17.07.2023

Strafermächtigung und Strafantrag als Verwaltungshandeln?

Probleme aus Sicht des Straf- und Verwaltungsrechts

Strafermächtigung und Strafantrag als Verwaltungshandeln?

Probleme aus Sicht des Straf- und Verwaltungsrechts

Ein Beitrag aus »Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg« | © emmi - Fotolia / RBV

Neben dem für Behörden und Amtsträger nahezu alltäglichen Strafantrag erlangt die Strafermächtigung immer mehr Bedeutung. Die dabei historisch vorwiegende generelle Ablehnung einer Gesetzesbindung muss heute differenzierter beurteilt werden. Jedenfalls bei funktionalen Strafvorbehalten zum Schutz besonderer öffentlicher Belange muss die Ausübung gesetzmäßig erfolgen.

A. Einleitung

Der Strafantrag des Dienstvorgesetzten nach §§ 77 a, 194 Abs. 3, 230 Abs. 2 StGB gehört zur ständigen Praxis der Polizei und weiteren öffentlichen Verwaltung.[1] Dagegen führt die dogmatisch „benachbarte“ Ermächtigung zur Strafverfolgung eher ein Schattendasein. Dies liegt zum einen darin begründet, dass sie in den wenigen gesetzlich vorgesehenen Fällen regelmäßig nur unmittelbaren Verfassungsorganen vorbehalten ist.

Zum anderen scheint sie, wie aber ebenso der Strafantrag öffentlicher Stellen, in jenem Bereich zwischen dem Straf- und Verwaltungsrecht zu liegen, der seit jeher von beiden Seiten wenig Beachtung erfährt. So beschränken sich Lehrbücher zum materiellen Straf- und Strafverfahrensrecht in aller Regel auf eine kurze Erwähnung ohne jede Vertiefung.[2]


Grundlegende Entscheidungen[3] und allgemeinere Analysen liegen lange zurück und sind daher in ihrer Aktualität fraglich.[4] Das Verwaltungsrecht wirkt noch weniger interessiert; es verweist etwa auf § 2 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG, wonach jedenfalls das kodifizierte Verwaltungsverfahrensrecht auf die Strafverfolgung nicht anwendbar wäre.[5]

Demgegenüber kommt dem Institut der Ermächtigung eine zentrale und weiter zunehmende Bedeutung im Staatsschutzstrafrecht zu: sie ist zum einen zu beachten bei den Verunglimpfungen des Bundespräsidenten und anderer Verfassungsorgane (§§ 90, 90 b StGB), die in sozialen Netzwerken und bei öffentlichen Versammlungen immer häufiger und geradezu alltäglich wirken. Zum anderen hat sie (durchaus im Wortsinn) „entscheidende“ Bedeutung in jener grenzüberschreitenden Ahndung des internationalen Terrorismus und seiner speziellen Vorfeldstraftaten (§§ 89 a ff., 129 a f. StGB), welche seit ihrer Einführung nach 2001 namentlich den Generalbundesanwalt und die Staatsschutzsenate intensiv beschäftigen. An dieser letztgenannten Stelle entwickelt sich indes allmählich ein neues Problembewusstsein, ob das bestehende allgemeine dogmatische Instrumentarium, welches historisch aus dem Beleidigungsrecht herrührt,[6] weiterhin unproblematisch angewendet werden kann.[7]

Besondere Bedeutung erlangt damit die seit Langem in einem wenig reflektierten Meinungsdissens „eingefrorene“ Frage, ob Behörden, Vorgesetzte oder Amtsträger selbst bei der Ausübung von Strafermächtigung oder -antrag an den Gleichheitssatz gebunden sind, was in der strafrechtlichen Kommentar- und älteren Aufsatzliteratur ebenso apodiktisch unterstellt[8] wie abgelehnt[9] wird: Die wohl (noch) überwiegende Meinung scheint geprägt von der Vorstellung einer unreglementierbaren[10] persönlichen Betroffenheit und Entscheidung der Verletzten.[11]

Für die andere Ansicht steht die Frage, ob Grundgedanken der Rechtsstaatlichkeit – namentlich Gesetzmäßigkeit und Gleichheitsgrundsatz, wenn nicht z. B. das Verhältnismäßigkeitsprinzip – auch in diesem Bereich dergestalt Anwendung finden müssen, dass die Entscheidung des Amtsträgers über die Erteilung oder Versagung der Ermächtigung oder der Abgabe des Strafantrags nicht willkürlich wirken kann. Diese Fragen sollen vorliegend vertieft und einem Lösungsansatz zugeführt werden, zunächst im Hinblick auf die Ermächtigung, welche zuerst strafrechtlich zu analysieren ist (B.). Daraus ist nach der Anwendung verwaltungsrechtlicher Normen für die funktionale Ermächtigung (C.), ihre weiteren Fälle und für den Strafantrag zu fragen (D.), bevor ein vorläufiges Fazit gezogen werden kann (E.).

