben Univ.-Prof. Dr. Michèle Morner und Prof. Dr. Ulf Papenfuß Experten aus Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Beratung zur 4. Speyerer Tagung zu Public Corporate Governance an die Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer eingeladen. Der vorliegende Beitrag fasst die wesentlichen Erkenntnisse der diesjährigen Tagung zusammen und sucht Lösungsansätze für die folgenden drei Fragen:

  • Wie kann die Wirksamkeit von Public Corporate Governance Kodizes erhöht werden?
  • Wie können Aufsichtsräte dazu befähigt werden, ihre Aufgaben effektiv wahrzunehmen?
  • Wie kann Risikomanagement so gestaltet werden, dass etwaige Corporate-Governance-Risiken frühzeitig erkannt werden?

Wirksame Public Corporate Governance Kodizes

Während es für börsennotierte Unternehmen einen einzigen, von der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex (DCGK) allgemeingültigen herausgegebenen Kodex gibt, findet man im öffentlichen Sektor eine Vielzahl an Kodizes. Länder formulieren Kodizes für ihre Landesbeteiligungen, Kommunen für ihre kommunalen Gesellschaften und auch der Bund hat für seine unmittelbaren nichtbörsennotierten Mehrheitsbeteiligungen einen eigenen Bundeskodex. Die meisten Kodizes sind dabei auf kommunaler Ebene zu finden – Tendenz steigend. Wenngleich sich die Kodizes der Kommunen inhaltlich in vielen Punkten ähneln, gibt es auch einige Aspekte, in denen sie sich stark unterscheiden.

Im Rahmen der Speyerer Tagungsreihe zu Public Corporate Governance wurde vor diesem Hintergrund über das Einrichten einer Expertenkommission nach privatwirtschaftlichem Vorbild der Regierungskommission DCGK diskutiert. Solch eine Expertenkommission, beispielsweise bestehend aus kommunalen Entscheidungsträgern und Wissenschaftlern, könnte sich gezielt über ‚Best-Practice’-Beispiele austauschen und ihre jeweilige Expertise in einen zu entwickelnden Musterkodex einbringen. Dem Wunsch nach kommunaler Selbstverwaltung stünde auch die Entwicklung eines derartigen Musterkodexes nicht im Wege. Vielmehr könnte dieser den Kommunen bei der (Weiter-) Entwicklung des eigenen Kodexes helfen und sie entsprechend sensibilisieren. Eine bedarfsgerechte Anpassung seitens der Kommune wäre nach wie vor möglich. Abweichungen vom Musterkodex sollten dann jedoch in Kommissionssitzungen diskutiert und gegebenenfalls bei der Weiterentwicklung des Musterkodexes einbezogen werden.

Befähigung für effektive Aufsichtsratsarbeit

In vielen Fällen sind Corporate-Governance-Kodizes so allgemein gefasst, dass sie keine echte Hilfestellung für die Beteiligten darstellen. Hinsichtlich der Aufsichtsratsbesetzung regeln sie beispielsweise relativ abstrakt, dass Aufsichtsräte über die zur ordnungsmäßigen Aufgabenwahrnehmung erforderlichen Fähigkeiten, Kenntnisse und fachlichen Erfahrungen verfügen sollen. Konkrete Hinweise zur Entwicklung von Anforderungsprofilen fehlen.

Auf kommunaler Ebene beispielsweise werden Aufsichtsräte meist nach Parteiproporz besetzt. Die Wahl der jeweiligen Aufsichtsratsmitglieder aus den Parteien obliegt der Partei selbst. Welche Kriterien von den einzelnen Parteien bei diesem Auswahlverfahren herangezogen werden und ob sie sich für eine optimale Gesamtbesetzung mit anderen Parteien abstimmen, bleibt weitestgehend offen. Es gilt vor diesem Hintergrund, die gängigen Besetzungsstrategien zu überdenken und beispielsweise einen Nominierungsausschuss einzurichten, der sich den Qualifizierungsanforderungen und -engpässen des Aufsichtsrats widmet und einen professionellen Nominierungsprozess unterstützt.

