10.07.2023

Zeugnisverweigerungsrechte naher Angehöriger und Berufsgeheimnisträger wegen der Gefahr der Selbstbelastung

Fehlerquellen bei bestimmten Belehrungen

Zeugnisverweigerungsrechte naher Angehöriger und Berufsgeheimnisträger wegen der Gefahr der Selbstbelastung

Fehlerquellen bei bestimmten Belehrungen

Ein Beitrag aus »Deutsches Polizeiblatt« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »Deutsches Polizeiblatt« | © emmi - Fotolia / RBV

Der Beitrag gibt einen praxisbezogenen Überblick über die rechtlichen Probleme der Zeugnisverweigerungs- und Auskunftsverweigerungsrechte.

Um Zeugen im Rahmen von Vernehmungen richtig belehren zu können, muss dem Polizeibeamten u. a. das sich aus § 52 StPO ergebende Zeugnisverweigerungsrecht bewusst sein. Es ist indes nicht immer einfach, diese Vorschrift korrekt anzuwenden; Probleme ergeben sich spätestens dann, wenn die Verwandtschaft in einem entfernten Grad besteht. Wer mit wem wie (in welcher Linie und in welchem Grad) verwandt ist, und ob aufgrund dieser Verwandtschaft noch das Recht besteht, nicht aussagen zu müssen, soll nachfolgend erklärt werden. Berufsgeheimnisträger sind gemäß § 53 StPO zur Zeugnisverweigerung berechtigt. Auch insoweit erfolgt nachfolgend ein praxisbezogener Überblick.

Das Zeugnisverweigerungsrecht naher Angehöriger (§ 52 StPO)

Das gesetzlich verankerte Zeugnisverweigerungsrecht naher Angehöriger soll dem Konflikt eines nahestehenden Angehörigen, den Beschuldigten bei einer wahrheitsgemäßen Aussage evtl. belasten zu müssen, begegnen.


§ 52 StPO (Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen des Beschuldigten):

Absatz 1: Zur Verweigerung des Zeugnisses sind berechtigt

  1. der Verlobte des Beschuldigten;
  2. der Ehegatte des Beschuldigten, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht;

2a. der Lebenspartner des Beschuldigten, auch wenn die Lebenspartnerschaft nicht mehr besteht;

  1. wer mit dem Beschuldigten in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert ist oder war. … (…)

Liest man den vorstehenden Gesetzestext, so ergeben sich aus den Nr. 1. bis 2 a. wohl keine Anwendungsprobleme. Die richtige Anwendung der sich aus Nr. 3 ergebenden Rechte ist indes nicht so einfach.

Ein Aktenauszug

„Die Zeugin wurde bezüglich ihres Aussage- und insbesondere bezüglich ihres Zeugnisverweigerungsrechts belehrt, da es sich bei dem Beschuldigten um ihren Cousin handelt.“

Diese Belehrung ist falsch, weil zwischen Cousin und Cousine kein Zeugnisverweigerungsrecht besteht. Cousin und Cousine sind nicht, wie immer wieder behauptet, in der Seitenlinie im dritten Grad verwandt.

Die Herleitung des Verwandtschaftsgrades

Die Klärung der Frage, ob eine Verwandtschaft besteht, ergibt sich aus den entsprechen Vorschriften des BGB.

§ 1589 BGB (Verwandtschaft):

Personen, deren eine von der anderen abstammt, sind in gerader Linie verwandt. Personen, die nicht in gerader Linie verwandt sind, aber von derselben dritten Person abstammen, sind in der Seitenlinie verwandt. Der Grad der Verwandtschaft bestimmt sich nach der Zahl der sie vermittelnden Geburten.

Diese Vorschrift ist hinsichtlich der Formulierung „der Grad der Verwandtschaft bestimmt sich nach der Zahl der sie vermittelnden Geburten“ nicht ganz einfach zu verstehen. Beschäftigen Sie sich mit Ihrem Stammbaum, stellen Sie sich diesen einmal bildlich vor. Welche Person hat durch eine Geburt die Verwandtschaft zwischen Ihnen und Ihrem Cousin begründet? Ihre Väter/ Mütter waren dies nicht, denn auch diese beiden Personen haben die betreffende Verwandtschaft nicht „durch eine Geburt begründet“. Auf der Linie der Verwandtschaft (dem Stammbaum) müssen Sie also eine weitere Linie aufsteigen (zur Großmutter der beteiligten Personen), hier also bereits zwei Stufen in gerader Linie nach oben. Um die Verwandtschaft zu dem Cousin zu begründen, gehen Sie (gedanklich) nur eine Stufe in die Seitenlinie (Onkel/Tante), welche sich als Stufe 3 erklärt. Cousin und Cousine sind mithin in der Seitenlinie im vierten Grad miteinander verwandt.

Ergänzend

In gerader Linie Verwandte sind ohne Rücksicht auf den Grad der Verwandtschaft berechtigt, das Zeugnis zu verweigern. Dazu zählen mithin auch die Urgroßeltern oder Urenkel des Beschuldigten. In der Seitenlinie besteht das Zeugnisverweigerungsrecht nur bis zum dritten Grad. Dazu zählen mithin die Geschwister (auch Halbgeschwister)[1] und Geschwisterkinder (Nichten, Neffen)[2] sowie die Geschwister der Eltern (Onkel, Tanten), aber nicht mehr die Geschwisterkinder (Vettern, Basen) untereinander.[3]

Doch es wird noch komplizierter

Wie ist der Zeuge zu belehren, wenn dieser der Sohn der Ehefrau des Beschuldigten, also nicht der Sohn des Beschuldigten selbst, sondern dessen nicht blutsverwandter Stiefsohn ist?