B. Strafrechtliche Grundlagen der Ermächtigung zur Strafverfolgung

I. Grundlagen

Ermächtigung und Strafverlangen sind, wie der Strafantrag, nach heute allgemeiner „prozessualer Ansicht“ Strafverfolgungsvoraussetzungen.[12] Das Strafverfahren kann nur, wenn sie vorliegen, hinsichtlich der Delikte, welche sie voraussetzen, mit einem Sachurteil abgeschlossen werden; andere Delikte innerhalb derselben Tat sind jedoch ohne Weiteres verfolgbar.[13]

Vorausgesetzt wird das Vorliegen beider zudem allgemein bei der selbstständigen Einziehung,[14] Verjährung[15] und Erstreckung auf Rausch- und Begünstigungsnachtat[16] sowie im Ordnungswidrigkeitenrecht.[17] Das wiederum dogmatisch benachbarte Strafverlangen ist nur noch in § 104 a StGB für §§ 102, 104 StGB und für die Dienststelle eines europäischen Amtsträgers i. S. v. § 11 Abs. 1 Nr. 2 a i. V. m. § 353 b Abs. 4 Satz 3 StGB, also nur für nichtdeutsche Regierungen bzw. amtliche Stellen, vorgesehen. Anerkannt bei der Ermächtigung ist, dass – anders als beim Strafantrag einer öffentlichen Stelle – die Formvorschriften des § 158 Abs. 2 StPO ebenso wenig gelten wie die Fristen des § 77 b StGB.[18]

Eher theoretisch ist die Differenzierung, dass die Entscheidung über die Ermächtigung zwingend von Amts wegen von der Staatsanwaltschaft einzuholen ist,[19] während dies beim Strafantrag spätestens beiläufig im Verfahren erfragt wird. Nur der Strafantrag kann bei den sogenannten relativen Antragsdelikten dadurch ersetzt werden, dass die Staatsanwaltschaft ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung annimmt.[20]

Wie beim Strafantrag braucht gem. § 130 StPO die Ermächtigung noch nicht bei Beginn der Ermittlungen vorzuliegen, sondern kann (mit Fristsetzung) gem. § 130 Satz 3 StPO angefordert, aber ansonsten bis zum Verfahrensabschluss nachgeholt werden.[21] Sie kann, wiederum wie der Strafantrag, nach heute ganz herrschender Ansicht auf einzelne Gesetzesverletzungen oder Betätigungshandlungen innerhalb einer tatbestandlichen Handlungseinheit beschränkt werden.[22]

Eine Rücknahme soll die spätere nochmalige Umentscheidung ausschließen (§§ 77 d Abs. 1 Satz 3, 77 e StGB).

II. Einteilung der Ermächtigungsfälle

Beim Überblick über die Delikte im Besonderen Teil des StGB, deren Verfolgung eine Ermächtigung voraussetzt, können drei Gruppen gebildet werden:

  1. Zunächst finden sich traditionelle Ermächtigungsvorbehalte bei den Verunglimpfungsdelikten und beim Schutz des Ansehens von Gesetzgebungsorganen des Bundes oder eines Landes oder anderer politischer Körperschaften in §§ 90, 90 b, 194 Abs. 4 StGB. Sie sind unmittelbar den verletzten Personen – dem Bundespräsidenten bei § 90 StGB und den verunglimpften Mitgliedern eines Verfassungsorgans in § 90 b Abs. 2 Alt. 2 StGB – oder den Körperschaften als solchen zugestanden.
  2. Als historisch zweite Gruppe können §§ 97 Abs. 3, 353 a Abs. 2 und 353 b Abs. 4 StGB zusammengefasst werden, welche den Schutz von Staats-, Dienst- und anderen besonderen Geheimnissen betreffen, während für die Kernvorschriften des Landesverrats von Staatsgeheimnissen in §§ 93 ff. StGB kein solcher Vorbehalt für die zuständigen Stellen besteht.
  3. Schließlich sind nach 2001 mit §§ 89 a Abs. 4 Satz 1, 2; 89 b Abs. 4, 89 c Abs. 4 und 129 b Abs. 1 Satz 3 StGB Ermächtigungsvorbehalte für das Bundesjustizministerium für die deutsche Strafverfolgung bei mutmaßlich „terroristischen Taten“ hinzugetreten,[23] welche außerhalb der EU begangen wurden bzw. geringen Inlandsbezug aufweisen. Bei ihnen könnten zudem andere Staaten konkurrierende Zuständigkeitsansprüche erheben.

