15.06.2016

A-Besoldungsordnungen verfassungswidrig?

BVerfG: Mindestabstand zu sozialhilferechtlichem Existenzminimum nötig

A-Besoldungsordnungen verfassungswidrig?

BVerfG: Mindestabstand zu sozialhilferechtlichem Existenzminimum nötig

A-Besoldungsordnungen verfassungswidrig?
Bei Anhebung einer Besoldungsstufe muss der Abstand zu den anderen gewahrt bleiben. | © olly - Fotolia

Alimentation und Existenzminimum: Diesen bisher wenig beachteten Zusammenhang beider Begriffe hat das BVerfG in seiner letzten Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit von Besoldungsordnungen verdeutlicht. In seinem Beschluss vom 17. 11. 2015 – 2 BvL 19/09 u. a. stellt das BVerfG die Forderung auf, dass die Nettoalimentation in den unteren Besoldungsgruppen einen Mindestabstand von wenigstens 15 % zum Grundsicherungsniveau aufweisen muss. Eine Selbstverständlichkeit? Leider nicht, denn tatsächlich überschreiten viele Beamte diesen Mindestabstand erst mit Besoldungsgruppe A9.

Grundsätze des BVerfG zur Prüfung der verfassungsgemäßen Alimentation

In jüngster Zeit hatte das BVerfG vermehrt verschiedenste Besoldungsordnungen auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu überprüfen. So etwa in den Entscheidungen zur W-Besoldung in Hessen (BVerfG, Urteil v. 14. 02. 2012 – 2 BvL 14/10; Else, Professorenbesoldung in Hessen – Hält die neueste Reform vor den Gerichten?, in: PUBLICUS 2013.9) oder zur R-Besoldung in Sachsen-Anhalt (BVerfG, Urteil v. 05. 05. 2015 – 2 BvL 17/09). Die Zunahme der Verfahren ist schnell erklärt und nachvollziehbar, denn seit mittlerweile 10 Jahren liegt die Gesetzgebungskompetenz für die beamtenrechtliche Besoldung nicht mehr nur beim Bund, sondern wurde auf die Länder übertragen. Unter anderem aufgrund des Kostendrucks in den öffentlichen Haushalten entwickelt sich die Besoldung in Bund und Ländern seither stetig auseinander: „Zwischen Berlin als ‚schlechtbesoldensten’ Dienstherrn und Bayern als derzeitigem Spitzenreiter beträgt die Differenz 4.371,56 Euro und damit eine Diskrepanz von 11,84 Prozent”, so stellt es der Besoldungsreport 2016 des DGB-Bundesvorstands (Besoldungsreport 2016 – Die Entwicklung der Einkommen der Beamtinnen und Beamten von Bund, Ländern und Kommunen, Mai 2016) zur Besoldungsgruppe A9 fest. In der Besoldungsgruppe A7 sind es danach sogar bereits 13 Prozent.

In jedem der letzten Verfahren formte das BVerfG seine Grundsätze zur Prüfung der verfassungsgemäßen Alimentation weiter aus. So hatte der 2. Senat mit der Entscheidung vom 05. 05. 2015 erstmals eine Prüfung durch fünf Parameter zur Anwendung gebracht, um mit deren Hilfe einen durch Zahlenwerte konkretisierten Orientierungsrahmen für eine grundsätzlich verfassungsgemäße Ausgestaltung der Alimentationsstruktur und des Alimentationsniveaus zu ermitteln; siehe hierzu Else, Alimentation von Beamten – BVerfG konkretisiert Kriterien: Wieviel Geld ist angemessen?, in: PUBLICUS 2015.7. Im Beschluss vom 17. 11. 2015 hat das BVerfG diese Grundsätze zur R-Besoldung wegen desselben verfassungsrechtlichen Beurteilungsmaßstabs aus Art. 33 Abs. 5 GG nun auch auf die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der A-Besoldung übertragen.


Darauf aufbauend hat die Prüfung des vierten Parameters (systeminterner Besoldungsvergleich) eine Ergänzung von besonderer Brisanz erfahren: Das BVerfG fordert die Einhaltung eines Mindestabstands zum sozialhilferechtlichen Existenzminimum. Die angemessene Höhe der Besoldung sei zwar nicht der Verfassung zu entnehmen und dem Gesetzgeber werde ein weiter Entscheidungsspielraum zugebilligt, wie er die in Art. 33 Abs. 5 GG enthaltene Garantie eines „amtsangemessenen” Unterhalts sicherstelle. „Für die Wahrung eines ausreichenden Abstands der Bruttogehälter höherer Besoldungsgruppen zu den Tabellenwerten unterer Besoldungsgruppen ist im Übrigen in den Blick zu nehmen, dass von Verfassungs wegen bei der Bemessung der Besoldung der qualitative Unterschied zwischen der Grundsicherung für Arbeitssuchende (früher Sozialhilfe), der die Befriedigung eines äußersten Mindestbedarfs obliegt, und dem einem erwerbstätigen Beamten geschuldeten Unterhalt hinreichend deutlich werden muss. Die Nettoalimentation in den unteren Besoldungsgruppen muss also ihrerseits einen Mindestabstand zum Grundsicherungsniveau aufweisen. Dabei ist zu prüfen, ob ein solcher Mindestabstand zum sozialhilferechtlichen Existenzminimum unterschritten wäre, wenn die Besoldung um weniger als 15 vom Hundert über dem sozialhilferechtlichen Bedarf läge”, so das BVerfG.