§ 1590 BGB Schwägerschaft:

Abs. 1: Die Verwandten eines Ehegatten sind mit dem anderen Ehegatten verschwägert. Die Linie und der Grad der Schwägerschaft bestimmen sich nach der Linie und dem Grad der sie vermittelnden Verwandtschaft.

Abs. 2: Die Schwägerschaft dauert fort, auch wenn die Ehe, durch die sie begründet wurde, aufgelöst ist.

Schwägerschaft besteht mithin zwischen einer Person und den Verwandten ihres Ehegatten. Voraussetzung ist zunächst eine Ehe zwischen zwei Personen und zudem ein Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem Ehegatten des Beschuldigten und dem Zeugen. Der Zeuge aus dem Beispielsfall ist mit der Ehefrau des Beschuldigten (Erste Voraussetzung: Ehe) verwandt, denn er ist ihr Sohn (Zweite Voraussetzung: Verwandtschaft.) In obigem Beispiel besteht also eine Schwägerschaft.

Zur Erinnerung

Ein Zeugnisverweigerungsrecht besteht bei Personen, die mit dem Beschuldigten in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert sind oder waren. Auf welcher Linie besteht zwischen dem Beschuldigten und seinem Stiefsohn eine Schwägerschaft? Linie und Grad der Schwägerschaft entsprechen Linie und Grad der sie vermittelnden Verwandtschaft. Um die Linie und den Grad der Schwägerschaft einer Person mit den Verwandten ihres Ehegatten zu bestimmen, müssen die Linie und der Grad der Verwandtschaft des Ehegatten mit seinem Verwandten bestimmt werden.[4]

Ein Ehegatte ist mit den Eltern und Kindern des anderen Ehegatten sowie mit allen sonstigen Vor- und Nachfahren des anderen Ehegatten in gerader Linie verschwägert. Mit den Geschwistern des anderen Ehegatten ist er in der Seitenlinie verschwägert. Zu den Schwiegereltern und zu den Stiefkindern besteht Schwägerschaft im ersten Grad in gerader Linie. Der eine Ehegatte ist mit der Schwester des anderen Ehegatten (der Schwägerin) im zweiten Grad in der Seitenlinie verschwägert.[5] Einem Stiefkind steht daher gemäß § 52 StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht zu!

Gültige Ehe und Verlöbnis

Oftmals hat der Polizeibeamte mit Personen zu tun, die nicht nach deutschem Recht, sondern den Gepflogenheiten der eigenen Landeskultur verheiratet sind. Besteht insoweit ein Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 2 StPO? Oder ist ggf. von einem Verlöbnis i. S. d. § 52 Abs. 1 Nr. 1 StPO auszugehen? Für das Vorliegen eines Zeugnisverweigerungsrechts muss es sich um eine im Inland geschlossene Ehe handeln oder die Ehe muss nach deutschem Recht als gültig anzuerkennen sein. Dieser Anforderung wird eine nach islamischem Recht vor dem Imam in Deutschland geschlossene Ehe nicht gerecht.[6] Eine solche Ehe entspricht auch nicht einem Verlöbnis i. S. d. § 52 StPO.[7] Denn bei einem Verlöbnis muss ein gegenseitiges und von beiden Seiten ernst gemeintes Eheversprechen (vgl oben: nach deutschem Recht!) vorliegen.

Übrigens: Ein Verlöbnis bei noch mit einer anderen Person bestehendem Verlöbnis oder bei noch bestehender Ehe ist unwirksam, weil es gegen die guten Sitten verstößt.[8]

Zusammenfassung

  1. Zwischen Cousin und Cousine besteht kein Zeugnisverweigerungsrecht.
  2. Stiefkinder (und auch Stiefgroßkinder sowie Stief-Urgroßeltern) sind mit dem Beschuldigten in gerader Linie verschwägert; ihnen steht mithin ein Zeugnisverweigerungsrecht zu.
  3. Eine nach islamischem Recht geschlossene Ehe kann nicht ohne weiteres in ein Verlöbnis umgedeutet werden (BGH a. a. O.), weil damit grundsätzlich nicht das Versprechen verbunden ist, nach deutschem Recht heiraten zu wollen.
  4. Schwägerschaft erlischt nicht (§ 1590 Abs. 2 BGB).
  5. Halbgeschwistern steht ein Zeugnisverweigerungsrecht zu; Stiefgeschwistern indes nicht, weil diese weder verwandt noch verschwägert sind.

(…)

 

Den vollständigen Beitrag lesen Sie im Deutschen Polizeiblatt 1/2023, S. 32.

[1] BGH StV 1988, 89.

[2] BGH NJW 2010, 1290,1291.

[3] BGH 5 StR 554/12.

[4] BeckOK/Krafka BGB, § 1590, Rn. 20 f.

[5] Ders.; weitere Details und auch Schaubild zum Zeugnisverweigerungsrecht: Marquardt/Oelfke: Basiswissen Strafprozess für Polizeibeamte, 2022.

[6] Meyer-Goßner/Schmitt StPO, § 52, Rn. 5.

[7] BGH 5 StR 379/17.

[8] BGH NStZ 83, 564.

 

Dr. Annette Marquardt

Erste Staatsanwältin, Kapitaldezernat, Verden
 

Carola Oelfke

Oberstaatsanwältin, Leiterin der Abteilung Sexualdelikte/Häusliche Gewalt, Staatsanwaltschaft, Verden
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