(…)

 

Den vollständigen Beitrag lesen Sie in den Verwaltungsblättern Baden-Württemberg 3/2023, S. 94.

[1] Dazu tritt die eher seltene Verletzung von Steuergeheimnissen, § 355 StGB.

[2] Vgl. etwa Mitsch, § 69: Strafantrag, Ermachtigung und Strafverlangen, in: Hilgendorf/Kudlich/Valerius, Handbuch des Strafrechts III, 2021, Rn. 57 ff.; Zipf/Laue, § 75: Ermachtigung und Strafverlangen, in: Maurach/Gossel/Zipf, Strafrecht Allgemeiner Teil. Teilband 2, 8. Aufl. 2014, Rn. 36 f.; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 29. Aufl. 2017, § 21 Rn. 10; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, 5. Aufl. 1996, § 85 II.

[3] Zuletzt wohl grundlegend BGHSt 29, 282.

[4] Vgl. insbesondere grundlegend Schlichter, GA 1966, 353; Geerds, GA 1982, 237.

[5] Vgl. zu letzterem ausdrucklich etwa VGH BW, Urt. v. 04.08.1983, NJW 1984, 75.

[6] Vgl. etwa RG, Urt. v. 08.12.1932, RGSt 67, 49.

[7] Vgl. zum 2002 zuerst eingefugten § 129 b StGB eingehend namentlich Ambos, ZIS 2016, 505.

[8] Vgl. Kühl, in: Lackner/Kuhl, StGB, 29. Aufl. 2018, § 77 Rn. 17; Stree, DOV 1958, 172, 175; Tiedemann, GA 1964, 353, 358; JZ 1969, 725, 726; zuletzt wohl Ostendorf, JuS 1981, 640, 642.

[9] Vgl. Greger/Weingarten, in: Leipziger Kommentar Strafgesetzbuch, 13. Aufl. 2019, vor § 77 Rn. 8; Kargl, in: Kindhauser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, 5. Aufl. 2017, § 77 Rn. 54 f.; Wolter, in: Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, 9. Aufl. 2017, § 77 Rn. 6; Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 77 a Rn. 2.

[10] Vgl. Schweitzer, Das Problem der Ethik auf Grund der Geschichte der Ethik, in: ders., GW 2, 2. Aufl. 1974, S. 350, 357 f.

[11] Besonders deutlich bei Greger/Weingarten (Fn. 9), vor § 77 Rn. 8; Kargl (Fn. 9), § 77 Rn. 54 f.

[12] Vgl. BGH, Urt. v. 08.04.1954, BGHSt 6, 155; Urt. v. 02.10.1957; BGHSt 11, 14; Kargl (Fn. 9), § 77 e Rn. 2 m. w. N.

[13] Vgl. etwa Mitsch, in: Munchener Kommentar StGB, 4. Aufl. 2020, § 77 e Rn. 1.

[14] § 76 a Abs. 1 Satz 3 StGB.

[15] § 78 b Abs. 1 Nr. 2, Halbs. 2 StGB.

[16] §§ 257 Abs. 4, 323 a Abs. 3 StGB.

[17] § 131 Abs. 2 OWiG i. V. m. §§ 122, 130 OWiG.

[18] Mitsch (Fn. 13), § 77 e Rn. 1; Schmid (Fn. 9), § 77 e Rn. 3; Fischer (Fn. 9), § 77 e Rn. 1; Zipf/Laue (Fn. 2), Rn. 37.

[19] Vgl. BT-Drs. 14/8893, S. 9; BGH, Beschl. v. 17.12.2014, NJW 2015, 1032 – Rn. 17, juris.

[20] Vgl. §§ 184 k, 194 Abs. 1 Satz 3, 205, 206, 230, 235, 248 b, 301, 303 c StGB.

[21] LG Koln, Urt. v. 30.01.2017 – 101 KLs 13/15 – Rn. 2079, juris; Fischer (Fn. 9), § 77 e Rn. 1.

[22] BGH, Beschl. v. 23.01.2014 – AK 25/13 – juris.

[23] Eingefugt erstmalig mit § 129 b StGB durch das 34. StrAG v. 22.08.2002 BGBl. I 2002, 3390; Motive in BT-Drs. 14/8893.

 

Dr. Matthias Fahrner

M.A., MinR a. D., Richter am Amtsgericht Stuttgart
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