15.06.2016

Interessengerechte Lösung gesucht!

Der BGH zu Verlegerbeteiligungen an Ausschüttungen der VG Wort

Interessengerechte Lösung gesucht!

Der BGH zu Verlegerbeteiligungen an Ausschüttungen der VG Wort

In der Vergangenheit gab es eine bequeme Ausschüttungstradition, die niemand so recht in Frage stellte. | © nito - Fotolia
In der Vergangenheit gab es eine bequeme Ausschüttungstradition, die niemand so recht in Frage stellte. | © nito - Fotolia

Der für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des BGH hat in seiner Entscheidung vom 21. 04. 2016 geurteilt, dass die Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort) nicht berechtigt ist, einen pauschalen Betrag in Höhe von grundsätzlich der Hälfte ihrer Einnahmen an Verlage auszuzahlen. Damit sind folgerichtig die Satzung und der Verteilungsplan der VG Wort insoweit unwirksam, als sie die jahrzehntelang geübte Praxis der pauschalen Beteiligung der Verleger an den Einnahmen ermöglichen.

Eintauchen in die vielstimmige Polemik

Lassen Sie uns an dieser Stelle die nüchterne Juristerei für einen Augenblick verlassen und in die vielstimmige Polemik eintauchen, die sich rund um die Entscheidung entwickelt hat.

‚Schwere Schlappe für die Verlage’, ‚Das Ende der Verlagskultur’, ‚Kleinverlage rufen um Hilfe’, ‚Die Politik muss korrigieren’ – dies waren nur einige der Schlagzeilen, die sich rund um die Urheberrechtsproblematik spannen. Der unbefangene Leser musste den Eindruck haben, dass der Untergang des Abendlandes bevorstand, befeuert von einem schweren Versäumnis der Politik, die es versäumt hatte, bei der letzten Urheberrechtsreform den Verlagen ein unmissverständliches Leistungsschutzrecht über den neu geschaffenen § 63 a UrhG einzuräumen, denn der Wille des Gesetzgebers – so die meisten Kommentatoren – sei es eindeutig, die Verleger wegen ihrer unbestrittenen Beiträge zum Erscheinen eines Werkes auch adäquat an der Ausschüttung der VG Wort zu beteiligen. Die Gerichte hätten aufgedeckt, dass diese beabsichtigte gesetzliche Festschreibung der Verlagsbeteiligung handwerklich schlecht gemacht gewesen sei. Das müsse dringend nachgeholt werden.


Mit erhobenem Zeigefinger wird auf das neu geschaffene Leistungsschutzrecht der Presseverlage verwiesen und dabei wohlweislich unterschlagen, dass dieselben Stimmen bei dessen gesetzlicher Etablierung ein Wolfsgeheul in die umgekehrte Richtung anstimmten. Leistungsschutzrechte der Presseverlage seien eine an Abzocke grenzende Schutzhysterie zugunsten einer meinungsstarken Klientel, die jede Verwendung von Zitaten, Presseauszügen und Snippets zur Optimierung von Suchmaschinenfunktionen mit Gebührenschneiderei verbinde. Auch hier musste man den Untergang des Abendlandes vermuten.

Entscheidung des BGH voraussehbar

Tatsächlich war die Entscheidung des BGH voraussehbar. Schon die Vorinstanz, das OLG München, hatte auf die rechtliche Problematik bei der Klage eines wissenschaftlichen Autors gegen den Verteilungsplan der VG Wort hingewiesen. Die Formel lautete, dass Ausschüttungen nur an den Berechtigten erfolgen dürfen. Berechtigt ist, wer – so der Auftrag der von Verlagen und Autoren gegründeten VG Wort – Urheber eines Werkes ist oder wer vom Urheber abgeleitete Rechte übertragen erhalten hat. Das bedeutet, dass Rechte im Verlagsvertrag vom Autor, der immer der Urheber ist, an den Verlag abgetreten worden sein müssen, solange sie noch abtretbar waren. Die Verlage wiederum mussten diese Rechte über einen Wahrnehmungsvertrag in die Rechtsbeziehung mit der VG Wort einbringen.

Hat allerdings – so im zu entscheidenden Fall – ein Autor einen eigenen Wahrnehmungsvertrag mit der VG Wort geschlossen, ohne den Verlag an den Ausschüttungen durch Vorausabtretung zu beteiligen, ist es dem Verlag nicht möglich, zu einem späteren Zeitpunkt einen Verlagsvertrag um den Punkt ‚Beteiligung an den Ausschüttungen der VG Wort’ zu erweitern: Es bestehen dann keine Rechte mehr, die ein Autor abtreten könnte, weil er zeitlich prioritär einen eigenen Wahrnehmungsvertrag mit der VG Wort abgeschlossen hatte, der die Verlagsinteressen nicht entsprechend berücksichtigte.

