20.07.2023

Nachweis einer kürzeren Restnutzungsdauer eines Gebäudes

Urteil des Finanzgerichts Münster

Nachweis einer kürzeren Restnutzungsdauer eines Gebäudes

Urteil des Finanzgerichts Münster

Bei vermieteten Immobilien des Privatvermögens ist steuerlich von 50 Jahren Nutzungsdauer und damit von einer Absetzung für Abnutzung in Höhe von 2 % auszugehen. | © lucid_dream – stock.adobe.com
Bei vermieteten Immobilien des Privatvermögens ist steuerlich von 50 Jahren Nutzungsdauer und damit von einer Absetzung für Abnutzung in Höhe von 2 % auszugehen. | © lucid_dream – stock.adobe.com

Bei vermieteten Immobilien des Privatvermögens ist steuerlich grundsätzlich von einer Nutzungsdauer von 50 Jahren und damit von einer Absetzung für Abnutzung (AfA) in Höhe von 2 % der Anschaffungs- oder Herstellungskosten auszugehen. Von der typisierten Nutzungsdauer von 50 Jahren kann jedoch abgewichen werden, wenn die tatsächliche Nutzungsdauer nachweislich weniger als 50 Jahre beträgt. Das Finanzgericht Münster hatte zu entscheiden, wie der Nachweis für eine tatsächlich kürzere Nutzungsdauer zu führen ist.1FG Münster, Urteil vom 27.01.2022 – 1 K 1741/18 E.

Der Fall

Vermieter V erzielte in den Streitjahren 2012 bis 2016 neben Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit auch Einkünfte aus der Vermietung eines im Jahre 1955 erbauten freistehenden Dreifamilienhauses (EG: 95 m2, OG: 85 m2 und DG: 67 m2). Dieses hatte er im Jahr 2011 im Rahmen eines Zwangsvollstreckungsverfahrens erworben.

Im Rahmen des Zwangsvollstreckungsverfahrens wurde das Objekt von einem öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für Grundstücksbewertung begutachtet. Demnach bestand das Wohnhaus im Wesentlichen noch in dem Zustand des Erbauens. Die Wohnung im EG sei zwar 2007 umfangreich renoviert worden, die Wohnungen im OG und DG seien jedoch noch im ursprünglichen Zustand.


Der Gutachter ging wegen „Modernisierung und Zustand am Stichtag” (fiktiv) von einem Baujahr 1960 aus. Die Gesamtnutzungsdauer des Wohngebäudes gab er mit 80 Jahren an, die Restnutzungsdauer mit 30 Jahren. Die Wohnungen im OG und DG entsprächen noch der Ausstattung von 1955 und nicht den Wohnansprüchen zum Zeitpunkt der Gutachtenerstellung. Insgesamt wären erhebliche Instandsetzungsarbeiten bis zur Kernsanierung mit Erneuerung und Ergänzung der gesamten Installation vom Kellergeschoss bis zum Dachgeschoss sowie an Fassade und dem Dach erforderlich, um eine nachhaltige Nutzung mit modernem Wohnraum zu schaffen.

Der Sachverständige ermittelte einen Wert für das bebaute Grundstück in Höhe von 230.000 Euro. Hierfür führte er eine Ertragswertermittlung und eine Vergleichswertermittlung durch. V machte daher in seinen Einkommensteuererklärungen 2012 bis 2016 eine erhöhte AfA von 3,33% der Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten statt der gesetzlich vorgesehenen 2% geltend. Das Finanzamt folgte dem in den Einkommensteuerbescheiden nicht.

Auch ein anschließendes Einspruchsverfahren blieb ohne Erfolg, weshalb V vor dem Finanzgericht Münster klagte.

Die Entscheidung

Das Finanzgericht sah die Klage des V als begründet an. Entgegen der Auffassung des Finanzamts sei der erhöhte AfA-Satz von 3,33% anzusetzen.