Auch in Sachen Aufsichtsratseffizienzprüfung bleiben Kodizes recht vage. Sie regen zwar an, dass Aufsichtsräte regelmäßig die Qualität ihrer Arbeit evaluieren. Wer, wann, mit welchen Schwerpunkten diese Evaluationen durchführen sollte, bleibt jedoch offen. Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass bislang nur ein kleiner Prozentsatz aller öffentlichen Aufsichtsräte die Möglichkeit einer Effizienzprüfung tatsächlich nutzt. Finden Effizienzprüfungen statt, beschränken sie sich meist auf das Ausfüllen von Fragebögen mit „Checklistencharakter”. Solche oberflächlichen Untersuchungen sollten nicht die alleinige Grundlage umfassender Aufsichtsratseffizienzprüfungen sein. Denn oft prägen neben fachlichen Qualifikationen insbesondere der Umgang der Gremienmitglieder miteinander oder deren Zusammenarbeit mit der Geschäftsführung die Qualität der Entscheidungsfindung. Qualitative Tiefeninterviews mit möglichst allen Aufsichtsratsmitgliedern und der Geschäftsführung wären erforderlich, um die Dynamiken des Aufsichtsrats zu verstehen und Entscheidungsprozesse fortlaufend zu verbessern.

Gestaltung des Risikomanagements

Risikomanagement spielt eine wichtige Rolle bei der Aufsichtsratsarbeit öffentlicher Unternehmen. Kodizes regeln, dass Aufsichtsratsräte zur Beratung und Kontrolle der Geschäftsleitungen von genau diesen mit allen wichtigen Informationen versorgen werden sollen. Denn Aufsichtsräte müssen auf Basis der ihnen zugespielten Informationen umfassende Entscheidungen treffen und ein proaktives Risikomanagement betreiben. In der Realität wird die Verpflichtung zur Informationsversorgung des Aufsichtsrats seitens der Geschäftsleiter unterschiedlich interpretiert: Die Bandbreite der Informationsversorgung reicht von einer Informationsüberflutung bis hin zur punktuellen Weitergabe ausschließlich weniger, teilweise stark gefilterter Informationen. Eine ähnliche Problematik zeigt sich, wenn Informationen aus Ausschüssen dem Gesamtgremium nicht in vollem Umfang übermittelt werden. Klare, umfassende Ausschuss-Protokolle bieten hier Abhilfe.

Eine besonders wichtige Rolle bei der Informationsversorgung des Aufsichtsrates spielt das Beteiligungsmanagement. Einige Städte und Kommunen haben bereits ein umfassendes, IT-gestütztes Risikomanagementsystem entwickelt. Es hilft finanzielle, rechtliche und organisatorische Risiken der Beteiligungsgesellschaften frühzeitig zu identifizieren und zu bewerten. Solche seitens des Beteiligungsmanagements generierten Informationen sollten den jeweiligen Geschäftsleitungen und Aufsichtsräten bereitgestellt werden und bieten Unterstützung bei Entscheidungsfindungen und Risikoabwägungen.

Fazit

Anspruch und Wirklichkeit guter Public Corporate Governance fallen oft auseinander. Public Corporate Governance Kodizes stellen eine wichtige Grundlage guter Leitung und Aufsicht öffentlicher Unternehmen dar, sind aber kaum als alleiniges Instrument für eine gute gelebte Corporate Governance geeignet. Außerdem gestaltet sich die Entwicklung eines eigenen Kodexes als große Herausforderung für viele öffentliche Unternehmen. Das Einrichten einer Expertenkommission, die einen Musterkodex entwickelt, könnte dabei helfen. Darüber hinaus könnte sie auch zur erfolgreichen Umsetzung der Kodizes beitragen, indem sie ‚Best-Practice’-Empfehlungen diskutiert bzw. als Ansprechpartner zur Verfügung steht. Wie wichtig die regelmäßige Diskussion aktueller Themen der Public Corporate Governance von Experten aus Wissenschaft, Politik und Verwaltung ist, zeigt auch die positive Resonanz der Speyerer Tagungsreihe für Public Corporate Governance, die sich zwischenzeitlich zu einer Plattform von Experten aus Politik, öffentlicher Wirtschaft und Wissenschaft etabliert hat. Die 5. Speyerer Tagung zu Public Corporate Governance findet am 3. und 4. April 2017 an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer statt.

 

Univ.-Prof. Dr. Michèle Morner

Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften, Speyer Wissenschaftliches Institut für Unternehmensführung und Corporate Governance (wifucg), Berlin
 

Dipl.-Hdl. Bettina Klimke-Stripf

Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften, Speyer
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