18.12.2023

Zur immissionsschutzrechtlichen Genehmigung von Windenergieanlagen

Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Schleswig-Holstein

Zur immissionsschutzrechtlichen Genehmigung von Windenergieanlagen

Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Schleswig-Holstein

Ein Beitrag aus »Die Gemeindeverwaltung Rheinland-Pfalz« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »Die Gemeindeverwaltung Rheinland-Pfalz« | © emmi - Fotolia / RBV

Eine Gemeinschaft von Wohnhausseigentümern richtete sich mit einem Antrag gegen das Aufstellen von zwei Windenergieanlagen. Das Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein lehnte das Begehren ab.

Einen im Verfahren nach § 80 a Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthaften Antrag hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein (OVG) als unbegründet abgewiesen. Das öffentliche Interesse und das Interesse der Bauherren an der sofortigen Ausnutzung der Genehmigungsbescheide vom 10.09.2020 überwiegt das Interesse von Wohnhauseigentümern, die Errichtung und den Betrieb der beiden Windenergieanlagen vorläufig zu unterbinden.

Die Interessenabwägung orientiert sich in erster Linie an den Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs. Die Genehmigungen verletzen nach der hier vorzunehmenden summarischen Prüfung die nachbarlichen Rechte nicht. Der genehmigte Betrieb der Anlagen hält die gegenüber den Wohnhauseigentümern bestehenden immissionsschutzrechtlichen Schutzpflichten gem. § 6 Abs. 1 Nr. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 1 Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) ein und verstößt nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme gem. § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG, § 35 Abs. 3 Satz 1 Baugesetzbuch (BauGB). Das OVG hat dieses Verfahren zum Anlass genommen, Leitsätze aufzustellen:


Leitsätze des OVG für das Land Schleswig-Holstein

  1. Mit Blick auf Geräuschimmissionen kommt den Regeln der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) eine im gerichtlichen Verfahren zu beachtende Bindungswirkung zu.
  2. Die „Night Noise Guidelines for Europe“ der Weltgesundheitsorganisation (WHO) lassen die Bindungswirkung der TA Lärm nicht entfallen.
  3. Bei der Bestimmung der Schutzwürdigkeit von im Außenbereich liegenden Grundstücken ist v. a. zu berücksichtigen, dass der Außenbereich nach der in § 35 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BauGB zum Ausdruck gelangenden Wertung des Gesetzgebers dazu dient, u. a. Windenergieanlagen sowie andere Anlagen unterzubringen, die wegen ihrer nachteiligen Wirkung auf die Umgebung nur im Außenbereich ausgeführt werden sollen. Eigentümer von Außenbereichsgrundstücken müssen deshalb grundsätzlich stets mit der Verwirklichung lästiger Anlagen in der Umgebung rechnen. Es können daher allenfalls auf Mischgebietsniveau geminderte Schutzansprüche bestehen.
  4. Die Frage, ob die Inhalts- und Nebenbestimmungen zu einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung auch tatsächlich eingehalten werden, betrifft nicht die Rechtmäßigkeit der Genehmigung. Etwaigen Verstößen wäre vielmehr im Rahmen der behördlichen Überwachung zu begegnen.
  5. Da die Schallimmissionsprognose ein hochspezialisiertes Fachgebiet betrifft, das nur wenige Gutachter bearbeiten, ist es praktisch ausgeschlossen, dass ein zur Beantwortung fachlich hinreichend qualifizierter Gutachter gefunden werden kann, der in keinerlei geschäftlichen Beziehung zu Anbietern von Windenergieanlagen stand oder steht und auch keinen Kontakt zu Gremien der Windenergiebranche unterhält.
  6. Es gibt keinen wissenschaftlich gesicherten Hinweis darauf, dass von dem durch Windenergieanlagen verursachten Infraschall eine Gesundheitsgefahr oder eine erhebliche Belästigung ausgeht. Dies gilt auf jeden Fall dann, wenn der Abstand zum Immissionsort 500 m übersteigt.
  7. Soweit der Abstand einer Windenergieanlage zur Wohnbebauung mindestens das Dreifache der Anlagenhöhe beträgt, ist eine optisch bedrängende Wirkung regelmäßig zu verneinen.
  8. Ein Anspruch auf den Erhalt einer freien oder schönen Aussicht besteht regelmäßig nicht. Selbst wenn von jedem Fenster eines Wohnhauses aus Windenergieanlagen sichtbar sind, begründet dies allein noch keine unzumutbare Beeinträchtigung.
  9. Eine Auflage im Genehmigungsbescheid, nach der die Windenergieanlage so zu betreiben und zu unterhalten ist, dass durch zeitlich bestimmte und auf die genaue Ausdehnung am Immissionsort bezogene Abschaltmaßnahmen erhebliche Belästigungen der Nachbarschaft durch periodischen Schattenwurf verhindert werden, reicht aus, um die Einhaltung der Richtwerte gemäß der LAI-Schattenwurf-Hinweise zu gewährleisten.
  10. Bei matten Beschichtungen von Windkraftanlagen stellen die üblicherweise als Diskoeffekt bezeichneten periodischen Lichtreflexionen kein Problem mehr dar.
  11. Die allgemein bekannte rote Nachtkennzeichnung von Windenergieanlagen ist in ihren Auswirkungen nicht so stark, dass eine unzumutbare Beeinträchtigung entstehen könnte.

Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Beschluss vom 10.02.2022 – 5 MR 2/21

 

Entnommen aus der Gemeindeverwaltung Rheinland-Pfalz 8/2023, Rn. 83.

 
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