Ansatz einer tatsächlich kürzeren Nutzungsdauer für Zwecke der AfA

Das Finanzgericht stellte zunächst die geltende Rechtslage dar. Nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EstG können anstelle der Absetzungen nach § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG die der tatsächlichen kürzeren Nutzungsdauer eines Gebäudes entsprechenden AfA vorgenommen werden. Nutzungsdauer im Sinne von § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG ist gemäß § 11c Abs. 1 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) der Zeitraum, in dem ein Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann.

Das Finanzgericht führte dazu aus, dass die zu schätzende Nutzungsdauer durch den technischen Verschleiß, die wirtschaftliche Entwertung sowie rechtliche Gegebenheiten, die die Nutzungsdauer eines Gegenstands begrenzen können, bestimmt werde. Auszugehen sei von der technischen Nutzungsdauer, also dem Zeitraum, in dem sich das Wirtschaftsgut technisch abnutze.

Sofern die wirtschaftliche Nutzungsdauer kürzer als die technische Nutzungsdauer sei, könne sich der Steuerpflichtige hierauf berufen. Ob den Abschreibungen für Abnutzung eine die gesetzlich vorgesehenen, typisierten Zeiträume unterschreitende verkürzte Nutzungsdauer im Sinne des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG zugrunde gelegt werden könne, beurteile sich nach den Verhältnissen des Einzelfalls. Es sei Sache des Steuerpflichtigen, im Einzelfall eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer darzulegen und gegebenenfalls nachzuweisen. Der BFH habe diese Rechtsauffassung bereits vertreten.2BFH, Urteil vom 28.07.2021 – IX R 25/19, BFH/NV 2022 S. 108.

Nachweisführung

Nach dem Urteil des Finanzgerichts kann sich der Steuerpflichtige zur Darlegung der verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer eines zur Einkünfteerzielung genutzten Gebäudes jeder Darlegungsmethode bedienen, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint. Erforderlich sei insoweit, dass die Darlegungen des Steuerpflichtigen Aufschluss über die maßgeblichen Determinanten gebe. Dazu gehörten der technische Verschleiß, die wirtschaftliche Entwertung und rechtliche Nutzungsbeschränkungen, die die Nutzungsdauer im Einzelfall beeinflussen.

Auf deren Grundlage sei der Zeitraum, in dem das maßgebliche Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann (§ 11c Abs. 1 EStDV), im Wege der Schätzung mit hinreichender Bestimmtheit zu ermitteln. Nach der BFH-Rechtsprechung habe das Finanzamt bei der durchzuführenden Amtsermittlung von der Schätzung des Steuerpflichtigen auszugehen, solange dieser Erwägungen zugrunde liegen, wie sie ein vernünftig wirtschaftender Steuerpflichtiger üblicherweise anstelle.

Die Schätzung des Steuerpflichtigen sei nur dann zu verwerfen, wenn sie eindeutig außerhalb des angemessenen Schätzungsrahmens liege. Im Streitfall habe der V ein vom Amtsgericht in Auftrag gegebenes Wertgutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen vorgelegt. Der Gutachter sei zu dem Ergebnis gekommen, dass die Restnutzungsdauer des Hauses 30 Jahre betrage.

Das Finanzgericht folgte den Ausführungen des Gutachters und konnte daher feststellen, dass die tatsächliche Nutzungsdauer der streitigen Immobilie zum Zeitpunkt der Anschaffung auf 30 Jahre verkürzt war. Der Gutachter habe – wie von der BFH-Rechtsprechung verlangt – eine modellhafte Ermittlung der Restnutzungsdauer durchgeführt. Das Ergebnis liege jedenfalls nicht (erheblich) außerhalb des zulässigen Schätzungsrahmens. Vor diesem Hintergrund konnte V die AfA in Höhe von 3% seiner Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten vornehmen.

 

Entnommen aus dem RdW-Kurzreport 17/2022, S. 774.

 

Christian Kubik

Ministerium für Finanzen Baden-Württemberg
 

Birgit Reindl

Ministerium für Finanzen Baden-Württemberg
----------
  • 1
    FG Münster, Urteil vom 27.01.2022 – 1 K 1741/18 E.
  • 2
    BFH, Urteil vom 28.07.2021 – IX R 25/19, BFH/NV 2022 S. 108.
n/a