Überraschende Ergebnisse der Vergleichsberechnung

Abgestellt wird auf die Nettoalimentation, also auf das verfügbare Haushaltseinkommen – hier in Form einer vierköpfigen Familie mit einem Beamten als Alleinverdiener. Dr. Martin Stuttmann hat in seinem Aufsatz „BVerfG zur A-Besoldung: Die Besoldung aller Besoldungsgruppen muss angehoben werden” (NVwZ 4/2016, 184 ff.) bemerkenswerte Vergleichsberechnungen zwischen einer fiktiven „Sozialhilfe-Familie” und einer „Beamten-Familie” in Düsseldorf angestellt.

Dem Wohnort kommt hier tatsächlich eine erhebliche Bedeutung zu, da sich gerade in Ballungsgebieten der Wohnraum immerzu verteuert und die Wohnkosten durch die Sozialhilfe getragen werden, während der Beamte selbst dafür aufzukommen hat. Gleiches gilt für Heizkosten, Kranken- und Pflegeversicherungskosten, sowie sozialrechtliche Mehrbedarfe für Bildung und Teilhabe.

All dies muss nach Stuttmann berücksichtigt werden, um eine konkrete Vergleichsberechnung durchzuführen. Seine Ergebnisse sind überraschend. Danach kommt es bei der fiktiven Beamten-Familie (Beamter A4, Stufe 2 besoldet, verheiratet, Ehepartner nicht berufstätig, 2 Kinder, 7 und 10 Jahre) unter Beachtung des Mindestabstands von 15 % zur Grundsicherung der fiktiven Sozialhilfe-Familie zu einem Fehlbetrag der verfügbaren Jahres-Nettobesoldung von 5.263 €. Aufgrund der durch ihn auf diese Weise ermittelten verfassungsrechtlich geforderten Mindestalimentation eines Jahresnettos von 32.062 € kommt Stuttmann zu der Feststellung, dass diese Summe für Beamte in Nordrhein-Westfalen erst mit Besoldungsgruppe A8, Stufe 5, am ehesten erreicht werde, selbst das Eingangsamt A9 liege noch darunter, nur A10 sicher darüber.

Dies bedeutet, dass nicht wenige der knapp 330.000 Beamten in den Besoldungsgruppen A2-A8 in Bund und Ländern (Angaben des Statistischen Bundesamtes, Personal des öffentlichen Dienstes 2014, Tabelle 2.2.1 Beschäftigte zum 30. 06. 2014) sehr wahrscheinlich nur Bezüge unterhalb der verfassungsrechtlich gebotenen Mindestalimentation erhalten.

Diese Vergleichsberechnungen zur Prüfung der amtsangemessenen Alimentation über dem Existenzminimum erfolgten in der Form, wie es das BVerfG fordert, also abgestellt auf eine 4-köpfige Alleinverdienerfamilie. In der Praxis wird dies zumeist nicht so deutlich hervortreten, da in vielen Fällen der Partner im Haushalt noch einen eigenen Hinzuverdienst haben wird. Dies würde bei dem Bezug von Grundsicherung als verfügbares Haushaltseinkommen angerechnet werden, die Beamtenfamilie wird tendenziell immer besser dastehen. Dabei sollte aber nicht vergessen werden, dass es auch bei Beamten zu einem längeren Besoldungsausfall kommen kann oder auch der Partner in gewissen Lebenssituationen weniger verdienen wird. Man denke hier nur an Elternzeiten, Pflegezeiten, Teilzeiten, Leistung von Unterhalt oder im Falle einer Scheidung an den später mitunter sehr empfindlichen Versorgungsausgleich im Ruhestand.

Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers

Doch wie ist dieses Problem zu lösen? Das BVerfG betont immer wieder den weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, wie bei der Festsetzung der Bezüge den Anforderungen des Gebotes eines Mindestabstandes zum Grundsicherungsniveau Rechnung zu tragen ist. Dies könne etwa durch

  • die Anhebung des Bemessungssatzes der Beihilfe auf 100 v. H. der entstandenen Aufwendungen,
  • die Anhebung des Eingangsgehaltes einer Besoldungsstufe verbunden mit einer geringeren prozentualen Steigerung in den Erfahrungsstufen,
  • die Anhebung des Familienzuschlags in den unteren Besoldungsgruppen oder durch
  • sonstige geeignete Maßnahmen unter Berücksichtigung der sich in diesem Fall für höhere Besoldungsgruppen möglicherweise aufgrund des Abstandsgebotes ergebenden Konsequenzen geschehen.