Die VG Wort selbst und viele andere Interessenvertreter der Verlagsbranche hatten über die Argumentation des OLG München den Kopf geschüttelt. Die Anwendung solcher formalistisch erscheinender Grundsätze führe zu einem Hase- und Igel-Wettrennen, wer und in welchem Umfang zuerst einen Wahrnehmungsvertrag mit der VG Wort abgeschlossen habe. Das erscheine unbillig und willkürlich. Außerdem verstoße das Urteil gegen § 63 a Satz 2 UrhG, der ausdrücklich vorsehe, dass die gesetzlichen Vergütungsansprüche zusammen mit der Einräumung des Verlagsrechts dem Verleger abgetreten werden können, wenn dieser sie durch eine Verwertungsgesellschaft wahrnehmen lässt, die Rechte von Verlegern und Urhebern seit Jahrzehnten gemeinsam wahrnimmt. Die geübte Praxis der Pari-Verteilung der Einnahmen an Verleger und Autoren sei wegen der umfänglichen verlegerischen Leistungen, ohne die das Produkt Buch überhaupt nicht möglich wäre, auch kein Verstoß gegen das Willkürverbot des § 7 Urheberrechtswahrnehmungsgesetz (UrhWG). Außerdem sei die gelebte Praxis seit 1958 mittlerweile zu einer Art Gewohnheitsrecht erstarkt, das nicht mit einer verfehlten rechtlichen Subsumtion zu beseitigen sei.

Argumentation der Vorinstanz bestätigt

Der BGH hat nun jüngst die Argumentation der Vorinstanz vollinhaltlich bestätigt. Und nicht nur das. Auch der EuGH hat sich dem Konzert der ‚kleinlichen Berufsjuristen’ mit seinem Urteil vom 12. 11. 2015 in der Rechtssache Hewlett-Packard gegen den belgischen Rechtswahrnehmer Reprobel SCRL angeschlossen. Sowohl europarechtlich als auch nach deutschem Recht kann nur an Rechteinhaber ausgeschüttet werden – und zwar in der Höhe, in der die Rechteinhaber anteilsberechtigt sind. Berechtigungen können sich dabei aus Gesetz über Leistungsschutzrechte ergeben oder aus abgeleiteten, sprich abgetretenen, Rechten.

Alle beteiligten Gerichte gehen selbstverständlich davon aus, dass Verlagen Ansprüche an Ausschüttungen zustehen können, jedoch nicht lediglich aufgrund Tradition, Gewohnheit oder unwidersprochener Übung. Es gibt zahlreiche Wege, eine Beteiligung festzuschreiben. Das wurde in der Vergangenheit fast durchgehend versäumt, weil es eine bequeme Ausschüttungstradition gab, die niemand so recht in Frage stellte.

Lösung nur ein paar Federstriche entfernt

Überspitzt formuliert, bitten die Gerichte lediglich darum, sich an die geltende Rechtslage und an die verpflichtende Rechtsdogmatik zu halten.

Mit Augenzwinkern bemerkt und einer Anleihe an berühmte Zitate gewürzt, heißt die Zauberformel: ‚Its contract law, stupid. ’ Jetzt wissen wir es genau. Das Zivilrecht ist schuld. Generationen von Jurastudenten haben es schon immer geahnt. Warum kann man nicht nonchalant darüber hinweggehen, wenn es Verlage, Autoren, die Politik und der Mensch auf der Straße so wollen? Nun, weil das Vertragsrecht auch die Lösung bietet. Bringt endlich eure Vertragslandschaften in Ordnung. Es geht doch. Das gewünschte Ergebnis ist nur ein paar Federstriche entfernt. Der Untergang des Abendlandes kann vorläufig vertagt werden. Was allerdings nicht geht, ist einfach ‚Verlag’ und ein Leistungsschutzrecht an passender Stelle in den Gesetzen zu verankern und mit der bisherigen Praxis fortzufahren. Das verbietet das Europarecht in Gestalt der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberechts und der verwandten Schutzrecht in der Informationsgesellschaft.

Der EuGH hat hierzu in der Reprobel-Entscheidung, die auch der BGH entsprechend würdigt, ausgeführt, das Unionsrecht sehe vor, dass ein angemessener Rechts- und Interessenausgleich zwischen den verschiedenen Kategorien von Rechteinhabern bei Ausschüttungen stattfinden muss. Diese Richtlinienvorgabe verbietet gerade pauschale und in Verteilungsplänen vorgesehene Quotelungen, ohne dass ein individueller Interessenausgleich stattgefunden hat.

Es ist davor zu warnen, dass der nationale Gesetzgeber über eine energisch geforderte Erweiterung des § 63a UrhG eine Verlagsbeteiligung an den Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaften gesetzlich festschreibt und man dann hofft, dass die bisherige Pauschalquotelung ihren Fortgang findet. Das wäre europarechtswidrig. Die Lehren aus den unions- und vertragsrechtlichen Ausführungen von EuGH und BGH sollten sorgfältig und mit Bedacht gezogen werden. Das betrifft alle Arten von Urhebern und alle Arten von Verwertungsgesellschaften gleichermaßen. Mit dem richtigen Instrumentarium dürften die ‚zerrissenen Familien’ bald wieder vereint sein.

 

 

Professor Achim Albrecht

Westfälische Hochschule, Gelsenkirchen
n/a