Das Abstandsgebot

Unabhängig von der konkreten Lösung dieses Problems durch den Gesetzgeber lässt das aus dem Leistungsgrundsatz in Art. 33 Abs. 2 GG und dem Alimentationsprinzip in Art. 33 Abs. 5 GG folgende Abstandsgebot, das es dem Gesetzgeber ungeachtet seines weiten Gestaltungsspielraums untersagt, den Abstand zwischen verschiedenen Besoldungsgruppen dauerhaft einzuebnen, nur die durch das BVerfG erwähnte Konsequenz zu: Ist eine Anhebung der Besoldung in der untersten Besoldungsgruppe erforderlich, so müssen zur Wahrung des Abstandsgebotes alle Besoldungsgruppen der gleichen Besoldungsordnung oder sogar darüber hinaus angehoben werden.

Die Verfassungswidrigkeit erstreckt sich somit mutmaßlich auf alle Besoldungsordnungen des Bundes und der Länder.

Ausblick

Der bereits zuvor erwähnte DGB-Besoldungsreport 2016 zeigt deutlich die Unterschiede in den Bundesländern auf. Während Beamte im Bund und in Bayern aufgrund der regelmäßigen Übertragung der Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst noch relativ gut dastehen, kann man am Beispiel von Hessen gut sehen, wohin der Förderalismus aus besoldungsrechtlicher Sicht führen kann. Unter Berücksichtigung der höheren Wochenarbeitszeit von 42 Stunden für hessische Beamte ist das „reiche” Hessen zusammen mit dem „armen” Berlin Schlusslicht im Quervergleich der Besoldungen miteinander. Die Tragweite der letzten Entscheidung des BVerfG vom 17. 11. 2015 scheint der Landesgesetzgeber in Hessen dennoch nicht erkannt zu haben. Nach dem Austritt aus der Tarifgemeinschaft der Länder hat Hessen zuletzt im Jahr 2014 seinen eigenen Tarifvertrag TV-H ausgehandelt. Die ausgehandelte Entgeltsteigerung für Beschäftigte wurde nicht auf die Beamten übertragen, stattdessen wurde den Beamten im Jahr 2015 eine Nullrunde verordnet und im aktuellen Koalitionsvertrag eine Anhebung der Besoldung ab 2016 auf nur 1 % gedeckelt.

Diese Vorgehensweise bei einer ohnehin bereits großen Besoldungslücke zu den anderen Ländern führt natürlich zu Unmut nicht nur bei den Gewerkschaften, die Forderungen nach einer größeren Besoldungsanpassung stellen. Der dbb Beamtenbund und die Tarifunion, Landesverband Hessen, hat sich frühzeitig mit der Verfassungsmäßigkeit der hessischen Besoldungspraxis auseinandergesetzt. In einem eigens vom dbb Hessen in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten zur Vereinbarkeit der von der hessischen Landesregierung festgelegten Besoldungsentwicklung mit dem Alimentationsprinzip kommt der Gutachter Prof. Dr. Ulrich Battis im März 2016 (Rechtsgutachten zur Vereinbarkeit der von der hessischen Landesregierung festgelegten Besoldungsentwicklung mit dem Alimentationsprinzip aus Art. 33 Abs. 5 GG) zu dem Ergebnis, dass die bisherigen Besoldungsmaßnahmen der hessischen Regierungsparteien gegen das Alimentationsprinzip aus Art. 33 Abs. 5 GG verstoßen und verfassungswidrig seien.

Die Hessische Landesregierung hat nun, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, am 10. 05. 2016 den Gesetzentwurf für ein Gesetz über die Anpassung der Besoldung und Versorgung in Hessen 2016 – HBesVAnpG 2016, Drs. 19/3373 vorgelegt. Nach diesem Entwurf sollen „unter Zugrundelegung der vom Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen vom 5. Mai 2015 und 17. November 2015 zur Bemessung einer amtsangemessenen Alimentation entwickelten Parameter (sollen) die Besoldung und die Versorgungsbezüge einheitlich um 1 % angehoben werden”. In der Begründung des Gesetzentwurfs setzt sich die Landesregierung sehr intensiv mit dem durch das BVerfG aufgestellten Prüfungsschema auseinander und versucht zugleich, die fünf Parameter auszufüllen. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass keines der Parameter erfüllt sei. Dies überrascht anhand der im Quervergleich schlechten Besoldung in Hessen sehr, sind doch gerade auch die Lebenshaltungskosten in weiten Teile des Landes überdurchschnittlich hoch. Gerade dieses wichtige Element der Wohnkosten aber findet bei der Begründung der Besoldungsanpassung keine Berücksichtigung. Man kann zurecht vermuten, dass hier ein vorweggenommenes Ergebnis passend gemacht werden musste.

Die nächsten Klageverfahren sind sicher und werden weiterhin noch lange Zeit für viel Unruhe in den Besoldungssystemen des Bundes und der Länder sorgen.

 

Michael A. Else

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht, else.schwarz Rechtsanwälte Partnerschaft, Wiesbaden
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